Pressestimmen
Zum Tod von Astrid Gehlhoff-Claes
Lyrikerin Astrid Gehlhoff-Claes gestorben
Wie erst jetzt bekannt wurde, ist am 1. Dezember 2011 die Lyrikerin und Übersetzerin Astrid Gehlhoff-Claes 83-jährig in einem Düsseldorfer Pflegeheim gestorben. Sie hatte 1953 mit einer Arbeit über Gottfried Benn promoviert und wurde von ihm in ihren frühen Jahren als Lyrikerin gefördert. Ihr Briefwechsel mit dem Dichter erschien 2001, zwei Jahre später wurde auch ihre Dissertation erstmals veröffentlicht. Neben zahlreichen Lyrikbänden erschienen 2002 autobiografische Aufzeichnungen unter dem Titel «Inseln der Erinnerung». Astrid Gehlhoff-Claes war die Mutter der Schriftstellerin Undine Gruenter.
In: Neue Zürcher Zeitung, 21.01.2012.
Trauer um Dichterin Astrid Gehlhoff-Claes
Spaziergänger in den Rheinwiesen von Oberkassel werden die kleine, zarte Frau noch gut in Erinnerung haben. Wie sie mit ihrem geliebten Hund Noah spazieren ging, einem reinrassigen „Cavalier King Charles“, der sie überallhin begleitete – zu all ihren Lesungen, auf Reisen, oft nach Rom. Astrid Gehlhoff-Claes war eine eigensinnige, feinnervige, beeindruckende Erscheinung – in ihrer Dichtung wie in ihrem Leben. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist die Lyrikerin bereits am 1. Dezember 83-jährig in einem Pflegeheim gestorben.
Wer an Astrid Gehlhoff-Claes denkt, muss sogleich an Gottfried Benn denken. Das ist ungerecht gegenüber dem sehr eigenständigen Werk der Lyrikerin; aber diese Beziehung ist eben auch ein Markstein ihrer literarischen Entwicklung. Als erste in Deutschland hatte Gehlhoff-Claes über Benns Sprachstil promoviert. Der Dichter suchte die Nähe der jungen Forscherin, las ihre Gedichte und geriet in Verzückung. „Ich wollte, es wäre von mir“, urteilte er ziemlich pompös über eins ihrer Gedichte. Man ahnt, dass nicht nur die Verse Benn verzückten. Nachzulesen ist das in dem wunderbaren Briefwechsel der beiden, der nach rechtlichen Streitereien erst vor knapp zehn Jahren erscheinen konnte. Benn hat ums „Liebe Kindchen“ geworben; die Angebetete wusste sich mit allerlei Ausreden dem zu entziehen. Häufig dienten dazu Unfälle und Krankheiten. Darauf Benn in einem Brief: „Ihnen passiert viel, finde ich ... Ich erlaube mir, über Ihre kranken Stellen zu streicheln.“
Die Gedichte hatten die Lobeshymnen von Benn („verblüffend“, „unvergleichlich“, „wunderbar“) nicht unbedingt nötig; aber sie verhalfen ihnen natürlich dazu, weithin gehört zu werden – wie „Der Delphin“, eine Metapher der Glückssuche und zugleich Zeichen der Unerreichbarkeit. Benn hat Gehlhoff-Claes einmal gefragt, warum sie einsam sei. Als die Angesprochene sich ertappt zeigte, fügte er hinzu: „Gedichte, wie Sie sie mir schickten, entstehen anders nicht.“
Astrid Gehlhoff-Claes, die 2003 für ihr Gesamtwerk mit der Trude-Droste-Gabe (10 000 Euro) geehrt wurde, ließ viele an ihrer Dichtkunst teilhaben, auch Gefangene, denen sie regelmäßig vorlas. In ihrer Autobiografie „Inseln der Erinnerung“ erzählt sie auch von ihrem einzigen Treffen mit Benn. Am Ende des Kapitels dann der verblüffende Satz: „Die Erde war schön.“
Lothar Schröder in: rp-online, 8.01.2012.
Zu: Inseln der Erinnerung (2002)
„Mir ist, als löse der Himmel über dir sich auf in ein Meer von Malven, die auf den Türmen, auf den Bäumen liegen bleiben, was ein Stück Erde selbst zum Himmel macht.“
Bäume als Vorbilder. Das Dasein der Straße als lebenswichtig. Kirchen als Oasen des Friedens.
Astrid Gehlhoff-Claes erzählt von den Inseln ihres Lebens, an denen sie noch heute gerne strandet. Denn ein solches Stückchen Festland im Meer der Einsamkeit spendet Trost, gibt Hoffnung. Hoffnungen, die „wie Vögel sind, die das Ankommen kennen: du lebst.“
In kurzen Episoden beschreibt die Autorin Stationen der Vergangenheit. Sie erzählt von ihrer Traumstraße, die ihr Kraft gibt. Von Sankt Gereon, wo das Leben die alltägliche Dunkelheit verliert. Und von ihren Lesungen im Gefängnis, deren Inhaftierte versuchen, das Draußen zu bestehen.
Sie führt den Leser ein in ihre Welt. Mit beschwingten Worten. Verständlich, denn die „Poesie“ bringt „die Momente“ schließlich „zum Leben“.
So beschreibt sie Empfindungen, erzählt von Orten und Menschen, die in ihrem Leben einen Sinn machen. Sie nennt die Begegnung mit Gottfried Benn. Der große Dichter. Und sie. In einem Schlosspark, damals, als er noch nichts von ihr weiß, als er herausfindet, dass sie einsam ist. Er gibt ihr Selbstvertrauen, stärkt ihren Mut zum Schreiben.
Die Einsamkeit. Sie schwindet bei Gelhoff-Claes überhaupt nur „auf dem Weg in die Natur“. Und so spricht sie passagenlang über Bäume und wie sich deren einzelne Blätter im Takt des Windes bewegen oder wie sie in einem anderen Licht aussehen.
Ebenso hält es die Autorin es mit anderen Pflanzen, zuweilen auch mit Gebäuden. Sie langweilt mit daten-faktischen Einzelheiten einer Kirchturmglocke. Mit überflüssigen, weil wenig fesselnden, geschichtlichen Einzelheiten über ein Schloss.
Die Autorin verliert sich in zunächst interessanten und mitreißenden Beschreibungen. Doch spätestens nach der Erzählung über ihre tief emotionale Bindung zu Zypressen möchte man von Pinien nichts mehr hören.
Ihr Werk gibt zum Erforschen ihrer Psyche Anlass. „Inseln der Erinnerungen“, oft als Autobiographie klassifiziert, erscheint an manchen Stellen mehr wie ein Reiseführer, wie ein Sachbuch über Flora und Fauna. Immer wieder bleibt die Autorin unkonkret. Nur ansatzweise erfährt man etwas über den Ursprung ihres Leids, ihrer Einsamkeit. Sie scheint unfähig, ihrem Ärger und der Wut Raum zu geben. Sie verlor Freunde, weil sie immer im Sinne ihres Vaters handelte. Doch: kein Wort davon, wie sich das anfühlt. Sie verliert ihre Tochter an die Schwiegermutter. Und wieder: keine greifbare Äußerung über den Schmerz.
Lediglich das Kapitel „Freundschaft in Paris“ offenbart, dass „sie schreit“. Doch zu leise, im Ganzen ist dieser Satz nur eine leichte fallende Feder, die man am Ende überhört. Sie bevorzugt mit ihrem Hund zu plaudern, oft weiß sie nicht mal Namen der Menschen, die um sie herum und mit ihr leben. Wohl aber die der Haustiere jedes Einzelnen. Vielleicht hat sie Angst vor Voyeurismus. Die Möglichkeit, der Leser könne als Beobachter ihrer Seele agieren, scheint sie zu behindern.
Und so bleibt es dabei, dass nicht nur Benn - wenn auch nur zu Anfang - nichts von ihr weiß. Auch der Leser ist weitestgehend von ihrem Leben ausgeschlossen.
Bemerkenswert sind ihre Worte, die in Erinnerung bleiben. Vielleicht ist das jedoch die einzige Insel, auf der der Leser strandet: „Ihr wisst nur von meinen leichten Tagen,/ doch die dunkeln habt ihr nicht gezählt.“
So erklärt sie sich in ihrem Gedicht „Der Delphin“ - und ahnt vielleicht nicht, wie Recht sie hat, liest man ihr Werk. Schöne Wort alleine genügen eben nicht immer
Nadine Gottschling in: literaturkritik.de, Nr. 6, Juni 2003.
Fünf weitere Pressestimmen zu diesem Buch finden sich auf den Seiten des Grupello Verlags: www.grupello.de/verlag/autoren
Zu: Der lyrische Sprachstil Gottfried Benns (1953/ 2003)
Wo kommen eigentlich Paradigmen her? Anmerkungen zu Astrid Gehlhoff-Claes' Dissertation „Der lyrische Sprachstil Gottfried Benns“
Wieso erscheint eine Dissertation 50 Jahre nach ihrer Annahme? Diese Frage lässt sich in zweierlei Hinsicht beantworten. Zum einen, weil sie bis heute gültige Ergebnisse liefert, die die Forschung - so die der Publikation zu Grunde gelegte Erwartung - auch noch im Nachhinein nachhaltig befruchten kann. Zum anderen, weil sie wissenschaftsgeschichtliche Relevanz besitzt.
Der Verlag ging wohl von Ersterem aus, zumal es im Klappentext heißt, die Dissertation sei „eine kleine literaturwissenschaftliche Sensation“, die „dabei zu noch heute gültigen Ergebnissen gelangt“. Schon in der der Dissertation vorgeschobenen persönlichen Stellungnahme der Autorin, die in der Art eines imaginierten Briefes an den bereits fast 50 Jahre verstorbenen Dichter Gottfried Benn gerichtet ist, kommen dem unvoreingenommenen und bislang noch geneigten Leser angesichts solcher Euphemismen erste Zweifel. Zu sehr wird Benn als Person und Autor von der Autorin für ihr eigenes Leben vereinnahmt: „Schmerz wird [von Benn] als Privileg, als Mitgift der dichterischen Berufung aufgefaßt. Das war meine Brücke, mein Band; in meinem dunklen Leben damals meine Traumnahrung. Ich schrieb schon selbst Gedichte, und meine lyrischen Motive waren oft Ihren gleich: die Natur - Blumen, Bäume, Vögel -, Schreiben und Einsamkeit.“
Auch die Zielsetzung und das eigene Vorgehen muten wissenschaftlich so gar nicht gegenwärtig an, da die Dissertation den heutigen Standards einfach nicht genügt - etwa wenn davon die Rede ist, dass „das Gesetz der stilistischen Phänomene einer Dichtersprache dadurch zu finden [sei], daß wir die Verknüpfung von Ausdruck und Wesen des Dichters zu erkennen suchen“, weshalb Gehlhoff-Claes vorschlägt, „die Kenntnis der Dichterpsyche gerade als Mittel für eine exakte Deutung der einzelnen Stilmerkmale“ einzusetzen, indem die Prosa, „vor allem de[r] selbstbiographische Roman Doppellebe“" zur maßgeblichen Bezugsgröße erhoben wird - ohne die genauen Maßgaben für dieses doch recht problematische Vorgehen offen zu legen. Nicht nur der biografistisch-psychologistische Zugang zum Œuvre Benns, auch die naive Ineinssetzung von Werk und Dichterleben müsste sich vor der Folie der heutigen Praxis einige Kritik gefallen lassen.
Die textimmanent betriebene Stilforschung, abgelöst von detaillierten Einzelinterpretationen oder systematischen poetologischen Fragestellungen gibt sich, auch wo sie wertend sein will, überwiegend mit der Deskription der Sprachverwendung Benns zufrieden, da es ein Textäußeres nicht zu geben scheint, und nimmt sich - vor allem im Rahmen der Untersuchung Benn‘scher Zentralworte - eher aus wie eine kommentierte Wortkonkordanz. Auch kommt die Autorin oftmals zu apodiktischen, für den Leser nicht ganz nachvollziehbaren Deutungen. So wird etwa der Fremd- und Fachwortgebrauch Benns als elitistische Absicht des Autors gedeutet, als ein Sich-Abschließen vor den Lektüren ungebildeter Leser. Der Effekt, den Benns Texte womöglich hatten und der intendierte und bewusste Wille, einen Elitismus zu pflegen, gehen jedoch von zwei verschiedenen Prämissen aus und lassen sich ohne plausible Beweisführung nicht ohne Weiteres gleichsetzen. Eine These also, die sich wahrscheinlich weder aus dem Text, noch durch autobiografisches Material wirklich beweisen ließe und von der Autorin auch nicht belegt wird.
Die Relevanz der Studie für die gegenwärtige Forschung muss vor diesem Hintergrund folglich leider bezweifelt werden. Als erste Dissertation zum lyrischen Werk Benns, die noch zu Lebzeiten des Autors fertiggestellt wurde, besitzt die Arbeit aber tatsächlich eine wissenschaftsgeschichtlich interessante Dimension. Die in der Tradition der stilgeschichtlichen Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg stehende Studie veranschaulicht die literaturwissenschaftliche Arbeitsweise eines textimmanenten Verstehens à la Spitzer, Staiger, Kayser oder Walzel und macht Forschungsinteresse sowie methodisches Vorgehen dieser Zeit anschaulich. Vor diesem Hintergrund ist sie sicherlich ein wichtiges Zeugnis für die Geschichte unseres Fachs. Mitunter ließen sich Traditionsspuren, gerade in der Benn-Forschung, auch für nachfolgende Arbeiten zumindest bis in die späten 80er Jahre nachweisen, die oftmals ein ähnliches methodisches Vorgehen an den Tag legten, dem Paradigma der textimmanenten Methode folgten und sich erst langsam für den Methodenwandel in der Literaturwissenschaft öffneten - ein Indiz dafür, wie lange die Erschließung des Benn‘schen Œuvres auf die ihr eigene Tradition rekurrierte.
Warum also eine Veröffentlichung nach 50 Jahren? Der Blick auf die letzte Seite des Buches lässt ferner eine dritte, paratextuelle Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu: Die Dissertation als Stilisierungs- und Werbefläche für die eigene 2002 erschienene Autobiografie? Der hier abgedruckte Werbetext - eine Besprechung von Florian Illies in der FAZ - für den hier „ein spätes Selbstportrait der Autorin als junger, aufmüpfiger Dichterin“ vorliegt -, sowie der vom Verlag gesetzte Hinweis auf die eigene Homepage, von wo aus eine „Leseprobe“ und eine „versandkostenfreie Bestellung“ des Werks möglich ist, lässt den Leser eine solche Vermutung zumindest kurz in Erwägung ziehen
Carolina Kapraun in: literaturkritik.de, Nr. 7, Juli 2006
Drei weitere Pressestimmen zu diesem Buch finden sich auf den Seiten des Grupello Verlags: www.grupello.de/verlag/autoren/