Frauen-Kultur-Archiv

Gerda Kaltwasser Textforum
Harry und Harry

Lawine des Kircherns

Bernt Hahn las Hermann Harry Schmitz

Im Kammermusiksaal des Palais Wittgenstein herrschte gespannte Stille. Aber nicht lange, dann kicherten hier und dort die Gäste; das Kichern schwoll immer wieder an zu stürmischem Gelächter. Die Heiterkeit hielt auch in der Pause an und ergriff selbst den Rezitator des Abends, Bernt Hahn, so sehr, daß er einmal nicht weiterlesen konnte, sich erst einmal ausprusten musste. Anlaß der Heiterkeit waren die Grotesken des Düsseldorfers Hermann Harry Schmitz, der nach einem kurzen Dasein voller Leiden vor 75 seinem Leben ein Ende setzte, der aber bis heute bei einer großen Lesergemeinde jeden Alters unsterblich geblieben ist. In der vorigen Woche sind im Züricher Haffmans-Verlag diese Werke in drei Bänden neu erschienen (60 Mark) – Anlaß für das Heinrich-Heine-Institut, das Stadtmuseum und das Kulturamts, Schmitz-Grotesken lesen zu lassen.

Bernd Kortländer vom Heine-Institut stellte Autor und Neuerscheinung kurz vor. Bernt Hahn, den sein Generalintendant für knappe zwei Stunden aus der Generalprobe im Großen Haus entlassen hatte, las neben dem Flügel mit der Büste des Groteskenschreibers, einer Porträtbüste, der anzusehen ist, daß Hermann Harry Schmitz ein ebenso scharfer Denker wie Beobachter gewesen ist.

Was ist zu sagen etwa zur Geschichte vom „Ersten Tag an der Table d’hòte“, die man heutzutage als gemeinsame Speisetafel im Hotel oder in der Pension bezeichnen würde im Gegensatz zum Essen à la carte? Da gibt es einen Herrn Schmitz, der sich auf die unglaublichste Art und Weise in ein Nudelknäuel verstrickt. Da gibt es auch eine Kölnerin, die als „brilliantenbeladne Korpulenz“ charakterisiert wird. Schmitz nimmt da gleich die Gelegenheit wahr, auf unnachahmlich übertreibende Art das Köln-Düsseldorfer Konkurrenzverhältnis auf den Arm zu nehmen. In anderen Geschichten treten ein Charleß Nulpe, ein Jean Maurice Ragout Fin auf und geraten in absurde, übertrieben komische Situationen.

Aber solcherlei Komik durch Übertreibung zu beschreiben, führt zu nichts. Lesen muß man das, lesen, am besten laut. Deshalb bitte, bitte, mehr davon und am liebsten bald. Die Fundgrube enthält keine Ladenhüter.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 17. Oktober 1988

Monumente aus Reimen

Christoph Hauschild: Lyrische Heine-Porträts

Statuen bedeutender Persönlichkeiten sind im allgemeinen aus Stein oder Bronze. Manchen setzen auch Dichter oder Schriftsteller ein Standbild aus Reimen. Bei Heinrich Heine, selbst wortgewaltig wie kaum ein zweiter in der deutschen Sprache, musste die Fahndung nach solchen literarischen Denkmälern zu Überraschungen führen. Jan-Christoph Hauschild, Mitarbeiter am Heine-Institut und an der Düsseldorfer Heine-Ausgabe, bekannt auch als Büchner-Forscher, enthüllte jetzt vor der Heinrich-Heine-Gesellschaft solche poetischen Statuen für den so geliebten wie gehaßten Dichter.

Auf Heine, von dem über 700 Gedichte bekannt sind (der Düsseldorfer Lokalredakteur Karl-Ludwig Zimmermann, genannt Zips, hatte ihn an Zahl noch übertreffen wollen, was aber nicht gelang), wurde mit Vorliebe in „Heine’scher Manier“ gereimt. Was dabei herauskam - rund 500 Beispiele sind bekannt - war „selten Gold, meist Strass“, meinte Hauschild. Ein Gedicht von Gustav Schwab, das Hauschild deutlich schwäbelnd vortrug, war allerdings eher ein Un-Denkmal, schon deutlich antisemitisch. Ganz anders Georg Herwegh, den Heine als „eiserne Lerche“ verspottet hatte, die dann ihrem Kritiker ein wahrhaftiges, gedichtetes Monument schuf.

Paul Heyse, den Hauschild rheinisch reden ließ, beschäftigte sich hellseherisch mit „Heine in Düsseldorf“ wie auch Arnold Weiss-Rüthel, dessen grimmiges Gedicht „Heine-Denkmal“ 1925 in der „Weltbühne“ abgedruckt wurde, und das er „dem Kaiser, Hitler und Ludendorff“ widmete. Daß der Schriftsteller später ins KZ kam – wen wundert’s?

Peter Rühmkorf, Träger der Heine-Ehrengabe der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Gesellschaft, schrieb 1959 ein bewegendes Heine-Gedenklied, zu einer Zeit, als das noch nicht so selbstverständlich war wie heute. Und auch der scharfzüngige Gerd Semmer dachte 1959 an Heinrich Heine, den Geschmähten und fast Vergessenen, als er über „Düsseldorf an der Düssel“ schrieb, die Hauptstadt des Wirtschaftswunders.

Hauschild ließ auch eine zeitgenössische Stimme von „drüben“ zu Wort kommen. Peter Hacks, der sonst so gesprächige, wird in dem Gedicht auf das Heine-Denkmal in Ost-Berlin ganz knapp, ganz präzise. Hauschild bedauerte, daß es in Düsseldorf kein Heine-Denkmal gibt, bei dem man dem Dichter den Arm um die Schulter legen kann. Aber hat nicht der Bildhauer Bert Gerresheim sein Heine-Monument am Schwanenmarkt als „begehbare Gesichtslandschaft“ geschaffen, damit Heine ganz ergriffen werden kann?

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 28. Oktober 1989

Phänomenaler Fallensteller

Obwohl jung gestorben, ist er quicklebendig geblieben: Herrmann Harry Schmitz, der Düsseldorfer Meister des Grotesken. Wir sind eingeladen zu seinem 111. Geburtstag

Die Elf ist eine närrische Zahl, die einhundertelf selbstverständlich auch. Aber die Tatsache, daß wir in diesem Jahr, genau gesagt am 12. Juli, des einhundertelften Geburtstags von Hermann Harry Schmitz gedenken, sollte uns nicht dazu verleiten, den Autor höheren und allerhöchsten Blödsinns für einen Narren zu halten. Schon gar nicht für einen Jecken oder Karnevalisten. Der Mann mit dem langen Schädel, den langen Händen, den traurigen Augen und der fragilen Gesundheit war alles andere als ein deftiger Büttenredner. Sein Ideal war Oscar Wilde, ihm eiferte er beim Schreiben nach, seinem Dany-Vorbild folgte der Düsseldorfer Hermann Harry Schmitz, wenn er im schwarzen, rot gefütterten Cape mit wehendem weißem Seidenschal durch die Altstadtstraßen schritt, gestützt auf ein Spazierstöckchen, dessen Griff die Nachbildung eines Negerkopfes war.

Hermann Harry Schmitz wurde nur 33 Jahre alt, starb von eigner Hand nach langem schmerzhaftem Leiden, für das er wohl keine Besserung sah. Der Schriftsteller war, ein besseres Wort fällt mir nicht ein, ein Phänomen. Die Düsseldorfer liebten ihn, ihren Landsmann aus gutbürgerlichem Hause, sie verschlangen regelrecht gierig die tollen Geschichten, die er schrieb, Geschichten voller Übertreibungen, grotesker Zwischenfälle und Verwicklungen, dabei auch voller Anspielungen auf Fakten und Moden der Zeit. Nichts war vor seinem durchdringenden, die unwahrscheinlichsten Verflechtungen voraussehenden Schriftstellerblick sicher, nicht der Hut der Dame, der Friseur des Herrn, nicht die scharwenzelnde Untertänigkeit des Spießers und die Dummheit so manchen Akademikers. Er schrieb groteske Theaterstücke von durchschlagender Kürze und Bösartigkeit, etwa „Die Philosophen“, Stelldichein von Zeitgenossen an einer verwesenden Leiche. Oder „Nr. 42. Ein Albdruck“ – groteske Darstellung eines Besuches von Kaiser Wilhelm Zwo in einer Irrenanstalt bei dem Philosophen Friedrich Nietzsche. Das alles ist so übersteigert, daß Zeitgenossen vor lauter ersticktem Lachen möglicherweise die Fallen nicht sahen, die der Autor ihnen stellte. Der Zensor jedenfalls sah sie nicht, H. H. S., wie wir ihn der Kürze halber nennen wollen, wurde nie verboten.

Vielleicht erschien er den seriösen Schrift-Wächtern zu albern. In Wirklichkeit war er ein Vorgänger der großen Absurden wie Dürrenmatt oder Ionesco, vor ihnen Alfred Jarry.

Die Geschichten erschienen im Düsseldorfer Generalanzeiger, wo Schmitz auch Theaterkritiken schrieb. Zu seinem Freundeskreis zählten Hanns Heinz Ewers, Herbert Eulenberg, Rudolf Herzog, Detlev von Liliencron, um nur die Schriftsteller aufzuzählen. Zu ihnen stießen im Weinhaus „Rosenkränzchen“ am Stiftsplatz noch Maler und Musiker. Schmitz, der seit seiner Jugend unter Schmerzanfällen litt, war es wohl nicht zum Lachen zumute.

Und unsereins? Unsereins grinst stillvergnügt bei der nun fast 100 Jahre alten Geschichte vom „überaus vornehmen Friseur“: „In jeder Stadt gibt es sogenannte ‚First-class-Geschäfte’, die ihren Ruf meist ohne eigenen Verdienst, durch die Suggestion der Tradition zu wahren wissen. Da haben wir das Herrenmodengeschäft, sprich ‚Lätest fäschen’, den Schneider, sprich: ‚Täler’, den Schuster, sprich: ‚Buuts’, bei welchem sich der Kavalier, der etwas auf sich hält, zu bedienen hat ... Liegt in einer großen Auslage aus poliertem Mahagoni lediglich ein zusammengeknülltes Seidentuch, ein Hosenträger, ein seidener Strumpf und eine Glasflasche mit englischen Drops, so befindest du dich vor dem einzigen Ort, wo du als Mann von Geschmack und Distinktion dir deine Krawatten, Unterwäsche und so zu kaufen hast“ ... – als wär’s ein Stück von heut’!

Hermann Harry Schmitz war so beliebt, daß sich seine Fangemeinde bis heute erhalten hat und sogar erneuert. So gibt es seit zwei Jahren, seit der denkwürdigen Welturaufführung von „Nr. 42“ beim Bücherbummel 1989, in Düsseldorf eine Hermann-Harry-Schmitz-Societät, die inzwischen über ein eigenes ansehnliches Archiv verfügt. Ein Jahr vorher bereits hatten die beiden Literaturwissenschaftler Bruno Kehrein und Michael Matzigkeit im Haffmans Verlag eine dreibändige, sehr sorgfältig gearbeitete Ausgabe der gesamten Werke herausgebracht. Da hat man den ganzen Schmitz und kommt nicht wieder von ihm los.

Am 12. Juli zum 111. Geburtstag gibt es eine literarische Nacht unter dem Titel „Verschmitzte lesen Hermann Harry Schmitz“, dabei wird auch der Handpressendruck der „Philosophen“ von Wolfgang E. Herbst vorgestellt, ein Ereignis für alle Freunde schöner Bücher.

Es klingt so grotesk wie die Schriften des Schriftstellers, der genau in seine Zeit, in die des Jugendstils, paßte, daß seine gutbürgerlichen Eltern der Düsseldorfer Öffentlichkeit die Tatsache des Selbstmordes ihres Sohnes vorenthielten. Lediglich vom „Tod“ wurde seinen Freunden Mitteilung gemacht.

Gerda Kaltwasser
In: Überblick, Juli 1991, S. 56-57

Orden und ein Meyer, der ein Schmitz ist

„Verzeihen Sie, ich bin eine Stricknadel“

„Meyer ist montags Schmitz“, heißt es auf einem Plakat in Köln. In Düsseldorf war Meyer am Wochenende Schmitz, und zwar im Stadtmuseum, dort, wo er laut Museumsdirektor Dr. Wieland Koenig auch hingehört. Nicht Meyer unbedingt, aber Schmitz, Hermann-Harry Schmitz nämlich, in dessen Gestalt und Werk der Kölner Theatermann Frank Meyer mit Kopf und Geist, Haut und Haar geschlüpft ist. „Verzeihen Sie, ich bin eine Stricknadel“ heißt das Programm, mit dem der Ein-Mann-Darsteller unter anderem in einer Acht-Personen-Groteske des Düsseldorfer Autors Hermann-Harry Schmitz (1880 bis 1913) Triumphe feiert.

„Verzeihen Sie, ich bin eine Stricknadel“ ist der Titel eines Stückes verschmitzter Kurzprosa mit der H. H. S., wie wir ihn der Einfachheit halber nennen wollen, seine Düsseldorfer vor 90 Jahren zum Lachen brachte. Und auch 90 Jahre später wieder.

Im Ibach-Saal des Stadtmuseums, wohin die Düsseldorfer H. H. S.-Sozietät eingeladen hatte - ohne Griff in leere Stadtkassen, versteht sich -, machte so mancher erste und wahrscheinlich nachhaltige Bekanntschaft mit dem Autor, dessen Leben so unglücklich verlief. Er schoß, unter unerträglichen Schmerzen leidend, frei nach Ringelnatz in sich „ein ewig tiefes Loch“. Die Zuschauer im Saal sahen nur die Pistole, konnten allenfalls ahnen, wie H. H. S. die Menschen unter Qualen lachen machte. Und Ringelnatz konnte er ja auch nicht kennen.

Folgerichtige Fortsetzung fand die Groteske mit der Verleihung des Grotesken-Ordens 1992 durch den Vorsitzenden der Sozietät, Klaus Lehmann, an den ehemaligen Ratsherren der Grünen, Günther Classen. Der hatte sich im August handgreiflich mit einem Mitarbeiter seiner Fraktion auseinandergesetzt, seine Entschuldigung war von den Mit-Grünen nicht akzeptiert worden, seit dem gibt es im Rat der Stadt eine siebte Partei. Grotesk?

Der Lustwart der Sozietät, Wolfhard Bode, lieferte an den neuen Ordensträger eine geschliffene Büttenrede ab, die es sorgsam vermied, den Schlagfertigen als Helden darzustellen, vielmehr auf die allgemeine kulturelle Misere in Düsseldorf abhob. Nur hier könne man „mit Lustgewinn in die Röhre sehen“. Und mit dem vorgeschlagenen „Kunsthallen-Kahlschlag“ hat sich der neue Kulturdezernent Hans-Heinrich Grosse-Borckhoff möglicherweise schon in der Riege der Grotesken-Orden-Anwärter für 1993 nach vorn geboxt. Günther Classen, dessen Orden aus Kleiderhaken mit Boxer-Shorts und Handtuch bestand, erwies sich als würdiger Ordensempfänger, machte gute Miene zum grotesken Spiel und betonte, daß seine neue Partei keine „schlagende Verbindung sei“.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 26. Oktober 1992

Dichter, Revolutionär & Frauenheld

13.12.1797 – 17.2.1856 Heinrich Heine

Heinrich Heine (geboren vor 200 Jahren) war ein ziemlich pingeliger Zeitgenosse, der sich gern piekfein kleidete und das „Rote Sefchen“ ebenso wie andere Damen seiner Zeit gern küßte. Doch der edle Herr aus Düsseldorf liebte auch den Freiheitskampf der Polen und Griechen und unterstützte den Aufstand der hungernden Weber mit einem Gedicht, das bis heute unter die Haut geht. Heine, der von seiner Heimatstadt lange verschmähte Jude, war ein Anhänger der Französischen Revolution und ihrer Ideale: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Also, genau genommen hatte er mit Euch Brüdern und Schwestern von der Platte ja nicht viel am Hut, dieser Heinrich Heine, dessen 200. Geburtstag die Welt am 13. Dezember 1997 feiert. Er war immer ein ziemlich pingeliger Mensch, wohnte gern nett und zog sich modisch an. Bis zum Schluß natürlich, da lag er nur noch schmerzgekrümmt mit schütterem Bart in Paris in seiner Matratzegruft. Übrigens, wenn ich Euch so liegen sehe auf den vergammelten Bettgestellen in der Kö-Passage, die zur Landskrone hinführt, dann fällt mir immer das Wort von der Matratzengruft ein, mit dem er sein Couchbett in der Pariser Wohnung kennzeichnete. Aber sonst, nee, also, Leute mit schmutzigen Fingernägeln und die nach Tabak stanken, die mochte er nicht. Überhaupt war er ein ziemlich verquerer Typ, dieser Schriftsteller Heinrich Heine, der eigentlich Harry hieß, nach dem Vornamen eines Englischen Geschäftsfreundes des Vaters, und der seine Kinderzeit in Düsseldorf an der Bolkerstraße verbrachte. Viel später, als er schon in Frankreich lebte und schrieb, weil man seine Gedichte und Artikel in Deutschland und Österreich verboten hatte, der Fürst Metternich, heimlich im Bett seine Sachen las. Und mit den Minderheiten, da hatte er auch so seine Probleme. Den schwulen Schriftstellerkollegen August Graf von Platen hat er öffentlich richtig fertiggemacht und auch mit seinem alten Freund Ludwig Börne, deutscher Jude wie er und Emigrant in Frankreich wie er, ging er noch nach dessen Tod ganz schön gemein um. Andererseits machte er sich bei vielen Politikern seiner Zeit unbeliebt, weil er sich für den Freiheitskampf der Polen und der Griechen einsetzte, nicht mit Lichterketten und so, sondern mit toll geschriebenen Aufsätzen. Und als die fast verhungerten Weber in Schlesien den Aufstand wagten, da schrieb er ein Gedicht, das einem bis heute die Gänsehaut auf den Rücken und die Haare zu Berge treibt. Für „Die schlesischen Weiber“ allein hat er ein ganzjähriges Fest zum 200. Geburtstag verdient. Vielleicht merkt Ihr jetzt, daß es sich lohnt, etwas mehr über diesen Kerl zu erfahren. Wie gesagt, in der Bolkerstraße wuchs er auf, war er auch zur Welt gekommen. Da gibt es jetzt das Heine-Haus. Unten ist eine Kneipe drin, die heißt „Schnabelewopski“, nach einem Typen, den er erfunden hat. Und weil Schnabelewopski so ein schweres Wort für die Düsseldorfer ist, nennen sie die Kneipe einfach „Schnabel“. Oder vielleicht auch, weil der Heine mit dem von ihm erfundenen Heimatort des Schnabelewopski eigentlich Düsseldorf gemeint hat. Das lohnt sich, zu lesen, viel hat sich nämlich nicht verändert. Wenn nun einer fragt, warum aus dem kleinen Harry von der Bolkerstraße schließlich der berühmte Dichter Heinrich Heine wurde, so ist das ganz einfach. Der deutsch-jüdische Jurastudent Harry Heine beschloß nämlich, ein wohlbestallter Beamter zu werden. Aber dazu durfte er nicht Jude sein. Aus dem jüdischen Harry wurde ein protestantischer Heinrich. Geholfen hat es ihm nicht. Einmal Jude, immer Jude; das ist wie einmal Berber, immer Berber. Der konvertierte Heinrich mußte statt als beamteter Jurist mit Pensionsanspruch sein Geld als freier Schriftsteller und Journalist verdienen. Mit alle dem Kampf um Honorare und Platz in den Gazetten, der seitdem dazugehört, von dem Ärger mit der Zensur gar nicht zu reden. Übrigens, wenn in diesem Jahr in der ganzen Welt des 200. Geburtstages unseres Düsseldorfers gedacht wird, dann ist das ein Kompromiß. Kein fauler Kompromiß; denn genau weiß wirklich niemand, im Dezember welchen Jahres er zur Welt gekommen ist. Zu der Zeit gab es noch keine amtliche Geburtsurkunde, nur die Taufregister in den Kirchengemeinden. Und ein kleiner Jude, der wurde ja nicht „getauft“. Er selbst führt uns auch in die Irre, hat sich einmal ein Kind des neuen Jahrhunderts genannt. Da könnte er, wenn man es genau nimmt, frühestens im Dezember 1799 zur Welt gekommen sein. Aber ob er dann so herzergreifend über den Abschied des alten Herrschers von seinem Düsseldorfer Volk hätte berichten können, als die Franzosen 1806 einmarschiert waren? „Der Kurfürst läßt sich bedanken“ lasen die älteren Leute neben dem kleinen Harry von einer Bekanntmachung am Rathaus ab. Hab’ ich gesagt, die Welt feiert seinen Geburtstag? Das ist nicht gelogen, nicht einmal übertrieben. Ob in Japan, China, Vietnam, ob in Moskau oder New York – wo immer Schüler oder Studenten die deutsche Sprache erlernen, da tun sie es mit Heinrich Heine. Richtig rührend ist das, wenn irgendwo im amerikanischen Mittelwesten so ein langbeiniger Jeanstyp auf einen zukommt, den Unterkiefer knödeln läßt und rausgurgelt: „Du bist uieh einä Blumä“. Oder wenn in einer Karaoke-Bar im Rotlichtviertel der alten japanischen Kaiserstadt Kyoto um Mitternacht ein japanischer Familienvater im korrekten Anzug, wenn auch mit etwas verrutschter Krawatte zu einem Videofilm vom Rheintal das Bierglas hebt und singt: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten…“. Kein Quatsch, das gibt es. Und was noch toller ist: die wissen, daß das Gedicht von Heinrich Heine ist. Bei uns galt es ja in den finsteren 1000 Jahren, als man auch Heines Bücher verbrannt hatte, als „Volksmund“. Hohe Ehre für einen verfemten Dichter, oder? Der Knabe, der das Röslein brach, tat das ja auch nicht als Volksmund sondern als Goethe. Wir haben also allen Grund, unsere(n) Dichter zu ehren. Als Düsseldorfer haben wir das sowieso. Schließlich hat er uns den schönsten Werbespruch gratis geliefert. So hat es jedenfalls mal der frühere Oberstadtdirektor Gerd Högener gesagt. Jeder Werbefuzzi würde heute sonstwas dafür bezahlen: „Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt, und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu Muthe.“ Na schön, ihr, die ihr Platte macht und Trebe geht, werdet das ein bißchen anders sehen. Oder auch nicht. Wärt ihr sonst hier? Zeit habt ihr ja auch, Zeit, den Heinrich Heine in Düsseldorf zu entdecken. Muß ja nicht gerade auf dem Nordfriedhof sein, wo ganz versteckt zwischen anderen verwitterten Steinen auch der von Betty Heine, Harry’s geliebtem Mütterlein, zu finden ist. Der hat er ein Gedicht gewidmet, das später hochpolitische Bedeutung für alle die bekam, die an der Entwicklung in Deutschland irgendwas nicht richtig fanden: Nachtgedanken. Schau’n wir also mal. Vom Heine-Haus an der Bolkerstraße 53 war schon die Rede. Heine kam da übrigens in einem Hinterhaus zur Welt, das schon vor etwa 100 Jahren abgerissen wurde. Wer eine Spürnase hat, geht in die Mata-Hari-Passage rein und findet dann irgendwo hinten in einem Winkel einen Brunnen, da hat mal Heines Geburtshaus gestanden, zu dem, wie der Dichter mal ironisch (oder vielleicht nicht ironisch?) geschrieben hat, grünverschleierte Engländerinnen pilgern würden. Heine, wohin man guckt. Schräg gegenüber, wo heute Schumacher Alt in den Goldenen Kessel lockt, haben die Heines auch mal gewohnt. Da gibt es noch heute eine Gedenkecke mit Dichterbüste, das war einmal das erste und lange Zeit einzige öffentliche Heine-Denkmal in Düsseldorf. Vor dem Ersten Weltkrieg war es von dem Düsseldorfer Dichter Herbert Eulenberg enthüllt worden. Und auch damals drohte die Zensur, drohte der Polizeifinger, und der hatte mit Gelben Rüben gar nichts zu tun (Polizeifinger nannten die Düsseldorfer nämlich das ebenso billige wie gesunde Möhrengemüse). In der Mertensgasse gibt es ein Haus mit einer Tafel, darauf steht „Arche Noah“. Hier lebte der Onkel des kleinen Harry, der hieß Simon de Geldern und war ein richtiger Märchenonkel, mit dessen Büchern und Mitbringseln aus aller Welt Klein-Harry die tollsten Abenteuer erlebte. Ein anderes erlebte er mit dem Roten Sefchen, der rothaarigen Josepha, Tochter des Scharfrichters. Heine war da schon kein richtiges Kind mehr und Sefchen noch etwas älter. Es erzählte schaurige Hinrichtungsgeschichten und zeigte das scharfe Henkerschwert, aber Harry sagte trotzig: „Ich will nicht küssen das blanke Schwert, ich will das Rote Sefchen küssen.“ Später machte er daraus eine revolutionäre Aktion „aus Hohn gegen die alte Gesellschaft und alle dunklen Vorurteile“. Noch etwas Heine gefällig? Er kannte die alten Geschichten und Sagen der Stadt, etwa die von der armen Jacobe von Baden, die im Schloß umgebracht worden sein sollte (heute wissen wir, daß sie erdrosselt wurde) und seitdem dort spukte. Oder die Geschichte vom Jan-Wellem-Denkmal auf dem Marktplatz, als es dem berühmten Bildhauer Gabriel de Grupello beim Guß an Erz mangelte. Er schickte seinen Gießerjungen in die Bürgerhäuser, um dort silberne Löffel (nein, nicht zu klauen) zu sammeln, damit Roß und Reiter vollendet werden konnten. Im Hofgarten erlebte Harry dann den Einritt Napoleons im November 1811. Für ihn war der Franzosenkaiser ein Befreier, der für die Ideale der Revolution stand: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Heine mußte viele Erfahrungen machen, nicht nur die des übermütigen Rußlanderoberers und Europaverlierers Napoleon, ehe er melancholisch dichtete:

ENFANT PERDU Verlorner Posten in dem Freiheitskriege, Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus. Ich kämpfte ohne Hoffnung, daß ich siege, Ich wußte, nie komm ich gesund nach Haus.

Ich wachte Tag und Nacht – Ich konnt nicht schlafen, Wie in dem Lagerzelt der Freunde Schar – (Auch hielt das laute Schnarchen dieser Braven Mich wach, wenn ich ein bißchen schlummrig war).

In jenen Nächten hat Langweil ergriffen Mich oft, auch Furcht – (nur Narren fürchten nichts) – Sie zu verscheuchen, hab ich dann gepfiffen Die frechen Reime eines Spottgedichts.

Ja, wachsam stand ich, das Gewehr im Arme, Und nahte irgendein verdächtger Gauch, So schoß ich gut und jagt ihm eine warme, Brühwarme Kugel in den schnöden Bauch. Mitunter freilich mocht es sich ereignen, Daß solch ein schlechter Gauch gleichfalls sehr gut Zu schießen wußte – ach, ich kann’s nicht leugnen – Die Wunden klaffen – es verströmt mein Blut.

Ein Posten ist vakant! – Die Wunden klaffen – Der eine fällt, die andern rücken nach – Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen Sind nicht gebrochen – Nur mein Herze brach.

Kein Wunder, daß das einzig wahre Düsseldorfer Heinrich-Heine-Denkmal eine gespaltene Totenmaske ist, vom Bildhauer Bert Gerresheim übrigens als „begehbare Gesichtslandschaft“ gedacht. Auf dem Schwanenmarkt wird sie als solche gern zum Plattemachen im Sonnenschein benutzt. Harry hat sicher nichts dagegen, obwohl ihm, da machen wir uns nix vor, grünverschleierte Engländerinnen lieber wären.

Gerda Kaltwasser In: fiftyfifty. Das Straßenmagazin, 3. Jg. Februar 1997