Frauen-Kultur-Archiv

Gerda Kaltwasser Textforum
Lambertus-Glossen

Ich gehe langsam durch die Stadt (Januar)

Alle reden vom Schnee. Lambertus nicht. Schneeprobleme tauen weg. Die anderen bleiben. Zum Beispiel die mit den auf Radwegen geparkten Autos.
Lambertus fielen sie besonders an der Erkrather Straße auf. Wenn da nämlich nicht gerade Schnee liegt, ist ein antikes Kopfsteinpflaster auf der Fahrbahn zu betrachten, das nicht mal bei den Leuten in ihrer vierrädrigen Blechkiste nostalgische Gefühle weckt. Noch viel weniger bei den Leuten auf den zweirädrigen Blechgestellten. Wie dankbar wird da so ein Radweg begrüßt, selbst wenn sein Asphalt angenagt und abgeknabbert ist. Mütter lassen ihre Kinder beruhigt mit dem Rad zur Schule fahren, weil sie ja auf dem Radweg geschützt sind.
Aber wie geschützt ist ein Radfahrer auf dem Radweg? Lambertus beobachtet die Fahrkünste erwachsene wie jugendlicher Radfahrer nur mit Herzklopfen. Schwungvoll geht es da hinunter auf die Pflasterfahrbahn, weil da wieder ein Wagen auf dem Radweg steht. Auf der Fahrbahn aber fahren Autos, dicht an dicht. Die Radfahrer balancieren wieder auf ihrem Radweg, aber nur für ein paar Meter, dann ist ein geparkter Kleinbus im Weg.
Slalom für Kunstfahrer. Keine Kripo steckt den sorglosen Radweg-Parker ein Protokoll hinter die Windschutzscheibe. Aber einem Radfahrer, der statt auf die Fahrbahn auf den Bürgersteig ausweicht – dem kann ein Protokoll schon drohen.

Lambertus
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 6. Januar 1979

Ich gehe langsam durch die Stadt (Februar)

Längst hat Lambertus es eingesehen – er ist ziemlich altmodisch. Altmodische Leute, das zeigt die Erfahrung, die nicht erst Lambertus’ Generation macht, wundern sich häufiger als jene, die jede neue Entwicklung hinnehmen und keinen Grund zum Wundern haben.
Lambertus wundert sich über manchen Neubau, der in der Innenstadt entstanden ist und nach des Bauherrn Willen Büros aufnehmen soll. Viele dieser Komfort-Büro-Etagen stehen ziemlich lange leer und ungenutzt. Der verwunderte Lambertus erfährt, das sei nicht so schlimm, schließlich handele es sich um Abschreibungsobjekte. Ach so.
Aber was ist mit den Erdgeschossen? Seit Soziologen festgestellt haben, daß Stadtteile, in denen nur Büros existieren, veröden, läßt der kluge Investor im Erdgeschoß Läden bauen. Klein und teuer und deshalb nur schwer zu vermieten oder zu verpachten.
Statt in aparte Boutiquen, freundliche Tante-Emma-Läden eintreten zu können, fühlt sich Lambertus alle paar Meter aufgefordert, in riesige, bunt belegte Brötchen zu beißen. Die heißen zwar nicht Brötchen sondern Baguettes, werden aber auch aus Mehl und Wasser gebacken. Oder eine amerikanische Speiseeiskette will ihm unbedingt bei Temperaturen unter Null ein Kompaktangebot von fünf verschiedenen Schokoladeeis-Sorten unter den Gaumen reden.
Nun scheinen Lambertus die Brötchen wie das Eis zum Fress-Stress der an Verödungssymptomen leidenden Büro-Angestellten zu gehören. Abendliche Belebung der Innenstadt hat er durch sie noch nicht feststellen können.

Lambertus
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 26. Februar 1983

Ich gehe langsam durch die Stadt (Oktober)

Es muß wohl mit dem gesteigerten Interesse an Stadt- und Heimatgeschichte, mit der Begeisterung für Hausrat aus alter Zeit, kurzum, mit der seit Jahren unvermindert anbrandenden Nostalgie-Welle zu tun haben, daß die Düsseldorfer ihre Stadt entdecken.
Erntete man früher auf die Frage nach der oder jener Kirche, dem oder jenem besichtigungswerten Haus oder Platz meist Schulterzucken, erhielt höchstens auf die Frage nach dem nächsten Altbierausschank erschöpfende Auskunft, so hat sich das inzwischen geändert.
Gut, die Lokale mit dem leckeren Dröpken sind auch noch heute bekannt. Lambertus aber hört häufig auf den Straßen, in der Straßenbahn noch andere Töne. Da erklärt jemand seinem Besuch von auswärts: „Und hier findet ihr Kultur auf jedem Schritt: Opernhaus, Kunsthalle, die neue Landesgalerie. Auch die Andreaskirche ist sehr schön.“ Am Karlplatz schwenkt ein wackerer Düsseldorfer den rechten Zeigearm, um seinem Gast die Maxkirche und Düsseldorfs Antiquitätenviertel auszudeuten. Am Musikpavillon vor dem Carsch-Haus lacht Lambertus’ Journalistenherz, wenn er den Gesprächen der Passanten anhört, daß sie seine Berichte gelesen haben.
Lambertus freut sich, daß die Stadt bei ihren Bewohnern ankommt. Wenn er aber durch die feingemachten Altstadtstraßen mit den hunderten Pollern Marke Gaslaterne und dem in Müsterchen gelegten Pflaster geht, fragt er sich, ob das noch seine Stadt ist. So fein wie heute war die Altstadt noch nie.

Lambertus
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 27. Oktober 1984

Ich gehe langsam durch die Stadt (Oktober)

20. Oktober 1984

Ein Glück, Lambertus hat seine Kastanien schon in der Tasche. Zwar plagt ihn noch nicht das Zipperlein, gegen das die Roßkastanien in der Hosentasche ja Wunder wirken sollen, aber der Anblick der glänzenden, schön gefleckten braunen Früchte, das wohlige Gefühl, sie in der Hand liegen zu haben, gehören für Lambertus zum Herbst. Nicht nur mit Kopfschütteln, mit Erschrecken hat Lambertus jetzt erfahren, daß es gelungen ist, Roßkastanienbäume ohne Kastanien zu züchten. Sie grünen zwar, sie blühen zwar, aber vermehren können sie sich nicht, können folglich im Herbst nicht mehr die grünen Stachelbälle zur Erde plumpsen lassen, aus denen beim Aufprall die dicken brauen Samen quellen.
Schlimmer als die impotente Kastanienart aber klingt für Lambertus, daß in Krefeld diese Kastanien nun „aus Versicherungsgründen“ angepflanzt werden sollen. Hat wirklich schon mal jemand eine Beule von einer fallenden Kastanie bekommen? Doch allenfalls von einem Knüppel, den Jungen in die Baumkronen werfen, damit mehr Früchte herunterfallen. Lambertus ohne Roßkastanien in der Hosentasche? Das Forstamt ohne die für die Winterfütterung im Wildpark gelagerten Kastanienberge? In Düsseldorf werden solche „Versicherungsgründe“ nicht greifen, hofft...

Lambertus
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 20. Oktober 1984

Ich gehe langsam durch die Stadt (Dezember)

Der Knabe auf dem Fahrrad, der sich zwischen den Sonntagsspaziergängern auf dem Niederkasseler Deich durchschlängelte, war seines Zweirads noch nicht ganz sicher. Er schwankte, kippte seitlich in eine Ackerfurche, stieß dabei mit Lenker und Pedal ein paar Fußgänger an. Sie klopften Erde von den Mänteln und lächelten. Auch der Knabe lächelte ein wenig verlegen, packte sein Rad und führte es ein paar Schritte, ehe er wieder aufstieg.
Es war ein japanischer Junge. Aber das ist bei uns in Düsseldorf, ist zumal im linksrheinischen Düsseldorf kein ungewohnter Anblick. Lambertus staunte vielmehr über die Spaziergänger, die, ohne zu schimpfen und zu meckern, über das Mißgeschick hinweggingen. Lambertus ertappte sich bei der Überlegung, was er wohl zu hören bekommen hätte, wenn es sich bei dem unsicheren jungen Radfahrer um – na, sagen wir mal um einen kleinen Düsseldorfer oder gar um einen kleinen türkischen oder griechischen Jungen gehandelt hätte.
Die Überlegung, meint Lambertus, ist erlaubt. Denn es ist schon bewerkenswert, wie unterschiedlich wir reagieren. Lambertus will sich da nicht ausnehmen. Unsere japanischen Mitbürger, die Kinder vor allem, bekommen eine gehörige Sympathievorgabe. Sie wirken nicht so sehr exotisch als vielmehr freundlich, diszipliniert, ruhig. Ein kleines Mißgeschick löst da kaum Unmut aus.
Wäre es ein deutscher Junge gewesen, der Bengel wäre gehörig ausgeschimpft worden. Jedenfalls wäre hinter ihm her geschimpft worden: „Wieder einer von diesen Burschen, die keine Rücksicht kennen, keine Achtung vor Erwachsenen haben, sich alles herausnehmen . . .“ Kennen wir’s nicht alle, was da so auf die Kinder von heute gehäuft wird? Und bei „diesen Gastarbeiterkindern“, da hört doch schlichtweg alles auf, die sind ja – da fehlen einem die Worte. Was wohl das Schlimmste an Mißachtung ist, was wir zu bieten haben.
Die Konsequenz? Lambertus meint, daß Sympathievorgabe allen Kindern gehört. Auch den Rüpeln? Schimpfende Erwachsene sind für sie kein anfeuerndes Beispiel. Diesen nicht nur weihnachtlichen Gedanken gibt zu bedenken

Lambertus
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 23. Dezember 1984