Frauen-Kultur-Archiv

Gerda Kaltwasser Textforum
Theater und Musik

Das Kopfnicken der Katastrophe

Hanns Dieter Hüsch mit neuem Programm in der Freizeitstätte Garath

Ein Waldschrat, ein Gartenzwerg mit Teufelsblick, ein großer Moralist und ringelnatzischer Lyriker – Hanns Dieter Hüsch, seit Jahrzehnten Einzelkämpfer auf Kabarettbrettern, hat sein Publikum in der Freizeitstätte Garath seit langem; es schrickt zusammen, wenn er donnert, es lauscht atemlos bei jedem Pianissimo des Vortrags und es weiß, wann noch so heiß empfundenes Mitgefühl sich nicht in Applaus entladen darf. Es hat damit manchem Konzertpublikum in der Tonhalle etwas an Bildung voraus.

Hanns Dieter Hüsch hat „Ein neues Programm“. Wieder mit Gesang und Orgel. Der Spiegel, den er vorhält, nicht nur den anderen, der besteht aus unserem Alltagsreden und flach-flotten Modefloskeln. Beim Hineinschauen trifft’s einen: „Oh Schreck, das bist ja du.“ Zum Beispiel: „Was ich schon an Geld ausgegeben habe, um meine trockene Haut zu pflegen, darf ich eigentlich niemandem erzählen.“

Zum Nachdenken: „Wir sind ja auch das Land, in dem immer was gemacht wird. Egal wie, egal wo, egal wann. Ich kenne kein anderes Land, in dem immer alle so viel und so viel Neues und so viel Anderes machen wie bei uns.“

Hüsch scheut sich nicht, von früher zu erzählen. Sein Erinnern an Kindheit, Kindermädchen in sparsam bürgerlicher Umgebung, an die kleinen, reichen Freuden beim Füttern der Schwäne, an Wohnküche mit Sofa, an Klo auf dem Treppenabsatz lassen die jungen Leute, die doch angeblich den alten Quatsch nicht mehr hören können, bereitwillig ins Bewusstsein dringen. Man muss andererseits nicht Grüner sein, um über das da nachzudenken: „’Wo gebaut wird, muss man Bäume pflanzen’, sagt ein türkisches Sprichwort, Le Corbusier bemerkt dazu: ‚Bei uns entfernt man sie.’“

Hüsch findet Worte für unsere Ängste und Ahnungen: „Die Welt hat kein Dach über dem Kopf. Wir sitzen unter Stehlampen und warten auf das Kopfnicken der Katastrophe.“ Er ruft uns zur Tapferkeit auf: „Wenn die Krieger kommen, geh ihnen entgegen mit offenen Händen voll Brot und Salz, Wein und Obst, dass sie sich verlaufen im Knüppelholz deiner Tugenden, dass sie sich verirren im Labyrinth deiner Freundlichkeit.“ Doch was, Hanns Dieter Hüsch, hilft alle Tapferkeit, wenn die „Krieger“ Raketen sind, die weder Wein noch Freundlichkeit von der Bahn ablenken können?

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 23. März 1983

Ein Künstler, Preuße und Exzentriker

„Arte“ ehrt Gustaf Gründgens am 16. November mit einem Themenabend

Er starb vor 36 Jahren, 63 Jahre alt, eine Legende für die, die ihn gekannt, erlebt haben, nur noch Legende für die meisten noch lebenden Deutschen: Gustaf Gründgens. Und weil es schwierig ist, Legenden zum Leben zu erwecken, wird ein Begriff gebraucht, den heute alle verstehen. Der Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter Gustaf Gründgens war das, was wir heute einen Medienstar nennen.

„Der erste Medienstar“, sagt Regisseurin Petra Haffter, und wenn sie es sagt, ist das kein Klischee: so wenig wie der Film „Ich tret‘ aus meinem Traum heraus“, den sie für den deutsch-französischen Fernseh-Kulturkanal „Arte“ zum 100. Geburtstag von Gustaf Gründgens gedreht hat. Verantwortlicher Redakteur ist Wolfgang Bergmann. Haffter und Bergmann – junge Leute in der Fernsehproduktion: für beide war Gründgens eine Legende. Jetzt ist er eine Gestalt voller Leben, auch voller Rätsel geworden. Und das wird er für jeden, der Gelegenheit hat, den Film zu sehen.

Die Gelegenheit hatten geladene Gäste im Düsseldorfer Theatermuseum, das mit seiner bedeutenden Gründgens-Sammlung das „Arte“-Projekt unterstützt hat und wo gegenwärtig mit der Ausstellung „Gustaf Gründgens – Ansichten eines Schauspielers, Bilder einer Legende“ der gebürtige Düsseldorfer zum 100. Geburtstag geehrt wird.

Gründgens, das war der Mann, der in den zwanziger Jahren aus der jungen rheinischen Provinzgroßstadt Düsseldorf in die brodelnde Hauptstadt Berlin kam, mit kaum zu bändigendem Ehrgeiz. Aber den hatten andere auch, und sie hatten auch schon Erfolg.

Gründgens wollte mehr – und bekam es. Die politischen Umstände spielten dabei keine geringe Rolle. Der spätere Reichsmarschall Hermann Göring schützte und beförderte ihn bis zum Generalintendanten des Preußischen Staatstheaters. Eine gefährliche Protektion, denn dadurch wurde Gründgens zum möglichen Opfer des Reichs-Propagandaministers und Göring-Hassers Joseph Goebbels. Gründgens wußte, dass er auf einem Seil über dem Abgrund tanzte. Er wurde als Kulturbotschafter der Nazis missbraucht, bot mit Juden verheirateten Bühnenkünstlern Schutz und rettete einigen, so dem Sänger Ernst Busch, das Leben.

Er war auch, neben dem Tennisspieler Gottfried von Cramm, der prominenteste Schwule im deutschen Nazi-Reich. Andere Homosexuelle mußten den rosa Winkel tragen. Gründgens, der Exzentriker mit preußischem Pflichtbewußtsein, feierte sich und die Schauspielkunst in der Rolle des Oberzynikers Mephisto, in der des zerrissenen Königssohnes Hamlet. Er sang vom „großen Glück des kleinen Glücks“, tanzte als Leinwandstar auf dem Vulkan, machte sich im Krieg bei der Truppenbetreuung rar, wurde nach Kriegsende von den Sowjets ins Lager geschickt. Dann folgten neue künstlerische Triumphe; in der Heimatstadt Düsseldorf, in Hamburg. Verehrung, Liebe für den Künstler und Menschen bezeugen Lola Müthel, Hanne Hiob, Marianne Hoppe, Elisabeth Flickenschildt, Antje Weisgerber, Will Quadflieg, Heinz Reincke.

Nachdem Gründgens von der Last und dem „Übermut der Ämter“ befreit zu einer Weltreise aufgebrochen war, um „vielleicht noch etwas Neues zu entdecken“, starb er in Manila. Wer ihn kannte, glaubte nicht an Selbstmord.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. 12. November 1999

Wagner am Rhein

Theatermuseum: Ausstellung mit Musik

"Bayreuth am Niederrhein“ – dieser griffige Titel wird die Wagnerfreunde, wird die Opernfreunde insgesamt wohl in Scharen ins Theatermuseum am Hofgarten locken. Sie sollten sich nicht dadurch abschrecken lassen, dass diese Verlockung der Stadt das Geld für einen reich bebilderten Katalog nicht wert war. Der knappe Ausstellungsetat gibt so etwas nicht her. Zum Glück springt die Rheinoper mit ihrem farbigen Heft in die Bresche; darin finden sich auch das Begleitprogramm und andere wichtige Informationen.

„Bayreuth am Niederrhein“ – der Titel ist Programm. Schon am 18. Januar 1853 erlebten die Düsseldorfer ihren ersten Wagner im Stadttheater. „Der Tannhäuser“ wurde gegeben, damals noch im Theater am Marktplatz neben dem Rathaus. Denn das Stadttheater, das viele ältere Düsseldorfer noch in Erinnerung haben und das an der Stelle der heutigen Rheinoper stand, wurde erst 20 Jahre später gebaut. Damals, 1853, konnte der Opernfreund ein Textbuch zum Preis von drei Silbergroschen erstehen.

Glanzvolle Erinnerungen

Vom ersten Düsseldorfer Wagner gibt es nur noch einen Ankündigungszettel, von späteren Aufführungen sind ergiebigere Dokumente erhalten, Porträts von Sängerinnen und Sängern, von Bühnenbildern und Kostümen, Besetzungslisten, Zeitungskritiken. Und aus der Nachkriegszeit viele Kostüme, die wie auch viele Namen Erinnerungen wecken: Helmuth Fehn, Martha Mödl, Hans Hopf, Ilse Hollweg, René Kollo, Astrid Varnay. Sie alle und noch viele andere haben Rollen in Wagneropern in Düsseldorf und Duisburg am Rhein sowie in Bayreuth gesungen.

„Wabert Ihre Lohe noch?“

Dr. Winrich Meiszies, Leiter des Theatermuseums, ist begeistert von der Zusammenarbeit mit der Deutschen Oper am Rhein. Versteht sich, dass die Ausstellung, die in Düsseldorf bis 21. Mai gezeigt wird, nach Duisburg weiterreist.Es lohnt sich, die Zeit für Vergleiche zu nehmen. Auffallend die Wandlungen der Ausstattung, des Bühnenbilds, selbst bei Inszenierungen, die bloß ein Jahrzehnt auseinander liegen.

Im Museum gibt es nicht nur etwas zu sehen, es gibt auch etwas zu hören: Ausschnitte aus Wagnerproduktionen der Rheinoper können im Vortragssaal in Ruhe genossen werden. Das Begleitprogramm macht unter anderem mit dem unbekannten Wagner bekannt und fragt kabarettistisch „Wabert Ihre Lohe noch?“ Heute um 19.30 Uhr ist Eröffnung.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 14. April 2000

Jetzt singen wir alle den "Song of the Rhineland"

Kurt-Weill-Abend im Theatermuseum

Da es sich um Musik handelt, könnte man von einem Dreiklang singen, nämlich von dreimal Kurt Weill (1900–1950) in Düsseldorf: Im Großen Haus steht Weills Dreigroschenoper (Text Bert Brecht) auf dem Spielplan, über kleinere Bühnen kreuz und quer durch Düsseldorf tingeln Helga Mangold und Olaf Cless mit ihrem bejubelten Weill-Programm „Sprich leise, wenn du Liebe sagst“ und im Theatermuseum waren Torsten Enge (Vortrag in Wort und Lied) und Michael Collins (Klavier) mit dem Weill-Abend „Nur keine Noblesse…“ zu Gast. Davon soll hier die Rede sein.

Das Jahr 2000 war Weill-Jahr. Der Widerhall des 100. Geburtstags des deutschen Komponisten Kurt Weill war in den USA groß, dort gilt er seit der Emigration als „American composer“ (September Song); in Deutschland war er allenfalls mäßig. Vielleicht, weil wir die musikalisch so schlagkräftige Parole „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“ meinen, verwirklicht zu haben. Oder verzeihen wir dem jüdischen Emigranten nicht, dass er Amerikas Kriegseintritt unterstützte, dass er von einem Parisaufenthalt nicht zurückkehrte, weil ihn die Nazis enteignet hatten?

Kurt Weill und die Deutschen, das ist eine so schwierige Geschichte wie Kurt Weill und Bertolt Brecht, wie Kurt Weill und die zweimal angetraute Ehefrau Karoline Blamauer, bekannter als Seeräuberjenny oder als Lotte Lenya. Kurt Weill und die Politik aber ist ein noch weiteres Feld. Der Mann der Noten, der Schönberg- und Humperdinck-Schüler, der als Komponist Alban Berg ebenbürtig gewertet wurde, er drückte musikalisch mit zögerlichen Zwischentönen aus, was dem Schriftsteller Brecht so plakativ aus der Feder kam.

Torsten Enge hat seinen Weill studiert, nicht nur musikalisch als Sänger, sprechtechnisch als Rezitator, auch bei Erforschung des Lebens- und Schaffenslaufs. Die Beispiele waren klug gewählt, die Zwischentexte erinnerten sehr an die ermüdenden Erläuterungen zur E-Musik im WDR-3-Dampfradio. Highlights, im Zusammenhang mit dem deutschen american composer Kurt Weill darf man den Begriff mal gebrauchen, waren das Sabbatgebet, das Weill 1946 für seinen Vater, einen jüdischen Kantor komponiert hat, das Schickelgruberlied, das den Menschenschlächter Hitler so klein und gemein machte, wie er es verdient hat und der „Song of the Rhineland“, der unsere Nationalhymne werden müsste. Er wäre ein glanzvoller Schlusspunkt des Abends gewesen – auch rechtzeitig aufhören ist eine Kunst.

Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 30. November 2001