Frauen-Kultur-Archiv

Anna Klapheck Textforum
Texte 1981-1986

Ein Mann der verborgenen Güte

Zur Ausstellung Gerhard Kadow in der Kunsthalle

Es hat dem Maler Gerhard Kadow (1909-1981) gewiß nicht an äußerer Anerkennung gefehlt. Schon daß er als Schüler von Klee und Kandinsky fünf Jahre dem Bauhaus zugehörte und mit dem Ehepaar Kandinsky weiterhin freundschaftlich verbunden blieb, ist als Auszeichnung zu verstehen. Von 1938 bis 1949, durch drei Jahre Kriegsdienst unterbrochen, war er Lehrer an der Textilingenieurschule Krefeld – Fluchtburg für einen jungen Künstler, der zwar am Bauhaus sein Diplom als Handweber erworben, aber auch „entartete“ Bilder gemalt hatte. Die Malerei wurde erst nach dem Kriege wieder aufgenommen. Von 1950 bis 1967 lehrte er an der Werkkunstschule Krefeld (1961 Professorentitel), von 1968 bis 1974 an den Kölner Werkschulen. In späteren Jahren erhielt er Aufträge für Glasfenster und Wandmalerei. 1978 war er Ehrengast der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom.

Also durchaus kein „verkannter“ Künstler. Er selbst war es, dem es fast mit List gelang, sich der Öffentlichkeit zu entziehen und seine private Existenz zu verteidigen, so sehr, daß sein Name in weiteren Kreisen nahezu unbekannt blieb. Er hatte treue Freunde, und seine Schüler verehrten den etwas wunderlichen Mann der verborgenen Güte. Sein kleines Krefelder Reihenhaus, angefüllt mit kostbaren Dingen, die behutsam aufeinander abgestimmt waren, wurde zum eigentlichen Rahmen dieses Lebens, der ihn nach dem Tode seiner Frau (1979), der Textilkünstlerin Elisabeth Kadow, vollends umschlossen hielt.

Universale Bildung

Gerhard Kadow, des Schreibens durchaus kundig, hat sich mehrfach über sich selbst geäußert. Da stößt man erstaunlich oft auf die Worte „Einheit“ und „Ganzheit“, Begriffe, die vom Bauhaus-Denken nicht ganz fern sind. Sie bestimmten bis zuletzt sein Tun. Da gab es die Einheit von Technik und Kunst; der Träumer und Geschichtenerzähler fühlte sich immer zugleich als „Diener der Technik“. Vom „Gesetz“ ist die Rede, das unbedingt eingehalten werden müsse; es trifft im Verlauf der Arbeit zusammen mit dem Gefühl, er erlaubt Freiheit, „ja Freiheit“, woraus dann das „Ganze“ entsteht.

Kadow blieb den in Dessau erlernten textilen Künsten zeitlebens treu; er hat gewebt und gestickt, er hat bis zuletzt eigenhändig geklöppelt. Er besaß eine nahezu universale Bildung, die auch Musik und Dichtung einschloß. Seine kunstgeschichtlichen Vorlesungen an der Krefelder Schule waren eine kleine Sensation, denn sie wichen beträchtlich ab von der gängigen Kunstgeschichte und rückten Gestalten und Epochen ins Blickfeld, die damals, in den fünfziger Jahren, kaum einer auszusprechen wagte: Jugendstil, Max Klinger, Gustave Moreau. Er schwärmte für Wagner. Zum vollen Zusammenklang seiner vielen Neigungen aber kam es in seinen Bildern.

In Zusammenarbeit mit dem Clemens-Sels-Museum Neuss (Dr. Irmgard Feldhaus) hat nun die Düsseldorfer Kunsthalle unter Jürgen Harten die lange fällige Kadow-Ausstellung inszeniert. Die Veranstalter wurden unterstützt von Gabriele Uerscheln, die eine Dissertation über den Maler vorbereitet. Die Ausstellung, von einem vorzüglichen Katalog begleitet (15 Mark), enthält 69 Gemälde und Handzeichnungen, dazu einige Stickereien und Spitzen sowie Entwürfe für Fenster und Wandmalereien.

Altarmäßiger Aufbau

Der erste Eindruck ist der, etwas ungemein Kostbarem zu begegnen. Die Bilder, Hinterglas und Öl auf Holzfaserplatte, sind kleinen Formates; ins Auge fallen die schönen, alten Rahmen, denen Kadow allenthalben nachspürte und die ihm auch von Freunden zugetragen wurden. Manches Bild soll er für einen bestimmten Rahmen gemalt haben. Jedes Bild ist sorgsam, fast miniaturhaft fein ausgeführt, ist eine kleine Welt für sich. Und doch ergeben alle zusammengenommen – da ist wieder die Kadowsche „Einheit“ – einen edlen schimmernden Fries. Freilich verlangen sie vom Betrachter die unzeitgemäße Tugend des genauen, besinnlichen Schauens.

Kadow hat seine Zugehörigkeit zum Bauhaus geradezu hartnäckig behauptet. Sicherlich ist die starke Wirkung Klees auf den Zwanzigjährigen unverkennbar. Sie findet ihren Nachhall auch in den Bildtiteln, die für Kadow, den engagierten Wortfinder, eine wichtige Rolle spielten. Im „Zwiebeltheater“ sind wir noch nahe an Kleeschen Formulierungen; später rückte er ab vom bewunderten Vorbild. Doch sollte man geistige Abhängigkeiten nicht allzu hochspielen und eher als Prägung durch Ältere verstehen. „Wir haben doch alle unsere Väter“, sagte Picasso.

Der Weg des Bauhauses führte von Feiningers „Kathedrale“ zum Funktionalismus, Kadow gelangte von Gebilden der schweifenden Phantasie zu solchen der gebändigten Form. Anfangs schwimmende, fast Arp’sche Figurationen, in Nebel oder hinter schwankenden Gittern, zunehmend dann bildnerische Ordnung und fast altarmäßiger Aufbau. Das alte Gesetz von Kette und Schuß macht sich nochmals bemerkbar.

Einige hundert Besucher waren zur Eröffnung der Ausstellung in die Kunsthalle gekommen. Beweis genug, wie Kadow, der vermeintlich unbekannte, seine heimliche Gemeinde längst besitzt.

In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 19. April 1983.

Bauen und die Lust am Schönen

Zum 80. Geburtstag des Architekten Prof. Helmut Hentrich

Fragte man ihn nach seinem Beruf (falls es wirklich jemand nicht wissen sollte), dann würde er ohne Zögern antworten: Architekt. Bauen ist in der Tat der Lebensgrund von Professor Helmut Hentrich, der am 17. Juni 80 Jahre alt wird und vor zwei Jahren auf seine fünfzigjährige Tätigkeit als freischaffender Architekt zurückblicken konnte. Bauen aber meint bei Hentrich, wenn wir sein Leben überblicken, mehr als das Entwerfen von Häusern und den Umgang mit Lineal und Zirkel, Bauen ist für ihn ein Tun, das alle Lebensbereiche umfaßt – die alte Ars Magna, die Mutter aller Künste.

In Bauluft ist Hentrich aufgewachsen. Sein Vater – sein „alter Herr“, wie er liebevoll-altmodisch gern von ihm spricht – war Stadtbaurat in Krefeld, eine Stellung, die das gesamte Bauwesen der Stadt umfaßte, zugleich Selbständigkeit, ein ansehnliches Einkommen und eine geräumige „Villa“ als Wohnung für die Familie einschloß. Ein großbürgerlicher Lebenszuschnitt war dem jungen Helmut, dem mittleren von drei Brüdern, zugefallen. An das Haus schloß sich ein großer Garten an, man hatte Dienstboten, Geselligkeit, Musik, im Sommer wurde an die See gereist, zuweilen auch mit der großelterlichen Kutsche in die Umgebung gefahren. Und gut „Bismarcksch“ war man natürlich auch.

An seinem beruflichen Leben ließ der Vater den wißbegierigen Knaben gern teilnehmen, nahm ihn mit auf die Baustellen, ließ ihn früh in den Fachzeitschriften schnuppern. Dann gab es noch den Patenonkel Professor Deneken, den Leiter des Kaiser-Wilhelm-Museums, der über so herrliche Dinge verfügte und vor dem Kinde, das lieber mit Holzklötzchen spielte als mit dem neumodischen Blechkram, die Ahnung von der Magie eines Museums aufsteigen ließ. Achtjährig hatte der Junge begonnen, die Bauten in und um Krefeld zu zeichnen, vierzehnjährig stand der Gedanke, Architekt zu werden, bereits fest.

Der Erste Weltkrieg setzte allem ein Ende, und als die Inflation die Bauerei weitgehend lahmlegte, meinte der Vater, ein Jurastudium böte doch weit bessere Aussichten. Gehorsam belegte der junge Student juristische Vorlesungen, erst in Freiburg, dann in Wien, doch der alte Wunsch befestigte sich immer mehr. Der Vater war großzügig; 1925 ließ sich Hentrich in die Technische Hochschule von Berlin aufnehmen und wurde Schüler von Hans Poelzig.

Von Poelzig und dessen Gegenspieler Tessenow spricht Hentrich mit Dankbarkeit. Er lernte von Poelzig, ohne doch von ihm abhängig zu werden, daß Zweckform und Phantasie einander nicht ausschließen; an Tessenow fesselte ihn die Harmonie der Ziele, die zu dieser Partnerschaft geführt haben, es ist vielmehr der Gedanke von der Notwendigkeit zur Kooperation, durch die allein ein Höchstmaß an Leistung erbracht wird.

In diesem kleinen Imperium von etwa 150 Mitarbeitern sind jeweils zehn zu einer Gruppe zusammengefaßt, der ein anstehendes Objekt zuerteilt wird. In regelmäßigen „Partnergesprächen“ wird das Erarbeitete überprüft, gewissermaßen eine Jury im eigenen Haus. In der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, in deren Leitung auch zwei jüngere Kräfte aufgenommen wurden, ist für die Mitarbeiter ein hohes Maß an persönlicher Sicherheit gewährleistet. Der Bauhüttengedanke des Mittelalters, wonach jeder Einzelne dem Ganzen diente, ist hier in moderner Form wieder aufgenommen.

Die Reihe der aus dieser Arbeitsgemeinschaft hervorgegangenen Bauten ist nahezu unübersehbar und von weltweiter Ausdehnung; sie reicht vom schlichten Wohnhaus bis zum Wolkenkratzer und zur weitläufigen Städteplanung. Für Hentrich selbst mit seinem ausgeprägten Sinn für Tradition ist die Erhaltung eines Altstadtgiebels manchmal wichtiger als die Errichtung eines mächtigen Konzernsitzes. Als ich ihn einmal nach seinen Lieblingsbauten fragte, meinte er fast verlegen: Neben dem Standard Bank Centrum im afrikanischen Johannesburg, seinem ersten großen Auslandsauftrag, sei es eben doch das Düsseldorfer Thyssenhaus, dem sein Herz gehöre; er weiß sehr gut, daß der schlanke, zu jeder Tageszeit anders wirkende Bau neben dem Reiterstandbild auf dem Marktplatz zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist. Dabei sei die schwierige Neugestaltung und Umwidmung der Rheinhalle zur Tonhalle nicht vergessen. – Das Stadtmuseum zeigt zur Zeit eine Auswahl von Plänen, Fotos und Modellen aus dem Schaffen Hentrichs. Darüber wird gesondert zu berichten sein.

In einigen Vitrinen wird in dieser Ausstellung auch des Sammlers Hentrich gedacht. Muß man ihn wirklich noch vorstellen, den allseits gegenwärtigen Spender und Mäzen, den Sammler, der mit der Leidenschaft des Jägers und dem Wagemut des Spielers einem seltenen Stück auf der Spur ist, der noch heute auf den Flohmärkten und in finsteren Gassen voll altmodischem Trödelkram mit sicherem Blick seltene Schätze ans Licht zieht? Auf seinen vielen Auslandsreisen haben sich ihm ganz neue Gebiete erschlossen: Ostasiatica, Schätze aus Indien oder Gemälde aus Haiti.

Hentrichs Sammeln ist freilich eigener Art: Er zieht sich mit seinen Kostbarkeiten nicht ins Private zurück, im Gegenteil, wenn ihm ein Sammelgebiet einigermaßen abgerundet erscheint, gibt er es fort, nicht als „Leihgabe“, sondern als handfestes Geschenk. So wanderte die berühmte, 2500 Stück zählende Glassammlung ins Düsseldorfer Kunstmuseum, wo sie nun würdig präsentiert wird; das Kayserzinn ging nach Krefeld; japanische und europäische Keramik ins Hetjensmuseum. Es ist ein Sammeln um des Sammelns willen, hervorgegangen aus der nicht endenden Lust am Schönen, die ihn von Jugend an erfüllt und an der er auch andere teilnehmen lassen will. „Die Leute halten mich für unermeßlich reich“, sagte er einmal, „die Sache ist nur die, daß andere ihr Vermögen zur Bank tragen, ich hingegen gebe mein Geld aus.“

Sein Meisterstück war die Wiederherstellung des Schlößchens Groot Buggenum im holländischen Limburg. Vor einigen Jahren erwarb er das verfallene Haus, restaurierte es von Grund auf, wobei keine Türklinke außer acht blieb, füllte es mit kostbaren Dingen und schuf schließlich noch einen Garten mit Pflanzen aller Art, Wasserbecken, Brückchen, Skulpturen, heimlichen Wegen und gepflastertem Hof – ein Stück „Dixhuitième“ von Mozartschem Klang. Doch als das Ganze fertig war – vermachte er es dem holländischen Staat. Königin Beatrix kam persönlich nach Buggenum, kletterte hinauf bis zum Turm und war entzückt über die großzügige Gabe. Das kleine Schloß soll später einmal Gästehaus der Provinz Limburg werden.

Aber dies „später“ ist noch weit. In Buggenum wird der Hausherr mit seinen Freunden wie alljährlich Geburtstag feiern, um das Wohl jedes einzelnen Gastes bemüht sein, selbst eher unauffällig im Hintergrund bleibend.

Glückwunschartikel dieser Art beginnen oder enden meist damit, daß dem Jubilar, sofern er im vorgerückten Alter ist, Jugendfrische bescheinigt wird. Das könnte man auch bei Hentrich. Ich meine, daß gerade bei ihm die Würde und Weisheit, die Disziplin und Gelassenheit des Alters es sind, die ihn zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit machen und ihn, hoffentlich noch lange, seine überreichen Aufgaben bewältigen lassen.

In: Rheinische Post. Feuilleton, 14. Juni 1985.

Ein Grandseigneur

Erinnerung an Alex Vömel

Still, nach außen fast unbemerkt, ist Alex Vömel, 87jährig, von uns gegangen. Er hatte mittags noch am Treffen der Rotarier teilgenommen, abends in einem Restaurant gegessen, morgens fand man ihn tot im Sessel sitzend. Nach dem jähen Hinscheiden von Hella Nebelung ist es der zweite schwere Verlust, der innerhalb weniger Tage die rheinische Kunstwelt getroffen hat.

Vömel war Träger großer Tradition. 53 Jahre lang hat er die Galerie durch alle Wechselfälle des Geschehens geführt, selbst in den schlimmsten Hitlerjahren betrieb er sie im Verborgenen weiter und hat es klug verstanden, Kunstfreunden wie den von der Heydts in Wuppertal, Hermann Lange in Krefeld, Haubrich in Köln zum Aufbau ihrer Sammlungen zu verhelfen – in jenen Zeiten, als Kunstwerke ersten Ranges für dreistellige Summen zu erwerben waren. „Bei uns ist der Kunsthandel nie abgebrochen“, schrieb er einmal. Er verband Courage mit Gelassenheit; seiner zielsicheren, untadeligen Persönlichkeit gelang es sogar, mit einiger List den damaligen Machthabern die in der Galerie beschlagnahmten Werke wieder zu entreißen.

Auf vielen Tischen liegt noch die kleine, graue Broschüre „Alfred Flechtheim, Kunsthändler und Verleger“ (Neudruck eines Aufsatzes von 1964), die er den Freunden vor wenigen Wochen ins Haus sandte. Darin zeichnet er den Lebensweg des berühmten Kunsthändlers Alfred Flechtheim nach, und damit ein Stück seines eigenen, eng mit Flechtheim verbundenen Lebens. Flechtheim, 1878 als Sohn eines Getreidehändlers geboren, hatte sich früh der Kunst verschrieben, er nannte sie „eine Leidenschaft, stärker als alles andere“. Im ersten Katalog seiner 1913 in der Düsseldorfer Alleestraße 7 eröffneten Galerie finden sich, neben Grußworten von Vollard, W. Uhde, Däubler und Herbert Eulenberg, Namen wie Cézanne, van Gogh, Gauguin, Picasso.

Flechtheim, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, war während der Rheinlandbesetzung durch die Franzosen infolge lächerlicher Vorwürfe auf die Auslieferungsliste geraten und mußte eilends die Stadt verlassen. Er gründete Filialen in Köln, Frankfurt, Wien; die Düsseldorfer Galerie blieb „die Keimzelle“ des Unternehmens. Er übergab sie dem 25jährigen Alex Vömel. Dieser war in seiner Lehrzeit bei Kahnweiler in Paris bereits mit den großen französischen Malern in Berührung gekommen, und so richtete er sein Augenmerk zunächst auch auf die französische Kunst. „Er brachte die französische Luft an den Rhein“ und zu den Sammlern.

Durch die Berufung Kaesbachs an die Düsseldorfer Akademie kam frischer Wind in das ehrwürdige Institut. Mit den durch Kaesbach hierher berufenen Künstlern kam Vömel rasch in Beziehung. Neben Campendonk und Zschocke war es vor allem Paul Klee, mit dem er in enge Verbindung trat. Als Klee noch keinen eigenen Hausstand hatte, aßen er, Campendonk und Klee häufig in der inzwischen verschwundenen „Rose“ in der Rosenstraße zu Mittag. Als Autobesitzer, damals noch nicht ganz selbstverständlich, machte er mit Klee ausgedehnte Fahrten an den Niederrhein, die Klee veranlaßten, die ihm neue, ihn fesselnde Landschaft in sehr naturnahen Skizzen festzuhalten. Weiterhin war er mit dem Bildhauer Mataré in nahem Austausch, als einer der ersten stellte er dessen Aquarelle aus. Die Beziehung festigte sich, als er für sich und seine Familie in Büderich, genau gegenüber Mataré, sein Haus erbaute.

Zu seinem 70. Geburtstag vereinte sich 1964 die Künstlerschaft in eine „Hommage à Alex“, in der alle zu Wort kommen, die zum Vömelschen Lebenskreis gehörten. Viele Künstler, unter ihnen Calder, Heckel, Pudlich, Gerhard Marcks fügten Originalzeichnungen bei. Renée Sintenis (eine Tochter Vömels heißt nach ihr Renée) nennt ihn einen „Schutzengel der Kunst“, Erich Heckel einen „Seelsorger“, von einem „Grandseigneur der Kunst“ spricht Felix Klee und webt, einen Bildtitel seines Vaters aufnehmend, einen „Teppich der Erinnerung“.

Vömel wußte, daß die Zahl derer, die sich an „damals“ erinnern, immer kleiner wird. Er konnte wunderbar erzählen, geistreich und witzig, und konnte treffsichere Verse schmieden. Für den Besucher, der ihn noch in jüngster Zeit jeden Vormittag in der Galerie antraf, war jedes Zusammensein wie ein kleines Fest. Viele junge Leute, Museumsleiter, Kollegen, Doktoranden suchten ihn auf, um noch etwas von seinen Erinnerungen zu erhaschen. Geduldig gab er Auskunft. Er war auch der Feder mächtig: Neben den Erinnerungen an Flechtheim liegt ein nachdenklicher, 1964 im Druck erschienener Vortrag vor, „Freuden und Leiden eines Kunsthändlers“. – Nun ist er selbst Erinnerung geworden.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 26. Juni 1985

Seine Werke sind er selbst

Erinnerungen an Beuys

„Ach, Sie sind aus Düsseldorf und haben mit Kunst zu tun – lebt dort nicht dieser Beuys?“ Manches Mal bin ich so ähnlich gefragt worden und antwortete stets seelenruhig: „Ja, ein liebenswerter Mensch, ich kenne ihn gut, wir sind befreundet.“ Was beim Frager prompt einen gewissen Unwillen hervorrief. Er hätte lieber schreckliche Dinge über „diesen Beuys“ gehört.

Beuys war, so seltsam es auch klingen mag bei einem Beweger und Unruhestifter, ein stiller Mensch. Ich sehe ihn bei einer Fluxusveranstaltung in der Düsseldorfer Kunstakademie, den toten Hasen auf der Schulter, langsam die wenigen Stufen zum Podest hinaufsteigen, ernst, konzentriert; für das Spektakel sorgten die anderen. Er konnte ganz unauffällig in der Runde sitzen, ein Zuhörer und Frager, Anteilnahme ausströmend. Familie war ihm wichtig, und er liebte es, wenn sie alle, Frau und zwei Kinder, am Eckplatz zusammensaßen und er das selbst gekochte Essen auf den Tisch brachte.

Als wir vor knapp fünf Jahren, am 12. Mai 1981, mit einem großen Straßenfest, von morgens bis abends, seinen 60. Geburtstag feierten, da strömte es von allen Seiten hinein in den offenen Hof. Doch eigentlich ging es fast bürgerlich zu, mit gedeckten Tischen, vorzüglichem Braten und mit Kuchen, Wein, Bier und Kaffee. Beuys hielt sich im Hintergrund, ging aber von einem zum anderen als sorgsamer Wirt. Auch aus Kleve, wo er aufgewachsen ist, war die Familie gekommen und die Schwiegermutter aus Bonner Professorenhaus.

Als er an unsern Tisch kam, lachte er sein echtes Beuys-Lachen, mit großen, blitzenden Zähnen. „Viele kenne ich gar nicht“, sagte er, „die kommen einfach so herein. Recht so, das Bier reicht, alle können kommen.“ Ich hatte in der Rheinischen Post einen kleinen Geburtstagsgruß geschrieben, da war am Abend eine fremde Stimme am Telefon, mit rheinischem Sprachklang und ein bißchen ungelenk: „Gefiel mir, wie Sie über den Beuys geschrieben haben. Der ist nämlich ganz anders, als die Leute denken. Den kenne ich seit Jahren und habe für ihn gearbeitet. Das ist ein guter Mensch, dem kann man alles sagen, der ist immer für einen da. Sollen doch nicht ewig nur von dem Hut reden, er trägt ihn nun mal.“

Als Mataré-Schüler wußte sich Beuys in jungen Jahren dem Lehrer völlig anzupassen. Er war kein Revoluzzer, kein aufsässiger Student. Geduldig half er dem Älteren beim Einsetzen der Mosaiksteine in die Reliefs der Kölner Domtüren. „Mein Schüler Beuys bemüht sich auf das beste . . . er wird einmal ein sehr guter Bildhauer werden. Er hat ein ausgesprochen rhythmisches Gefühl und bewundernswerte Ausdauer“, schreibt Mataré am 2. Dezember 1950 in sein Tagebuch (veröffentlicht 1973). Zeitweilig hatte Beuys sein Atelier draußen in Büderich neben dem von Mataré, er gehörte ganz zur Familie, half, tätig wie er ist, bei der Gartenarbeit, besorgte Samen und Stecklinge und war um Frau Mataré liebevoll bemüht. In freien Stunden spielte man Boccia. Er hielt Mataré die Treue, auch als dieser den Wegen des Schülers nicht immer folgen konnte.

Seine Anfänge weisen nach Kleve, die Stadt seiner Kindheit und nach Düsseldorf, wo er bis zuletzt gewohnt hat. Hier war es Alfred Schmela, der sein Talent früh erkannte und den Grund zu seinen Erfolgen legte. Aber auch dies geschah langsam, zögernd. Beuys war kein stürmischer Eroberer. In der von Paul Wember 1958 im Krefelder Haus Lange veranstalteten Ausstellung „Niederrheinische Künstler“ ist uns der Name Beuys – er war immerhin schon 37 – zum erstenmal deutlicher bewußt geworden. Schmela war in der Auswahlkommission und hatte es mit Mühe erreicht, drei Objekte von Beuys in die Ausstellung hineinzukriegen. Der „Kunstpreis der Stadt Krefeld“ wurde gleichzeitig vergeben, ich gehörte der Jury an. Auf der Terrasse stand eines der Objekte von Beuys, ein, wenn ich mich recht erinnere, gewundenes Eisenband mit Rollen, drohend, beunruhigend. Nach hartem Kampf kam es zur Abstimmung, Heinz Mack erhielt den Preis. Wember und ich gestanden uns, wir hätten für Beuys gestimmt.

„Der interessiert mich“, hatte Schmela mit sicherem Instinkt sogleich erkannt, aber es dauerte noch lange, bis er Beuys für seine Galerie gewinnen konnte. Ehepaar Schmela, so erzählt es Monika Schmela, machten sich mit Tochter Ulrike auf den Weg nach Kleve, wo Beuys damals sein Atelier hatte. Er empfing sie mit einem herzhaften selbstgekochten Gericht. Dann pilgerte man über die lange Pappelallee hinaus ins Alte Kurhaus, wo Beuys arbeitete. Zeichnungen, Aquarelle, Objekte kamen zum Vorschein, eine verwesende Ratte im Karton, alles geheimnisvoll und neuartig. Schmela gelang es nicht, Beuys ein paar Arbeiten zu entreißen. Einige Tage später brachte Beuys dann doch etliche Blätter in die Galerie. Sie waren schwer verkäuflich, in jedem Fall billig.

Erst Jahre später kam es zur ersten Galerieausstellung, viele weitere sind ihr gefolgt und haben den Ruhm von Beuys begleitet, ja, immer aufs neue gefestigt. Langsam begriff man, daß diese toten Dinge Relikte des Lebens sind, daß ihre dunklen Titel auf das Rätsel unserer Existenz hinweisen. Beuys selbst gibt keine Erklärungen: „Das sieht man doch“. Als ich einmal mit ihm sprach und mich selbst um Deutung bemühte, etwa ob der verpackte Flügel (lange vor Christo) vielleicht das Verstummen von Klang und Musik andeute, lachte er: „Ja, so kann man es auch ansehen.“

Beuys war, wie gesagt, eher ein stiller Mensch, der nur selten in Wut geriet. Und doch dieses Spektakel, diese Anfeindungen, diese nicht endenden Gespräche über ihn? Wie geht das zusammen? Beuys hatte in seltener Weise Präsenz. Wo er hinzutrat, wurde er bemerkt, und alles, was er geschaffen hat, steht in unmittelbarer Beziehung zu seiner Person, ist ein Stück von ihm selbst, erhält erst von ihm Strahlkraft und Leben. Bei seiner Ausstellung im Guggenheim Museum New York, so hat man mir erzählt, sei das verwöhnte amerikanische Publikum am Eröffnungsabend hingerissen gewesen: Beuys selbst stand inmitten seiner Werke. Am nächsten Morgen, als er abgereist war, seien viele Besucher enttäuscht gewesen, der Funke sprang nicht über.

Beuys ist tot, die Kunstwelt ist ärmer geworden. Das Werk, das er geschaffen hat, ist wie ein Schauspiel, über dem der Vorhang nun heruntergegangen ist, ein fast sakraler Vorgang, denn Beuys war ein religiöser Mensch. Sein Zeichen war das Kreuz. Er war früh mit dem Tode vertraut, worauf mehrere seiner Bildtitel hinweisen. („Endzeit des 20. Jahrhunderts“ – letzte Ausstellung bei Schmela). Seine Zeichnungen und Aquarelle sind ein unverlierbarer Besitz. Ob manche seiner Objekte nur Niederschlag schöpferischer Augenblicke sind, ob sie, eng an ihren Schöpfer gebunden, ein überdauerndes Eigenleben gewinnen, wird sich erweisen.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Geist und Leben, 1. Februar 1986