Frauen-Kultur-Archiv

Anna Klapheck Textforum
Würdigungen

Zum 60. Geburtstag 1959

Eine welterfahrene Kunstpädagogin. Anna Klapheck zum Geburtstag am 12. Mai

Es sind nun auch schon über dreißig Jahre her, daß Anna Klapheck, die am 12. Mai in ein neues Jahrzehnt ihres Lebens tritt, zu Düsseldorf gehört. Als die junge blühende Frau Richard Klaphecks, des Geschichtsschreibers der „Baukunst am Niederrhein“, damals Erster Sekretär und amtierender Kunsthistoriker der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, war sie 1927 ins Rheinland gekommen. Sie kam aus Leipzig, wo sie, in Erlangen als Tochter des berühmten Internisten Geheimrat Strümpell geboren, der Universitätslaufbahn ihres Vaters folgend in Breslau und Wien aufgewachsen, auch ihr kunsthistorisches Studium begonnen hatte. In Leipzig hatte Anna Klapheck nach ihrer Promotion in Marburg (mit einer Arbeit über die Ikonographie des Hieronymus im Gehäuse) damals schon die ersten praktischen Erfahrungen am Museum und im Kunsthandel hinter sich. In der rheinischen Akademiestadt an der Seite ihres lebensfrohen Mannes sollte sich ihr eine neue gesellige Welt auftun.

Düsseldorf hatte sich eben angeschickt, den Versuch zu unternehmen, seinen alten Ruf und seine Stellung als Kunst- und Ausstellungsstadt zu erneuern. Mit der „Gesolei“, der großen Ausstellung für Gesundheitspflege, Soziale Fürsorge und Leibesübungen, im neuerbauten Ehrenhof und im anschließenden Rheinpark, hatte die Kunststadt noch einmal ein das Schaffen aller Kunstgattungen zusammenfassendes Bekenntnis zur Gegenwart, oder was man damals dafür hielt, abgelegt. Wilhelm Kreis, der Erbauer des Wilhelm-Marx-Hauses, hatte die Architektur des Ehrenhofs geschaffen, dessen Anlage und Bauten die Mosaiken und Glasfenster von Thorn-Prikker und Nauen, die Plastiken von Sopher, Gottschalk, Schreiner und Breker schmückten, während sich im Rundbau des Planetariums die damals jungen Düsseldorfer Maler (Ophey, Erdle, Heuser, Jankel Adler, Hundt, Kaufmann, Cürten, Geßner u. a.) ein Stelldichein gaben. Das Schauspielhaus der Dumont-Lindemann trat zur selben Zeit in die letzte große Phase seines Wirkens ein. Selbst im „Malkasten“ schien mit der neuen Jugend ein neuer Geist eingekehrt.

Der frische Glanz wiedergewonnener Lebensfreude war um diese Jahre. In jüngster Zeit hat die immer ebenso weltoffene und weltkluge wie welterfahrene und weltgewandte Düsseldorfer Kunsthistorikerin mit ihrer viel beachteten Darstellung des Künstlerkreises um Mutter Ey an dies bewegte Kapitel neuerer rheinischer Kunstgeschichte wieder anknüpfen können und mit dem in der Reihe der Monographien zur bildenden Kunst unserer Zeit erschienenen Band über den Maler Bruno Goller, einem abseits des Kunstbetriebes verharrenden rheinischen Meister, die gebührende Reverenz erwiesen. Die Wirtschaftskrise und der Ausbruch der Naziherrschaft sollten das heitere Bild dieser unbeschwerten Welt damals schnell und für lange Zeit trüben. Richard Klapheck, seiner Natur nach ein konservativer Geist, mußte, wie so mancher andere, nach 1933 die Düsseldorfer Akademie verlassen und starb, viel zu früh, noch vor Kriegsausbruch. 1935 war Anna Klaphecks schönes Buch „Die Mosel“, das drei Auflagen erlebte, in der Reihe der Landschaftsbände des Deutschen Kunstverlages erschienen. Neue Zielsetzungen der Arbeit und des Lebens sollten sich nach dem Kriege, der Anna Klapheck zeitweilig nach Leipzig und ins Erzgebirge vertrieben hatte, ergeben.

Pädagogische Neigungen hatten schon früher in kunsthistorischen Kursen Ausdruck gefunden, jetzt stellte Anna Klapheck ihre reichen Gaben stärker in den Dienst publizistischer Aufgaben. Den Lesern der „Rheinischen Post“ ist sie in über einem Jahrzehnt als ebenso kenntnisreicher wie warmherziger, klug abwägender Mittler zwischen Kunst und Öffentlichkeit, zwischen Künstler und Publikum von zahllosen Beiträgen längst zum Begriff geworden. Die laufende, großem Interesse begegnende Aufsatzreihe über die Lehrer an der Kunstakademie, weist übrigens gleichzeitig auf ein wichtiges anderes Arbeitsfeld Anna Klaphecks hin, die, seit 1952 Dozentin an der Kunstakademie als Kunsthistorikerin, den Studierenden die geschichtlichen Voraussetzungen und Maßstäbe des künstlerischen Schaffens vor Augen führt. Auch ein neues Buch „Tore und Türen von Mataré“ ist in Vorbereitung. Aus dem ständigen unmittelbaren Kontakt mit der Mannigfaltigkeit des künstlerischen Lebens in der Nachkriegszeit und der Auseinandersetzung speziell mit den besonderen künstlerischen und pädagogischen Problemen des Nachwuchses hat Anna Klaphecks allem Zukunftsträchtigen aufgeschlossenes geistiges Mittlertum das klare Profil und die sympathische Frische der Anschauung gewonnen, die ihr reges Schaffen seit langem auszeichnen.

St. [i.e. M. A. Stommel] In: Rheinische Post, 9. Mai 1959.

Zum 75. Geburtstag 1974

Mittlerin einer sich weitenden Kunstwelt. Zum Geburtstag der Kritikerin und Schriftstellerin Anna Klapheck

Als Anna Klapheck 1927 aus Leipzig an den Rhein kam nach Düsseldorf, war sie die Frau Richard Klaphecks, des Kunsthistorikers der Düsseldorfer Akademie, eine junge Frau, deren anziehende Erscheinung sich mit dem frischen Charme einer sich formenden Persönlichkeit rasch die gesellige Welt der lebendig pulsierenden Stadt zu erobern wußte.

Heute bald ein halbes Jahrhundert danach, ist Anna Klapheck die Mutter des Malers Konrad Klapheck, der längst jenseits der Düsseldorfer Kunstszene in die internationale Zone des künstlerischen Lebens der Gegenwart aufgerückt ist.

Die Jahrzehnte nach dem Kriege aber gehörten in wachsendem Maße Anna Klapheck selbst. Damals musste die am 12. Mai 1899 in Erlangen geborene Tochter eines Arztes, der 1923 in Moskau am Krankenlager Lenins gestanden hatte, lernen, ihr eigenes Leben zu formen und zu meistern. Es ist die Zeit, als die promovierte Kunsthistorikerin den Weg in die Presse, zur Rheinischen Post, fand. Für viele Menschen wurde sie hier zur Mittlerin der sich immer mehr weitenden Welt der Kunst (Ausstellungen der Ruhrfestspiele, des Kulturkreises der Deutschen Industrie, der Kasseler Documenta). Wenige Jahre danach fand sie dann den Weg zur Düsseldorfer Kunstakademie, wo sie der nach Freiheit strebenden Jugend die großen Maßstäbe der Geschichte vor Augen zu stellen verstand (1952 bis 1964).

Nach Lehrjahren im Leipziger Museum und im noblen Kunsthandel (C. G. Boerner) war Anna Klapheck einst die so ganz andere Welt der Düsseldorfer Akademie mit Walter Kaesbach an der Spitze oder die Sphäre des Schauspielhauses der Dumont zur neuen Lebensbasis geworden. Die Erinnerung der wenigen schönen glücklichen Jahre vor 1933 an der Seite Richard Klaphecks überglänzen noch immer ihr Dasein. 1933 hatte Mataré oder Campendonk sein Amt an der Akademie verloren. 1939, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, starb er, viel zu früh, ein rheinisch fabulierfreudiger, letzthin konservativer Geist.

Die Stunde der Kunstschriftstellerin sollte, nach einem frühen, reizvollen Moselbuch, erst gegen Ausgang der fünfziger Jahre schlagen. Mit dem Band „Mutter Ey“ (Droste Verlag 1958), der Gestalt, Leben, Umwelt und künstlerischen Kreis der „meistgemalten Frau Deutschlands“ zu beschwören unternahm, gelang gleich der Griff ins Rheinische und Düsseldorfische. Mit sicherem Blick – von persönlichen Erinnerungen der Künstler-Mutter durchflochten – war die hoffnungsfrohe Zeitspanne des Jahrzehnts nach dem Ersten Weltkrieg eingefangen: die berühmten Hauptfiguren von Wollheim, Pankok oder Trillhase über Max Ernst und Otto Dix bis hin zu Jankel Adler, Hundt und Pudlich, die ersten Jahre des „Jungen Rheinland“, wie die Kämpfe, Kräche und Prozesse innerhalb der Künstlerschaft um das „rote Malkästle“. Umsichtig waren hier auch die Dokumente jener unruhigen, längst unwiderbringlich vergangenen Jahre gesammelt in Gestalt von Versen und Fotos., Zeitschriften, Zeichnungen und Karikaturen, Bildern und Plastiken.

Für den stillen, der Dingwelt verschworenen, spät zu äußerem Erfolg gelangenden Maler Bruno Goller (übrigens der Lehrer Konrad Klaphecks an der Düsseldorfer Akademie) schlug Anna Klapheck im gleichen Jahr in der Reihe der vom Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen herausgegebenen Reihe der „Monographien zur bildenden Kunst unserer Zeit“ eine nachhaltig wirkende Bresche.

Einem anderen Einzelgänger, dem aus Polen stammenden, 1949 in der Emigration in England gestorbenen Maler Jankel Adler, der in dem Jahrzehnt vor 1933 einer der anregendsten Köpfe innerhalb der rheinischen Künstlerschaft gewesen war, galt 1966 eine weitere Monographie derselben Reihe. Über den „Sinn des Tores“ verstand Anna Klapheck in einem den „Türen und Toren“ Ewald Matarés gewidmeten Bildband (Scherpe Verlag) zu meditieren.

In der seit einem Vierteljahrhundert nicht abreißenden Kette der Publikationen über Düsseldorf setzte schließlich 1972 ihre im Rahmen der angesehenen Städtebücher des Deutschen Kunstverlages herausgekommene Darstellung der Landeshauptstadt einen markanten Akzent. Der Band dürfte ähnlich wie das 1914 in der Reihe „Stätten der Kultur“ erschienene Buch von Heinz Stolz für lange Zeit beispielhaft bleiben.

Der Kreis hat sich gerundet. Wie Anna Klapheck einst von Richard Klapheck auch für Düsseldorf gewonnen wurde, so hat sie selbst Düsseldorf, seiner Kunst und Kultur, in ihrem mannigfaltigen Wirken als Kritikerin, Historikerin und Schriftstellerin den Tribut gezollt. Dieser Blick auf ihr Leben mag so zugleich Dank und Gruß für eine Lebensleistung umschließen.

M. A. Stommel In: Rheinische Post. Feuilleton, 10. Mai 1974.

Zum 80. Geburtstag 1979

Kunst-Geschichte miterlebt. Zum 80. Geburtstag von Prof. Anna Klapheck

In den letzten Wochen hat Anna Klapheck Bilanz gezogen. Nicht aus Eitelkeit oder Wehmut oder aus dem Gefühl heraus, nunmehr zukunftslos zu sein. Die Sache vielmehr wollte es; Vorarbeiten zu dem Buch „Dreißig Jahre rheinische Kunstszene“ (so der Arbeitstitel), das im Herbst bei DuMont erscheinen soll. Und während sie ihre Loseblattsammlung neu sortierte, die in den Aktenordnern scheinbar endgültig abgelegte Vergangenheit ästhetischer Erkenntnisse und bildnerischer Anstrengungen einer Revision unterzog, muß ihr deutlich geworden sein, was wir, ihre Leser, ohnehin wussten: dass nur sie diesen summierenden Blick zurück leisten kann.

Mit ihren seit 1946 in der Rheinischen Post erschienenen Kritiken hat Anna Klapheck die (Kunst-)Geschichte der Nachkriegszeit mitgeschrieben. Welch ein beneidenswertes Kontinuum an Erfahrungen vermittelten Erkenntnissen, der Förderung und Einflussnahme, der vorsichtigen Parteinahme und entschiedenen Wertung, der zeitgenössischen Betroffenheit und nicht nachlassenden Neugierde! Welch ein Glücksfall jedoch auch für eine Zeitung und deren Leser. Daß für den Tag Verfasstes – nichts anderes heißt ja Journalismus – manchmal sogar Jahrzehnte überdauern kann, wird Anna Klaphecks Kritikenband beweisen.

Die relativ spät begonnene, publizistische Karriere markierte zwar nicht unbedingt einen biographischen Knick in ihrem an Erlebnissen, an Begegnungen mit Berühmtheiten vollgestellten Leben. Sie war der am 12. Mai 1899 in Erlangen geborenen Tochter eines Internisten aber auch nicht gerade vorgezeichnete. Eher schon die – erst 1952 betretene – Laufbahn als Wissenschaftlerin. Sie beendete ihr kunsthistorisches Studium in Marburg mit der Promotion, absolvierte dann in Leipzig Lehrjahre im Kunsthandel, an einem Museum. Als Richard Klaphecks (sein zweibändiges Standard-Werk „Kunst am Niederrhein“ wurde kürzlich wiederaufgelegt) kam sie 1927 nach Düsseldorf.

Es war die legendäre, längst verklärte Zeit der Kunstakademie, an die ihr Direktor Walter Kaesbach große Malerpersönlichkeiten binden konnte, als deren Professor für Kunstgeschichte und „ständiger Sekretär“ Richard Klapheck bis 1933 fungierte. Den gleichen Lehrstuhl besetzte die Witwe des bereits 1939 Gestorbenen von 1952 bis 1966. Und ihr Sohn Konrad (Schüler des erst spät „auf dem Markt“ anerkannten Malers Bruno Goller, über den Anna Klapheck wiederum eine Monographie verfasst hat), wird ab dem Sommersemester an derselben Akademie tätig sein, an der früher seine Eltern lehrten.

So, als öffentlicher Auftrag und angenommener Auftrag, verfugt sich heute bloß noch selten das Schicksal einer Familie mit dem eines Instituts, des Staates, der Allgemeinheit. Das sich selbst in die Pflicht nehmende Verantwortungsgefühl und Engagement ist ein mit dem Ende des 18. Jahrhunderts aufkommendes (und inzwischen natürlich als anmaßend „bildungsbürgerlich“ diffamiertes) Phänomen unserer Kultur, dem diese Wesentliches zu verdanken hat.

Ersatz oder Nachfolger sind nicht in Sicht. Der einzelne hat sich verunsichert, verschreckt in sein privates Kultur-Refugium zurückgezogen. Draußen wachen Bürokraten über den Subventionsschlüssel. Wie lange er noch ein Sesam-öffne-dich sein kann, steht dahin. Pessimismus ist angebracht. Die Epoche des nur Notwendigen, nicht mehr auch eines derart notwendigen Überflusses wie Kunst und deren Vermittlung, wird wohl schon bald anbrechen.

Als in der Festschrift zum 200jährigen Bestehen der Düsseldorfer Kunstakademie (1973) der Part zwischen den beiden Weltkriegen zu vergeben war, übernahm ihn Anna Klapheck. Wer denn sonst? Das mit persönlichen Erinnerungen durchsetzte, aber nie auftrumpfende Kapitel ist gewiß das interessanteste und aufregendste des umfangreichen Gedenkwerkes. Wesen und Rang von mittlerweile in die Kunstgeschichte eingegangenen Personen sind unvermessen charakterisiert, werden unmittelbar anschaulich: Nauen, Campendonk, Thorn Prikker, Oskar Moll, Eduard Mataré (über dessen „Tore“ und Türen“ Anna Klapheck 1966 so tiefsinnig, Symbolen nachspürend reflektiert hat) und vor allem Paul Klee. „Der Schweigsame lachte sein unvergeßliches Lachen.“ Fremdes wird uns vertraut gemacht, nahe gebracht, ohne daß dabei je die Distanz zur Vertraulichkeit durchbrochen würde.

Den gleichen Zeitkreis zwischen Aufbruch und jäher (politischer) Zerstörung hatte die Autorin schon einmal in „Mutter Ey“ abgeschritten, einem 1958 bei Droste publizierten (und 1977 als Reprint wieder ausgegrabenen) Bändchen über die mütterlich-resolute Kaffeehausbesitzerin und spürnasige Kunsthändlerin. Die Sympathievorgabe der Dokumentaristin für die „meistgemalte Frau Deutschlands“ ist unverkennbar. Aber ebenso ihre Einfühlung ins Rheinische, ihre humorvolle Liebeserklärung an die sonderbare Stadt Düsseldorf, die sie dann in der traditionsreichen Reihe „Deutsche Lande. Deutsche Kunst“ porträtiert hat (1972).

Es wirkt mehr als Fügung denn wie ein Zufall, daß an diesem Wochenende im Kunstmuseum der Landeshauptstadt die Ausstellung „Düsseldorfer Malerschule“ eröffnet wird. Anna Klapheck hat ihr auf der Seite „Geist und Leben“ ein Vor-Wort gewidmet. Es ist, selbstverständlich, bewundernswert klar formuliert, ordnet Wissen souverän und breitet es anstrengungslos vor uns aus. An einer Stelle weitet sich der Griff in die Geschichte ins Persönliche (nicht Private): „Ich habe ... gekannt“.

Das ist es. Der unersetzliche, eben nicht erlernbare Spiegelhintergrund eines durchdachten (Er-Lebens). Wir alle hoffen, daß er uns wenigstens noch eine Zeitlang erhalten bleibt.

Reinhard Kill In: Rheinische Post. Feuilleton, 12. Mai 1979.

Wörterbuch der Gegenwarts-Kunst

Der Kritiken-Band von Anna Klapheck (1979)

Dauer kann das für den Tag Geschriebene nicht beanspruchen; oft ist es am nächsten Tag bereits vergessen. Aber selbst solche Gesetze kennen ihre Ausnahmen. Auf einmal bemerkt man, daß das, was so flüchtig schien, Jahre und Jahrzehnte hindurch gültig, kraftvoll und lebendig blieb: als Dokument erlebter und reflektierter Zeitgenossenschaft, dessen Wert und Aussagekraft weit über den ursprünglich gegebenen Rahmen hinausweist.

Zu einem derartigen Dokument ist Anna Klaphecks Artikelsammlung geworden, die sie selbst ein „Buch der Erinnerung“ nennt: „Vom Notbehelf zur Wohlstandskunst – Kunst im Rheinland der Nachkriegszeit“(DuMont Buchverlag, 238 S., 24.80 DM); Anna Klapheck, in diesem Jahr 80 geworden, war und ist ein Glücksfall für die Kunstszene dieser Region und für die Rheinische Post, deren Kritikerin sie seit vielen Jahren ist. 1946, als Deutschland in Trümmern lag und auch die Verbindungsstränge zu der jungen und umwälzenden Kunst unseres Jahrhunderts längst verschüttet waren, meldete sich mit ihr eine Kunsthistorikerin zu Wort, die die Kunstentwicklung in den 20er und 30er Jahren hautnah miterlebt hatte und die nun als fast Fünfzigjährige nicht nur sehnsüchtig auf die Heimkehr der geschätzten Werte in die Museen wartete, sondern die auch offen war für alle sich neu abzeichnenden Tendenzen. Diese Verbindung von wacher Erinnerung und engagierter Neugierde erwies sich als wegweisende Klammer der Kunstberichterstattung und als sicherer Wall gegen provinzielle Einbrüche.

Die schreibende Kunsthistorikerin, später auch Professorin für Kunstgeschichte an der Düsseldorfer Kunstakademie, schwang sich dabei mit ihrem Wissensvorsprung nie zur dozierenden Lehrmeisterin auf. So wie sie mit kurzen und prägnanten Sätzen Situationen und Ereignisse vor dem Auge des Lesers plastisch werden ließ und Künstlerpersönlichkeiten skizzierte, so stellte sie in knappen, zielbewußten Bemerkungen Zusammenhänge her.

Dies ist nun alles nachzulesen, ja, nachzuerleben. Gerade für denjenigen, der die frühen Trümmerjahre, in denen der Kunstbetrieb mit seinen Improvisationen etwas Pionierhaftes hatte, nicht bewußt miterlebt hat, entsteht in dieser lockeren Folge von Artikeln über Ausstellungen, Galerien-Eröffnungen und Künstlergedenktage ein höchst anschauliches Bild einer außergewöhnlichen Zeit. Vor allem Anna Klaphecks Geschick, selbst in den kürzesten Artikeln etwas von der Persönlichkeit der Künstler und Kunstvermittler mitzuteilen, die Atmosphäre einzufangen, bringt einem die von ihr beschriebene und kritisierte Kunst so nahe.

So entsteht in diesem Buch jenseits der Kunstkritik ein Bild der Nachkriegszeit. Es ist ein Bild, das sich bewußt auf Düsseldorf und das nähere Rheinland bescheidet. Hier hat Anna Klapheck ihre zweite Heimat gefunden und hier kennt sie sich aus. Ihr kritischer Blick ging, oftmals auch für unsere Zeitung, weit über diesen Raum hinaus, zur documenta etwa oder nach London und Paris. Doch die Beschränkung auf die rheinischen Kunstkritiken beinhaltet auch ein Bekenntnis zu einer unverwechselbaren Landschaft, die allein Persönlichkeiten und Figuren wie Mutter Ey, Ewald Mataré, Joseph Beuys, aber auch Max Ernst hervorbringen konnte.

Das Persönliche, das Menschliche und Verbindliche sind Elemente, die diesen Artikeln Faszination verleihen, weil sie die Kunst zu einer beziehungsreichen, menschlichen Größe werden lassen.

Indem Anna Klapheck nicht aus der heutigen Hin-Sicht eine kleine Geschichte der rheinischen Kunst schrieb, sondern mit ihren aus und für den Augenblick geschriebenen Betrachtungen ein Mosaik der Kunstbeschreibung schuf, stellt sie sich auch heute mit ihrem jeweiligen Urteil der Kritik. Sie kann es guten Gewissens tun. Auch dort, wo sie irrte und sich selbst dann korrigierte. Beispielsweise liest man mit Vergnügen, wie sie 1957 die erste Begegnung mit den monochromen Bildern von Yves Klein bei Schmela in Düsseldorf ironisierend-abwartend verarbeitet, und wie sie drei Jahre später bei der erneuten Betrachtung von Kleins Arbeiten in Leverkusen eine Position bezieht, die nun zunehmend an Festigkeit gewinnt.

Die Offenheit, die Anna Klapheck bei Neu-Begegnungen für sich selbst beansprucht, läßt sie auch ihren Lesern. Sie hilft beim Kennenlernen, Sehen und Verstehen, blockiert aber keine Zugänge durch Über-Interpretationen. Allerdings hat diese Offenheit ihre Grenzen, wo es um Qualität geht. Wo sich Zweit- und Drittrangiges aufspielt, da sagt sie es unmißverständlich.

Das wichtigste Argument für dieses Buch aber: es verlangt nicht nach einem Wörterbuch der zeitgenössischen Kunst. Es ist eines.

Dirk Schwarze In: Rheinische Post. Feuilleton, 8. Dezember 1979.

Zum Tode von Anna Klapheck am 26. Februar 1986

Die Vermittlerin. Zum Tod von Prof. Anna Klapheck

Vor sechs Tagen erschien ihr letzter Artikel in der Rheinischen Post. Ihre Besprechung der Erinnerungen eines Sohnes an seinen berühmte Vater, von Jimmy an Max Ernst, hatte uns Jüngere beeindruckt wie immer, beinahe eingeschüchtert. Also auch den hat sie persönlich gekannt. Welch reiches, erfülltes Leben war ihr zuhanden, über dessen Bausteine sie unverändert souverän verfügte. Und indem sie Vergangenheit mühelos in die Gegenwart hob, machte sie uns Leser auch zu Teilhabern ihrer zur Erkenntnis vertieften Erlebnisse. Wem, außer ihr, was das möglich?

Kurz vorher hatte sie, auf ihre unnachahmliche Weise, auf den Tod von Joseph Beuys reagiert. Das Tagesgeschäft, die von ihm erzwungene schnelle Fertigkeit des Worts, war ihre Sache längst nicht mehr. Sie nahm für sich das vom Termindiktat abgehobene Recht der gelassen in sich hineinhorchenden Überschau in Anspruch. Das erforderte von der Redaktion manchmal Geduld. Aber sie hat sich stets gelohnt. Wir haben Anna Klapheck bewundert, verehrt, auch geliebt.

Nun ist sie, die an Beuys’ Geburtstag (!) am 12. Mai 87 Jahre geworden wäre, plötzlich gestorben. Es war ein rascher, sich nicht ankündigender Tod. Bis fast zum letzten Augen-Blick bestimmte sie frei über sich selbst, war sie umgeben von ihren Bildern und Büchern. Das mindert die Erschütterung, die Trauer kaum, auch nicht das zunächst ungläubige Erschrecken. Schien der Triumph dieses Kopfes – mit den unvermindert wachen, neugiereigen Augen hinter dicken Gläsern – über den gebrechlich gewordenen Körper nicht lange noch gewährleistet?

Anna Klapheck schrieb meist (und am liebsten) als Betroffene. Sie mußte sich Menschen, Künstlerpersönlichkeiten zuneigen können, von ihnen in ihrem Wesenskern berührt werden, um ihr Werk dann verstehend verständlich zu machen. In dieser Dolmetscher-Funktion war sie unübertroffen; nicht Kunstkritikerin, Mittlerin wollte sie sein. Sie dozierte nie, auch wenn sie in ihrer Schule des Sehens den Leser über das Kennenlernen zum Begreifen verführte. Sie ließ ihn an ihren Betrachtungen teilhaben, die sie in knappen, zielsicheren Ausweitungen zum großen, nicht selten verblüffenden Zusammenklang bündelte. In der Anschauung des Einzelnen das Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren – wo, wenn nicht bei Goethe hätte sie das lernen können, dessen auch entlegenste Werke sie gelesen, gespeichert hatte?

Sie war engagiert, wahrte aber die Distanz. Sie war mit vielen, mittlerweile in die Historie aufgenommenen Künstlern bekannt, sogar befreundet. Das nahm ihr jedoch nicht das unvoreingenommene Interesse, die Offenheit für neue Tendenzen. Sie hatte soviel Vergangenheit und war doch immer noch voller Zukunft.

Anna Klaphecks Kritiken erschienen seit 1946, mithin seit dem Gründungsjahr, in der Rheinischen Post. Vor sieben Jahren hat sie ihre Loseblattsammlung neu sortiert, zum summierenden Blick zurück geordnet und als „Buch der Erinnerung“ herausgegeben: „Vom Notbehelf zur Wohlstandskunst – Kunst im Rheinland der Nachkriegszeit“ (DuMont Verlag). Daß für den Tag Verfaßtes mitunter sogar Jahrzehnte überdauern kann, beweist dieser Kritikenband, der für jeden Kunstinteressierten eine faszinierende, ungemein lehrreiche Lektüre ist. Weil Anna Klaphecks Rezensionen eben nicht bloß dokumentieren, wie das damals wieder anfing, sondern weil sie Beziehungsstränge zum Vorher ziehen kann, in vorsichtiger Parteinahme und entschiedener Wertung selber zur Handelnden wird. Diesen Rang erreicht heute in einem oft genug zum Geflecht von Beziehungen verkommenen Kunstbetrieb niemand mehr. Sie war die Letzte.

Die, relativ spät begonnene, publizistische Karriere, markierte zwar nicht unbedingt einen biographischen Knick in ihrem an Begegnungen mit Berühmten vollgestellten Leben. Sie war der in Erlangen geborenen Tochter des Internisten und Neurologen Adolf Strümpell aber auch kaum vorgezeichnet. Eher schon die – erst 1953 betretene – Laufbahn als Wissenschaftlerin. Anna Klapheck hatte ihr kunsthistorisches Studium in Marburg mit der Promotion über „Der Heilige Hieronymus im Gehäuse“ beendet, dann in Leipzig Lehrjahre im Kunsthandel, an einem Museum absolviert. Als Frau Richard Klaphecks (dessen zweibändige „Kunst am Niederrhein“ Ende der siebziger Jahre wiederaufgelegt wurde) kam sie 1927 nach Düsseldorf.

Es war die legendäre Zeit der Kunstakademie, an die ihr Direktor Walter Kaesbach große Maler binden konnte, als deren Professor für Kunstgeschichte und „ständiger Sekretär“ Richard Klapheck fungierte, bis die Nazis ihn 1934 abhalfterten. Den gleichen Lehrstuhl besetzte die Witwe des bereits 1939 Gestorbenen, erst als Dozentin, von 1962 bis 1966 als Lehrstuhlinhaberin. Und ihr Sohn Konrad (Schüler des erst spät „auf dem Markt“ anerkannten Malers Bruno Goller, über den Anna Klapheck wiederum eine Monographie verfasst hat) ist seit Sommer 1979 an derselben Akademie tätig, an der früher auch seine Eltern lehrten.

So, als öffentlicher Auftrag und angenommene Aufgabe, verfugt sich bloß selten noch das Schicksal einer Familie mit dem der Allgemeinheit, eines Instituts. Als in der Festschrift zum 200jährigen Bestehen der Düsseldorfer Kunstakademie (1973) der Part zwischen den beiden Weltkriegen zu vergeben war, übernahm ihn, natürlich, Anna Klapheck. Das mit vielen persönlichen Reminiszenzen durchsetzte, aber nie auftrumpfende Kapitel ist gewiß das aufregendste des umfänglichen Gedenkwerks. Unvermessen charakterisiert, unmittelbar anschaulich werden: Nauen, Campendonk, Thorn-Prikker, Oskar Moll, Ewald Matatré, über dessen „Tore und Türen“ Anna Klapheck 1966 so tiefsinnig, Symbolen nachspürend reflektiert hat, und dessen Aquarelle sie noch vor zwei Jahren herausgegeben hat (Schirmer-Mosel Verlag). Und über Paul Klee heißt es einmal: „Das Schweigsame lachte sein unvergeßliches Lachen.“ Fremdes wird uns vertraut gemacht, nahe gebracht, ohne dass Anna Klapheck je die Grenze zur Vertraulichkeit durchbräche.

Den gleichen Zeitkreis zwischen Aufbruch und jäher politischer Zerstörung hatte die Autorin schon einmal in „Mutter Ey“ abgeschritten. Diese „Düsseldorfer Künstlerlegende“ erschien erstmals 1958 (im Droste Verlag), liegt mittlerweile bereits in der vierten Auflage vor. Die Sympathievorgabe der Autorin für die mütterlich-resolute Kaffeehausbesitzerin und spürnasige Kunsthändlerin, für diese „meistgemalte Frau Deutschlands“ ist unverkennbar, Aber ebenso ihre Einfühlung ins Rheinische, ihre humorvolle Liebeserklärung an die sonderbare Stadt Düsseldorf, die sich in der traditionsreichen Reihe „Deutsche Lande. Deutsche Kunst“ porträtiert hat (1972).

Auch in Gesprächen wurde der Griff in die Geschichte oft zum Rückgriff auf Persönliches (nie Privates): „Ich habe noch gekannt . . .“ Das war es. Der unersetzliche, eben nicht erlernbare Spiegelhintergrund eines durchdachten Er-Lebens, das sie in ihren Artikeln derart bewundernswert klar formuliert, anstrengungslos vor uns ausgebreitet hat. Wenn am Sonntag die Ausstellung zum 40jährigen Bestehen des Landes Nordrhein-Westfalen und der Rheinischen Post eröffnet wird, „1946 – Neuanfang: Leben in Düsseldorf“, wird ihr schönes, klares Greisinnen-Gesicht nicht mehr unter den Zuhörenden sein. Wenn am 14. März die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ihr neues Domizil vorstellt, wird Anna Klapheck nicht mehr kennerisch-lebhaft von Bild zu Bild gehen, stehen bleiben, wie scheinbar leicht dahin wunderbar Richtiges sagen. Sie fehlt uns schon jetzt.

Reinhard Kill In: Rheinische Post. Feuilleton, 27. Februar 1986.

Ein Düsseldorfer Gewissen

Stimmen, Würdigungen und Zitate zum Tod von Professor Anna Klapheck

Prof. Anna Klapheck ist tot, im Alter von fast 87 Jahren ist sie gestorben (s. Feuilleton). Die Leser der Rheinischen Post schätzen ihr Urteil über Bildende Kunst und die Art, wie sie es begründete. Goethe-Kenner fanden durch ihre Berichterstattung aus dem Goethe-Museum neuen Zugang zu ihrem Klassiker, Düsseldorfer Museumsdirektoren würdigen Anna Klapheck.

Prof. Werner Schmalenbach, Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen: „Anna Klapheck war eigentlich, seit ich in Düsseldorf bin, und das sind fast 25 Jahre, so etwas wie die Grande Dame der Kunstkritik weit und breit. Sie war eine von denen, die der deutschen Sprache mächtig waren, was heute nicht mehr für jeden gilt, sie war eine Frau, die von Kunst und Künstlern geliebt wurde. Sie schrieb nicht nur mit zwei Augen im Kopf und den richtigen Worten auf der Zunge, sondern mit hoher Verantwortung. Man wird schon bald spüren, daß sie fehlt.“

Jürgen Harten, Direktor der Kunsthalle der Landeshauptstadt: „‚Ich bin die letzte, die ihn noch gekannt hat’, sagte Anna Klapheck über Jankel Adler. Einer der wenigen bewegenden Nachrufe auf Joseph Beuys stammte aus ihrer Feder. Uns fehlt ihr Düsseldorf Gewissen. Gegenüber der Kunst hat sie Klarheit des Urteils mit menschlicher Güte verbunden und Maßstäbe gesetzt, großzügig, zurückhaltend, unprätentiös und immer hilfsbereit.“

Prof. Jörn Göres, Direktor des Goethe-Museums (Sammlung Kippenberg): „Anna Klapheck kannte die Sammlung Kippenberg noch aus ihrer Leipziger Zeit. Sie hat dort die Entstehung der Sammlung miterlebt. Sie kannte auch die in Düsseldorf lebenden Töchter Kippenberg. Auf diese Weise waren enge Berührungen gegeben. Sie war für die Rezensionen prädestiniert, sie war in der Sammlung zu Hause. Ich möchte das, was sie schrieb, mustergültig nennen. Wir haben eine Sammlung ihrer Berichte unter dem Titel ‚Viele Gäste wünsch’ ich mir’ veröffentlicht.“ Göres hat das Buch mit einem Vorwort versehen. Rückblickend sagt er: „Ich war immer glücklich, wenn ich bei unseren Veranstaltungen ihren weißen Schopf sah: dann wußte ich, da wird was draus. Ich habe manches von ihr gelernt.“

Anna Klapheck ist 1958 in Düsseldorf populär geworden mit ihrem im Droste-Verlag erschienenen Buch „Mutter Ey – eine Düsseldorfer Kunstlegende“, das inzwischen vier Auflagen erlebt hat. Sie hat „das Ey“ und den Kreis der Künstler um die Kaffeestube in der Altstadt gut gekannt. In dem Buch sind Bilder und Erinnerungstexte vereinigt, die die Gestalt der Johanna Ey lebendig werden lassen. Zum Beispiel hier: „Rund ist das Ey, rund wie Johanna Ey. Ihr Geburtstag am 4. März fiel in die Zeit der österlichen Eier. Mit Mutterschaft und neuem Leben hat ein jedes Ei zu tun, und so war ihr die „Mutter Ey“ auch schon vom Namen her vorherbestimmt. Und mütterlich, ein Ur-Ei, ein Geschöpf nahe der Natur und von ihren Kräften gespeist, das war Johanna Ey gewiß. Kinderbekommen und Kinderhaben spielt in ihrem Denken eine gewichtige Rolle, Frivolität und Obszönität in diesen Dingen sind ihr zuwider, so derben Scherz sie auch sonst verträgt . . . Ihre Mütterlichkeit wuchs mehr und mehr hinaus über das Familiäre, jeder, der zu ihr kam, bekam sie zu spüren. Die Künstler fühlten sich bei ihr geborgen. Ein Japaner, der zu Besuch war, schrieb ins Gästebuch: „Nun bin ich auch dein Sohn.“ Ganz gleich, was und wo Anna Klapheck schrieb, sie selbst trat zurück hinter dem Gegenstand, über den sie schrieb.

Gerda Kaltwasser In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 27. Februar 1986.

Kultur als erlebte Geschichte

Zum Tode der Düsseldorfer Kunsthistorikerin und Kritikerin Anna Klapheck

Bis zuletzt hat sie lebhaft am Kulturleben ihrer Stadt teilgenommen – und auch ihre Beobachtungen veröffentlicht. Jetzt ist ihre Stimme, die stets Gewicht hatte und Respekt einflößte, verstummt: Die Kunsthistorikerin, -kritikerin und -schriftstellerin Anna Klapheck ist in Düsseldorf gestorben. Im Mai wäre sie 87 Jahre alt geworden.

Ihr Schreiben über Kunst und Kultur war stets Anteilnahme, aus dem direkten Erleben entsprungen, egal ob es sich um Künstlermonographien handelte oder um Berichterstattung für die Tageszeitung. Anna Klaphecks Beobachtungsfeld war das Rheinland und vor allem Düsseldorf, die Stadt, in der sie seit 1927 gelebt hat. An den von ihr aufgezeichneten Erlebnissen kann der Leser die Vielfalt, die Lebendigkeit und die Tragweite künstlerischer Entwicklungen in dieser Region nachvollziehen.

Zusammengefaßt legte Anna Klapheck ihre Zeitdokumente der Nachkriegszeit 1979 bei DuMont vor: „Vom Notbehelf zur Wohlstandskunst“. In der Bilanz wird ihre besondere Gabe als Chronistin deutlich, die mit ungewöhnlichem Spürsinn für das Außerordentliche ausgestattet war und mit bewunderter Könnerschaft der Vermittlung. Anna Klaphecks Kunstkritik war nie Bevormundung oder trockene Analyse, aber genausowenig Kulissengeplauder. Sie war – und ist es über den Tag der Veröffentlichung hinaus – persönliche Teilnahme, Betroffenheit, Erläuterung.

Ihr Wissen, das sie auch an der Kunstakademie in Düsseldorf zwischen 1952 und 1966 weitergab, hatte sie während ihres Studiums der Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie aufgebaut. 1925 promovierte sie bei Richard Hamann in Marburg über den „Heiligen Hieronymus im Gehäuse“. Zwei Jahre nach Abschluß ihres Studiums heiratete die in Erlangen geborene Tochter eines Internisten den Kunsthistoriker und Professor an der Düsseldorfer Akademie Richard Klapheck. Ihr Sohn, der Maler Konrad Klapheck, ist jetzt Lehrstuhlinhaber an demselben Kunstinstitut.

Daß der Düsseldorfer Mikrokosmos sich durchaus ins Allgemeingültige, ins Unendliche weiten kann, belegen die Kunstzeugnisse der Klaphecks. Der geistige Austausch war, nach dem frühen Tod von Richard Klapheck, zwischen Mutter und Sohn eng und beständig, wobei beide totale Selbständigkeit bewahrten. Das waren stets oberste Gebote der Kunstautorin Anna Klapheck: Unabhängigkeit und Liberalität. Offenheit und Beweglichkeit eines geformten und im besten Sinn neugierigen Geistes kennzeichnen ihre Schriften: Die Bücher über „Mutter Ey“ (Droste-Verlag), über Bruno Goller oder Jankel Adler (beide bei Bongers) ebenso wie ihre Tagesartikel.

Im Gedächtnis werden auch die klaren Züge ihres Gesichts bleiben mit jenem erwartungsvollen Ausdruck des Wissen-Wollens; ihre kleinen wie nebenher gesprochenen Bemerkungen, die einem ganz neue Blickrichtungen eröffnen konnten; die Atmosphäre ihres Hauses in der Düsseldorfer Mozartstraße, ihres Gartenzimmers, wo sie zwischen ihren liebsten Büchern und Bildern – fast wie Hieronymus im Gehäuse – bis zuletzt gastfreundlich lebte.

Amine Haase In: Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 50, 28. Februar 1986.

Anna Klapheck zum 100

Wohl war sie eine respekt-, ja ehrfurchteinflößende Person. Aber sie machte nie ein Gewese um sich. Sie baute schlicht auf Qualität – auch die eigene – und wusste daher, daß sie Autorität besaß, ohne sie je herauskehren zu müssen.

Persönlich liebenswert, aber auch ganz salopp, kam sie einfach mal eben in der Redaktion vorbei, ich hab’ was da was für euch, wollt ihr’s? und behandelte vom Volontär bis zum Ressortleiter alle gleich. Anna Klapheck, heute vor 100 Jahren als Anna Strümpell in Erlangen geboren, war Kunsthistorikerin, Kunstschriftstellerin und Kunstjournalistin, und nie hat sie auch nur im mindesten einen Bruch oder gar Widerspruch in solcher Aufgabenteilung empfunden.

Sie schrieb ein schnörkelloses, ungeschwätziges, ganz lauteres, sozusagen klassisches Deutsch, und die einzigen Verbesserungen, die nötig waren, die brachte sie schon selber im Typoskript an mit ihrer steilen, sauberen Schrift. Kürzbar war da nichts. Es gelang ihr wie wenigen, komplizierte Sachverhalte in klare, so verständige wie verständliche, oft sehr witzige Sätze zu fassen; stets erklärend, nie bloß wertend (was man hätte erwarten können angesichts der scheinbar unkomplizierten Sprache). Sie würde staunen, wenn man das ihr gegenüber als Qualität herausstellte, so selbstverständlich war das. Wie sie. Wie ihre klaren Gesichtszüge hinter dicken Gläsern. Oft zeichnete sie selbst wichtige Artikel bloß mit einem lapidaren „K–k“.

Sie war ein Mensch, eine Denkerin, der Kunst und Kunstgeschichte nicht zerfiel. Vom Hieronymus im Gehäuse (Doktorarbeit, Marburg, 1925) über das Neue Rheinland – beispielsweise – oder Zero bis zu Beuys schlug sie ihren erkennenden Bogen, beweisend, daß Kunsthistoriker von wirklicher Schule und Klasse keine Epochenklüfte kennen, wenn denn jeweils Qualität für sich spricht.

Dürer, Goethe, Ey und Beuys

Klapheck („uns’ Anna“ sagten wir hinter ihrem Rücken) studierte in Leipzig, Berlin und Marburg. In Leipzig, wo sie auch für den C. G. Börner arbeitete, lernte sie den „Insel“-Verlagschef Kippenberg kennen; daraus und aus ihrer Vertrautheit mit dessen großer Goethe-sammlung (jetzt Schloß Jägerhof) erwuchs ihre auch journalistische Beschäftigung mit dem Dichter und dessen Reflexen in Ausstellungen und Vorträgen.

1927 kam Klapheck inzwischen mit dem Kunstgeschichts-Professor Richard Klapheck an der Kunstakademie verheiratet, in diese Stadt. Klapheck mußte 1934 gehen. Ab 1952 lehrte sie dann selbst Kunstgeschichte dort, schrieb über Jankel Adler, Johanna Ey, Ewald Mataré, Bruno Goller. Ihr Ey-Buch bei Droste erreichte vier Auflagen. 1979 veröffentlichte sie einen Band über Kunst im Rheinland nach 1945: „Vom Notbehelf zur Wohlstandskunst“ (DuMont). Für die Rheinische Post schrieb sie ab 1946 bis sechs Tage vor ihrem Tod 1986. Seit langem lehrt ihr Sohn Konrad Malerei an der Akademie.

Anna Klapheck, geboren und gestorben in den selben Jahren wie Beuys – eine weise und humorvoll Wissende. Haben wir von ihr gelernt? Hoffen wir’s. Wie elegant, fair und gedankenreich sie zu formulieren wußte, zeigt ein Satz zum Freund Beuys, dessen Graphik sie sehr schätzte. Sie überantworte es indes der Zukunft, „ob manche seiner Objekte nur Niederschlag schöpferischer Augenblicke sind, ob sie, eng an ihren Schöpfer gebunden, ein überdauerndes Eigenleben gewinnen“ werden.

Sebastian Feldmann In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 12. Mai 1999.

Vor 25 Jahren starb Kunsthistorikerin Anna Klapheck (2011)

Sie versah einst den Part des Kunstgeschichts-Professors an der Düsseldorfer Akademie, jenes Dozenten, der den Kunststudenten klarmacht, dass sie nicht bei Null anfangen, dass Kunst vielmehr stets aus Kunst hervorgeht und dass es darum wichtig ist zu wissen, was frühere Generationen geschaffen haben. Dieses Amt, später von Werner Spies ausgefüllt, ließ schon früher Zeit, sich auch mit der Kunst der Gegenwart zu beschäftigen, auf dass der Brückenschlag zur Vergangenheit immer wieder gelingt.

Anna Klapheck, die 1899 geborene und vor 25 Jahren gestorbene Kunsthistorikerin, pflegte den Kontakt zur zeitgenössischen Kunst nicht nur aus beruflichen Gründen, sondern auch, weil er ihr spürbar Freude bereitete. Sie hatte zahlreiche Künstler, die uns heute als historische Größen erscheinen, noch persönlich gekannt und fasste ihre Erinnerungen später in Büchern zusammen, über Jankel Adler, Heinrich Campendonk, Bruno Goller, Ewald Mataré oder Johan Thorn Prikker. Besonders gut gelang ihr ein Büchlein über die Düsseldorfer Künstlerlegende Mutter Ey. Im Übrigen hatte mancher Text, der Eingang in die Bücher fand, zuvor in der Rheinischen Post gestanden.

Die Leser schätzten an Anna Klapheck nicht nur ihren hohen, nie zur Schau gestellten Sachverstand, sondern auch ihren schnörkellosen Stil. Der taugte zur Beschreibung von Bildern und Skulpturen und zur Charakterisierung des künstlerischen Milieus in Düsseldorf ebenso wie zur Wiedergabe von Vorträgen, die Literaturwissenschaftler im Goethe-Museum gehalten hatten. Einen Tag später kam Anna Klapheck jeweils voller im Zaum gehaltener Begeisterung in die RP-Redaktion, gab ihr blitzblankes, von keinerlei Eigenkorrekturen getrübtes Schreibmaschinen-Manuskript ab und freute sich, wenn sie und alle Goethe-Freunde es am nächsten Tag in der Zeitung lesen konnten.

Anna Klapheck war verheiratet mit Richard Klapheck (1883-1939), der an der Akademie jenen Posten bekleidete, auf den sie nachrückte. Aus der Ehe ging 1935 Konrad Klapheck hervor. Er setzte die Tradition der Eltern auf andere Weise fort, wurde Künstler und als solcher später ebenfalls Professor an der Akademie. So hat Anna Klapheck eine Künstlerlaufbahn auch aus familiärer Sicht verfolgen können.

Bertram Müller In: Rheinische Post. Düsseldorfer Kultur, 25. Februar 2011