Frauen-Kultur-Archiv

Person
Anna Klapheck

Neuer „Dada“ im Galeriechen bei Schmela

Aus den Anfängen des Künstlers Yves Klein in der Altstadt

In dem Straßenstückchen zwischen Andreaskirche und Bolkerstraße herrschen die Diminutive, hochdeutsche und niederrheinische Kom(m)ödchen, Raritätchen, Höhnerknöcks’ke . . . Das „Raritätchen“ freilich packte jüngst seine netten Sächelchen zusammen und siedelte über in die Wibbelgasse. Die Städtische Liegenschaftsverwaltung, der das Haus gehört, zeigte sich gnädig und überließ das Räumchen dem Architekten, Maler und Kunsthändler Schmela, der die Wände sachlich grau umhüllte und daselbst eine Galerie eröffnete, besser gesagt, ein Galeriechen, ein Kunstsalönchen. In- und ausländische Kunst wird man dort zu sehen bekommen. Modern, versteht sich.

In Paris, in den engen Gäßchen um St. Germain-des-Prés, gibt es ein paar Dutzend solcher winziger Galerien der Avantgarde. So etwas imponiert den Deutschen, und im Galeriechen von Herrn Schmela begann man auf gut Französisch. Ins Haus flatterte ein Prospekt mit einem längeren französischen Text, dem zu entnehmen war, daß man die „Propositions Monochromes“ des Malers Yves zeigen werde, sie, die die „Stunde der Wahrheit“ und die reine „Kontemplation“ bedeuteten. Herr Yves war selbst zur Stelle, ein sympathischer, bescheidener Mann von etwa 30 Jahren, mit schönen, schwermütigen Augen. Auch Iris Clert hatte ihre Kunsthandlung in der Rue des Beaux-Arts für zwei Tage im Stich gelassen, um im himbeerfarbenen Mantel dem Ereignis in der Hunsrückenstraße beizuwohnen. Iris Clert und Schmela arbeiten nämlich Hand in Hand. Ein dicker Band mit Fotos und Zeitungsausschnitten belehrt darüber, daß Herr Yves mit seinen „Monochromes“ bereits in aller Welt zu sehen war.

Was sind nun die „Propositions Monochromes“ des liebenswürdigen Herrn Yves? Yves nagelt auf einen Keilrahmen Hartfaserplatten auf, mal größere, mal kleinere, mal als Querformat, mal als Hochformat. Er bezieht seine Platten mit Leinen, greift zur Farbe und überstreicht seine Flächen mittels einer kleinen Walze ostereierbunt und streng einfarbig, grün, rot, gelb. Fertig aus. Die Walze werkelt bei dem einen Bild von oben nach unten, beim nächsten vielleicht von links nach rechts, das sind schwerwiegende Unterschiede, auch die Struktur des unterklebten Leinens macht sich ein bißchen bemerkbar. Verteilt man die Bilder geschickt an der Wand, wie Herr Schmela dies tat, so ergibt sich ein lustiges Flächenspiel, fast ein Mondrian, aber dazu gehört schon ein halbes Dutzend echter Yves. Wenn man nur einen davon hat, was tut man dann damit? Vielleicht davor meditieren – über das Unendliche. Herr Yves lebte einige Jahre im Fernen Osten und mag wissen, wie man meditiert.

Er weiß am Ende noch einiges mehr; daß Kunst immer und immer eine schwere Sache ist und man gut tut, von Zeit zu Zeit wieder bei Punkt Null anzufangen und auch anderen Malern dies anzuraten. Aber was tut man sonst noch mit einem Bild von Yves? Etwa gar sich darüber ärgern und sagen, es sei eine Frechheit, eine Albernheit, uns das zu bieten? Nicht einer ärgerte sich an dem heiteren Abend. Man nahm das Ganze als Spaß, als Ausdruck guter Laune, als eine Art neues „Dada“, und Herr Schmela sonnte sich in seinem Erfolg.

Das Räumchen erwies sich freilich als beträchtlich zu klein, die Menge der Geladenen zu fassen. Doch die Nacht war milde, und so machte das ganze Sträßchen mit im fröhlichen Spiel, sogar die Tauben von St. Andreas gurrten hinein. Ratsherr Schracke entbot oberbürgermeisterliche Grüße, Hannelore Schubert sprach Einführungsworte. Man wechselte auch mal hinüber zu Fatty, und als man zurückkam, entsandten die Neonröhren des Galeriechens noch immer ihr weißes Licht. Zwei Altstädterinnen drückten in vorgerückter Stunde ihre Nasen am Schaufenster platt: „Kiek ens, Billa, nu sin se auch noch am Drinke!“

In: Rheinische Post, 4. Juni 1957.

Jean Dubuffet und die „Art Brut“

Zur Ausstellung in Schloß Morsbroich

Mit Wols, Pollock, Fautrier und noch einigen anderen zählt man den französischen Maler Jean Dubuffet zu den „Vätern“ der Kunst von heute. Man hat die von Amerika und Frankreich ausgegangene neue Richtung der Malerei als ‚Tachismus‘ (= Fleckenmalerei), als „l’art autre“ (= die ganz andere Kunst), als ‚Nukleare Malerei‘ zu umschreiben versucht. Ihre Anhänger rebellieren gegen den klassisch gewordenen Konstruktivismus und seine formalen Gesetze, schließlich gegen die Form überhaupt. Dafür proklamieren sie die schrankenlose Freiheit und das Recht der ungehemmten Selbstaussage. Die Malerei wird zum „Abenteuer“.

Dubuffet war bisher in Deutschland nahezu unbekannt. Obwohl er der „französischste“ dieser Maler ist, hatte er in Amerika seine ersten großen Erfolge, bis dann René Drouin, der Pariser Kunsthändler, ihn durch mehrere Ausstellungen auch in seiner Heimat bekannt machte. An den Namen Dubuffet heftet sich der Begriff der ‚Art Brut‘, eine Wortbildung, die aus dem Gegensatz zur ‚Art Culturel‘ entstanden ist: die brutale, urtümliche Materie gegenüber der verfeinerten Palettenkunst.  „Die Stimmen des Staubes, die Seele des Staubes, sie interessieren mich weit mehr als die Blume, der Baum oder das Pferd, denn ich empfinde sie als weit seltsamer … Und vor allem das Fehlen der endgültigen Form …“ schrieb Dubuffet einmal. Er entdeckt die Schönheit des ungebärdigen Materials. Aus Gips, Kalk, Zement, Lacken und Leim erfindet er neue Malmittel, die er, dem Maurer vergleichbar, auf die Malgründe aufträgt. Es entstehen gigantische Urlandschaften mit Buckeln, Höhlungen und Schründen, dann wieder struppige und vermooste Gestalten von Kobolden und Zwergen. Gesichter tauchen auf, die Gärten gleichen, und in den Landschaften geistern menschliche Wesen, entdeckt man Tiere und Dinge. Für Dubuffet ist jedes Stück Natur „ein Buch, in dem alles steht“. Dubuffet wäre jedoch nicht Franzose, wenn er nicht zugleich mit höchstem Raffinement vorginge und unter dem Deckmantel des »Brutalen« subtile Reize entfaltete, denen des Impressionismus nicht ganz fern. Die »ganz andere Kunst« ist bei ihm erneut figurativ, der ‚Tachismus‘ wird mit Geist erfüllt. Die durcheinanderstrudelnden Farbflecke sind stets Andeutungen für etwas Reales, sei es auch nur ein Stück Mauer, eine verschmierte Tischplatte oder „heroisches Blätterwerk“. In seiner Art, tiefernst und zugleich humorvoll zu sein, in der Präzision seiner Titel hat er manches Verwandte mit Klee, nur ist alles bei ihm sinnlicher, handfester, irdischer, die Formate sind größer.

Dubuffet, geboren 1901 in Le Havre, entschied sich erst mit 40 Jahren endgültig für die Malerei. Er hatte in der Jugend wohl vorübergehend Malstudien getrieben, sich dann aber der Musik und Literatur zugewandt. Lange Zeit war er aller Kunst überdrüssig, lebte in Südamerika und übernahm später in Paris eine Weinhandlung, die er erst 1947 wieder verkaufte. Er begann mit naiven, erzählenden Bildern, die bewußt kindlichen Zeichnungen nachgebildet waren, später folgten groteske Porträts, die allem Anschein nach unnachahmlich ähnlich sein müssen. Er nennt sich selbst einen »leidenschaftslosen Amateur« und kümmert sich nicht um Ausstellungen und Erfolg. Er lebt meist zurückgezogen in Vence, nur zeitweilig in Paris.

In: Rheinische Post, 4. September 1957.

Der Maler der „Zeitgenossen“

Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1958)

Wer Arthur Kaufmann zu seinem 70. Geburtstag am 7. Juli gratulieren möchte – und das werden nicht wenige sein – braucht seine Glückwünsche nicht der Luftpost anzuvertrauen. Denn, obwohl Kaufmann seit Jahren Bürger der USA ist, kam er, nun schon zum dritten Male nach 1945, wieder nach Deutschland, um diesen Tag mit den alten Freunden zu feiern. Das Geburtstagsgeschenk seiner Geburtsstadt Mülheim an der Ruhr ist eine Ausstellung im dortigen Museum, die dessen Leiter Werner Möhring zusammengestellt hat.

Arthur Kaufmann fühlt sich seiner Vaterstadt Mülheim, wo sein Vater Kaufmann, sein Großvater Musikdirektor war, herzlich verbunden, und die Mülheimer weisen gern darauf hin, wieviele heute hochgeachtete künstlerische Kräfte aus dem um die Jahrhundertwende noch recht kleinen Städtchen an der Ruhr hervorgegangen sind (außer Kaufmann noch die Maler Werner Gilles, Otto Pankok, H. B. Hundt, der Bildhauer Peretti, die heute alle zwischen 60 und 70 sind). Zur geistigen Heimat Kaufmanns aber wurde Düsseldorf, an dessen Kunstakademie er bereits mit 17 Jahren aufgenommen wurde. Der akademische Betrieb behagte ihm jedoch wenig, bald ließ er die Zeichensäle hinter sich und zog erst einmal hinaus in die Welt. Er lebte in England, wo er sich als »Schnellmaler« und Karikaturist seinen Unterhalt verdiente, später in Frankreich und Italien, er nahm teil am ersten Weltkrieg und ließ sich 1919 endgültig in Düsseldorf nieder.

Für Düsseldorf brach damals eine lebendige, zukunftsfrohe Zeit an, willkommen war jeder, der Jugend und Frische an die Stelle des routinierten Malbetriebs setzte und laut oder leise Revolution machte. Kaufmann war von Anfang an dabei, und als sich die fortschrittlichen Kräfte im „Jungen Rheinland“ zusammenschlossen, wählten sie ihn zu ihrem Vorsitzenden. Er ging aus und ein bei Mutter Ey und hat die Gefährten jener Jahre in seinem großen, dem Düsseldorfer Museum gehörenden Gemälde „Zeitgenossen“ festgehalten – ein Bild, das heute bereits dokumentarischen Wert hat. Seine organisatorische Begabung bewies er aufs neue, als er 1922 die große Kunstausstellung im Hause von Tietz mitinszenierte, die zum ersten Male moderne europäische Kunst nach Düsseldorf brachte. Er war auch im Schreiben wohlerfahren und Verfasser einer geistreichen satirischen Komödie „Knock out durch Tizian“, an deren erfolgreiche Aufführung im ‚Kleinen Haus‘ sich die alten Freunde wohl erinnern. 1933 mußte er Deutschland verlassen. Er ging erst nach Holland, 1936 nach New York. Ausstellungen seiner Werke fanden in vielen nord- und südamerikanischen Städten statt.

Ohne daß Arthur Kaufmann sich je »spezialisiert« hätte, war doch das Porträt stets eine eigenste Domäne. Dem Bilde der Düsseldorfer „Zeitgenossen“ sind noch zahlreiche Porträts seiner Weggefährten gefolgt. Während seiner ersten amerikanischen Jahre malte er insbesondere die Bildnisse vieler deutscher Emigranten, Schönberg, Einstein, Toller, Thomas Mann, von denen die meisten in der Mülheimer Ausstellung zu sehen sind. Er malte 1955 während seines Aufenthaltes in Palästina den greisen Martin Buber, vor wenigen Wochen auf Ischia den Jugendfreund Werner Gilles, dessen schönes früheres Porträt das Dortmunder Museum über die Zeiten gerettet hat. Mit sicherem Blick fürs Psychologische und festzupackender Technik wird er dem jeweils Dargestellten gerecht. Neben den Porträts malte er viele der Orte, an die ihn seine wechselvolle Lebensreise geführt hat, Orte in Brasilien, Israel, Italien. Und dazwischen immer wieder Stillleben mit Blumen und Früchten, strahlend und leuchtend.

Trotz manchen schweren Erlebens blieb Arthur Kaufmann im Wesen daseinsbejahend und heiter, frei von Resignation und Bitterkeit. Er hat in seltenem Maße die Gabe der Freundschaft und die Tugend der Treue. Dafür wollen wir ihm danken.

In: Rheinische Post, 5. Juli 1958.

Das Bild als Gleichnis

Zur Campendonk-Ausstellung in Krefelds Haus Lange

Heinrich Campendonk, geboren 1889 in Krefeld, war 22 Jahre alt, als er, durch Vermittlung seiner Freunde August und Helmuth Macke, in Bayern zu jener legendären Künstlergruppe stieß, die als ‚Blauer Reiter‘ in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Er war der Jüngste im Kreis, Kandinsky und Jawlensky waren mehr als 20 Jahre, Franz Marc und Klee etwa zehn Jahre älter als er. Doch man fühlte, daß in dem jungen Krefelder Kräfte und Ideen schlummerten, die den eigenen entsprachen. Aus Achtung wurde Freundschaft, und 1911 ließ sich Campendonk ganz im bayerischen Sindelsdorf nieder, Franz Marc unmittelbar benachbart. An allen Ausstellungen des ‚Blauen Reiter‘, die von München aus in andere deutsche Städte gingen, war Campendonk beteiligt.

Der ‚Blaue Reiter‘ war keine nach außen abgegrenzte Gemeinschaft, das Band, das die sehr verschiedenen Persönlichkeiten zusammenhielt, war geistiger Art. Man war sich einig in dem Bewußtsein, daß eine neue, mit allen Konventionen brechende Kunst heraufzuführen sei. Beziehungen bestanden zur Dresdner ‚Brücke‘, nach Rußland und Frankreich. Campendonk brachte, gemeinsam mit Macke, den rheinischen Klang in den Kreis, denn, so jung er war, hatte er doch schon die Sicherheit des Handwerks und die Kenntnis der Probleme. Auf der Krefelder Kunstgewerbeschule war Thorn-Prikker, der große Anreger, sein Lehrer gewesen, schon 1905 hatte er in Krefeld Werke von Cézanne sehen können und sich mit ihnen auseinandergesetzt. Nun, im Kreise des ‚Blauen Reiter‘, blüht alles in ihm auf. Er reduziert die Objektwelt auf wenige und wesentliche Züge, das Sichtbare wird Ausdruck tieferer Daseinsschichten. Der ‚Blaue Reiter‘ brach 1914 auseinander, Marc und Macke fielen. Der geistige Elan, der von ihm ausgegangen war, wirkte jedoch weiter. Campendonk hat in den Jahren, die der Blauen-Reiter-Phase folgten, seine schönsten Bilder gemalt.

Gereift und nun schon ein bekannter Maler, kehrt er 1922 nach Krefeld zurück. Er arbeitet für das Theater, aus der wiederaufgenommenen Beziehung zu Thorn-Prikker erwächst ihm die Freude an der Glasmalerei, die zeitweilig seine Kräfte stark beansprucht. 1926 wird er Thorn-Prikkers Nachfolger an der Düsseldorfer Kunstakademie. Freundschaft verbindet ihn mit Nauen, 1932 wird Paul Klee, der alte Gefährte, sein Türnachbar. Bis dann 1933 alles abbricht. Campendonk emigriert nach Belgien und wird später Lehrer an der Rijksakademie in Amsterdam. Nochmals entsteht ein reiches Œuvre, in gewandelter Form, wenn auch aus gleichem Geiste wie bisher. Und doch hat er den Schnitt, den die Emigration für ihn bedeutete, nie verwunden. Immer schon verschlossen, wird er nun vollends weltscheu. In seine neue Produktion gewährt er selten Einblick. Nach Kriegsende bahnen sich die Kontakte mit Deutschland langsam wieder an. Krefeld, Düsseldorf versuchen, ihn für ihre Kunstschulen zu gewinnen. Ausstellungen werden geplant. Alles schlägt fehl. 1957, nach längerem Leiden, stirbt er in Amsterdam.

Campendonk hatte gebeten, keine Gedächtnisausstellung für ihn zu veranstalten. Noch mochte in ihm brennen, daß siebenundachtzig seiner frühen Bilder in deutschen Museen als entartet beschlagnahmt und verschleudert waren, andere sich auf Schutthaufen herumgetrieben hatten. Nun, drei Jahre nach seinem Tode, hat die Stadt Krefeld ihr lange geplantes Vorhaben einer großen Campendonk-Ausstellung verwirklichen können.

Der Werdegang ist leicht erkennbar: in den frühen Bildern Nähe zu Franz Marc und Kandinsky, wobei der helle, heitere Grundton überrascht, der französische Kubismus spielt herein, später dann die Liebe zu Chagall. Unverkennbar der Schnitt zwischen den frühen und späten Bildern, das Spätwerk ist kühler, präziser, gleichwohl auf äußerste konzentriert, souverän in der Meisterung der Mittel, mitunter leicht dekorativ. Doch sind alle diese Trennungen unwichtig. Was uns anrührt, ist die Einheit der Persönlichkeit, die Stetigkeit der Handschrift, das Wissen um das eigne künstlerische Maß.

Campendonk ist nie ein ungegenständlicher Maler gewesen, immer bleibt er im Bereich des dinglich Wahrnehmbaren. Das ländliche Leben, Dorf und Hirtenidylle sind die herrschenden Themen, der Mensch ist Teil der Natur und fest in sie eingebunden. Oft sind die Dinge ganz nah und deutlich, etwa ein springendes Pferd, ein Akt unter Bäumen, ein junges Paar am Tisch; die Melkeimer klappern, die Lampe brennt. Aber wie im Traum Dinge greifbar scheinen und doch sich entfernen, entbehren auch die Campendonkschen Dinge der Realität. Sie glühen auf in Farben, die ihnen in der Natur nicht eigen sind, und durch die Art, wie der Maler seine Objekte einander zuordnet, werden sie zu Zeichen und Symbolen. Alle Campendonkschen Bilder sind Gleichnisse für bestimmte Daseinsformen und menschliche Bewußtseinslagen; in ihrem stillen, zuständlichen Sein führen sie uns, wie Marc einmal gesagt hat, „in Träumen hinter die Bühne der Welt“.

In: Rheinische Post, 30. Mai 1960.

Zur Akademie gepilgert

Düsseldorfer Einfluß auf die Malerei Amerikas

Seit Beginn dieses Jahres reist eine Ausstellung durch einige Museen der Vereinigten Staaten, die Kunde von der einstigen Düsseldorfer Kunstakademie nach Amerika bringt. Vereinbart wurde sie von dem Düsseldorfer Museumsleiter Dr. Wend von Kalnein und dem Direktor des High Museum of Art in Atlanta, Georgia, Gudmund Vigtel. Vigtel besuchte 1970 auf einer Reise durch deutsche Museen auch die Düsseldorfer Sammlungen. Sein Interesse galt hier besonders den Düsseldorfer Malern, die im 19. Jahrhundert junge amerikanische Kunstschüler ausgebildet hatten. Eine Gegenüberstellung von Arbeiten der Lehrenden und der Lernenden versprach vielseitige Aufschlüsse.

Wend von Kalnein erklärte sich bereit, eine größere Anzahl von Aquarellen und Zeichnungen Düsseldorfer Künstler als Leihgabe nach Amerika zu schicken; in Amerika wurde eine Auswahl von Blättern amerikanischer Künstler zusammengestellt, und zwar ausnahmslos von solchen, die in Düsseldorf studiert hatten. Große amerikanische Institute, u.a. das Metropolitan Museum New York, die Kongreßbücherei Washington, die Harvard-Universität, stellten Leihgaben zur Verfügung. Ein besonderer Kenner der amerikanischen Kunst des 19. Jahrhunderts, für die heute, ähnlich wie in Europa, ein ungewöhnliches Interesse besteht, Donelson F. Hoopes (Los Angeles), wurde zur Mitarbeit herangezogen; er schrieb den klaren und instruktiven Beitrag zum englisch abgefaßten Katalog: „The Düsseldorf Academy and the Americans“. Von deutscher Seite unterrichtet Wend von Kalnein über die Akademie.

Das „goldne Zeitalter“ der Düsseldorfer Akademie begann 1826 mit der Berufung Schadows zu ihrem Leiter. Bald gewann das Institut internationalen Ruhm; besonders aus Skandinavien strömten ihm die Schüler zu. Ihnen folgten die Amerikaner. In den vierziger Jahren setzten wahre „Pilgerfahrten“ junger amerikanischer Künstler nach Düsseldorf ein; man erwartete dort die Summe von allem, was die Amerikaner im Reich der Malerei damals für bewundernswert hielten.

Als erster wichtiger amerikanischer Künstler kam 1841 Emanuel Leutze nach Düsseldorf; er war von deutscher Herkunft, aber schon als Kind nach Amerika verpflanzt worden. 14 Jahre blieb er, mit einigen Unterbrechungen, in Düsseldorf, erst als Schüler Lessings, dann als selber Lehrender. Von Lessing übernahm er die Vorliebe für das große Historienbild und die Landschaft; für beides bringt die Ausstellung, wie dem reich bebilderten Katalog zu entnehmen ist, charakteristische Beispiele. Sie enthält auch eine erste Skizze für Leutzes berühmtes Bild „Washingtons Übergang über den Delaware“, das heute dem New Yorker Metropolitan Museum gehört.

Das Bild entstand noch in Düsseldorf. Leutzes Atelier, so wird berichtet, war eine große Halle, in der sechs Künstler bequem arbeiten konnten. Hier trafen sich vor allem die Amerikaner, die das Fortschreiten der Arbeit verfolgten und darüber nach Amerika berichteten. Leutzes Freund Johnson kopierte das Bild in verkleinertem Maßstab; nach dieser Kopie wurde ein Druck angefertigt, der in ganz Amerika Verbreitung fand.

Leutzes Bild ging in Amerika schon ein beachtliches Renommee voraus, ehe es 1851 dann selber eintraf. Leutze war sicher auch derjenige, durch den das Interesse für die Düsseldorfer Malerei in weite Kreise Amerikas drang. Im Jahre 1849 wurde in New York eine „Düsseldorf Gallery“ eröffnet. Die Bilder, besonders die von Hasenclever, wurden in der Presse enthusiastisch gefeiert; die neuen Sujets, die technische Perfektion wurden bewundert. Die Galerie galt als eine der besten Sammlungen, die je in den Staaten zu sehen waren. Sie bestand bis 1862. Als die Bewunderung für die Düsseldorfer Schule dahinschmolz, wurde der Rest schließlich versteigert.

Neben Lessing und Leutze beeinflußten vor allem Andreas Achenbach, Hasenclever, Sohn, Preyer die jungen Amerikaner. Manche persönliche Freundschaft wurde geknüpft, gemeinsam ging es mit dem Skizzenbuch hinaus in Düsseldorfs Umgebung. Der Maler Whittredge unternahm mit Lessing eine Reise in den Harz. Zwischen den Blättern der Amerikaner und denen der Deutschen gibt es einen erstaunlichen Gleichklang.

Früh wurde freilich bei den Amerikanern auch schon Kritik an der Düsseldorfer Kunst wach. Aus den Memoiren, die einige Amerikaner schrieben, und aus erhalten gebliebenen Briefen sind wir über alle diese Wandlungen genau informiert. Man fand die Düsseldorfer Bilder, besonders die der Historien- und Genremalerei, theatralisch, erstarrt, zu routiniert. Man vermißte, bei aller Detailtreue, die wirkliche Lebensnähe. So kam es, daß die Amerikaner seit den sechziger Jahren mehr und mehr ausblieben oder nur auf der Durchreise Düsseldorf berührten. In München bei Leibl und später in Paris bei Courbet und Manet fanden sie weit mehr das, was sie suchten.

Die Beziehungen zwischen Amerika und der Düsseldorfer Akademie blieben eine Episode. Für die amerikanischen Künstler, die in jungen Jahren in Düsseldorf gelebt und studiert hatten, bedeutete diese Zeit jedoch eine bleibende Verbindung zu den Traditionen der Alten Welt und ein Ausbrechen aus dem eignen Provinzialismus in internationale Weite.

In: Rheinische Post, 10. März 1973.

Der Sieger

Vor dreißig Jahren - Kriegsende im Erzgebirge

Vielleicht waren es die letzten Schüsse des Krieges überhaupt, die an jenem milden Maiabend 1945 über unsern „Ochsenkopf“ hinwegdröhnten und ihre rauchende Spur sinnlos nach Osten sandten. Von dort her kam die weiße Straße, sie durchschnitt die eben grünenden Felder, die unter so großer Bangigkeit bestellt worden waren. Oft waren wir diese Straße gegangen. Nun war sie menschenleer, in stummer Erwartung.

In den Lichtungen des „Ochsenkopf“ hatten wir im vergangenen Sommer wilde Himbeeren gepflückt und an feuchten Morgen unterm Moos Täublinge und Birkenpilze eingesammelt. Nun sahen wir von der jenseitigen Höhe des Erzgebirges hinüber zu dem vertrauten Berg, der mit den verderbenden Mächten im Bunde schien. Zwischen ihm und uns, in die Talgründe verstreut, lag das Dorf. In ihm nistete die Angst, und doch waren die abendlichen Geräusche die gleichen wie immer: das Zufallen der Stalltüren, das Anschlagen der Hunde, der dünne Schlag der Schulglocke. Auch hier kräuselte sich blasser Rauch in die Luft, vom Herdfeuer, aus den niedrigen Stuben, aus der Geborgenheit.

Hinter uns, scharf abgesetzt gegen den rötlichen Abendhimmel, stand die dunkle Wand der Wälder, die hinüber nach Böhmen reichen. Einsameres Land als dieses gibt es kaum in Deutschland. Mit der einbrechenden Dunkelheit tauchen hier und da, irgendwoher, entwaffnete deutsche Soldaten auf, meist zwei oder drei zusammen, weiße Stoffstreifen am Arm. Sie fragen nach Weg und Richtung und entschwinden lautlos. Mit aufsteigenden Sternen läßt das Brausen vom Berge drüben nach. Die weiße Straße, noch immer leer, leuchtet im Mondlicht.

Am Morgen, der in blauem Glanze anbricht, ist es geschehen. Aus den Häusern wehen die kleinen weißen und roten Fahnen. Auf der weißen Straße wälzt es sich heran. Der Sieger ist da.

Nach allem Furchtbaren, das geschehen ist, kann es kaum anders sein, als daß Auflösung und Übergabe unter allen Zeichen der Entfesselung vor sich gehen. Es kommen Tage ohne Maß. Wir sind dem Sieger preisgegeben, und er ergreift sein erobertes Recht mit kentaurischer Kraft und satanischer Lust. Wir laufen in die Wälder und verstecken uns auf den Heuböden. Wir verbergen die Trauringe im Schuh und die Uhren im Mehlsack. Mütter stecken ihre halbwüchsigen Töchter in Jungenkleidung. Doch der Sieger wittert bald den Betrug.

In den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch stand oft die Frage auf, ob man nicht hätte weggehen sollen, hinüber zu den Siegern der anderen Seite, wo es doch vielleicht Verständigungsmöglichkeiten gab. Und immer wieder die Antwort: der Krieg ist zu Ende, unsere Häuser sind in Asche. Wir waren mit unseren Kindern seit Jahren auf der Flucht, Flucht vor Bomben, Granaten, brennenden Städten, hatten hier eine bescheidene Heimstatt gefunden. Muß man nun auch noch vor Menschen fliehen?

Eines Tages, um die Mittagsstunde, fährt eine Reihe von Bauernwagen den Hang hinauf zu unserem einsamen Haus. Jeder Wagen ist mit zwei Pferden bespannt, auf jedem Gespann sitzen zwei oder drei Soldaten der Roten Armee. Von einem der letzten Wagen springt ein russischer Leutnant ab, klein und sehnig von Gestalt. Ihn begleitet ein Sergeant, groß und breitschultrig. Als Dritter ein Dolmetscher, der die Verhandlung führt. Innerlich darauf gefaßt, das Gutshaus nun verlassen zu müssen, erfahren wir voll Erstaunen, daß sie von uns nichts weiter verlangen als einen langen Tisch, Stühle und für jeden Soldaten Teller und Löffel. Wenig später dampft ein Kessel vor der Scheune. Am Abend dringen schwermütige Volkslieder durch unsere offenen Fenster. Der Sergeant, der zugleich der Koch ist, kommt mit dem halbvollen Kessel spät noch einmal ins Haus. „Für die Kinder“, sagt er auf deutsch.

Am nächsten Morgen holen die Soldaten alle verfügbaren Mähmaschinen aus dem Dorf zusammen, fahren über die weiten Koppeln herauf und herunter, das hohe Gras fällt zusammen. Für den nächsten Tag werden wir Frauen vom Leutnant zur Arbeit bestellt. In Reih und Glied mit den geübteren Frauen des Dorfes müssen wir das Heu schichten, während die Russen als Aufseher auf ungesattelten Pferden die Koppeln entlangjagen. So also ist es, besiegt zu sein. Dann nimmt uns die Arbeit in Anspruch. Nach ungeschicktem Anfang werden die langen Reihen Heu mit der Zeit gerader und besser. Der Himmel wird grau und drohend, wir sind zum Umfallen müde. Aber das Gewitter wird kommen, und unser Heu darf nicht naß werden. Die ersten Tropfen fallen. Wir schaufeln wie besessen und bringen die Arbeit noch eben zu Ende. Beim Heimgang gestehen wir uns, daß wir fröhlich sind. Am Abend holt uns der Leutnant an den langen Tisch in die Scheune.

So wächst langsam eine Verbundenheit heran, die schließlich das ganze Dorf erfaßt. Leutnant Michail ist der Träger dieser sich bildenden Ordnung. Wir erfuhren nie, wie weit sein militärischer Auftrag ging, vermutlich wußte er selbst es nicht genau. Ohne jede Pose, nur dem eignen Gewissen verpflichtet, ging er ans Werk. Auf seinen kurzen festen Reiterbeinen steht er zwischen seinen riesigen Soldaten: dem gutmütigen Iwan, der Koch und Sergeant in einer Person ist, dem schwarzen Fjodor, dem dunkelhäutigen Karimo mit den blinkenden Zähnen, dem blonden Stanislaw aus der Ukraine, der in der Gefangenschaft ein paar Brocken deutsch gelernt hat.

Einfache Menschlichkeit

Leutnant Michail kennt seine Leute Zug um Zug, spart nicht mit Drohung und Strafen. Im Zivilberuf war er, wie wir allmählich erfahren, Lehrer, doch er sprach nur russisch. Seine Mutter sei noch des Schreibens unkundig gewesen. Wo die Sprache als Verständigungsmittel entfällt, gewinnt die Gestalt reine Sichtbarkeit. Leutnant Michail besaß die tiefe und einfache Menschlichkeit, die das russische Volk durch alle Wandlungen nie ganz verloren hat. In ihm lebte Aljoscha Karamasoff, unser aller Bruder.

Der Sommer ist auf der Höhe, die Arbeit auf den Koppeln beendet. Viel gab es inzwischen zu schlichten, denn auch im engsten Kreis geht es um Schicksal. Da sind Leute im Dorf, die von jeher einen kleinen Anteil an den Wiesen haben und sich ihre zwei oder drei Heufuhren alljährlich nach Hause fahren dürfen ?. Nach und nach kommen sie zum Leutnant, der nun der Kommandant für den ganzen Bezirk geworden ist. „Ist der Mann arm?“ fragt er als erstes. „Sehr arm“, lautet die Antwort. Dann soll er viel haben. Noch öfter fragt er: „Ist der Mann gut?“ und erhält meist nur zögernde Antwort.

Schlimm erging es dem rothaarigen Lorenz aus der verwahrlosten Hütte im Oberdorf. Der fing an, sich an entlegener Stelle heimlich sein Heu zu beschaffen. Der Leutnant erfuhr es, bis hinüber ins Haus hörte man sein Fluchen. „Du bist ein Dieb, ich könnte dich erschießen!“ Er packte den Rothaarigen am Kragen und sperrte ihn einen Tag lang im Keller ein. Dann ließ er ihn laufen, wortlos und traurig.

Die Soldaten aus dem fremden Land sind stark und gesund. Mit ihnen gemeinsam auf den Feldern und in den Scheunen arbeiten die Mädchen. Als der Krieg begann, waren sie zwölf und dreizehn, nun sind sie achtzehn und neunzehn. Auch sie sind jung und voll Kraft. Die Abende sind lang und hell, die Stuben liegen eben zur Erde, nirgends um die Häuser ist ein Zaun. Es flüstert und lacht durch die Sommernächte. Der Leutnant sieht dies alles, aber wo es nicht um Bedrohung und Unrecht geht, da ist es nicht seine Sache.

Da ist Magdalene, noch ein halbes Kind. Wie sehr wünscht sie sich, daß der Leutnant sie bemerkt, daß er sieht, wie sich beim Aufladen der schweren Fuder ihr Kleid spannt über der Brust. Ein Briefchen liegt herum. „An Leutnant Michail Simjonowitsch“ steht mit kindlichen Buchstaben auf dem Umschlag. Als der Leutnant ihn öffnet, fallen ein paar Rosenblätter heraus. So geht es ein paar Tage. Magdalene wird immer verwirrter, steckt sich rote Blüten hinter ihr kleines Ohr. Eines Abends kommt Magdalenes Mutter, eine stille Frau, der Mann gefallen. Sie steht lange beim Leutnant, der Dolmetscher wird diesmal nicht herbeigerufen, denn was die zwei sich zu sagen haben, findet auch so seinen Weg vom einen zum anderen. Magdalene arbeitet weiter in der Scheune. Der Leutnant macht vor allen Mädchen Spaß mit ihr. Er springt durchs hohe Scheunentor auf die Erde, als ihr die Heugabel heruntergefallen ist. Nichts weiter. Und die spitzen Worte, die die Mädchen schon bereit hatten, verstummen.

Der Kapitän ist im Auto gekommen, um den Leutnant abzuholen. Eine Dolmetscherin bringt er mit. Das Kommando des Leutnants ist beendet. Die Kinder bewundern die Uniform des großen Kapitäns mit den vier Sowjetsternen auf der Schulter und den Medaillen auf der Brust, aber sie bleiben scheu. Im Dorf spricht es sich herum: Der Leutnant geht fort, und alle fühlen, daß etwas fehlen wird.

Der Kapitän hat ein Zimmer im Gutshaus belegt. Am Abend wird hier der Tisch gedeckt, wir Frauen werden zum Essen geladen. Iwan schmort in der Küche und tut, als kenne er uns nicht. Um zehn wird endlich aufgetragen, Fisch und Fleisch, Wodka und Wein. Das weiße Bett des Kapitäns ist für die Nacht schon vorbereitet. Die Luft ist stickig vom Rauch der Zigaretten.

Der Kapitän fragt, ob eine von uns etwas auf dem Klavier spielen könne, einen Tanz oder ein Lied. Maria spielt einen Walzer von Chopin. Der Kapitän geht unruhig auf und ab durchs Zimmer. Er legt den Uniformrock ab und lehnt sich im weißen Hemd tief in den Sessel zurück. Aus flackernden Augen sieht er uns der Reihe nach an. Das Gespräch ist mühsam, uns ist sehr bang. Wir fragen den Kapitän durch die Dolmetscherin, wo er zu Hause sei. In Kriwoj Rog, wo die schweren Kämpfe waren. Wir sprechen nicht gern vom Krieg und fragen nach etwas anderem. Aber der Kapitän spricht weiter von Kriwoj Rog. Die Sätze werden bedrohlicher, zögernd übersetzt die Dolmetscherin. Seine Frau floh mit dem Kind, er weiß nicht, wo sie sind. Seine Mutter und seine Schwester wurden von den Deutschen auf grausame Art umgebracht. Da wächst es riesengroß auf: das Gespenst der Schuld, des Hasses und der Vergeltung. Ein Block schiebt sich heran und versperrt jeden Weg der Verständigung. „Wir wußten es nicht“, sagt Marie leise.

Der Leutnant ist blaß geworden. Sein schönes Gesicht hat den schmerzlichen Zug, den wir an ihm kennen. Aber es geht eine seltsame Kraft von ihm aus. Mit einem Male wissen wir, daß er uns schützen wird. Der Kapitän, der viel getrunken hat, ist eingeschlafen. Der Leutnant murmelt ein paar russische Worte. Wir sehen die Dolmetscherin an. „Gott wird richten“, hat er gesagt. (Geschrieben 1945).

Anna Klapheck in: Rheinische Post. Geist und Leben, 10. Mai 1975.

Die Objekte sprechen lassen

Düsseldorfs „Stadtgeschichtliches Museum“ in neuer Gestalt

Das nach mehrjähriger Bauzeit nun in nahezu vollständiger Gestalt neueröffnete „Stadtgeschichtliche Museum“ ist zum ebenbürtigen Partner der übrigen Düsseldorfer Kulturinstitute geworden. Doch hat es eine unbestrittene Sonderstellung. Obwohl es voll ist von Kunst und vom Bau her selbst beinahe ein Kunstdenkmal, will es doch kein „Kunstmuseum“ sein. Und noch weniger ein bloßer Stapelplatz historischer Objekte. Die Kunst soll der Historie dienen, sie farbig und lebendig machen, getreu dem Wort von Jacob Burckhardt: „Jede Zeit schreibt ihre Geschichte in den Kunstwerken, die sie schafft.“

Das Museum blickt auf eine mehr als 100jährige Geschichte zurück. Auf Betreiben der Bürgerschaft wurde es 1874 als „Historisches Museum“ gegründet, großzügige Schenkungen bildeten den Grundstock. So wie es den Namen wechselte, hat es auch sein Domizil häufig wechseln müssen. Die vorausgegangene Unterbringung im Schloß Jägerhof war wohl reizvoll, für die Darstellung historischer Zusammenhänge aber denkbar ungeeignet. Da bot sich der Stadt in den sechziger Jahren die Gelegenheit, den großen, wenn auch stark kriegsgeschädigten Komplex des einstigen Palais der Grafen Spee zu erwerben, der denn auch gleich zur Aufnahme des Museums bestimmt wurde. In mühevoller Arbeit wurde zunächst der um einen Innenhof gelagerte Ostflügel museumsgerecht hergerichtet und 1975 der Öffentlichkeit übergeben. Mit dem völlig neuerbauten Westflügel bietet der gesamte Bau nun ein einheitliches Bild.

Die Darstellung reicht von den Bodenfunden der Vor- und Frühgeschichte bis annähernd zum Jahre 1914. Nach Möglichkeit soll in einem späteren Erweiterungsbau die letzte Phase der Stadtgeschichte veranschaulicht werden. Immer war man bemüht, die Objekte selbst sprechen zu lassen, Schwerpunkte zu setzen, Öffentliches und Privates nebeneinanderzustellen. Vordringlich blieb immer der Gedanke, daß wir uns in einem Privathaus befinden und ein Stück Privatheit in den historischen Ablauf hineinzunehmen ist. Alten Tapetenresten war man auf der Spur, kostbare Möbel wurden erworben, so der Oeder-Schrank und die Salonmöbel aus dem Palais Schaumburg, beides aus der Zeit des Jugendstils. Aber auch aus unbeachtetem Trödel kam manches wirkungsvolle Stück ans Licht.

Wichtig schien es auch, in den Sammlungen die Stadtgeschichte mit der Landesgeschichte zu verbinden. Düsseldorf war die meiste Zeit Sitz der Regierung, eine verzweigte Dynastengeschichte spielt in die Stadtgeschichte hinein. An das bürgerliche Düsseldorf, an die Zeit Jan Wellems, seiner Vorgänger und Nachfolger erinnern die Räume des Ostflügels. Auch hier konnte Neues eingefügt werden. So erstrahlen die nach dem Kriege gefundenen drei Sandsteinfiguren der „Jahreszeiten“ (die vierte fehlt) in neuem Glanz und erinnern an den reichen Skulpturenschmuck der einstigen höfischen Gärten, von dem so vieles durch unglückliche Verkettung später abtransportiert worden ist.

Der neuerbaute Westflügel läßt die Geschichte des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts aufleben. Hier klingen Namen und Ereignisse an, die uns noch voll gegenwärtig sind: die von den Bürgern so ungern akzeptierte preußische Verwaltung, die Freiheitsbewegung von 1848 mit dem Namen Freiligrath und Lassalle und die im gleichen Jahr erfolgte Gründung des „Malkastens“. An Heine wird erinnert, wir stoßen auf den Flügel, auf dem Schumann, bereits krank, zuletzt noch gespielt hat.

Wir erleben den Aufstieg Düsseldorfs zur Großstadt und werden immer wieder auf die für die Stadt so charakteristische Verbindung von Kunst und Industrie hingewiesen. Aus zahlreichen Porträts sehen sie uns an: die Wirtschaftsführer und Firmengründer, die Künstler, die der Stadt das Gepräge gaben und zum Ruhm der großen Ausstellungen beitrugen. Noch war es eine intakte Welt, in der sich das Leben abspielte – eine liebenswürdige Sammlung alter Plakate vergegenwärtigt uns, was den Menschen damals wichtig war: Sängerwettstreit, Schützenfeste, Verlosung im Malkasten, aber auch bereits die berühmten Niederrheinischen Musikfeste und die Kunstausstellungen.

Im Erdgeschoß des Neubaus fanden die Denkmäler der Vor- und Frühgeschichte eine neue Unterkunft, eine karolingische Flügellanze gehört zu den seltenen Stücken. Im übrigen gibt es hier einen großen Raum für Sonderveranstaltungen: Zum Auftakt wird das aktuelle Thema „Menschen und Ereignisse der 20er Jahre“ demonstriert. Literatur, bildende Kunst und Musik drängten damals nach neuen Ausdrucksformen und legten den Grund zu unserem modernen Weltbild. Daß die bildende Kunst in der alten Akademiestadt den Vorrang hatte, liegt auf der Hand, und so nehmen die Bilder und Skulpturen aus dem Kreis des „Jungen Rheinland“ und der Künstlergruppe um die resolute Künstlermutter Johanna Ey einen besonders breiten Raum ein. Doch auch die Gesoleibauten, Haus Eulenberg, das Theater der Dumont-Lindemann sind in das großangelegte Spektrum einbezogen. Bis zur Neuorganisation der Kunstakademie unter Kaesbach und zur Berufung von Paul Klee nach Düsseldorf reicht der Bericht.

Bei aller Lebendigkeit der Darstellung will das Museum doch auch eine Studiensammlung sein. In Schubladenvitrinen ist vieles aufbewahrt, was nicht dauernd gezeigt werden kann. Eine Kostbarkeit besonderer Art sind die kolorierten Illustrationen des Graminaeus zur „Jülich’schen Hochzeit 1585“, ein fortlaufender Bildbericht, der nur dadurch zu geben war, daß das seltene Exemplar des Buches zum Zweck der Restaurierung vorübergehend auseinandergenommen wurde.

Gedankt werden muß am Schluß all denen, die in mühevoller Arbeit diesen Museumsbau zum glücklichen Abschluß brachten: an erster Stelle der Leiterin Frau Dr. Meta Patas und ihrer Mitarbeiterin Dr. Irene Markowitz, aber auch den vielen anderen Helfern, die mit persönlichem Einsatz zum Gelingen beigetragen haben.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Wissenschaft und Bildung, 18. Januar 1978

Schrittmacher der Romantik

Vor-Wort zur Schau „Düsseldorfer Malerschule“

„Die Geschichte hat also . . . den Propheten unrecht gegeben, die den Düsseldorfern als den Bringern des Vollendeten huldigten. Denn kein Hahn kräht mehr nach ihren Werken“. Dies schrieb der bedeutende Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt in seiner 1899 erschienenen, mehrmals neu aufgelegten Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts.

Lange Zeit schien es, als solle Gurlitt recht behalten. Die einst so bewunderten Geschichtsbilder, nun zu historischen „Schinken“ degradiert, die gemütvollen biblischen Szenen und das hochgerühmte „Genre“ verschwanden aus der Öffentlichkeit, die Preise sanken, und in den Museen wanderte das meiste in die Depots. Einzig die Porträts und die Landschaften behielten eine gewisse Gültigkeit, doch ist in ihnen das „Düsseldorfische“ nicht so rein ausgeprägt.

Nur „zeittümlich“?

Gurlitt hatte dem Akademiedirektor Wilhelm Schadow, dem Haupt und Gründer der Schule, dem Nachfolger von Peter Cornelius, immerhin noch eingeräumt, er sei eine „zeittümliche“ Erscheinung und bleibe als solcher „bemerkenswert“. In den späteren Darstellungen des 19. Jahrhunderts (Hildebrandt, Hamann, Beenken, Hofmann) ist das Kapitel „Düsseldorfer Schule“ nahezu gestrichen. Die lokale Forschung befaßte sich wohl mit einzelnen Künstlern, doch seit Schaarschmidts Werk „Zur Geschichte der Düsseldorfer Kunst“ von 1902 hat man 60 Jahre lang nichts Zusammenfassendes über das Thema geschrieben. Zu erwähnen ist einzig der kluge Walter Cohen (er fiel dem Hitlerregime zum Opfer), der in seinem schmalen Bändchen „Hundert Jahre rheinischer Malerei“ (1924) die in ihrer Einseitigkeit ungerechte Verurteilung der Düsseldorfer Malerschule nachdrücklich mißbilligt.

So war von dem ganzen Glanz der Schule, die ein halbes Jahrhundert lang kosmopolitische Ausweitung hatte, eigentlich nur eines übrig geblieben: die bis heute dem Stadtnamen so gern angeheftete Bezeichnung „Kunststadt“. Was ist eigentlich eine Kunststadt? Niemand hat je von einer Kunststadt Rom oder Paris gesprochen. Der Begriff „Kunststadt“ ist erwachsen aus dem bürgerlichen Bildungsbewußtsein des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, als Kunst nahezu gleichbedeutend war mit Tafelmalerei, Kunstschule und Bilderausstellungen. Gewiß hätte es ohne Jan Wellem und seine Galerie keine Kunstakademie gegeben. Aber das mit Kunstwerken vollgestopfte alte Herzogschloß am Rhein öffnete erst 50 Jahre nach Jan Wellems Tod seine Pforten für den allgemeinen Besuch. Künstler, Gelehrte fanden sich ein. Zur „Kunststadt“ wurde Düsseldorf erst durch seine Malerakademie des 19. Jahrhunderts, deren Werke nun auch das Bürgertum erreichten.

Den Beteiligten an dieser Entwicklung mag freilich kein Zweifel am historischen Rang ihrer Epoche gekommen sein. Schadow verkündete, daß seit Raffael und Michelangelo nichts Besseres gemacht worden sei als der „Jeremias“ seines jungen Freundes Bendemann. Und lief denn nicht alles aufs beste? Aus allen Ländern strömten die Kunsteleven nach Düsseldorf. Die Kunstgeschichte hat uns zwar gelehrt, daß das Publikum im Vergleich zum Künstler „eine Uhr ist, die nachgeht“ – in Düsseldorf trat der seltene Fall ein, daß sich Publikum und Künstlerschaft in voller Übereinstimmung miteinander fanden. In der unter Schadows mächtigem Regime herausgebildeten Kunst fand der Bürger die eigene Auffassung von „Schönheit“ und die eignen Moralbegriffe bestätigt.

Kleinere Meister

Bald war es der Ehrgeiz eines jeden Bürgers, die Wände seines Hauses mit den vaterstädtischen Bildern in den breiten Goldrahmen zu schmücken. Und wenn es zu den Werken der Berühmten nicht reichte, so gab es genug kleinere Meister, deren Gemälde auch bei schmalerem Geldbeutel erschwinglich waren. Zufrieden waren auch die Rahmenmacher, (1854 Gründung Conzen), die in der Kunst des Vergoldens Meisterschaft erreichten. Zufrieden war der mit Macht einsetzende Kunsthandel (ab 1850 die „Permanente Kunstausstellung“ bei Schulte, 1867 Gründung Paffrath). Der 1829 gegründete „Kunstverein“ wurde zum Zentrum aller an Kunst interessierter Kreise. Zufrieden waren die Besitzer der Altstadtkneipen, in denen sich das international zusammengesetzte „Künstlervölkchen“ tummelte.

Die riesige Nachfrage ließ schließlich auch die Künstler zum Wohlstand kommen. Rund um den Hofgarten entstanden ganze Straßenzüge von Malerhäusern, kenntlich an den großen Atelierfenstern nach Norden, in denen von der Kunst des Hausherrn relativ sorglos gelebt werden konnte. Ich habe die letzten dieser Häuser noch gekannt: die mit Bildern übersäten Wände der hohen Zimmer, die angegrauten Stuckdecken, die mit Teppichen belegten Ateliers mit ihrem Geruch nach Terpentin und nach Mottenpulver, das in die schweren Kostümkisten gestreut war. Der Hausherr in der Samtjacke, liebenswürdig, gebildet, oftmals Sammler alter Möbel und alten Geräts, mit zunehmenden Jahren immer verwunderter über die Wandlung der Zeit. Der Zweite Weltkrieg hat nichts davon übrig gelassen.

Nicht aus dem Publikum, sondern von den Künstlern selbst kam die erste Kritik. Ihnen blieb das Mißverhältnis zwischen Ruhm und Leistung auf die Dauer nicht verborgen. Rethel schied aus der Akademie aus, weil er mit Schadows starrer Lehre nicht übereinstimmte. Skeptisch beurteilte der Dichter Immermann die Allmacht Schadows und schrieb in seinem Buch „Düsseldorfer Anfänge“ (1840), daß man sich krümmen und wenden müsse, „um das öffentliche Geheimnis nicht laut werden zu lassen: daß Schadow kein Genie sei“. Angesichts der Fresken der Apollinariskirche in Remagen bemerkt er respektlos: „Tragen denn diese zärtelnden Engel . . . die Bürgschaft langen Lebens in sich?“

Auch die politischen Ereignisse brachten vorübergehend Unruhe in das friedliche Eiland. Daß der „Malkasten“ ein echtes 48er-Kind ist, hervorgegangen aus dem Hochgefühl des „tollen“ Jahres, wird oft vergessen. Die freie Künstlerschaft, die sich hier zusammengefunden hatte, stand anfangs in offener Opposition zu Schadow und seiner Akademie. Später ließ sich Schadow dann doch als Mitglied aufnehmen, und der Freundschaftsbund zwischen Akademie und freier Künstlerschaft war besiegelt.

Dennoch mußte eines Tages der Abstieg kommen. Die Übergabe der Akademieleitung von Schadow an Bendemann (1859) änderte zunächst freilich wenig. Nur erhielt die Landschaftsmalerei, die unter Schadow noch zu den „minderen“ Künsten zählte, unter Schirmer und seinen Schülern erhöhte Bedeutung. Das Vordringen des Naturalismus und in der Folge auch des Impressionismus war unaufhaltsam. Man war müde geworden einer Kunst, die nur auf „Inhalt“ und den hohen „Gedanken“ zielte, die der historischen und literarischen Bildung bedurfte, um ein Bild verstehen zu können, (etwa Sohns „Tasso und die beiden Leonoren“, Hildebrandts „Ermordung der Söhne Eduards IV.“). „Die Kunst flieht, wenn ihr eure Taten mit dem historischen Zeltdach überspannt“, schrieb Nietzsche in seinen „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ (1873). Das Auge verlangte endlich sein Recht.

Es hat merkwürdig lange gedauert, bis man sich in Düsseldorf von den überkommenen Vorstellungen löste. Sittenbild, Historienmalerei, und die nazarenische Richtung behaupteten sich bis ins neue Jahrhundert. Erst in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg fand Düsseldorf Anschluß an die europäischen Kunstströmungen.

Düsseldorf war mit die erste Stadt, die nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges in leidlich verschonter Umgebung sein Museum wieder eröffnen konnte. Bereits 1948 zeigte der damalige Museumsdirektor Dr. Doede eine Ausstellung „Hundert Jahre Düsseldorfer Malerei“, bei der die aus ihren Bergungsorten zurückgeholten, um Leihgaben vermehrten Werke der eigentlichen „Düsseldorfer Schule“ dominierten. Doch damals lagen uns ganz andere Dinge am Herzen. Mit Pathos und „Inhalt“ waren wir zwölf Jahre lang abgespeist worden, nun wollten wir endlich wissen, was sich in der Welt draußen inzwischen ereignet hatte. Die Bilder in den breiten Goldrahmen erschienen uns wie eine liebenswerte, letztlich jedoch belanglose Erinnerung.

Doch die Geschichte korrigiert sich immer aufs neue. Das 19. Jahrhundert wurde „aufgewertet“, der historische Abstand führte zu neuen Maßstäben. Künstler, die jahrelang ein herabsetzendes, bis ans Lächerliche reichendes Etikett mit sich herumzutragen hatten, zeigten sich in Ausstellungen plötzlich in verändertem Licht: Böcklin, Makart, die Nazarener. So gewann auch die „Düsseldorfer Malerschule“ unerwartete Aktualität, und die Preise stiegen sprunghaft.

DDR-Darstellung

Das Düsseldorfer Museum legte 1969 die von Irene Markowitz sorgfältig bearbeitete Bestandsaufnahme des eigenen Bilderbesitzes vor. Eine erste zusammenfassende Darstellung des lange beiseite geschobenen Themas kam merkwürdigerweise – aber so merkwürdig ist es auch wieder nicht – aus dem anderen Teil Deutschlands: Wolfgang Hütts „Die Düsseldorfer Malerschule“ (Leipzig 1964). Der Zusammenhang zwischen der Düsseldorfer Malerei und der „Gesellschaft“, von der sie getragen war, ist sicher eng, und der Verfasser versäumt es denn auch nicht, „den geschichtlichen Prozeß von der Warte des historischen Materialismus aus“ darzustellen und den „gesellschaftskritischen Tendenzen“ der Düsseldorfer Kunst, die zeitweilig zweifellos auch vorhanden waren, nachzuspüren. Trotz mancher Einseitigkeit ist das Buch nicht ohne Interesse.

Und nun erwartet uns die große Inszenierung der „Düsseldorfer Malerschule“ im Düsseldorfer Kunstmuseum. Sie ist die Abschiedsgabe des scheidenden Museumsdirektors Wend von Kalnein, der sich seit Jahren mit dem Thema befaßt hat und besonders den internationalen Verknüpfungen der Schule nachgegangen ist. Wir schulden ihm aufrichtig Dank für die geleistete Arbeit.

Diese Zeilen wurden geschrieben, ehe die Ausstellung zu besichtigen war und auch ohne Kenntnis des angekündigten Katalogs, der sicher für lange Zeit ein gültiges Kompendium der Düsseldorfer Malerei sein wird. Was uns diese Kunst heute noch zu sagen hat, darüber müssen nun die Bilder selbst Auskunft geben.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post.12. Mai 1979

Tempel der Wahrheit und der Schönheit

Vor 100 Jahren wurde die neue Kunstakademie eingeweiht

Kriege und Katastrophen, so will es die Geschichte, zerstören nicht nur, sie bewirken auch Neues. Die Düsseldorfer Kunstakademie hat dies mehrmals erfahren. Im Oktober 1794 vernichtete ein auf Düsseldorf gerichtetes Bombardement der Franzosen große Teile des alten Herzogschlosses am Rhein. Es wurde wieder aufgebaut, und als Peter Cornelius durch königliches Dekret 1821 die Leitung und Reorganisation der Schule übernahm, wurde ihr das Schloß als Domizil zugewiesen. Der Ruhm der „Düsseldorfer Malerschule“ ist mit diesem Gebäude verbunden.

Knapp 80 Jahre später, 1872, zerstörte ein verheerender Brand drei Flügel des Schlosses (nur das Galeriegebäude, in dem die Reste der nach München transportierten Sammlung aufbewahrt wurden, blieb verschont), mit den Bildern auch die Sammlung der Zeichnungen und Kupferstiche, der Ramboux’schen Kopien alter Meister, der Gipse und die Bibliothek. Der Maler Andreas Müller, Verwalter der Sammlungen, habe, so wird berichtet, den Inhalt des eignen Ateliers geopfert, um die Sammlung zu retten. Viele Ateliers brannten völlig aus.

Abermals richteten sich die Gedanken zunächst auf einen Wiederaufbau, doch bald wurde, vor allem innerhalb des Kollegiums, der Wunsch nach einem neuen Gebäude an anderer Stelle immer dringlicher. Nach langem Zögern, das besonders die Kosten betraf, gab das Ministerium schließlich seine Zustimmung. Als Gelände wurde schon bald das schmale Grundstück an der Südseite des sogenannten „Sicherheitshafens“ bestimmt, das den für die Künstler von damals außerordentlichen Vorteil einer langen, unverbaubaren Nordfront bot. Zum Architekten wählte man den jungen Hermann Riffart aus Köln. Mit dem Bau wurde 1875 begonnen, am 20. Oktober 1879, vor 100 Jahren also, wurde das Haus festlich eingeweiht. (Baukosten: 1 315 000 Mark).

Das Gebäude, mit einer Front von 158 Meter Länge, trägt die Merkmale seiner Entstehungszeit. Als „historisierendes“ Baudenkmal wurde es von der späteren Generation mißachtet und übersehen, der „Dehio“ erwähnt es nicht. Heute empfinden wir den Bau als einen wichtigen Akzent im Stadtbild und als ein Monument, das Repräsentanz mit nobler Zurückhaltung und die Würde eines Palastes mit einem „Zweckbau“ im Schinkelschen Sinne verbindet. Eva Brües ist der Baugeschichte nachgegangen (in der Schrift zum 200jährigen Bestehen der Akademie).

Es gehört Mut dazu, auf schmalem Grundriß eine Gebäude nur auf eine lange, von West nach Ost reichende Schauseite hin zu komponieren. Drei Risalite, Erinnerung an den barocken Schloßbau, springen unauffällig vor, ohne den Ateliers das Licht zu entziehen. Ein reiches, im einzelnen der italienischen Renaissance nachgebildetes Schmucksystem mit Säulen, Pilastern, Nischen und Bögen belebt den Baukern und nimmt ihm doch nichts von seiner Ruhe. Mut bedeutet es auch, einen „Palast“ dieser Art mit keinem wirkungsvollen Haupteingang in der Mitte zu versehen (die räumliche Situation ließ dies nicht zu) – der Eingang liegt vielmehr unauffällig an der östlichen Schmalseite.

Zwischen Erdgeschoß und 1. Stockwerk läuft ein Fries entlang, dem 62 Künstlernamen eingemeißelt sind. Um die Rangfolge der Künstler und ihre Platzierung gab es heftige Dispute, einig war man sich darin, die Namen Rafael, Michelangelo, Leonardo, die „Krone der Malerei“, am Mittelrisalit anzubringen. Die Lebenden bleiben ausgeschlossen, doch findet man die Namen Cornelius und Schadow und sogar Winckelmann und Schinkel.

Die Anordnung im Inneren ist vom praktischen Gebrauch bestimmt und blieb bis heute annähernd beibehalten. Gleichmäßig reihen sich die Ateliers aneinander, größere für die Monumentalmalerei, kleinere für die Tafelmalerei. Lehrer- und Schülerateliers waren nach Möglichkeit benachbart, damit die Lernenden an der Arbeit des Lehrers teilnehmen konnten. Die Aula wurde nach langem Hin und Her in den 2. Stock verlegt, wo anfangs die Reste der kurfürstlichen Sammlung öffentlich zu besichtigen waren. Später brachte man sie ins Erdgeschoß, und die Aula erhielt ihre eigne „harmonische Ausschmückung“ mit Kaminen, Deckenbildern und einem Fries des Akademiedirektors Peter Janssen. Der letzte Krieg hat alles, was davon übrig war, zerstört.

Acht Jahre nach Fertigstellung des Gebäudes wurde der Hafen zugeschüttet und auf dem neugewonnenen Gelände in Art eines Gewächshauses ein „Freilichtatelier“ errichtet, in das auch lebende Tiere Einlaß fanden. Unter schützendem Dach erfreute man sich des „Pleinair“.

Über die Einweihungsfeier des neuen Gebäudes haben wir einen ausführlichen Bericht von Karl Woermann, dem Vertreter der Kunstwissenschaft, der auch die Festrede hielt. Seltsam sind bei diesem „Festact“ Wilhelminisches Pathos und nachdenklichere Töne vermischt. Zu Beginn ein Dank an den Kaiser, den „Großherzigsten, Allergnädigsten Beschützer alles Guten und Schönen“, die Büsten des Herrscherpaares waren zu seiten der Rubensschen „Himmelfahrt Mariä“ postiert. Vaterländische Gesinnung sprach auch aus den Reden der Exzellenzen.

Woermann hingegen beschwor die Freiheit der Kunst und wandte sich gegen „die verknöcherten Methoden“ vergangener Zeiten. Er gedachte der „genialen Neuerer“, die sich durch das Studium der Natur dem Regelzwang entzogen. Das neue Haus, so schloß er, sei „ein heiliger Tempel der Wahrheit und der Schönheit“. – Mit einem Festessen in der Tonhalle klang die Feier aus, und unser Chronist versäumt es auch nicht, das Festmenü zu nennen: außer Suppe und Dessert bestand es aus fünf Gängen, darunter Krammetsvögel mit Sauerkraut, Rheinsalm, Rehfilet und Brüsseler Poularden.

Der Neubau war eingerichtet für 22 Lehrer und maximal 220 Schüler, heute sind es rund 50 vollbeschäftigte Lehrer und zur Zeit 580 Schüler. Seit dem bescheidenen Wiederbeginn 1946 im halbzerstörten Gebäude sind eine große Anzahl neuer Disziplinen zu den alten hinzugekommen: Bühnenkunst, Photographie, Film, dazu wissenschaftliche Fächer im Rahmen der Kunsterziehung. So erweist sich das alte Haus zunehmend als zu klein. Ein teilweiser Ausbau des Dachgeschoßes und das kleine Atelierhaus westlich des Gebäudes (nach Plänen von R. Schwarz) reichen nicht aus. Andere Erweiterungspläne blieben in der Schublade.

Seit 1958 sind Verhandlungen im Gang, wonach das Land von der Stadt das benachbarte Grundstück und Haus der „Pfandleihe“ erwerben möchte. Hier böte sich Raum für die dringend benötigten künstlerisch-technischen Werkstätten und Labors. Der alte Bau würde damit entlastet und könnte den Charakter einer rein künstlerischen Ausbildungsstätte zurückgewinnen. Man kann nur hoffen, daß die langen Verhandlungen bald zu einem befriedigenden Abschluß kommen.

In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 20. Oktober 1979.

Vom Räumchen zum Herrenhaus

Erinnerungen an Alfred Schmela

Schon vorher hatte es allerhand Geraune gegeben: da war ein nahezu unbekannter Maler, oder vielleicht war er auch Architekt, und mit Bildern handelte er wohl auch gelegentlich – dieser Mann von knapp vierzig wollte demnächst mitten in der Altstadt eine Galerie aufmachen, ein bißchen in der Art der kleinen Pariser Avantgardegalerien in den engen Gassen rund um St. Germain-des-Près.

Eine neue Galerie, das war damals, als es nur etwa ein halbes Dutzend Galerien in Düsseldorf gab, eine aufregende Sache. Genau einen Monat zuvor hatte der ernste Jean-Pierre Wilhelm drüben in der Kaiserstraße seine „Galerie 22“ eröffnet, auch da gab es jüngste Kunst zu sehen, und es wehte von Frankreich herüber. Und nun abermals eine festliche Vernissage, Hunsrückenstraße, gleich neben dem Kom(m)ödchen, das verhieß eine kleine Sensation. Ein französischer Text war vorher ins Haus geflattert, der die „Propositions Monochromes“ des französischen Malers Yves Klein ankündigte. Düsseldorf rückte also mächtig vor im internationalen Kunstgeschäft.

Unvergessen jener milde Juni-Abend 1957. Das Räumchen erwies sich als beträchtlich zu klein, nur schubweise wurde man eingelassen, so machte das ganze Sträßchen mit im heiteren Spiel. Lachend kamen die meisten wieder heraus aus dem Sälchen, denn was es da zu sehen gab, die einfarbig rot und blau angestrichenen Tafeln des Herrn Yves, der selbst zugegen war, das konnte doch nur ein Spaß sein oder allenfalls ein verspäteter Neuaufguß von Dada. Herr Schmela, der bärtige Hausherr, nahm es auch gar nicht übel, daß seine Eröffnung zum heiteren Fest geriet. Im stillen wird er wohl gedacht haben: wartet nur ab, aus dem Spaß kann bald auch Ernst werden.

Es dauerte nicht lange, und „Yves le Monochrome“ war berühmt als Begründer einer weltweiten neuen Kunstrichtung, und heute, ein Vierteljahrhundert später, gehören Bilder des frühverstorbenen Yves zu den begehrtesten Objekten auf dem internationalen Kunstmarkt. So war es eigentlich immer: was bei Schmela Premiere hatte, war bald darauf in aller Munde.

Hier drehten sich Tinguelys Rädchen, als auch dieser Name noch kaum Klang hatte, hier veranstaltete, als „Aktionen“ noch Seltenheit waren, Mathieu sein „Schau-Malen“, hier zeigte Christo seine ersten Verpackungen, Arman seine Häufungen von Alltagsobjekten. Und so kam einer nach dem anderen, meist in eigener Person, aus allen Ländern und bald auch aus den USA, ins kleine Hauptquartier in der Hunsrückenstraße. Nicht zu vergessen auch die Düsseldorfer Zero-Gruppe und Joseph Beuys, die in Schmela ihren ersten Betreuer hatten. Hätte man bei jeder Ausstellung zugegriffen, man besäße heute, für nicht allzuviel Geld, ein kostbares Museum moderner Kunst.

Bald war Schmela heimisch geworden in Paris, London und New York und wuchs immer mehr über Düsseldorf hinaus. Ende der sechziger Jahre begann er mit dem Bau eines eignen Galeriehauses in der Mutter-Ey-Straße, des ersten ganz als Galerie geplanten Gebäudes. Während der Bauzeit betrieb er den Kunsthandel von seiner Wohnung in Oberkassel aus. Dort feierten wir am 23. November 1968 seinen 50. Geburtstag. Blumen, Flaschen häuften sich auf den Tischen. Seine engeren Künstlerfreunde wuchteten eine schwere Kiste nach oben, die mit viel Umstand geöffnet wurde: ein nacktes Mädchen entstieg ihr, entschwand aber eiligst im Nebenraum.

Schmela lachte herzhaft, er hatte Sinn für derbe Späße, liebte Alt-Bier und deftiges Essen. Trotz allen äußeren Erfolges, und längst ein Mann von Welt geworden, gab er sich bis zuletzt als ein Kind des Volkes. Wie ein französischer Kleinbürger spielte er sonntags Boule mit den Freunden. Seiner Witterung für die Kunst entsprach eine erstaunliche Menschenkenntnis. Er wußte immer, mit wem er es zu tun hatte, ich habe nie ein ordinäres Wort von ihm gehört. Unter rauher Schale war er verletzlich, im Umgang mit Frauen, auch mit seiner eignen tapferen Frau, konnte er sogar zartfühlend sein.

Wie es dann weiterging, wie er 1975 das stattliche Lantzsche Herrenhaus inmitten eines großen Parks in Lohausen bezog und dort ein Freilichtmuseum für moderne Plastik aufzubauen begann, darüber ist schon berichtet worden. Wieder bewunderte man seine Mut, seine Entschlußkraft. Nachdenklich aber sagte er einmal zu mir: „Da reden die Leute von Glück und Dusel und haben doch keine Ahnung, wieviel Schweiß das alles gekostet hat.“

Wenige erinnern sich noch, daß er sich 1963 auch im Auktionsgeschäft versucht hat. Die Veranstaltung im Großen Saal des Malkasten trug gesellschaftlichen Glanz. Vor mir liegt der schön ausgestattete Katalog, der viele stolze Namen enthält, bis hin zu Picasso. Ein Stilleben von Max Ernst (1925) wurde für 23 000 Mark, ein früher De Chirico für 40 000 Mark zugeschlagen, Magritte war für einige tausend Mark zu haben. Warum die Aktion dennoch kein rechter Erfolg war, ist schwer zu erklären. Vielleicht war der Zeitpunkt nicht günstig, die Konkurrenz zu groß. Schmela, unterstützt von seiner Frau, hielt gelassen durch und ließ sich keinen Unmut anmerken, aber es blieb bei dieser einen Auktion.

Ein Jahr ist es her, da traf bei schönstem Sommerwetter die gesamte rheinische Kunstwelt, die Künstler, die Sammler, die Händler, die Museumsleute, im Lantzschen Park zusammen. Schmela und seine Frau waren wie stets die generösen Gastgeber. Die hellen Kleider schimmerten unter den Bäumen wie auf einem impressionistischen Gemälde. Noch wirkte Schmela gesund wie eh und je und steckte voller Pläne. In der Erinnerung erscheint uns dieser heitere Sommertag wie eine Abschiedsfeier. Dann wurde es stiller um ihn, man sah ihn seltener, bei den letzten Begegnungen war eine eigne Weisheit zu spüren. Nun hat ihn der Tod allzu früh aus unserer Mitte gerissen. Er hinterläßt viel, aber er hinterläßt auch eine große Lücke.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Feuilleton, 23. Juli 1980

Ein Mann der verborgenen Güte

Zur Ausstellung Gerhard Kadow in der Kunsthalle

Es hat dem Maler Gerhard Kadow (1909-1981) gewiß nicht an äußerer Anerkennung gefehlt. Schon daß er als Schüler von Klee und Kandinsky fünf Jahre dem Bauhaus zugehörte und mit dem Ehepaar Kandinsky weiterhin freundschaftlich verbunden blieb, ist als Auszeichnung zu verstehen. Von 1938 bis 1949, durch drei Jahre Kriegsdienst unterbrochen, war er Lehrer an der Textilingenieurschule Krefeld – Fluchtburg für einen jungen Künstler, der zwar am Bauhaus sein Diplom als Handweber erworben, aber auch „entartete“ Bilder gemalt hatte. Die Malerei wurde erst nach dem Kriege wieder aufgenommen. Von 1950 bis 1967 lehrte er an der Werkkunstschule Krefeld (1961 Professorentitel), von 1968 bis 1974 an den Kölner Werkschulen. In späteren Jahren erhielt er Aufträge für Glasfenster und Wandmalerei. 1978 war er Ehrengast der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom.

Also durchaus kein „verkannter“ Künstler. Er selbst war es, dem es fast mit List gelang, sich der Öffentlichkeit zu entziehen und seine private Existenz zu verteidigen, so sehr, daß sein Name in weiteren Kreisen nahezu unbekannt blieb. Er hatte treue Freunde, und seine Schüler verehrten den etwas wunderlichen Mann der verborgenen Güte. Sein kleines Krefelder Reihenhaus, angefüllt mit kostbaren Dingen, die behutsam aufeinander abgestimmt waren, wurde zum eigentlichen Rahmen dieses Lebens, der ihn nach dem Tode seiner Frau (1979), der Textilkünstlerin Elisabeth Kadow, vollends umschlossen hielt.

Universale Bildung

Gerhard Kadow, des Schreibens durchaus kundig, hat sich mehrfach über sich selbst geäußert. Da stößt man erstaunlich oft auf die Worte „Einheit“ und „Ganzheit“, Begriffe, die vom Bauhaus-Denken nicht ganz fern sind. Sie bestimmten bis zuletzt sein Tun. Da gab es die Einheit von Technik und Kunst; der Träumer und Geschichtenerzähler fühlte sich immer zugleich als „Diener der Technik“. Vom „Gesetz“ ist die Rede, das unbedingt eingehalten werden müsse; es trifft im Verlauf der Arbeit zusammen mit dem Gefühl, er erlaubt Freiheit, „ja Freiheit“, woraus dann das „Ganze“ entsteht.

Kadow blieb den in Dessau erlernten textilen Künsten zeitlebens treu; er hat gewebt und gestickt, er hat bis zuletzt eigenhändig geklöppelt. Er besaß eine nahezu universale Bildung, die auch Musik und Dichtung einschloß. Seine kunstgeschichtlichen Vorlesungen an der Krefelder Schule waren eine kleine Sensation, denn sie wichen beträchtlich ab von der gängigen Kunstgeschichte und rückten Gestalten und Epochen ins Blickfeld, die damals, in den fünfziger Jahren, kaum einer auszusprechen wagte: Jugendstil, Max Klinger, Gustave Moreau. Er schwärmte für Wagner. Zum vollen Zusammenklang seiner vielen Neigungen aber kam es in seinen Bildern.

In Zusammenarbeit mit dem Clemens-Sels-Museum Neuss (Dr. Irmgard Feldhaus) hat nun die Düsseldorfer Kunsthalle unter Jürgen Harten die lange fällige Kadow-Ausstellung inszeniert. Die Veranstalter wurden unterstützt von Gabriele Uerscheln, die eine Dissertation über den Maler vorbereitet. Die Ausstellung, von einem vorzüglichen Katalog begleitet (15 Mark), enthält 69 Gemälde und Handzeichnungen, dazu einige Stickereien und Spitzen sowie Entwürfe für Fenster und Wandmalereien.

Altarmäßiger Aufbau

Der erste Eindruck ist der, etwas ungemein Kostbarem zu begegnen. Die Bilder, Hinterglas und Öl auf Holzfaserplatte, sind kleinen Formates; ins Auge fallen die schönen, alten Rahmen, denen Kadow allenthalben nachspürte und die ihm auch von Freunden zugetragen wurden. Manches Bild soll er für einen bestimmten Rahmen gemalt haben. Jedes Bild ist sorgsam, fast miniaturhaft fein ausgeführt, ist eine kleine Welt für sich. Und doch ergeben alle zusammengenommen – da ist wieder die Kadowsche „Einheit“ – einen edlen schimmernden Fries. Freilich verlangen sie vom Betrachter die unzeitgemäße Tugend des genauen, besinnlichen Schauens.

Kadow hat seine Zugehörigkeit zum Bauhaus geradezu hartnäckig behauptet. Sicherlich ist die starke Wirkung Klees auf den Zwanzigjährigen unverkennbar. Sie findet ihren Nachhall auch in den Bildtiteln, die für Kadow, den engagierten Wortfinder, eine wichtige Rolle spielten. Im „Zwiebeltheater“ sind wir noch nahe an Kleeschen Formulierungen; später rückte er ab vom bewunderten Vorbild. Doch sollte man geistige Abhängigkeiten nicht allzu hochspielen und eher als Prägung durch Ältere verstehen. „Wir haben doch alle unsere Väter“, sagte Picasso.

Der Weg des Bauhauses führte von Feiningers „Kathedrale“ zum Funktionalismus, Kadow gelangte von Gebilden der schweifenden Phantasie zu solchen der gebändigten Form. Anfangs schwimmende, fast Arp’sche Figurationen, in Nebel oder hinter schwankenden Gittern, zunehmend dann bildnerische Ordnung und fast altarmäßiger Aufbau. Das alte Gesetz von Kette und Schuß macht sich nochmals bemerkbar.

Einige hundert Besucher waren zur Eröffnung der Ausstellung in die Kunsthalle gekommen. Beweis genug, wie Kadow, der vermeintlich unbekannte, seine heimliche Gemeinde längst besitzt.

In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 19. April 1983.

Bauen und die Lust am Schönen

Zum 80. Geburtstag des Architekten Prof. Helmut Hentrich

Fragte man ihn nach seinem Beruf (falls es wirklich jemand nicht wissen sollte), dann würde er ohne Zögern antworten: Architekt. Bauen ist in der Tat der Lebensgrund von Professor Helmut Hentrich, der am 17. Juni 80 Jahre alt wird und vor zwei Jahren auf seine fünfzigjährige Tätigkeit als freischaffender Architekt zurückblicken konnte. Bauen aber meint bei Hentrich, wenn wir sein Leben überblicken, mehr als das Entwerfen von Häusern und den Umgang mit Lineal und Zirkel, Bauen ist für ihn ein Tun, das alle Lebensbereiche umfaßt – die alte Ars Magna, die Mutter aller Künste.

In Bauluft ist Hentrich aufgewachsen. Sein Vater – sein „alter Herr“, wie er liebevoll-altmodisch gern von ihm spricht – war Stadtbaurat in Krefeld, eine Stellung, die das gesamte Bauwesen der Stadt umfaßte, zugleich Selbständigkeit, ein ansehnliches Einkommen und eine geräumige „Villa“ als Wohnung für die Familie einschloß. Ein großbürgerlicher Lebenszuschnitt war dem jungen Helmut, dem mittleren von drei Brüdern, zugefallen. An das Haus schloß sich ein großer Garten an, man hatte Dienstboten, Geselligkeit, Musik, im Sommer wurde an die See gereist, zuweilen auch mit der großelterlichen Kutsche in die Umgebung gefahren. Und gut „Bismarcksch“ war man natürlich auch.

An seinem beruflichen Leben ließ der Vater den wißbegierigen Knaben gern teilnehmen, nahm ihn mit auf die Baustellen, ließ ihn früh in den Fachzeitschriften schnuppern. Dann gab es noch den Patenonkel Professor Deneken, den Leiter des Kaiser-Wilhelm-Museums, der über so herrliche Dinge verfügte und vor dem Kinde, das lieber mit Holzklötzchen spielte als mit dem neumodischen Blechkram, die Ahnung von der Magie eines Museums aufsteigen ließ. Achtjährig hatte der Junge begonnen, die Bauten in und um Krefeld zu zeichnen, vierzehnjährig stand der Gedanke, Architekt zu werden, bereits fest.

Der Erste Weltkrieg setzte allem ein Ende, und als die Inflation die Bauerei weitgehend lahmlegte, meinte der Vater, ein Jurastudium böte doch weit bessere Aussichten. Gehorsam belegte der junge Student juristische Vorlesungen, erst in Freiburg, dann in Wien, doch der alte Wunsch befestigte sich immer mehr. Der Vater war großzügig; 1925 ließ sich Hentrich in die Technische Hochschule von Berlin aufnehmen und wurde Schüler von Hans Poelzig.

Von Poelzig und dessen Gegenspieler Tessenow spricht Hentrich mit Dankbarkeit. Er lernte von Poelzig, ohne doch von ihm abhängig zu werden, daß Zweckform und Phantasie einander nicht ausschließen; an Tessenow fesselte ihn die Harmonie der Ziele, die zu dieser Partnerschaft geführt haben, es ist vielmehr der Gedanke von der Notwendigkeit zur Kooperation, durch die allein ein Höchstmaß an Leistung erbracht wird.

In diesem kleinen Imperium von etwa 150 Mitarbeitern sind jeweils zehn zu einer Gruppe zusammengefaßt, der ein anstehendes Objekt zuerteilt wird. In regelmäßigen „Partnergesprächen“ wird das Erarbeitete überprüft, gewissermaßen eine Jury im eigenen Haus. In der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, in deren Leitung auch zwei jüngere Kräfte aufgenommen wurden, ist für die Mitarbeiter ein hohes Maß an persönlicher Sicherheit gewährleistet. Der Bauhüttengedanke des Mittelalters, wonach jeder Einzelne dem Ganzen diente, ist hier in moderner Form wieder aufgenommen.

Die Reihe der aus dieser Arbeitsgemeinschaft hervorgegangenen Bauten ist nahezu unübersehbar und von weltweiter Ausdehnung; sie reicht vom schlichten Wohnhaus bis zum Wolkenkratzer und zur weitläufigen Städteplanung. Für Hentrich selbst mit seinem ausgeprägten Sinn für Tradition ist die Erhaltung eines Altstadtgiebels manchmal wichtiger als die Errichtung eines mächtigen Konzernsitzes. Als ich ihn einmal nach seinen Lieblingsbauten fragte, meinte er fast verlegen: Neben dem Standard Bank Centrum im afrikanischen Johannesburg, seinem ersten großen Auslandsauftrag, sei es eben doch das Düsseldorfer Thyssenhaus, dem sein Herz gehöre; er weiß sehr gut, daß der schlanke, zu jeder Tageszeit anders wirkende Bau neben dem Reiterstandbild auf dem Marktplatz zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist. Dabei sei die schwierige Neugestaltung und Umwidmung der Rheinhalle zur Tonhalle nicht vergessen. – Das Stadtmuseum zeigt zur Zeit eine Auswahl von Plänen, Fotos und Modellen aus dem Schaffen Hentrichs. Darüber wird gesondert zu berichten sein.

In einigen Vitrinen wird in dieser Ausstellung auch des Sammlers Hentrich gedacht. Muß man ihn wirklich noch vorstellen, den allseits gegenwärtigen Spender und Mäzen, den Sammler, der mit der Leidenschaft des Jägers und dem Wagemut des Spielers einem seltenen Stück auf der Spur ist, der noch heute auf den Flohmärkten und in finsteren Gassen voll altmodischem Trödelkram mit sicherem Blick seltene Schätze ans Licht zieht? Auf seinen vielen Auslandsreisen haben sich ihm ganz neue Gebiete erschlossen: Ostasiatica, Schätze aus Indien oder Gemälde aus Haiti.

Hentrichs Sammeln ist freilich eigener Art: Er zieht sich mit seinen Kostbarkeiten nicht ins Private zurück, im Gegenteil, wenn ihm ein Sammelgebiet einigermaßen abgerundet erscheint, gibt er es fort, nicht als „Leihgabe“, sondern als handfestes Geschenk. So wanderte die berühmte, 2500 Stück zählende Glassammlung ins Düsseldorfer Kunstmuseum, wo sie nun würdig präsentiert wird; das Kayserzinn ging nach Krefeld; japanische und europäische Keramik ins Hetjensmuseum. Es ist ein Sammeln um des Sammelns willen, hervorgegangen aus der nicht endenden Lust am Schönen, die ihn von Jugend an erfüllt und an der er auch andere teilnehmen lassen will. „Die Leute halten mich für unermeßlich reich“, sagte er einmal, „die Sache ist nur die, daß andere ihr Vermögen zur Bank tragen, ich hingegen gebe mein Geld aus.“

Sein Meisterstück war die Wiederherstellung des Schlößchens Groot Buggenum im holländischen Limburg. Vor einigen Jahren erwarb er das verfallene Haus, restaurierte es von Grund auf, wobei keine Türklinke außer acht blieb, füllte es mit kostbaren Dingen und schuf schließlich noch einen Garten mit Pflanzen aller Art, Wasserbecken, Brückchen, Skulpturen, heimlichen Wegen und gepflastertem Hof – ein Stück „Dixhuitième“ von Mozartschem Klang. Doch als das Ganze fertig war – vermachte er es dem holländischen Staat. Königin Beatrix kam persönlich nach Buggenum, kletterte hinauf bis zum Turm und war entzückt über die großzügige Gabe. Das kleine Schloß soll später einmal Gästehaus der Provinz Limburg werden.

Aber dies „später“ ist noch weit. In Buggenum wird der Hausherr mit seinen Freunden wie alljährlich Geburtstag feiern, um das Wohl jedes einzelnen Gastes bemüht sein, selbst eher unauffällig im Hintergrund bleibend.

Glückwunschartikel dieser Art beginnen oder enden meist damit, daß dem Jubilar, sofern er im vorgerückten Alter ist, Jugendfrische bescheinigt wird. Das könnte man auch bei Hentrich. Ich meine, daß gerade bei ihm die Würde und Weisheit, die Disziplin und Gelassenheit des Alters es sind, die ihn zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit machen und ihn, hoffentlich noch lange, seine überreichen Aufgaben bewältigen lassen.

In: Rheinische Post. Feuilleton, 14. Juni 1985.

Ein Grandseigneur

Erinnerung an Alex Vömel

Still, nach außen fast unbemerkt, ist Alex Vömel, 87jährig, von uns gegangen. Er hatte mittags noch am Treffen der Rotarier teilgenommen, abends in einem Restaurant gegessen, morgens fand man ihn tot im Sessel sitzend. Nach dem jähen Hinscheiden von Hella Nebelung ist es der zweite schwere Verlust, der innerhalb weniger Tage die rheinische Kunstwelt getroffen hat.

Vömel war Träger großer Tradition. 53 Jahre lang hat er die Galerie durch alle Wechselfälle des Geschehens geführt, selbst in den schlimmsten Hitlerjahren betrieb er sie im Verborgenen weiter und hat es klug verstanden, Kunstfreunden wie den von der Heydts in Wuppertal, Hermann Lange in Krefeld, Haubrich in Köln zum Aufbau ihrer Sammlungen zu verhelfen – in jenen Zeiten, als Kunstwerke ersten Ranges für dreistellige Summen zu erwerben waren. „Bei uns ist der Kunsthandel nie abgebrochen“, schrieb er einmal. Er verband Courage mit Gelassenheit; seiner zielsicheren, untadeligen Persönlichkeit gelang es sogar, mit einiger List den damaligen Machthabern die in der Galerie beschlagnahmten Werke wieder zu entreißen.

Auf vielen Tischen liegt noch die kleine, graue Broschüre „Alfred Flechtheim, Kunsthändler und Verleger“ (Neudruck eines Aufsatzes von 1964), die er den Freunden vor wenigen Wochen ins Haus sandte. Darin zeichnet er den Lebensweg des berühmten Kunsthändlers Alfred Flechtheim nach, und damit ein Stück seines eigenen, eng mit Flechtheim verbundenen Lebens. Flechtheim, 1878 als Sohn eines Getreidehändlers geboren, hatte sich früh der Kunst verschrieben, er nannte sie „eine Leidenschaft, stärker als alles andere“. Im ersten Katalog seiner 1913 in der Düsseldorfer Alleestraße 7 eröffneten Galerie finden sich, neben Grußworten von Vollard, W. Uhde, Däubler und Herbert Eulenberg, Namen wie Cézanne, van Gogh, Gauguin, Picasso.

Flechtheim, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, war während der Rheinlandbesetzung durch die Franzosen infolge lächerlicher Vorwürfe auf die Auslieferungsliste geraten und mußte eilends die Stadt verlassen. Er gründete Filialen in Köln, Frankfurt, Wien; die Düsseldorfer Galerie blieb „die Keimzelle“ des Unternehmens. Er übergab sie dem 25jährigen Alex Vömel. Dieser war in seiner Lehrzeit bei Kahnweiler in Paris bereits mit den großen französischen Malern in Berührung gekommen, und so richtete er sein Augenmerk zunächst auch auf die französische Kunst. „Er brachte die französische Luft an den Rhein“ und zu den Sammlern.

Durch die Berufung Kaesbachs an die Düsseldorfer Akademie kam frischer Wind in das ehrwürdige Institut. Mit den durch Kaesbach hierher berufenen Künstlern kam Vömel rasch in Beziehung. Neben Campendonk und Zschocke war es vor allem Paul Klee, mit dem er in enge Verbindung trat. Als Klee noch keinen eigenen Hausstand hatte, aßen er, Campendonk und Klee häufig in der inzwischen verschwundenen „Rose“ in der Rosenstraße zu Mittag. Als Autobesitzer, damals noch nicht ganz selbstverständlich, machte er mit Klee ausgedehnte Fahrten an den Niederrhein, die Klee veranlaßten, die ihm neue, ihn fesselnde Landschaft in sehr naturnahen Skizzen festzuhalten. Weiterhin war er mit dem Bildhauer Mataré in nahem Austausch, als einer der ersten stellte er dessen Aquarelle aus. Die Beziehung festigte sich, als er für sich und seine Familie in Büderich, genau gegenüber Mataré, sein Haus erbaute.

Zu seinem 70. Geburtstag vereinte sich 1964 die Künstlerschaft in eine „Hommage à Alex“, in der alle zu Wort kommen, die zum Vömelschen Lebenskreis gehörten. Viele Künstler, unter ihnen Calder, Heckel, Pudlich, Gerhard Marcks fügten Originalzeichnungen bei. Renée Sintenis (eine Tochter Vömels heißt nach ihr Renée) nennt ihn einen „Schutzengel der Kunst“, Erich Heckel einen „Seelsorger“, von einem „Grandseigneur der Kunst“ spricht Felix Klee und webt, einen Bildtitel seines Vaters aufnehmend, einen „Teppich der Erinnerung“.

Vömel wußte, daß die Zahl derer, die sich an „damals“ erinnern, immer kleiner wird. Er konnte wunderbar erzählen, geistreich und witzig, und konnte treffsichere Verse schmieden. Für den Besucher, der ihn noch in jüngster Zeit jeden Vormittag in der Galerie antraf, war jedes Zusammensein wie ein kleines Fest. Viele junge Leute, Museumsleiter, Kollegen, Doktoranden suchten ihn auf, um noch etwas von seinen Erinnerungen zu erhaschen. Geduldig gab er Auskunft. Er war auch der Feder mächtig: Neben den Erinnerungen an Flechtheim liegt ein nachdenklicher, 1964 im Druck erschienener Vortrag vor, „Freuden und Leiden eines Kunsthändlers“. – Nun ist er selbst Erinnerung geworden.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 26. Juni 1985

Seine Werke sind er selbst

Erinnerungen an Beuys

„Ach, Sie sind aus Düsseldorf und haben mit Kunst zu tun – lebt dort nicht dieser Beuys?“ Manches Mal bin ich so ähnlich gefragt worden und antwortete stets seelenruhig: „Ja, ein liebenswerter Mensch, ich kenne ihn gut, wir sind befreundet.“ Was beim Frager prompt einen gewissen Unwillen hervorrief. Er hätte lieber schreckliche Dinge über „diesen Beuys“ gehört.

Beuys war, so seltsam es auch klingen mag bei einem Beweger und Unruhestifter, ein stiller Mensch. Ich sehe ihn bei einer Fluxusveranstaltung in der Düsseldorfer Kunstakademie, den toten Hasen auf der Schulter, langsam die wenigen Stufen zum Podest hinaufsteigen, ernst, konzentriert; für das Spektakel sorgten die anderen. Er konnte ganz unauffällig in der Runde sitzen, ein Zuhörer und Frager, Anteilnahme ausströmend. Familie war ihm wichtig, und er liebte es, wenn sie alle, Frau und zwei Kinder, am Eckplatz zusammensaßen und er das selbst gekochte Essen auf den Tisch brachte.

Als wir vor knapp fünf Jahren, am 12. Mai 1981, mit einem großen Straßenfest, von morgens bis abends, seinen 60. Geburtstag feierten, da strömte es von allen Seiten hinein in den offenen Hof. Doch eigentlich ging es fast bürgerlich zu, mit gedeckten Tischen, vorzüglichem Braten und mit Kuchen, Wein, Bier und Kaffee. Beuys hielt sich im Hintergrund, ging aber von einem zum anderen als sorgsamer Wirt. Auch aus Kleve, wo er aufgewachsen ist, war die Familie gekommen und die Schwiegermutter aus Bonner Professorenhaus.

Als er an unsern Tisch kam, lachte er sein echtes Beuys-Lachen, mit großen, blitzenden Zähnen. „Viele kenne ich gar nicht“, sagte er, „die kommen einfach so herein. Recht so, das Bier reicht, alle können kommen.“ Ich hatte in der Rheinischen Post einen kleinen Geburtstagsgruß geschrieben, da war am Abend eine fremde Stimme am Telefon, mit rheinischem Sprachklang und ein bißchen ungelenk: „Gefiel mir, wie Sie über den Beuys geschrieben haben. Der ist nämlich ganz anders, als die Leute denken. Den kenne ich seit Jahren und habe für ihn gearbeitet. Das ist ein guter Mensch, dem kann man alles sagen, der ist immer für einen da. Sollen doch nicht ewig nur von dem Hut reden, er trägt ihn nun mal.“

Als Mataré-Schüler wußte sich Beuys in jungen Jahren dem Lehrer völlig anzupassen. Er war kein Revoluzzer, kein aufsässiger Student. Geduldig half er dem Älteren beim Einsetzen der Mosaiksteine in die Reliefs der Kölner Domtüren. „Mein Schüler Beuys bemüht sich auf das beste . . . er wird einmal ein sehr guter Bildhauer werden. Er hat ein ausgesprochen rhythmisches Gefühl und bewundernswerte Ausdauer“, schreibt Mataré am 2. Dezember 1950 in sein Tagebuch (veröffentlicht 1973). Zeitweilig hatte Beuys sein Atelier draußen in Büderich neben dem von Mataré, er gehörte ganz zur Familie, half, tätig wie er ist, bei der Gartenarbeit, besorgte Samen und Stecklinge und war um Frau Mataré liebevoll bemüht. In freien Stunden spielte man Boccia. Er hielt Mataré die Treue, auch als dieser den Wegen des Schülers nicht immer folgen konnte.

Seine Anfänge weisen nach Kleve, die Stadt seiner Kindheit und nach Düsseldorf, wo er bis zuletzt gewohnt hat. Hier war es Alfred Schmela, der sein Talent früh erkannte und den Grund zu seinen Erfolgen legte. Aber auch dies geschah langsam, zögernd. Beuys war kein stürmischer Eroberer. In der von Paul Wember 1958 im Krefelder Haus Lange veranstalteten Ausstellung „Niederrheinische Künstler“ ist uns der Name Beuys – er war immerhin schon 37 – zum erstenmal deutlicher bewußt geworden. Schmela war in der Auswahlkommission und hatte es mit Mühe erreicht, drei Objekte von Beuys in die Ausstellung hineinzukriegen. Der „Kunstpreis der Stadt Krefeld“ wurde gleichzeitig vergeben, ich gehörte der Jury an. Auf der Terrasse stand eines der Objekte von Beuys, ein, wenn ich mich recht erinnere, gewundenes Eisenband mit Rollen, drohend, beunruhigend. Nach hartem Kampf kam es zur Abstimmung, Heinz Mack erhielt den Preis. Wember und ich gestanden uns, wir hätten für Beuys gestimmt.

„Der interessiert mich“, hatte Schmela mit sicherem Instinkt sogleich erkannt, aber es dauerte noch lange, bis er Beuys für seine Galerie gewinnen konnte. Ehepaar Schmela, so erzählt es Monika Schmela, machten sich mit Tochter Ulrike auf den Weg nach Kleve, wo Beuys damals sein Atelier hatte. Er empfing sie mit einem herzhaften selbstgekochten Gericht. Dann pilgerte man über die lange Pappelallee hinaus ins Alte Kurhaus, wo Beuys arbeitete. Zeichnungen, Aquarelle, Objekte kamen zum Vorschein, eine verwesende Ratte im Karton, alles geheimnisvoll und neuartig. Schmela gelang es nicht, Beuys ein paar Arbeiten zu entreißen. Einige Tage später brachte Beuys dann doch etliche Blätter in die Galerie. Sie waren schwer verkäuflich, in jedem Fall billig.

Erst Jahre später kam es zur ersten Galerieausstellung, viele weitere sind ihr gefolgt und haben den Ruhm von Beuys begleitet, ja, immer aufs neue gefestigt. Langsam begriff man, daß diese toten Dinge Relikte des Lebens sind, daß ihre dunklen Titel auf das Rätsel unserer Existenz hinweisen. Beuys selbst gibt keine Erklärungen: „Das sieht man doch“. Als ich einmal mit ihm sprach und mich selbst um Deutung bemühte, etwa ob der verpackte Flügel (lange vor Christo) vielleicht das Verstummen von Klang und Musik andeute, lachte er: „Ja, so kann man es auch ansehen.“

Beuys war, wie gesagt, eher ein stiller Mensch, der nur selten in Wut geriet. Und doch dieses Spektakel, diese Anfeindungen, diese nicht endenden Gespräche über ihn? Wie geht das zusammen? Beuys hatte in seltener Weise Präsenz. Wo er hinzutrat, wurde er bemerkt, und alles, was er geschaffen hat, steht in unmittelbarer Beziehung zu seiner Person, ist ein Stück von ihm selbst, erhält erst von ihm Strahlkraft und Leben. Bei seiner Ausstellung im Guggenheim Museum New York, so hat man mir erzählt, sei das verwöhnte amerikanische Publikum am Eröffnungsabend hingerissen gewesen: Beuys selbst stand inmitten seiner Werke. Am nächsten Morgen, als er abgereist war, seien viele Besucher enttäuscht gewesen, der Funke sprang nicht über.

Beuys ist tot, die Kunstwelt ist ärmer geworden. Das Werk, das er geschaffen hat, ist wie ein Schauspiel, über dem der Vorhang nun heruntergegangen ist, ein fast sakraler Vorgang, denn Beuys war ein religiöser Mensch. Sein Zeichen war das Kreuz. Er war früh mit dem Tode vertraut, worauf mehrere seiner Bildtitel hinweisen. („Endzeit des 20. Jahrhunderts“ – letzte Ausstellung bei Schmela). Seine Zeichnungen und Aquarelle sind ein unverlierbarer Besitz. Ob manche seiner Objekte nur Niederschlag schöpferischer Augenblicke sind, ob sie, eng an ihren Schöpfer gebunden, ein überdauerndes Eigenleben gewinnen, wird sich erweisen.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Geist und Leben, 1. Februar 1986

Hunger nach Kunst

1946 – Neuanfang: Zeitungsleute erinnern sich

Prof. Dr. Anna Klapheck hatte Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie studiert. In den zwanziger Jahren lernte sie in Düsseldorf den Künstlerkreis um Mutter Ey kennen. Seit 1952 war sie Dozentin an der Kunstakademie. Im Feuilleton der Rheinischen Post schrieb sie unvergessene Kritiken. Sie starb vor wenigen Tagen.

Wir hungerten und wir froren, aber wir waren glücklich. Wir durften schlafen, und kein schriller Sirenenton jagte uns nachts in den Keller. Wir konnten die Fenster auch bei Dunkelheit weit offenhalten, und das zerknitterte, gehasste Verdunklungspapier verschwand im kleinen eisernen Ofen. Wir brauchten das Kissen nicht mehr über den Telefonhörer legen, wenn wir miteinander sprachen, es gab keine Aufpasser, keine Spitzel, keine Denunzianten mehr. Wir waren frei – der Krieg war zu Ende.

Mein Sohn ging nun in die Sexta des Humboldt-Gymnasiums, nachdem er seine Bildung in der erzgebirgischen Dorfschule bezogen und dort, wie die anderen Dorfjungen, für irgendwelchen Unfug auch gelegentlich Prügel bezogen hatte. Noch immer war unsere Straße unter Trümmern begraben, ein schmaler Trampelpfad schuf die Verbindung zur Außenwelt. Aber, o Wunder, die Trümmer begrünten sich, rosa Weidenröschen sprossen in Fülle hervor, ich pflückte Sträuße direkt vor der Haustür. In den verwilderten Gärten, deren Mauern vielfach eingestürzt waren, fanden sich Erdbeeren und Johannisbeersträucher. Ich nahm, wie einst die Siedler in Amerika, ein herrenloses Stück Land in Besitz, grub es um und steckte ein paar Bohnen hinein, Sie gingen tatsächlich auf und wir hatten zwei köstliche Mahlzeiten.

Und nun, wo der Schreibtisch da war, der Wasserstrahl lief und nach einiger Zeit sogar eine Wasserspülung in Gang kam, erwachte bei uns allen, die wir zwölf Jahre abseits gestanden hatten, ein gewaltiger Hunger nach geistiger Arbeit. Der Kopf war ausgeruht, wir waren merkwürdig gesund in dieser Zeit des Mangels, alle Kräfte waren frei. Es war nicht schwer, Arbeit zu finden. Es gab viele schmerzliche Lücken unter den Kollegen, einige waren noch in Gefangenschaft, die Verbindung von Ort zu Ort war gering. Manches bot sich mir an, doch ich zog es vor, zunächst möglichst frei zu bleiben. Also faßte ich den Journalismus ins Auge, in dem ich vor dem Krieg schon einige Erfahrungen gesammelt hatte.

Noch war das Zeitungswesen für den Außenstehenden unübersichtlich, die von den Engländern herausgegebene Neue Rheinische Zeitungerschien anfangs nur zweimal in der Woche in geringem Umfang, auf schlechtem Papier und in winzigen Lettern gedruckt. So geriet ich zunächst an das Rhein-Echo. Die Redakteure saßen in einem einzigen Raum, um einen großen Tisch versammelt, die alten Schreibmaschinen dröhnten, Unterhaltung war schwierig. Über die Düsseldorfer Kunstereignisse schriebe sie selbst, sagte mir die Redakteurin, aber vielleicht könne ich mich ein wenig in der Umgebung umsehen, so habe die wiederbegründete „Rheinische Sezession“ zur Zeit in Aachen ausgestellt – Düsseldorf verfügte noch nicht über geeigneten Ausstellungsraum.

Die erste Nachkriegsreise nach Aachen ist mir unvergeßlich. Der linksrheinische Zugverkehr begann auf dem alten Oberkasseler Bahnhof. Also erst einmal über den schwankenden Steg, den die Engländer für die Fußgänger über den Rhein errichtet hatten, und weiter zum Bahnhof. In schuckelnder Fahrt, in ramponierten Waggons erreichte ich am Abend Aachen. Die Redaktion hatte mich zur Nacht vorsorglich in einem Kloster angemeldet, die Nonnen nahmen mich freundlich auf, wollten nicht einmal Geld. Ich erhielt eine schmale Zelle zum Schlafen und eine vorzügliche Milchsuppe zum Abendessen.

Das Wiedersehen mit den Bildern der rheinischen Freunde beglückte mich. Bewegend war der anschließende Gang zum Münster. Der Ostchor war noch nicht wiederhergestellt und mit einer Bretterwand gegen das Oktogon abgeschlossen. So kam der karolingische Rundbau, in dem nach der frühen Besetzung Aachens durch die Alliierten ein erstes gemeinsames Te Deum stattgefunden hatte, in seiner Urform zur Geltung, so wie später nie wieder. Am 29. Juni 1946 erschien mein erster in der Nachkriegszeit geschriebener Artikel: „Die Rheinische Sezession in Aachen“.

Die Bibliothek der Kunstakademie war mitsamt dem Dia-Archiv aus ihrem Bergungsort unbeschädigt zurückgekehrt und im Keller des angeschlagenen Hauses am Eiskellerberg wieder aufgestellt worden. Es war gut geheizt dort, und so hatte ich bald meinen festen Platz zwischen den Büchern. In der Lichtbildsammlung stellte ich mir einen Vortrag zusammen unter dem Titel „Wiederbegegnung mit Kunstwerken“, in dem ich vor allem die „Entarteten“ und Verfemten berücksichtigte. Das Archiv enthielt aus der Vorkriegszeit ganz leidliches Material zum Thema, ein paar neue Dias – Picasso, Max Ernst – konnte ich mir anfertigen lassen.

Mit diesen Dias und einem sorgfältig ausgearbeiteten Text fuhr ich nun in die kleinen Städte der Umgebung, bald konnte ich den vielen Angeboten kaum mehr nachkommen, denn jede Stadtverwaltung wollte doch modern und zeitgemäß sein und zeigen, daß sie der Nazi-Kunst abgeschworen hatte. Wieder gab es mühsame Bus- und Bahnfahrten, ich übernachtete (an ein Hotel war nicht zu denken) bei den Honoratioren der jeweiligen Stadt, sah meinen Namen an den Litfaßssäulen und hatte volle Säle. Ich bekam 200 Mark für jeden Vortrag, dafür kaufte ich ein halbes Pfund Butter auf dem Schwarzmarkt. Mancher Bürgermeister steckte mir auch noch ein paar Äpfel aus seinem Garten zu.

Beim Blättern in den alten Zeitungsgeschichten, beim Anblick des brüchig gewordenen Papiers trat mir die Epoche von 1946/47 wieder deutlich vor Augen. Sie war durch Not und Mangel gekennzeichnet, aber entbehrte dennoch nicht einer gewissen Romantik. Wir hatten das Glück, wieder zu Haus zu sein, und wir waren frei.

Anna Klapheck in: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost, 1. März 1986

Von Manet zu Johns und den Jungen

Jubiläumsausstellung zum 15jährigen Bestehen in der Galerie Wittrock

Mit einer kostbaren Ausstellung von 15 Gemälden und Zeichnungen sowie 15 Graphiken feiert die Galerie Wolfgang Wittrock (Sternstraße 42) ihr fünfzehnjähriges Bestehen. Sie schlägt die Brücke vom französischen Impressionismus, Symbolismus und Fin-de-Siècle über die deutschen Expressionisten, über Beckmann, Picasso, Dali, Klee zu junger und jüngster Kunst der Gegenwart.

Zur Ausstellung, die auch einige Leihgaben aus Privatbesitz enthält, vor allem frühe Gemälde der Expressionisten, erschien ein Katalogbuch mit 30 Farbabbildungen aller ausgestellten Werke. Wittrock hat selbst darin den Werdegang seiner Galerie beschrieben. 1974 machte er sich in Düsseldorf selbständig und begann mit einer Photoausstellung von Brassai. Eine Reihe erfolgreicher, von Wittrock organisierter Ausstellungen für Museen in Stuttgart, Bern und München wurde 1985 gekrönt durch die Toulouse-Lautrec-Ausstellung für das Museum of Modern Art, New York.

Entscheidend bereichert wurde das bis dahin vor allem graphisch orientierte Galerieprogramm 1983 durch den Eintritt von Margret Heuser, der langjährigen Mitarbeiterin des verstorbenen Kunsthändlers Wilhelm Grosshennig. Ihren Erfahrungen sind die wichtigen Ausstellungen mit Bildern der Expressionisten des Blauen Reiter und der „Brücke“ zu verdanken.

Nicht wenige der jetzigen Exponate in der Galerie erinnern an Ausstellungen der Galerie in ihrem ehemaligen Domizil in der Sternstraße 16. Zum Beispiel eine Kreide-Lithographie „Les Courses“ von Manet, ein Probedruck der Auflage von 1884 im ersten Zustand: in samtig-schwarzem Strich werden hier das Pferderennen und seine Zuschauer zu einer lebhaft bewegten Struktur zusammengefaßt. Redons ätherische Lithographie „Beatrice“ (1897) entstand nach einem Pastell und wurde von A. Clot in Paris in ganz wenigen Exemplaren gedruckt.

Munchs berühmtes Motiv „Das kranke Kind“, das er bis 1927 immer wieder in Ölbildern und Graphiken variierte, erlebt man hier in der ungemein sprechenden, sinnlich-subtilen gestischen Strichführung der Zeichnung in farbigen Kreiden und Pastell auf Karton von 1896. Berechnende Verruchtheit, umschmeichelt von duftigem Charme verhüllender Gewänder, hat Toulouse-Lautrec in seiner signierten Vier-Farben-Lithographie auf Chinapapier von 1897 „Elsa, dite la Viennoise“ erfaßt.

Zu diesem Graphikangebot höchsten Ranges gehören auch Noldes extrem seltene Lithographie „Junge Dänin“ (1913): ein Frauenporträt, zerschmelzend fast im sinnlichen Reiz der Verführung, Dämonie und Melancholie, oder berühmteste Blätter von Picasso („Le Repas frugal“, 1904, „La Minotauromachie“, 1935), Kirchner („Akt mit schwarzem Hut“, 1912), Heckel („Männerbildnis/Selbstporträt“, 1919), Beckmann („Der Nachhauseweg“, 1919) bis hin zu Jasper Johns’ („Decoy I“, 1971), Felix Droeses in ihrem Symbolgehalt ergreifenden „Vogelpredigt (Hesekiel): Sammelt Euch“ von 1983 und Matthias Mansens „Situation, Straße, Hinterhaus“ (Paris, 1988),

Otto Muellers „Halbakt Zigeunermädchen“ (um 1925) in seinem unwiderstehlichen, in weichen farbigen Kreiden eingefangenen Charme mag überleiten zu so großartigen Bildern wie Jawlenskys „Dunkelblauem Turban“ (1910), Heckels flammenden frühen, noch von van Gogh und den Fauves beeindruckenden „Blühenden Apfelbäumen“ von 1907, Schmidt-Rottluffs „Weißem Haus in Dangast“, 1910, Franz Marcs „Fabeltier II (Pferd)“, 1913, August Mackes heiter-bestechender kleiner „Kolonnade mit Segelboot I“ (1913), Paul Klees spätem, den schwarzen Zeichen des Schicksals verfallenem Bild „Dieser Stern lehrt beugen“ von 1940 oder Emil Noldes farbglühendem, doch schon dem Vergehen anheimgegebenen „Herbstblumen“ (1931).

Gegenüber solcher künstlerischer Herausforderung enttäuschen aber auch die ausgewählten Bilder von Baselitz („Flügel“, 1972/73), Klapheck („Ballade“, 1984) und eine große Gouache von Helfried Hagenberg („ohne Titel“, 1989) keineswegs. Sie behaupten sich.

In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 28. September 1989