Frauen-Kultur-Archiv

Autobiografische Erinnerungen von Düsseldorferinnen

Else Loelgen: Abschiedsrede als Sachgebietsleiterin für Literatur auf der Jahrestagung des Verbands Frau und Kultur 1982

Liebe Mitglieder,

ein sonderbarer Zufall oder sollte es keiner sein? Ich stellte nämlich beim Lesen alter Akten fest: 1960 habe ich das Sachgebiet Schrifttum übernommen und zwar auf der damaligen Tagung in Kiel.

Ich erinnere mich sehr genau an die Tagung. Sie fand in dem heute abgerissenen Hotel „Bellevue“ auf der Höhe statt, und als erstes war ich fasziniert von dem Blick über die Förde. Was die Literatur anlangt, so las der Lesekreis Düsseldorf – ich hatte damals schon seine Leitung – Texte von Barlach, Frau Kramer aus der gastgebenden Gruppe Kiel las aus seinen Briefen.

Und nun nochmals Zufall oder keiner, ich werde in der kommenden Woche in Düsseldorf zum zweiten Mal das Barlachprogramm lesen. Meine Zeit als Sachgebietsleiterin rundet sich also am Ende wieder in den Anfang. Soll ich dieses merkwürdige Zusammentreffen als ein Zeichen für meine Tätigkeit nehmen? Ich glaube, ich kann kein besseres finden. In sich geschlossen, harmonisch rund. Erfüllter kann ein langer Abschnitt des Lebens nicht sein.

So ist es mir eine Freude, vor Ihnen stehen zu können und allen lieben Menschen, mit denen ich in gemeinsamer Arbeit gestanden habe, ein Dankeschön zu sagen. Ein Dankeschön für die freundliche Hilfe, mit der Sie zur Rundung eines fast ¼ Jahrhunderts meines Lebens beigetragen haben.

Denn was wäre das Rund, wenn es nicht angefüllt wäre mit vielerlei Begegnung, sachlicher Unterrichtung, ehrlicher Widerrede, zuverlässiger Gemeinsamkeit und herzlicher Zuneigung.

Ganz besonders gedenke ich in diesem Augenblick derer, die auf dem Wege zur Rundung meiner Jahrzehnte nur noch in meiner Erinnerung lebendig sein können. Ich nenne als Vertretung für alle nur zwei Namen: Elisabeth Meyer-Spreckels, Leiterin des Sachgebietes Lebensgestaltung, heute staatsbürgerliche Verantwortung, und Dorothea Husserow, langjährige Vorsitzende der Düsseldorfer Gruppe.

Vielen von Ihnen sind diese Namen völlig fremd, doch sollten Sie in den Annalen unserer Geschichte immer wieder genannt werden. Beide waren Persönlichkeiten von außerordentlicher Aktivität und Einsatzbereitschaft. Und was brauchen wir heute dringender in unserer Gemeinschaft, um uns den Problemen, die Zeit und Umwelt mit sich bringen, nur in etwa stellen zu können?

Doch ich will dem Gespräch über die Zukunft des Verbandes nicht vorgreifen. Wie oft habe ich mich während meiner Amtszeit gefragt, wenn wenig Wiederhall aus den Gruppen kam: warum machst du das Ganze eigentlich? Und immer wieder erkannte ich, daß mit der Arbeit auch ein Reifeprozeß meines Lebens vor sich ging.

Die Verbindung mit den verschiedensten Menschen förderte meine Einsicht in ihre Verhaltensweisen. Ich wurde gezwungen, mich in meinem Verhalten auf sie einzustellen, ihnen entgegenzukommen, soweit es Wahrheit und Gerechtigkeit für mich zuließen. Einblicke in das Schicksal anderer Menschen ließen mich nachdenken über das Eigene, die Zusammenhänge Leben und Umwelt wurden vertieft, Unterscheidungen zwischen Wert und Unwert klärten sich für mich.

So lernte ich, um mit Peter Handke zu sprechen, über die „Außenwelt, die Innenwelt“ kennen. Nach diesen und ähnlichen Überlegungen wußte ich dann stets, warum ich das Ganze machte: Staunen und Neugier waren die Triebfedern meiner Arbeit.

Freudig wandte ich mich nach dieser Erkenntnis wieder meiner Tätigkeit zu: Der intensiven Beschäftigung mit der – wie so schön gesagt wird – gehobenen Literatur. Sie führte mich in konkrete und abstrakte Welten ein, in differenzierte seelische Probleme, in heiter, bedachtsame Nischen des Lebens, vor allem aber offenbarte sie mir immer wieder die Notwendigkeit des Bewußtwerdens über die Schönheiten und vielfältigen Möglichkeiten einer gestalteten Sprache.

Ich bin in die Düsseldorfer Gruppe 1955 eingetreten, schon mit der Bestätigung im Amt der Sachgebietsleiterin für Schrifttum. 1960 begann wie gesagt die erweiterte Arbeit für den Verband.

In dem kleinen Düsseldorfer Kreis gab es Rede und Gegenrede, aber nun ging meine Rede ins Weite, zu über 30 verschiedenen Gruppen, und die Gegenrede ließ auf sich warten. Die Lesekreise waren sehr locker organisiert, hatten kaum Konnex miteinander, und die Berichte, die einliefen, waren nicht nur spärlich, sondern auch komisch.

Zum Beweis dafür lese ich Ihnen aus zwei Berichten vor: Im ersten geht es um die Erzählung der Kaschnitz „Popp und Mingel“. — „Mit der Erzählung, Thema Schlüsselkind, war es auch nicht ganz so aufregend, aber auch nicht befriedigend.“

Im zweiten Bericht wird über einen Theatervortrag gesprochen: — „Ein letzter Hinweis des Redners galt dem Passionsspiel und dem religiösen Erlebnis, das dabei mit dem Bühnenerlebnis einhergeht und einem wirklichen Bedürfnis entspricht.“

Als ich nun aber noch folgenden Satz in einem Bericht lesen mußte, da konnte ich mich nicht mehr zurückhalten; es geht um einen Vortrag über die Sprache — „Falsch ist auch die Möglichkeitsform zu meiden, es heißt: wenn ich das täte und nicht wenn ich das tun würde.“

Mit etwas erhobenem Zeigefinger ging ich daran, die sprachliche Form der Berichte anzugreifen und machte in meinem Appell den etwas pathetischen Schluß: So sei jedem Mitglied ein Studium nicht nur der großen Magier des Wortes empfohlen, sondern zugleich Kleinarbeit an der eigenen Ausdrucksweise im Umgang mit der Muttersprache.

Und dieses Schreiben, muß ich sagen, hatte eine hervorragende Wirkung. Es herrschte Schweigen, keine Gruppe war dafür, keine dagegen. Doch das Schweigen hat Frucht getragen für viele Jahre. Sie wissen alle, aus welcher Fülle gewandt geschriebener Berichte ich heute den Jahresbericht zusammenstellen kann.

Die Lektüre in den einzelnen Gruppen erschien mir ziemlich wahllos ohne Zusammenhang. Nach meinem grammatikalischen Angriff auf das Selbstbewußtsein der Lesekreise setzte ich mich nun für einen „roten Faden“ für die Wahl eines bestimmten Themas ein und machte einen Vorschlag, und hier fand ich bald Wiederhall. Mehrere Gruppen fühlten sich beeinträchtigt in ihrer „Pressefreiheit“ und wollten von solch einer Uniformierung der Arbeit nichts wissen. Doch ich wußte die Einwände zu zerstreuen mit der Bemerkung „roter Faden – kein Zwang“. Wer andere Themen besser findet für seinen Kreis, selbstverständlich, nur muß es ein bestimmtes Thema sein, dem nachgegangen wird.

So ist es geblieben bis heute. Der rote Faden hat manche Interessentin gefunden.

Meine Arbeit war angelaufen und lief nun in bestimmte Richtungen. Der jährlich herausgegebene rote Faden und der Jahresbericht machten den Lesekreisen Mitteilung über das, was gelesen werden konnte und über das, was gelesen worden war. Das später eingeführte Gruppengespräch über einen bestimmten, in der Zeitschrift veröffentlichten Artikel gab den Mitgliedern der Lesegemeinschaften Gelegenheit, sich im Gespräch zu üben.

Ein freundliches Echo brachten die Jahresberichte; das machte mir deshalb Spaß, weil es oft gar keine Mitglieder eines Lesekreises waren, die mir schrieben, sondern irgendwelche Leserinnen der Zeitschrift, die dem Bericht Anregungen entnommen hatten. So war der Jahresbericht nicht nur eine Bestätigung für mich, sondern vor allem für die Berichterstatterinnen der Gruppen.

Die größte Freude an meiner Arbeit brachten mir meine Reisen in die Gruppen mit den verschiedensten literarischen Lesungen. Nur durch sie habe ich eine direkte Verbindung vor allem zu den Vorständen der Gruppen bekommen und manche anregende Gespräche führen können.

Das letztere war mir besonders wichtig, als ich noch zweite Vorsitzende im Hauptvorstand war; ich konnte da manche vermittelnde und aufklärende Rolle übernehmen.

Meine Abschiedsrede will ich schließen mit nochmaligem Dank für alles Liebe und Gute, was ich erfahren durfte durch zahlreiche Mitglieder. Ich danke Ihnen für Ihre Herausforderung und Ihren Widerspruch; das gehört für mich zum geistigen Leben.

Meiner Nachfolgerin wünsche ich, daß ihr das Sachgebiet ebenso viel Befriedigung und Freude bringen wird, wie es mir gebracht hat.

Dem Verband wünsche ich, er möge noch manche Berg- und Talfahrt überstehen, wie er dies nun über 80 Jahre getan hat.

Quelle: Typoskript im Teilnachlass von Else Loelgen, deponiert im Frauen-Kultur-Archiv.