Frauen-Kultur-Archiv

Düsseldorfer Autorinnen der Gegenwart: in memoriam

Nachrufe

Renate Neumann ist ermordet worden. Nachruf

Diese erschreckende und schreckliche Tatsache machte sich die Regenbogenpresse sofort zu eigen, um herauszustellen, daß ‚sowas’ nur ‚denen’ passiert. ‚Diese’, das sind die ‚Lesbischen’, ‚Obdachlosen’, ‚psychisch Kranken’, ‚KünstlerInnen’. Ein Wort, das ich seit Jahren nicht mehr gehört hatte, kursierte durch die verschiedenen Blätter: das Wort Milieu. Was ein Milieu nun eigentlich genau sein soll, weiß keineR. Da leben halt ‚die’.

Der Lebensraum der Renate Neumann war jedoch kein Abgeschlossener. Hätte sie sich ausschließlich in ihrem ‚Milieu’, wie die Zeitungen suggerieren, aufgehalten, wäre sie ihrem Mörder niemals begegnet. Renate Neumann war diejenige Dozentin, die ihre StudentInnen zu sich einlud und ihnen ihre Bücher lieh. Sie war diejenige politisch aktive Frau, die verschiedene bewegte Frauen zusammenführte. Sie war diejenige Schriftstellerin, die drei junge unbekannte (und von daher noch nicht bedeutende) Schriftstellerinnen sozusagen als Kuckucksei zum Schriftstellerinnenkongreß NRW einlud. Sie war aber auch diejenige, die sich vor Anschlägen von Rechtsradikalen fürchtete, Drohanrufe bekommen hatte. Dem wurde, trotz Insistieren von FreundInnen, nicht nachgegangen, da die Polizei sich das einfach nicht vorstellen konnte.

Zynischerweise hat die Möglichkeit, den Mord an Renate reißerisch auszuschlachten, und ihre relative Bekanntheit in dieser Stadt ihr und uns überhaupt erst zu einer größeren Zukenntnisnahme der Tatsache durch die Medien verholfen. Wenn auch weder in ihrem noch in unserem Sinne. Mord, und vor allem Mord an Frauen, ist keineswegs die Ausnahme. Frauen werden zerstückelt und unter der Werkbank aufbewahrt. (WDR 2 nennt das dann „Mord aus Liebe“). Die tägliche und strukturelle Gewalt an Frauen ist keine drei Titelseiten wert. Sonst könnte vielleicht auch der/dem Letzten aufgehen, daß es auch um ihr/sein Leben geht. Ich weiß nicht, ob das, was Renate zugefügt wurde, uns allen passieren könnte, aber ich bin mir sicher, daß es uns alle angeht!

Renate Neumann war nicht eine von ‚denen’, sie war eine von UNS.

Nach und trotz allem ist es mir wichtig, in dieser Zeitung dem Menschen Renate Neumann mit Respekt und Anmut zu begegnen, diesem Menschen, der nach dem Mord an ihr nicht einfach so aufhört zu existieren, der uns auch so viel zurückgelassen hat.

Daher möchte ich die Menschen, die ihr am nächsten standen, ihre Schwester und ihre langjährige Partnerin, hier für sie und an sie sprechen lassen und nicht zuletzt Renate selbst.

Mithu M. Sanyal in: TERZ, Stadtzeitung, Düsseldorf, Jg. 3, Juni 1994.

Rede der Schwester, Usch Neumann, gehalten am 29.4.94 an Renates Sarg

Liebe Menschen.

Renate ist meine Schwester. Sie war ein besonderer Mensch mit Antennen für Herz, Seele und Gewissen anderer Menschen.

Ihre Texte lassen die Gedanken fliegen, das Herz hüpfen und die Seele suchen, aber der Verstand windet sich durch die Anspielungen und widersetzt sich, dem genialen Chaos zu entkommen.

Renate hämmerte an die Wände in uns, klopfte an Türen und bohrte ihre Fühler in unsere Abgeklärtheit. Ihr Leben war eine ständige Herausforderung, Normen in Frage zu stellen, den beliebten Satz „es gehört sich nicht“ an die Wand zu nageln, um endlich neue Antworten zu finden.

Wie trostlos, grausam, Entsetzen und Angst machend, bis zur Versteinerung werdend Renates Tod ist.

Sie hätte den Wunsch gehabt, ihn nicht nur persönlich zu betrachten, sondern aufzurütteln gegen Gewalt in unserer Gesellschaft. Für sie waren die Terrorakte gegen Asylsuchende gleichzusetzen mit der Judenverfolgung.

Renate hatte schreckliche Angst vor dieser Gewalt und fühlte sie wie am eigenen Körper.

Brennende Heime politisch Verfolgter sind keine Schlagzeile mehr wert, sie konnte deshalb nicht schlafen.

Ihr grausamster, gewalttätiger Tod ist eine Tragödie, er bereitet uns Schmerzen in unserer Menschlichkeit, klagt uns an, die Unmenschlichkeit in unserer Gesellschaft zu betrachten.

Renate hätte gewollt, daß dieses furchtbare Entsetzen, das uns den Hals zuschnürt, uns wachrüttelt gegen Menschenverachtung, Ausgrenzung Andersartiger und Fremdenhaß.

Und daß wir anfangen nachzudenken über eine liebevolle, gerechte, soziale und weltumfassende Form des Zusammenlebens aller Menschen und aller Nationen.

Renate fehlt uns unendlich, sie ist nicht zu ersetzen, aber die Vorstellung, daß sie im Himmel die Seelen von Rahel Varnhagen, Hegel, Karl Marx, Rosa Luxemburg und Shakespeare wachkitzelt und zur Reinkarnation anstachelt, hilft mir ein wenig.

So wie ihr Leben unvergessen häufig eine Provokation war, so wird ihr Tod ein Mahnmal bleiben.

Abgedruckt in: TERZ, Stadtzeitung Düsseldorf, Jg. III, Juni 1994.

Pressestimmen vor der Ermordung

Plötzlich rückt Geheimes nahe. Ein Porträt der in Düsseldorf lebenden Schriftstellerin Renate Neumann

„Sehr geehrte Damen und Herren, mit diesem Brief schicke ich Ihnen als ‚work in progress’ meinen Text in Arbeit, damit Sie einen Einblick in Aufbau, Stil und Technik meines Schreibens und Erzählens gewinnen können…“ Aber welchen Verlag interessiert schon noch „Aufbau, Stil und Technik“, wenn nicht hinter dem Autor, in diesem Falle: der Autorin, ein kassenfüllendes Programm, eine Publicity versprechende Person, eine power group, ein literarisches Quartett oder gut absetzbare Randgruppen (Alte wie Anna Wimschneider, Irre wie Ernst Herbeck) stecken? Soll Renate Neumann deswegen ihren Briefentwurf an die Lektorate gleich dem Papierkorb anvertrauen? Das wäre nicht nach dem Temperament einer femme de lettres, die an der Universität Arbeiten mit Titeln wie „Das wilde Schreiben“ (über Graffiti) und „Nicht mehr lieblich schweigen“ (über Rahel von Varnhagen) vorlegte.

Sprache, sagt sie, habe sie zunächst nicht sonderlich interessiert, sie zog mit Stiften und Aquarellfarben über Land; und in ihrer Wohnung hängen bedrängende Gemälde. Jenes, das sie nach der Japan-Reise 1987 zum Kongreß der Deutschen Friedens-Gesellschaft malte, strahlt es aus, das Geheimnis alles Bildens und Abbildens, die Ferne, das Unnahbare, Unwägbare, Ungewisse. Jenes Unnennbare, in das auch ihre Texte immer wieder schweben und den Leser sanft mitreißen in eine andere Welt: Beginnend mit einer Banalität des Alltags, sie zuspitzend, latent sarkastisch, leicht ironisch – und dann der Sturz, der Bruch, der Riß, wenn die Wirklichkeit zu innerer Kenntlichkeit umgeschrieben ist. Das Reale wird surreal – damit wir uns nicht entsetzen müssen, nein, jetzt erst recht entsetzen können.

Langsam also, nach manchen Krisen, schmerzhaften Verwerfungen und Umschichtungen der Seelen-Landschaft, gelangte sie über das Abbilden, das Analysieren der Wissenschaften, des Privatisieren der Tagebücher zu jenem Schreiben, das nun als Literatur vorliegt – ungedruckt, sieht man von Wenigem ab, aber umfänglich: Über 200 Seiten Kurzprosa („Minimale Geschichten“), eine Novellentrilogie, der Roman „Wenn A in B verliebt ist (ist B in C verliebt)“, ein Theaterstück.

Die autobiographische Folie läßt eine kosmopolitische Familie zum Vorschein treten, in der sich Menschen aller Sprachen ebenso versammelten wie die Temperamente sich schieden. War die Großmutter eine Briefautorin von Rang, verkaufte der Vater in alle Welt Rohrwalzwerke; über die Jahre in Pittsburgh/Pennsylvania (1979/82) hat die Mutter wiederum ein geistreiches Buch verfaßt. Ihre älteste Tochter Renate, geboren 1954 in Mönchengladbach, gewöhnte sich den schwäbischen Zungenschlag, Familienerbteil, in der rheinischen Grundschule rasch ab: „Ich war wie ein Ausländer.“ Sprach-Enteignung.

Das Etappenhafte in Renate Neumanns Schreib-Geschichte schlägt sich in der Struktur ihrer wundersamen Texte nieder als Abfolge von Schritten aus einer Wirklichkeit in eine andere. „Mir ist eine merkwürdige Labilität zugestoßen“, sagt sie. Damit ist ihre Fähigkeit bezeichnet, das Geheimnis der Dinge zu erspüren, es in Sprache zu verwandeln, ohne es zu verletzen. Es bleibt unnennbar. Und doch spüren wir lesend plötzlich seine Nähe, sehen sein Bild.

Sophia Willems in: Westdeutsche Zeitung, Düsseldorf 11, Mai 1993.