Frauen-Kultur-Archiv

Düsseldorfer Autorinnen der Vergangenheit

Historische Miniaturen

Anna Margarethe Fuggerin

„Muß i denn, muß i denn zu-um Städtele naus, Städele naus – u-und du, mei Schatz, bleibst hier“ – trällerte die junge Anna Margarethe Fuggerin vor sich hin, als sie rasch aber behutsam ein Kleid nach dem andern aus ihrem reichgeschnitzten Kleiderschrank zog um es dann nachdenklich, mit krauser Stirne kritisch zu betrachten.

„Das Leibfarbene tut es nicht,“ sagte sie laut vor sich hin, „und schon gar nicht das Schwarztafftene. Das ist zu düster und zu dicht .. Es muß eins sein, das Leben und Lustigkeit ausstrahlt, das keine Langeweile aufkommen lässt, — ist doch der junge Kaiser Karl ein gar grämlicher Geselle, der den Mund nur auftut zum Essen und Trinken. Am besten ists, ich zieh das Rotsammtene an mit dem silbernen Latz in der Mitte und Perlen und Edelsteine so viel als die Kisten und Kasten hergeben“.

Und schon kramte sie in ihren goldbeschlagenen Schmuckkästen und nahm alles heraus, was ihr ihr Eheliebster von seinen vielen Reisen mitgebracht hatte. Da war vor allen Dingen eine Perle, „10000 Goldgulden wert“, die sollte an einer feinziselierten goldenen Kette auf dem silbernen Latz zu liegen kommen, und zwei Perlen, ihr ähnlich, aber kleiner und von einfacherem Wert, mußten an die Ohren, und auf ihrem braunen Haar sollte ein Reif aus Rubinen und Diamanten blitzen, … an den Fingern aber sollte alles funkeln, was sie an güldenen Ringen verziert mit Chrysopras, Saphiren, Türkisen, Opalen und Ametysten besaß. Die Majestät war Pracht gewohnt –

Die Anna Margarethe Fuggerin breitete stolz und zufrieden das rotsammtene Kleid auf dem großen polierten Tisch aus und legte die Schmuckstücke daneben. Sie war so in ihr Tun versunken, daß sie nicht bemerkte, daß die Türe aufging und ihr Mann hereintrat.

„Alles beisammen?“ frug er lächelnd als er die Pracht sah und sich über Anna Margarethe beugte um einen Kuß auf ihr Haar zu drücken.

„Ach, Jakob!“ Die Fuggerin sprang auf und legte die Arme um seinen Hals. „Meinst du, ich gefall ihm, dem Kaiser, in all dem Zeug und dem Plunder?!“

„Dem Kaiser?!“ lachte der Kaufherr. „Das ist ein kränklicher, mißtrauischer Knabe, der noch nicht weiß was das Schicksal mit ihm vorhat und wie er allem begegnen soll. – Mir – sollst du gefallen und mein Haus hast du zur Geltung zu bringen, obwohl auch die Kaiserliche Majestät weiß, wie es dasteht!“

„Natürlich weiß sie es,“ sagte die Anna Margarethe Fuggerin stolz und zufrieden. „Die römische Krone hätt er nicht erlangen könne ohne dich und dein Geld.“

„Geb es Gott, daß sie ihm zum Glück ausschlägt, ihm und uns,“ sagte Jakob Fugger einen Augenblick ernst und nachdenklich. Seine Stimme zog sich zusammen, glättete sich aber gleich wieder, als er sah, daß sein Weib besorgt zu ihm aufschaute.

„Mach dir keine Gedanken,“ sagte er rasch. „Wir haben getan, was wir für Recht hielten und was wir dem edlen Kaiser Maximilian, dem Großvater des jungen Kaisers, schuldig waren. Nun ists an ihm, an dem Enkel, hineinzuwachsen in die Macht und in die Verantwortung.“

„Warum kommt er zu Dir?“ frug die Anna Margarethe Fuggerin.

„Warum?! Meinst du nicht, daß er mir den Besuch schuldig ist, nach allem, was ich für das Zustandekommen seiner Wahl getan habe?! Auch glaub ich beinahe, es ist wieder etwas im Werk – und es sollte mich nicht wundern, wenn sein Besuch auf eine zweite Anleihe hinausliefe.“

Am Mittag des nächsten Tages saßen in dem großen marmornen Prunksaal des weitläufigen Hauses der Fugger, der junge Kaiser Karl, Jakob Fugger, seine Frau und der ständige Begleiter des jungen Kaisers, sein Erzieher und Kammerherr, Herr von Chièvres an dem mit Kristall, Silber und Blumen in verschwenderischer Pracht gedeckten Tisch.

Es gab gebratene Tauben, Hähne, Hühner, Gänse, und Weine aus Portugal und Spanien, ja selbst von den griechischen Inseln.

Der Kaiser, mittelgroß, blond, blaß, mit melancholisch verschleierten Augen und hängender Unterlippe, von Natur schüchtern und durch eine grobe Mißbildung seines Unterkiefers zum undeutlichen Sprechen gezwungen, hatte nach ein paar kurzen Sätzen, die ihm von seinem Erzieher eingeprägt waren, und die er nicht ohne eine gewisse Würde hervorgegurgelt hatte, eifrig den Speisen und den Weinen zugesprochen und seinem Kammerherrn und Erzieher die Mühe, für die in französischer Sprache geführte Unterhaltung, überlassen.

Dieser, ein eleganter, gepflegter Mann in den vierziger Jahren, der den ganzen Vormittag lang den Zwang hatte erdulden müssen, Bittsteller zu sein für eine neue Anleihe des Kaisers, entschloß sich nun kurzerhand, sich für die vermeintliche Erniedrigung seiner Person zu entschädigen, und nun seinerseits diesen Pfeffersack, wie er den reichen Fugger in seinen Gedanken nannte, empfindlich zu demütigen. Denn ungeachtet dessen, daß Jakob Fugger vor kurzem in den Grafenstand erhoben worden war, vermeinte Herr von Chièvres’ Hochmut noch immer in ihm den kleinen Händler und Raffer zu sehen, und es kam ihm jetzt, da er das Gold sicher in der kaiserlichen Kutsche wußte, unter der handfesten Bewachung von vier kräftigen Hellebardieren, nur darauf an, dem Jakob Fugger zu zeigen, daß man auch ohne Geld noch um ein Erhebliches über den hinausragte, der selbstsicher und zufrieden auf den aufgetürmten Ballen seiner Reichtümer tronte.

So sagte er denn zu dem neben ihm sitzenden Kaufherrn und die Zunge war ihm gelöst von dem Wein, dem er reichlicher zugespochen hatte, als seine vorsichtige und kalte Natur es sonst zuließ: „Eure Weine in Ehren – und Euer Geld. – Beides ist gut. Aber es wird erst vorzüglich, wenn es in unsren Händen ist und zu weittragenden Plänen Verwendung findet. Denn immer noch wird die Welt regiert vom Geist, der jeglichem Ding Wert verleiht, auch Eurem Geld, das in uns erst seine einwandfreien Meister findet.“

Aber ehe noch Jakob Fugger, der ruhig und bedächtig in seinem, von kostbarem Pelzwerk geschmücktem Gewand neben dem Kaiser saß und die Pflichten des Hauswirtes bereitwillig und höflich erfüllte, die anmaßenden und hochmütigen Wortes seines Gastes in seinem besonnenen Herzen gerecht überprüfen konnte, hatte sein Weib, die junge Anna Margarethe Fuggerin das Wort ergriffen, und jetzt sprach sie deutsch, denn was jetzt zu sagen war, konnte in keinen wälschen Lauten über ihre Zunge gehen.

„Gott hat die Stände erschaffen, aber den Hochmut hat er nicht gebraut. Ob Ihr mit Hilfe unserer Gulden regiert oder wir durch unsere Gulden mit Eurer Hilfe, das ist ihm alles Eins; das Eine ist ihm so viel wert wie das andere, wenn nur das Haupt, das für uns und für Euch die Verantwortung trägt, nicht wurmstichig ist und uns führt nach Seinem, des größeren Herren Gott, Wohlgefallen.“

Und bei diesen ihren Worten ließ sie als echte Tochter ihrer allezeit ewig jungen Mutter Eva ihre Grübchen spielen und warf ein wahres Feuerwerk von unschuldigen und zugleich wissenden Blicken auf den Kammerherrn, daß es diesem war, als habe ihn zu unrechter Zeit ein Funkeln der unerbittlich klaren Sonne getroffen und ihn in seiner ganzen, wenig anziehenden Nacktheit gezeigt.

Der Kaiser aber wandte die matten Augen, die unter den schweren Lidern fast verschwanden, auf den jetzt etwas zusammengesunken dasitzenden Kammerherrn. Er hatte nicht verstanden um was es sich handelte, denn er sprach ja kein Wort Deutsch und er war langsam und schwer im Auffassen, aber er sah zum ersten Male seinen Erzieher und Lehrer, der ihn beherrschte, und in strenger Form sein ließe, überrumpelt, verlegen, zum Schweigen gebracht, und die sonst so geschwinde Zunge spielte ihm unschlüssig im Maul.

Da wandte der Kaiser den Kopf nach der anderen Seite, um die anzusehen, die dieses Wunder vollbracht hatte, und was er da sah, zum ersten Male mit Bewußtsein sah an diesem Tag, denn vorher hatte er sich nicht die Mühe genommen, genau nach ihr hinzusehen, das war kein stolzes hochfahrendes Weib, und schon gar keine kalte, herrschsüchtige Hofdame, – was da neben ihm saß, was sich am Tisch neben ihm behauptete, klein, rundlich, mit roten Wangen, ohne Puder und Schminke, und mit einem herzhaften Brennen in den Augen, die sich voll Wißbegier und Bereitschaft gleichsam in alle Erscheinungen des Lebens hineinbissen, das war die Natürlichkeit selbst, die Gesundheit, die Geradheit, der unverfälschte Instinkt in eigener Person.

Und zum ersten Mal an diesem Tag lächelte der Kaiser, und er lächelte noch, als er später, mit den wohlverwahrten und wohl bewachten Gulden des reichen Herrn Fugger davonfuhr, in eine ungewisse Zukunft hinein, in eine, bereits von den nahenden Stürmen der Reformation aufgewühlte, drohende und unheilschwangere Gegenwart.

Quelle: Undatiertes viereinhalbseitiges Typoskript aus dem Nachlass von Hanna Rademacher im Frauen-Kultur-Archiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Mechthild von Magdeburg

„Gib mir, Herr, daß ich Deine Stimme höre, daß ich erkenne, wie Du es meinst. Denn meine Gedanken irren oft ab von Deinen Worten, das Tägliche durchkreuzt sie, wir aber sollen Erfüller Deiner Gebote sein. Gib, daß ich nicht in Anfechtung falle. Gib, daß ich nicht müde werde, Dir zu gehorchen. Laß mich Dein Geschöpf bleiben. Und, wenn es not tut, erfülle mich mit Deiner Glut. Gib meinen Worten Kraft. Umgürte mich mit der Gewalt Deines Zornes. Wahr laß mich bleiben um Deiner großen Wahrheit willen – Gerecht, um Deiner hehren Gerechtigkeit willen, aufrecht, um Deiner unumstößlichen Gewißheit willen… und immer und überall Dein eigen.“

Tief neigte die Nonne ihr Haupt. Ihr Kopf lag auf ihren gefalteten Händen, lange, so lange, bis eine wohltuende Wärme sie durchdrang, bis ihr Herz bebte vor Glück. – Gott hatte ihr Gebet erhört. Er hatte es in Gnaden angenommen. Gesegnet würde er sein, der Tag, und sie mit ihm.

Sie stand auf. Niemand außer ihr war im Dom. Senkrecht, leuchtend stiegen die schlanken Pfeiler in die Höhe und schlossen sich droben, wie sich der Himmel wölbt über der Erde, schützend, befreiend.

Sie trat auf die Straße. Eine Hand berührte sie. Sie sah in die weinenden, entzündeten Augen der alten Schwester Agnata.„Er kann nicht leben und er kann nicht sterben,“  flüsterte die alte Schwester. „Viermal schon wurde ihm die heilige Wegzehrung gegeben, aber es ist, als hielte ihn etwas ab, zu Gott einzugehen.“

„Ich komme,“ sagte die Nonne Mechthild. Kurz darauf stand sie in dem ärmlichen Stübchen des Kranken. Es war einer der einfachen Tagelöhner, wie sie zu Dutzenden am Rande der stadt wohnten, ein Mann, der täglich im Kloster gearbeitet hatte, der allen Nonnen vertraut war. Und nun lag er da und sollte sterben.

Seine Augen waren weit offen, aber es war keine Furcht in ihnen, nur eine abgrundtiefe Traurigkeit. Und plötzlich glaubte die Nonne zu verstehen, warum seine Seele sich so schwer von der Erde lösen konnte.

„Er hat Dir gedient, Gott,“ sagte sie heiß und laut und von Dankbarkeit erfüllt. Er hat Dir gedient, Gott, mehr als jeder andre Deiner Knechte. Warum läßt Du ihn nicht in Frieden sterben?! – Zürnst Du ihm, weil er deine Erde geliebt hat? Er hat sie geliebt mit der Einfalt und Inbrunst Deiner ersten Menschen, denen Du diese erde zum Geschenk gemacht hast. Er hat sie geliebt und er ging durch sie wie ein Kind, selig, und einer ungewissen Erwartung froh. Ein großes Staunen war in ihm und eine immer sich erfüllenmüssende Dankbarkeit. Mußt Du ihn nicht belohnen dafür, daß seine Augen hier unten schon das sahen, was Du das Ewige nennst? Warum also verwehrst Du ihm den Aufstieg in Dein Reich? Hat er nicht, mehr als jeder andere, deine Erde erkannt, als das, was Du wolltest, daß die Menschen in ihr sehen sollten? War ihm nicht jede Arbeit ein Dienst in deinem Namen? Geschah nicht alles, was er tat, um Dich zu ehren? – Nichts war ihm zu gering: das Holz, womit er die Dächer unserer Häuser ausbesserte, es war ihm nicht nur Holz, es wurde unter seinen Händen Schutz, Hilfe, Wärme, Geborgenheit… Grub er die Erde um in unseren Gärten, so lag sie da, wie von einer guten Hand aufgeschüttelt, locke rund leicht, und die Blumen blühten köstlicher und reicher. Göttlich war ihm Deine Erde… Göttlich der Dienst an ihr… Göttlich die Arbeit.

Heilig hielt er alles, was Deinen Odem trug. – Wenn Einer Deine Gebote erfüllt hat, dann war er es, Herr – Warum also verweigerst Du ihm jetzt den Aufstieg in Dein Reich? – Warum gönnst Du ihm die Heimkehr in Deinen Schoß nicht? – Nimm die Traurigkeit aus seinen Augen – Laß ihn wissen, daß es gut und recht ist, das Himmelreich auf Erden zu formen, sag ihm aber, daß droben bei Dir die Bäume machtvoller rauschen, die Brunnen gewaltiger springen! Sag ihm, daß diese Deine Erde nur ein schwacher Abglanz der Herrlichkeiten Deiner Himmel ist – Sag ihm, daß droben bei Dir ein unendlicher Friede auf die wartet, die hier unten ihre Arbeit getan haben – ein Friede und eine alles überstrahlende selige Heiterkeit!“

Das Gesicht des Sterbenden hatte sich erhellt. Er hatte die Worte der Nonne gehört und jetzt sah er es ganz deutlich: eine Leiter senkte sich herab vom Himmel auf die Erde, und er stieg empor in eine rosenrote Halle, mühselig zuerst, dann immer leichter, befreiter, hinein in die kristallklare Ewigkeit.

Quelle: Undatiertes zweieinhalbseitiges Typoskript aus dem Nachlass von Hanna Rademacher im Frauen-Kultur-Archiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.