Frauen-Kultur-Archiv

Düsseldorfer Autorinnen der Vergangenheit

Texte der Autorin

Eine Denkmalsenthüllung in Düsseldorf (1914)

„Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu Mute. Ich bin dort geboren, und es ist mir, als müsste ich gleich nach Hause gehn. Und wenn ich sage, nach Hause gehn, so meine ich die Bolkerstrasse und das Haus, worin ich geboren bin.“

Als ich das zum ersten Mal las, war ich ein Kind und hockte mit glühenden Backen über dem Buch Le Grand. Damals bin ich zum ersten Mal aufrichtig stolz auf meine Vaterstadt gewesen; und ich wunderte mich, wie man etwas so Buntes und Schönes und bis zum Herzklopfen Berauschendes aus den nämlichen Strassen und Gassen machen könnte, durch die man mit seinem Schulranzen trabte oder durch die man mit seiner Mutter zur Kirche ging.

„Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön – “

Das habe ich nun heute morgen wieder gelesen. Es stand mit säuberlich gemalten Buchstaben auf einem Schild, und das Schild hing im Wirtshaus „Zum goldenen Kessel“ auf der Bolkerstrasse in Düsseldorf, grade gegenüber dem Geburtshaus des vielgeliebten, vielgeschmähten und viel nachgeahmten Rheinländers und Juden Harry Heine.

Vor der Tür hatten Lorbeerbäume gestanden. Eine lange Fahne hatte herausgehangen, darunter stand zwischen Lastfuhrwerk und Handwagen etwas vereinsamt und nicht ganz in den Stil der alten Bolkerstrasse passend ein einzelnes Automobil, und drum herum balgten und schubsten sich neugierig ein Haufen rotznasiger kleiner Kluten: „No süch! Wat es denn do loss?“ –

Und dann ist es drinnen beängstigend voll Menschen. Im Flur, im Weissbierausschank – in der Kneipe. Herren und Damen, Menschen aus den verschiedensten Lebenskreisen. Für den Stadtkundigen manch bekanntes Gesicht darunter. Das drängt und schiebt vorwärts, an einer Ecke vorbei, wo vor einem schwarzverhüllten Etwas ein Busch frischer Blumen duftet. Ein wunderliches Gemisch ist das: der süsse Duft der Blumen, beissender Tabakrauch – ernsthafte Erwartung, Witzworte, die leicht hin und wieder schwirren – das Gefühl des Zuhauseseins und zugleich das des ironischen Protests.

Jetzt kann wahrhaftig keine Seele, weder sitzend noch stehend, mehr Platz finden. Die „Köbese“ drängen sich schwitzend und beschwerlich kaum noch durch mit ihren Flaschen und Gläsern. Man könnte denken, es wäre Rosenmontag, aber ein Rosenmontag mit einem ernsthaften, fast wehmütigen Nebenklang.

Und dann schweigt langsam alles still. Von Meisterhand gespielt perlen die Weisen Robert Schumann’s süss und rein über diese bunte Menge in der Altdüsseldorfer Weissbierkneipe. In der folgenden Stille aber steht plötzlich ein Rheinländer, Herbert Eulenberg, neben dem schwarzverhüllten Etwas in der Ecke und spricht den Festtext zu dieser Feier, zu der sich, wie er es ausdrückt, „das mündige Düsseldorf“ zusammengefunden habe: zur Feier der Enthüllung des ersten Heinedenkmals in seiner Geburtsstadt Düsseldorf.

Denn das ist der Sinn des Lorbeers, der Blumen, der langen Fahne, des einsamen Automobils und der dicht gedrängten Menschenmenge. Unter den brausenden Hochrufen der versammelten Menge verwandelt sich das schwarzverhüllte Etwas flugs in weissschimmernden Marmor, in eine Büste des jugendlichen Heine. Dann aber bekommt augenblicklich Harry Heine selbst das Wort mit den allerschönsten Liedern aus der „Dichterliebe“ (von E. Hanfstängl und Kapellmeister Schwarz meisterlich interpretiert), und im Nu schafft sich der alte Hexenmeister diese bunte, zusammengewürfelte Menge in eine andächtige Gemeinde um.

„Keine Messe wird man singen, keinen Kadosch wird man sagen –“?

Freilich ist dies eine Feier eigner Art. Eine putzige Art einer Denkmalsenthüllung.

Kein Frack. kein Stern. Keinerlei Spitzen der Behörden. Nicht einmal Spitzen der Gesellschaft. Sogar nicht einmal ein Komitee im Bratenrock mit ’nem Schleifchen im Knopfloch. Rein gar nichts von alledem. Wie gesagt: Ein Altdüsseldorfer Wirtshaus auf der Bolkerstrasse, mit dem manchmal sogar fast zu lauten Geräusch und Gemurmel des Wirtsbetriebes und des Strassenlärms im Hintergrund – einem Geräusch, als wollten die ewigen Meinungsverschiedenheiten über diesen unruhvollen Geist immer noch nicht zur Ruhe kommen. Und darüber wegklingend das „Am Rhein, am heiligen Strome“ und eine weisse Büste im Hintergrund. Und als die Künstler drinnen schweigen, setzt sich der Gesang draussen im Volksliedton fort und in den noch nicht beendeten Applaus mischt sich schon die erste Strophe der ewigjungen Loreley –

Nebenbei gesagt: die Büste ist gut. Einfach, grosslinig. Der Bildhauer Jungbluth-Sahl hat sie gemacht und sie verdiente wohl, im Grünen der Sonne zu stehen statt in der Ecke einer Altstadtkneipe.

Aber nun hat sie der „Goldene Kessel“, und es gebührt ihm der Dank dafür. Er sollte mit in die Heineliteratur aufgenommen werden dafür, dass er im Jahre des Heils 1914 dem Harry Heine aus der Bolkerstrasse das erste Denkmal auf Düsseldorfer Boden setzte – wenn es auch, wie Eulenberg sagte, eine Art „Käfigdenkmal“ ist.

Aber was das Denkmal anbetrifft – – –  Lieber Gott ja. Wenn sich für einen nach hundert Jahren so viel unterschiedliche Menschen am Werktag in einem schlichten Altstadtwirtshaus zusammenfinden, wo man weder „bemerkt“ noch dekoriert noch sonst irgend etwas werden kann, wo keiner die geringste Aussicht hat, selber irgendwie in die Erscheinung zu treten, schon aus dem einfachen Grunde, weil es dazu viel zu eng und zu winklig ist – wenn einen nach hundert Jahren die Künstler ehren und die Bürger lieben und das Volk singt – lieber Gott ja, da möchte man schon lieber eine Büste in der Ecke vom Goldenen Kessel an der Bolkerstrasse haben, als ein prächtiges Denkmal, zu dem sich alsmal ein durchreisender Fremder verirrt, die Brille auf die Nase setzt und den Sockel studiert, um zu lesen, wie der Kerl doch wohl geheissen hat – – – –

(Die Denkmalenthüllung fand am 9. April 1914 statt.)

Quelle: Undatiertes maschinenschriftliches Manuskript aus dem Teilnachlass von Leonore Niessen-Deiters im Frauen-Kultur-Archiv der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf]