Frauen-Kultur-Archiv

Gedenken an engagierte Frauen Düsseldorfs

Die Unterhaltungslektüre unserer Eltern und Großeltern

Referat für ein Podiumsgespräch der Ortsgruppe Düsseldorf des Verbands Deutsche Frauenkultur e.V. vom 27. Februar 1973 im Frauenbundhaus, Stresemannstr.21

Liebe Mitglieder, ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserem Podiumsgespräch. Unsere Runde wird Ihnen – das hoffe ich sehr – mit der Auswahl der Zitate aus alten beliebten Unterhaltungsromanen oder mit deren Erläuterung, eine rechte Herausforderung sein, sich lebhaft an der anschließenden allgemeinen Diskussion zu beteiligen.

Als Motto über unsere heutige Veranstaltung setze ich das Wort von Heinrich von Treitschke, welches auch Gabriele Strecker für ihr Buch „Frauenträume – Frauentränen“ (1969) gewählt hat: „Alle Zeiten lassen sich die Wandlungen des sozialen Lebens aus den Werken jener kleinen Schriftsteller, welche nur die Meinung aller Welt wiedergeben, am sichersten erraten.“ (aus: „Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts“)

So wollen wir Einblick nehmen in die Welt des Jedermanns, in „die Welt der Gartenlaube“, ein in den letzten Jahren zum Slogan gewordener Begriff, seit die Soziologie diese Zeitschrift als besonderen Blickpunkt ihrer Arbeit ansieht.

Nicht umsonst – das nur nebenbei – hat unsere Geschäftsstelle in Gütersloh ständig zunehmende Anfragen von Studenten und Institutionen, die Einsicht nehmen wollen, auch in unsere Zeitschrift. Sie besteht seit 1897, ist lückenlos im Archiv einzusehen und ist ebenfalls eine Fundgrube für die gesellschaftlichen Strömungen des jeweiligen Zeitabschnitts.

Doch zum Thema: Obwohl wir uns nur mit der Unterhaltungsliteratur der vergangenen Eltern- und Großeltern – ja schon Urgroßelternzeit beschäftigen wollen, so können wir nicht an der „Gartenlaube“ vorbeigehen; denn die damals bekannten Schriftsteller und vor allem die Schriftstellerinnen haben großenteils im Auftrag der „Gartenlaube“ geschrieben oder sie haben hier einen guten Platz für ihre der Zeitschrift angebotenen Werke gefunden.

Als zeitgemäße Besonderheit sei gesagt: Die Schriftstellerinnen hielten sich gerne mit der Angabe ihrer Weiblichkeit zurück, um nicht mit der damals üblichen Abwertung schöpferisch tätiger und geistig arbeitender Frauen beurteilt zu werden, sondern ihrer wirklichen Leistung gemäß. Gaben sich z. B. Mary Anne Evans (1819-1880) = George Eliot, Charlotte Brontë

(1816-1855) = Currer Bell und Aurore Dudevant (1804-1876) = George Sand nicht nur fremde Nachnamen, sondern auch männliche Vornamen, so machten es sich die Schriftstellerinnen, von denen wir heute hören, einfacher; der Vorname blieb offen. Man zeichnete mit E. Marlitt – Eugen oder Eugenie? W. Heimburg – Wilhelm oder Wilhelmine? E. Werner, F. Lehen.

So ereignete es sich, daß Ernst Keil, der Herausgeben der Gartenlaube, einen Brief an den Herrn E. Marlitt richtete, welcher ihm 1865 zwei Novellen eingereicht hatte. Es heißt da: „Wenn man genötigt ist, so viele verfehlte, triviale schülerhafte novellistische Arbeiten zu lesen, wie dies die Redaktion einer Zeitschrift wie meine Gartenlaube ist, nichts anders mit sich bringt, so tut es doppelt wohl, stößt man unter der Menge der Einsendungen einmal auf eine Schöpfung, die nach Stoff und Form unwiderleglich den Stempel des Talents an sich trägt […] ich wäre mit Vergnügen bereit, auch ferner novellistische Beiträge von Ihnen zu akzeptieren und sie zu den ständigen Mitarbeitern meiner Gartenlaube zu zählen, und würde Ihnen, sobald sich auch Ihre andern Erzählungen etc. zum Abdruck in meinem Blatt eigneten, liberale Honorare in Aussicht stellen.“

Ernst Keil wünschte nun selbstverständlich die persönliche Bekanntschaft mit dem Autor und kündete seinen Besuch an. Das Geheimnis mußte gelüftet werden und Ernst Keil schrieb: „Verehrtes Fräulein […] ich gestehe, daß mich diese Enthüllung des Geheimnisses zwar einigermaßen, aber doch nicht so völlig überrascht hat, da ich in der Schilderung der weiblichen Charaktere in der Tat eine weiblich warme und weiblich feine Feder zu erkennen glaubte.“

Doch nun zu Entstehung und Wirkung der Gartenlaube selber. Um das rechte Bild zu geben, will ich versuchen, trotz der Kürze des Berichtes einige Lichter auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund zu werfen, denn der Herausgeber der Gartenlaube war eine politisch engagierte Persönlichkeit; und aus diesem Engagement heraus ist die Zeitschrift entstanden.

Die Gartenlaube war nicht das erste, aber wohl das später erfolgreichste „Familienblatt“. Diese Familienblätter waren inhaltlich weit gefächert. Sie kamen dem Informationsbedürfnis des Kleinbürgertums und der mittleren Bildungsschicht entgegen. Diese Bevölkerungsschicht verlangte nach einer einfachen verständlich geschriebenen Berichterstattung; anders konnte sie sich nicht mehr auf dem Laufenden halten über die Entwicklung der immer mehr das tägliche Leben beeinflussenden, technisch naturwissenschaftlichen Forschungen und Praktiken.

Der Gründer der Gartenlaube war, wie schon eben gesagt, der Journalist Ernst Keil (1816-1878). Er hatte sich schon vor 1853, dem Gründungsjahr der Gartenlaube, mit der Herausgabe verschiedener Zeitschriften befasst. 1845 war „Berlin Leuchtturm“ erschienen; Keil vertrat darin eine politisch liberale Gesinnung. Drei Jahre konnte das Blatt trotz der damals so eingeschränkten Pressefreiheit bestehen. Aber als sich die Redaktion 1848 – als es um die Erkämpfung um Bürgerrechte ging – für die liberal revolutionären Ideen einsetzte, da griff die Zensur zu: Die Zeitschrift wurde verboten und Ernst Keil kam ins Gefängnis.

Doch von seinen Vorstellungen einer liberalen Gestaltung der bürgerlichen Gesellschaft ging er nicht ab. Er gehörte zu jener gehobenen Bildungsschicht, die sich für eine demokratische Verfassung einsetzte, für eine Volksvertretung im Parlament und vor allem für die nationale Einheit. Keil grübelte im Gefängnis darüber nach, wie er mit seinen Gedankengängen Einfluss auf eine breite Bürgerschicht bekommen könne.

Der politischen Aktivität des Bürgertums war nach den Aufständen von 1848 und der gescheiterten Nationalversammlung eine tiefe Lethargie auf diesem Gebiet gefolgt. Hier nun mußte angesetzt werden. Ein Familienblatt sollte die liberalen und nationalen Ideen wieder zu neuem Leben wecken. So mußte man zunächst mit einer solchen Zeitschrift der Stimme des enttäuschten Publikums gerecht werden, um langsam wieder aufzubauen. Dieses Publikum war, nach allen gemachten enttäuschenden Erfahrungen, eher geneigt, sich unverbindlich unterhalten zu lassen. Deshalb mußte das Familiäre, der traulich umbaute Raum des privaten Lebens herausgestellt werden, um dem Wusch nach Geborgenheit vor der rauen politischen Wirklichkeit zu entsprechen.

Am 1. Jan. 1853 erschien das erste Heft mit einer Begrüßung Ernst Keils an seine Leser:

„Grüß Euch Gott. Liebe Leute im deutschen Lande.

Wenn Ihr im Kreis Eurer Lieben die langen Winterabende am traulichen Ofen sitzt oder im Frühling, wenn vom Apfelbaume die weißen und roten Blüten fallen, mit einigen Freunden in der schattigen Laube – dann lest unsere Schrift. Ein Blatt soll’s werden für’s Haus und die Familie, ein Buch für groß und klein, für jeden, dem ein warmes Herz an den Rippen pocht, der noch Lust hat, am Guten und Edlen! Fern von aller räsonierenden Politik und allem Meinungsstreit in Religions und anderen Sachen wollen wir Euch in wahrhaft gute Erzählungen einführen, in die Geschichte des Menschenherzens und der Völker, in die Kämpfe menschlicher Leidenschaften und vergangener Zeiten. So wollen wir unterhalten und unterhaltend belehren. Über das Ganze aber soll der Hauch der Poesie schweben wie der Duft auf der blühenden Blume und es soll Euch anheimeln in unserer Gartenlaube, in der Ihr gutdeutsche Gemütlichkeit findet, die zu Herzen spricht.“

Es war ein großes Programm, was da angedeutet wurde. Keil hat es erfüllt und außerdem seine politische Zielsetzung nicht vergessen. Wie stark dieses politische und soziale Engagement des Herausgebers war, das ist deutlich zu ersehen aus der Inhaltsführung der Romane und Novellen, die in der Gartenlaube erschienen sind. Die Auflageziffern stiegen mit der Beliebtheit der Romanschriftsteller. Die Zeitschrift erreichte 1874 – als das berühmte Buch „Die zweite Frau“ von der Marlitt erschien – einen Kreis von 325 000 Abonnenten.

1878 starb Ernst Keil; unter seinen Nachfolgern wurde die national-liberale Richtung langsam nationalistisch-konservativ, ja sogar militaristisch. Und so hat die Gartenlaube gewiß ideell manches zu den Konflikten beigetragen, die zum Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914-18 geführt haben. 1924 erschien der letzte Jahrgang. Die Leser hatten sich gewandelt. Sie verlangten nach einer anderen Kost als es ein Familienblatt zu bieten hatte.

Nach diesem gedrängten Überblick wollen wir uns nun den Fragenkomplexen zuwenden, die Sie im Programm dieses Monats gelesen haben. Wir hier in der Reihe haben die verschiedensten unterhaltungsliterarischen Bücher gelesen, um Ihnen mit Zitaten aus diesen Romanen des kleinen Mannes oder der großen Masse das Wort Treitschkes zu beweisen, daß sie eine soziologische Fundgrube sind. Sie werden hinter blumenreichen und sentimentalen Wendungen viel damals aktuelle Probleme der Familie und der Gesellschaft kennen lernen. Sie werden überrascht sein, wie sehr sie uns zum Teil auch noch heute angehen. Die Umstrukturierung zur modernen Gesellschaft hat schon in der Gartenlaube einen Ausdruck gefunden.