Frauen-Kultur-Archiv

Gedenken an engagierte Frauen Düsseldorfs

Gerda Kaltwasser (1930-2002)

Gedenken, Würdigungen

 

 „Uns Gerda“ ist nicht mehr bei uns. Die frühere RP-Lokalredakteurin Gerda Kaltwasser starb gestern im Altern von 71 Jahren

 

Das erste Treffen bleibt unvergesslich: Ein Verlag stellte damals, es muss 1981 gewesen sein, einige Bücher über das Rheinland vor. Die Tür ging auf, eine kleine Dame – vom Hut über die Pelerine bis zum Kostüm komplett und keck in rotem Pepita gekleidet – kam herein, warf einen sehr skeptischen Blick auf die Machwerke, stellte zwei Fragen, fällte ein kurzes, aber vernichtendes Urteil. Und ging wieder. Erschienen ist über diese Bücher in der RP keine Zeile. Das war Gerda Kaltwasser, damals stellvertretende Lokal-Chefin der RP in Düsseldorf.

 

„Uns Gerda“, wie wir sie in der Redaktion genannt haben, war wandelndes Düsseldorf-, Heine-, Harry-Schmitz und Hetjens-Museum-Lexikon. Sie kannte alle und alles, denn sie hatte diese Stadt ja seit ihrer Geburt buchstäblich er-lebt. Aufgewachsen als Tochter eines Metzgers in Bilk, kam sie nach dem Abitur auf dem Luisen-Gymnasium früh zum Schreiben, seit 1962 tat sie es bei der Rheinischen Post, noch vor wenigen Wochen stand ihr Name über einem Text in der RP.

 

Immer hat sie in, aber nicht ausschließlich für Düsseldorf gelebt. Sie liebte die Stadt, aber auch aus der Ferne – damit dem von ihr verehrten Heine durchaus ähnlich. Kaum ein Land der Welt, das „uns Gerda“ nicht besucht hat. Sie war schon auf Tonga, als hier zu Lande keiner wusste, dass es dieses Inselreich überhaupt gibt. Gerdas „Schreibe“ war von einer Qualität, die Nachwuchsjournalisten anspornt – einmal so fein, so packend, mit so wenigen Mitteln sprachlich ins Schwarze treffen. Sie konnte es meisterlich, bis zuletzt. Und wenn der Begriff „spitze Feder“ jemals passte, dann bei ihr. Viele, vor allem die ihr suspekten Selbstdarsteller, haben das häufig erleiden müssen. Benachteiligte, egal aus welcher Ecke, konnten dagegen auf ihre Hilfe zählen. Ein Engagement, das die Stadt 2000 mit dem Jan-Wellem-Ring belohnte. Jahrelang war sie der Lambertus der RP – für diese Samstag-Glosse ging er (also sie) langsam durch die Stadt, und erzählte, was er (also sie) sah.

 

Als ihr Körper wegen einer tückischen neurologischen Krankheit (von der sie seit langem wusste!) den Dienst versagte, bremste dies ihre Energie und die Freude an der Arbeit nicht. Sie rollte im Elektrowagen zu Terminen – und schrieb am Computer so fit und flott wie eh und je.

 

Nun ist sie nicht mehr bei uns. Gestern Morgen starb Gerda Kaltwasser. Sie wurde 71 Jahre alt.

(ho-) in: Rheinische Post, 25. Juli 2002.

 

 

Stadtgewissen mit lächelnden Augen
Flüchtige Anmerkungen zu Gerda Kaltwassers 70. Geburtstag

 

Ach, Gerda, was sollten wir denn tun ohne dich? Ohne das leichte, unermüdete Stadt-Gedächtnis, das auf einer Karosse mit vier Gummirädern schnurrt, elektrisch angetrieben, deren Merkwürdigkeiten einem Satiriker wie Hermann Harry Schmitz gewiss ein paar hübsche Sottisen aus der Feder gespritzt hätten.

 

Eine Journalistin ist dies, die das Klischee scheut wie der Teufel den Weihrauch. Immer wieder wunderbar und vorbildlich, wie sie in flüssiger Schreibweise zwischen den Gemeinplätzen durchsegelt ohne Angst vor Skylla noch Charybdis.

 

Biografische Fakten? Zu skizzieren ist der Lebenslauf der Metzgerstochter aus der Friedrichstadt übers Schlittschuhlaufen am Schwanenspiegel zum Amerika-Stipendium nach dem Krieg zur Ochsentour über verschiedene Tageszeitungen bis hin zur Rheinischen Post (1962). Dort machte sie sich vor allem als Anwältin für prekäre, große und kleine Themen und Regionen von Heine über Minderheiten bis Israel einen Namen. Oft hat sie sich vertippt. Doch nie verschrieben.

 

Die Summe ihrer Verdienste (streichen wir mal den Singular „Verdienst“) addiert sich auf zahlreiche Ehrenringe. Nach wie vor segelt sie zwischen den vielen „H’s“ herum, Heine, H. H. Schmitz (dem jetzt wenigstens eine Schule gewidmet wurde – also keine Sackgasse, wie auch schon geplant), Hetjens-Museum. Und zahlreichen Büchern, Vorworten, Film-Kommentaren.

 

Der Bildhauer Bert Gerresheim formulierte bei einer Lobrede 1998 Gerda Kaltwassers Erkenntnis, dass man Wort und Leben, Ästhetik und Moral niemals voneinander trennen könne.

 

Gerda, das mobile, überfliegende, flatternde, nie flatterhafte Journal-Gedächtnis ihrer Stadt (die deren Herzblut oft genug noch nicht einmal verdiente) – sie ist so eine, über die Jean Paul einmal schrieb: „Die alten Menschen. Wohl sind sie lange Schatten. Aber sie weisen alle gen Morgen.“

 

Sebastian Feldmann in: Rheinische Post, 15. November 2000.

Autobiografisches

 

Gerda Kaltwasser: Fast eine Bilkerin (2001)

 

„Du bist nicht aus Bilk, du bist aus der Friedrichstadt“, sagte freundlich rügend der ältere Kollege, natürlich altverwurzelter Bilker, in den fünfziger Jahren zu mir. Er war so eine Art wandelndes Kataster der Stadt, nicht nur, was die Grenzziehung im ehemals zufriedenen Süden Düsseldorfs, also in und um Bilk, anging. Ich konnte damit nichts anfangen, für mich war die Friedrichstadt ein Stadtteil von Bilk, so wie Pempelfort ein Stadtteil von Derendorf war; pardon, denn Vater und Mutter waren Zugereiste, kurz vor und nach dem ersten Weltkrieg, typische Düsseldorfer eben.

 

Später lernte ich dann, dass Bilk ganz alt war, während die Friedrichstadt der Esel im Galopp verloren hatte, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen den Bahnhöfen der Bergisch-Märkischen und der Köln-Mindener Eisenbahn. Die Friedrichstadt war das Bindeglied zwischen dem soliden alten Bilk und dem jungen, ein bisschen angeberischen Stadtzentrum, zwischen der legendären Villa Billico, über die der Gründer der Bilker Heimatfreunde, Hermann Smeets, ein Buch geschrieben hat, und der Königsallee, die gerade Namenstag feiert, weil sie seit 150 Jahren so heißt, wie sie heißt.

 

Kindheitserinnerungen an den alten Floragarten, in dem ich in meiner Fantasie Ritterspiele spielte, und an die Ständehausanlagen, wo wir mit der Bande „Villa Jück“ ganz reale Kämpfe ausfochten, werden geschwärzt von den Rauchschwaden über den Trümmern nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkrieges. Sie werden überlagert von der Erinnerung an Straßenzüge, deren Fixpunkte Blindgänger waren, einer zum Beispiel hinter unserem Haus, ein anderer vor dem Dominikanerkloster an der Herzogstraße. Dann der Einzug amerikanischer Panzer von Bilk her. Dass nicht geschossen wurde, war Hermann Smeets mit zu verdanken, aber das wussten wir damals nicht. Wir schwenkten aus öden Fensterhöhlen ein etwas angeschimmeltes Bettuch als Friedenszeichen. Sechs Wochen hatten wir unter den Trümmern im feuchten Waschkeller gelebt, sechs Wochen Artilleriebeschuss und Tieffliegerangriffe. Vom Hauptbahnhof bis zur Lausward schien es nur Trümmerhalden zu geben.

 

Das Entdecken verschonter Häuser blieb lange ein tägliches Wunder. In den fünfziger Jahren gab es schon wieder Originale in Bilk zu bestaunen, die anderes taten als am Wirtschaftswunder zu basteln. Ein langer, dünner Herr mit flatterndem Regenmantel strebte allmorgendlich von seiner Wohnung, ich glaube an der Konkordiastraße, am Ständehaus vorbei in Richtung Kunstakademie, auch zum Opernhaus und zum neuen Schumann-Saal am Ehrenhof, um dort an seinen Fresken zu arbeiten. Es war der Maler Robert Pudlich. Ebenfalls vormittags, wenn die Ständehausanlagen menschenleer waren – die älteren Kinder saßen brav in der Schule, die Mütter mussten kochen, ehe sie mit den Kleinen und mit Strickzeug zum Spielplatz gingen – vormittags also lief ein jüngerer Mann, wild um sich blickend, eine Partitur in der Hand, durch die Anlagen und schmetterte „Nie sollst du mich befragen…!“ Der spätere Wagnersänger Imdahl lernte seine Rolle im „Lohengrin“.

 

Wer damals glaubte, aus den Trümmern würde eine heile Bilker Welt wieder erstehen, täuschte sich. Auch diese Welt änderte sich tiefgreifender als durch die Kriegsverwüstungen. Man denke nur den „Bilker Stadtteil“ Friedrichstadt. Und die Veränderungen gehen weiter, im traditionellen Bilk und an seinen ebenso traditionsreichen Rändern. Dazu gehört Stoffeln. Zeitgleich mit Bilk wurde der Flecken mit dem Namen „auff den Stoffen“ (auf den Stümpfen eines Sumpfwaldes) 1384 nach Düsseldorf eingemeindet. Drei Kilometer lang ist der 1573 entstandene Stoffeler Damm, der Stoffeler Friedhof einer der bekanntesten in Düsseldorf. Aber in amtlichen Schriftstücken taucht Stoffeln nicht mehr auf, sang- und klanglos scheint Stoffeln zwischen Bilk, Flehe und Wersten zu verschwinden. Aber da ist ja noch das den 14 Nothelfern gewidmete Stoffeler Kapellchen, das 1734 unter Kurfürst Karl Philipp geweiht wurde. Dahin pilgern auch die Bilker gern.

 

Gerda Kaltwasser in: Jubiläumsbuch zum 50-jährigen Bestehen des Heimatvereins Bilker Heimatfreunde e.V., 2001, S. 99.