Frauen-Kultur-Archiv

Gedenken an engagierte Frauen Düsseldorfs

Heidede Morgenbrod (1933-2001)

Nachruf auf Heidede Morgenbrod: Ein großer Verlust

Heidede Morgenbrod ist von uns gegangen. Sie starb im Alter von 68 Jahren. Ihre Erkrankung war so kurz und heftig, dass man wohl sagen kann: Mitten aus dem Leben gerissen. Auf der Rückfahrt von der Gesamtvorstandssitzung in Altleiningen im März diesen Jahres äußerte sie die Absicht, den Landesvorsitz in NRW, den sie seit 1990 innehatte, in jüngere Hände zu geben. Ich war verblüfft, weil wir nie zuvor davon gesprochen hatten. Mit großer Zielstrebigkeit (und Vorahnung?) führte sie Telefongespräche, und so konnten wir im Mai in Düsseldorf einen neuen Landesvorstand wählen. Am 9. Juni musste sie ins Krankenhaus, das sie nicht mehr verlassen sollte.

Wie kann ich ihr Leben und ihre Leistung würdigen? Am besten gebe ich etwas von dem weiter, was sie mir erzählt hat. Nie hat sie die Flucht aus Ostpreußen vergessen können, vor allem nicht die nächtlichen Schreie von vergewaltigten Frauen im Sommer in dem Notquartier in Mecklenburg. Dieses Trauma war die eine Wurzel ihres frauenpolitischen Engagements.
Eine andere Wurzel liegt in ihrer Erfahrung, dass eine Frau ihre finanzielle Eigenständigkeit durch ein Kind verliert und dass Kinderbetreuung durch Freunde nicht so leicht zu haben ist und auch nicht unbedingt gewünscht wird. Als ihre erste Ehe Mitte der 60er Jahre scheiterte und sie in ihrem erlernten Beruf als Buchhalterin mit halber Stelle arbeiten wollte, erwies sich die Betreuung des jüngeren Sohnes als unüberwindliches Hindernis. Die Kindergärtnerin des älteren Sohnes räumte ihr – außerhalb der Legalität – die Möglichkeit ein, den Kleineren ohne Anmeldung im Kindergarten „mitlaufen“ zu lassen. Dass sie als Preußin/Ostpreußin gezwungen war, etwas „Gesetzwidriges“ zu tun und dass sie eine andere Frau, die Kindergärtnerin, veranlassen musste, ebenfalls etwas „Gesetzwidriges“ zu tun, hat sie zutiefst verstört und aufgebracht und nach anderen Lösungen suchen lassen. Sie dachte an etwas, das wir heute „Gehalt für Familienarbeit“ nennen. Später heiratete sie wieder. Ihr Mann hatte zwei Kinder, und sie hatte zwei, und sie machte die ganze Familienarbeit für den großen Haushalt. Im Jahr 1979 kam eine Halbtagsstelle als Buchhalterin dazu.

Anfang der 70er Jahre gehörte sie zu den Frauen, die im Düsseldorfer actionsring frau und welt den „Gesellschaftspolitischen Arbeitskreis“ gründeten. Nach dem Wahlsieg der SPD bei der Bundestagswahl am 5. Oktober 1972 (mit der darauf folgenden Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler) gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der Initiative 6. Oktober, die die Regierungspartei „am Tag nach der Wahl“ mit den Forderungen der Frauenbewegung konfrontierte.

Von 1979 bis 1989 war sie Mitbegründerin und aktive Mitarbeiterin im autonomen Frauenprojekt „Frauen-Bücher-Zimmer“ in Düsseldorf (Frauenbuchladen, Kulturbetrieb und „ständige Informationsbörse“ verbunden mit gesellschaftspolitischer Arbeit). Für diesen eingetragenen Verein machte sie die Buchhaltung und sorgte dafür, dass er gemeinnützig war.
Im Rahmen ihrer gesellschaftspolitischen Arbeit hatte sie schon vor 1979 brieflichen Kontakt zu Dr. Gerhild Heuer, die später die dhg gründete. Für Heidede Morgenbrod war offensichtlich, dass bei der Frauenbewegung der 70er Jahre die „Familienarbeiterin“ überhaupt nicht im Blickfeld lag. Daher galt ihre besondere Liebe seit 1979 der dhg. Dass es in Düsseldorf bald eine aktive Ortsgruppe gab, ist ihrem Impuls und ihrer Anregung zu verdanken. Auf jeder Messe, auf jeder Ausstellung, fast auf jedem Kirchentag übernahm sie „Schichten“.

Im Jahr 1991 verunglückte sie schwer bei der Einrichtung des dhg-Standes bei der Messe „Aktiv leben“. Sie stürzte und hatte wegen eines komplizierten Bruches einen langen Klinikaufenthalt. Im Jahr 1995 übernahm sie zu allen übrigen Verpflichtungen die Buchhaltung mit großer Umsicht und Gewissenhaftigkeit. Sie schaffte es mit ihren Vorschlägen zur Satzungsänderung, dass die dhg gemeinnützig wurde. Der Namensänderung von der geliebten dhg-Hausfrauengewerkschaft zu dhg-Verband der Familienfrauen und -männer stand sie reserviert gegenüber. Aber Heidede war zutiefst demokratisch, und sie trug die Mehrheitsentscheidung mit.

Was mich an ihr fasziniert hat: ihre Fähigkeit, „Atmosphäre“ zu fühlen und atmosphärische Veränderungen zu registrieren und darauf zu reagieren. Irgendwann erfuhr ich, dass sie als junges Mädchen gern und viel Schach gespielt hat. Da wurde mir klar, dass ihre Art zu denken die einer Schachspielerin war; sie spielte strategisch einschließlich der Rösselsprünge, und ihre Intuition hatte sie wohl mit einer 360-Grad-Antenne begabt.

Der evangelische Pastor in Korbach, der sie nie gekannt hat und der sich auf die Angaben der Familie und der Freundinnen stützte, zitierte aus Heidedes Selbstdarstellung (dhg-Rundschau 2/94): „(…) ich lebte im Dauerzorn über die bisher geschaffenen Strukturen und immer wieder dreisten Veränderungen zu Lasten von Frauen.“ Er hatte als Vers für die Trauerrede bei der Beerdigung den Spruch gewählt:

 

Lebt als Kinder des Lichts.
Die Frucht des Lichts ist
Gerechtigkeit, Güte und Wahrheit.

 

Alle Flaggen standen am 13. August auf Halbmast. Es war zur Erinnerung an „40 Jahre Mauerbau“, aber es passte auch zur Beerdigung der (frauen-)politisch denkenden und handelnden Heidede Morgenbrod. Für sie war die Gerechtigkeit für Mütter Herzenssache.
Wir wollen unsere dhg-Arbeit in ihrem Sinne fortsetzen.
Monika Bunte, Düsseldorf

 

Texte von Heidede Morgenbrod

 

Selbstdarstellung von Heidede Morgenbrod in der dhg-Rundschau 2/94

1933 bei Insterburg in Ostpreußen geboren, habe ich innerhalb von zwei Ehen vier Kinder betreut und erzogen, zeitweilig auch als Alleinerziehende. Seit 1979 bin ich bis auf den heutigen Tag halbtags erwerbstätig. Als gelernte Steuerfachgehilfin lebe ich im Dauerzorn über die bisher geschaffenen Strukturen und immer wieder dreisten Veränderungen zu Lasten von Frauen. Mein gesellschaftliches Engagement gilt seit 20 Jahren der Frauenpolitik mit dem Schwerpunkt: „Eigenständige soziale und finanzielle Sicherung der Frau“. Ich bin felsenfest davon überzeugt, daß der Lohn für häusliche und soziale Pflegearbeit die einzige brauchbare und gerechte Lösung darstellt, finanzierbar durch Ungestaltung des Sozial- und Steuerrechts.

Glücklich bin ich, daß die dhg diese Zielsetzung mittlerweile in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen hat. Glücklich bin ich auch, daß sich viele junge Frauen aktiv für diese Forderung einsetzen und damit Druck auf die Parteipolitik ausüben. Von 1979 bis 1989 war ich Mitbegründerin und aktive Mitarbeiterin im autonomen Frauenprojekt „Frauen-Bücher-Zimmer“ in Düsseldorf (Frauenbuchladen, Kulturbetrieb und „ständige Informationsbörse“ verbunden mit gesellschaftspolitischer Arbeit).
Seit 1979, also seit Gründung der dhg, bin ich Mitglied und seit drei Jahren im Vorstand und im Arbeitskreis Grundsatzfragen tätig.

 

Frauen–Bücher–Zimmer (1980)

Am Anfang stand die Idee einer „ständigen Informationsbörse“. „Informationsbörse“, ein Begriff geprägt durch Antje Huber, ist eine Selbstdarstellung der etablierten Frauenverbände ihrer Zielsetzung und Programmgestaltung. Räume hierfür wurden in der Bundesrepublik in den verschiedenen Städten von den Stadt-Sparkassen zur Verfügung gestellt. Diese Informationsbörsen in den verschiedenen Städten fanden bisher nur einmal statt und dazu begrenzt auf maximal 14 Tage zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

Zu der Idee „ständige Informationsbörse“ kam die Frage nach der praktischen Durchführung und der Wunsch zur Einbeziehung aller Frauengruppierungen außerhalb der unter dem Dach des Deutschen Frauenrates zusammengefassten Verbände. Hier wurde an die Frauenbewegung, sowie an die Bürgerinitiativen von Frauen, wie Spielplatzforderungsgruppen oder ähnlich gedacht.

Das heißt, die „ständige Informationsbörse“ soll ein Dach sein für etablierte wie für autonome Frauengruppierungen.
Zur praktischen Durchführung der Idee „ständige Informationsbörse“ wurde ein Verein gegründet als Rechtsform, der dieser Idee wegen auch die vorläufige Gemeinnützigkeit seitens des Finanzamtes erhielt und zwar begrenzt bis zum 31.12.1980. Der Verein wird vom Finanzamt dann überprüft auf die Einhaltung seines Zweckes, um die Gemeinnützigkeit für die Zukunft zu bekommen.
Zur praktischen Durchführung der Idee „ständige Informationsbörse“, wurden Räume in zentraler Lage Düsseldorfs gemietet, wo die Informationsbörse Herberge finden konnte.

Wie die Informationsbörse arbeiten soll, ist in § 2 „Zweck“ der Satzung des Vereins Frauen-Bücher-Zimmer sehr ausführlich dargelegt, sogar noch mit Nachtrag zur Verdeutlichung besonders für das Finanzamt.
Der Frauenbuchladen erscheint unter § 2 „Zweck“, Punkt 4: Informationsbüro mit dem Angebot entsprechender Literatur. Unter Punkt 1 kommt die Vermittlungstätigkeit der Informationsbörse zum Ausdruck mit dem Satz: „Informationen aus allen Lebensbereichen zu sammeln und an interessierte Frauen weiterzugeben (z. B. Termine für Vorträge, Bekanntmachungen über Frauengruppen, -verbände, Seminare)“.
Unter Punkt 3 kommt die Eigeninitiative des Vereins Frauen-Bücher-Zimmer zum Ausdruck mit dem Satz: „Kommunikative Veranstaltungen, z. B. Referate, Diskussionen, Austausch von Meinungen und Erfahrungen“.
Diese Konzeption zeigt eindeutig auf, dass das Frauen-Bücher-Zimmer keinen 26. Frauenverband Düsseldorfs darstellt oder eine autonome Frauengruppe mit einer eindeutigen Meinung.

Bei den langen Vorverhandlungen mit der Leitung der Arbeitsgemeinschaft Düsseldorfer Frauenverbände sowie anderer Organisationen, die nicht einsahen, wieso nun noch wieder eine neue Frauengruppierung entstehen soll, wo es doch schon so viele Frauengruppierungen gibt, wurde von uns immer argumentiert, dass wir uns nicht als 26. Frauenverband oder eine neue autonome Frauengruppe ansehen, sondern ein Dach (Überbau) darstellen wollen, um allen bestehenden Frauengruppierungen eine ständige Selbstdarstellung und ein ständiges Programmangebot zu ermöglichen.

Dieser Zielsetzung, die in der Satzung des Vereins Frauen-Bücher-Zimmer festgelegt und mit dieser Zielsetzung auch im Vereinsregister des Amtsgerichts Düsseldorf angemeldet ist, steht nun vom Grundsatz her absolut entgegen, dass der Verein Frauen-Bücher-Zimmer sich einem Frauenverband oder einer autonomen Frauengruppe in der Öffentlichkeit stützend zur Seite stellt. Dieses heißt aktuell konkret, dass gar nicht zur Debatte stehen kann, dass wir Aufrufe zu Demonstrationen mitunterschreiben und Slogans, Parolen aufnehmen und unterstützen (z. B. „Stoppt Strauß“, „Wir pfeifen auf linke Vögel“, oder „Stoppt Kernenergie“, „Wozu brauchen wir Kernenergie, bei uns kommt der Strom aus der Steckdose“), da unsere Beschlussfassung im § 9 der Satzung nach demokratischem Verständnis festgelegt wurde und unter Ziffer 2 „Mehrheitsverhältnisse“ steht: „Sofern das Gesetz oder die Satzung nicht entgegenstehen, werden alle Beschlüsse mit einfacher Mehrheit der erschienenen stimmberechtigten Mitglieder wirksam.“
Um eine groteske Zukunftsvision zu verdeutlichen, hierzu zwei Beispiele:

  1. Das jetzt aktuelle Beispiel: Die demokratische Fraueninitiative, über die sich jede Frau von uns ein Bild aus dem Courage-Artikel vom April 1979 machen kann, ruft zur Demonstration auf und demonstriert u. a. für die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch. Die von uns erschienenen Mitglieder stimmen mit einfacher Mehrheit zu, wir unterschreiben den Aufruf, erscheinen hiermit in allen Zeitungen Düsseldorfs und marschieren mit dem Transparent „Frauen-Bücher-Zimmer“ auf der Straße mit.
  2. Eine mögliche Situation in naher Zukunft, da der Wahlkampf vor der Tür steht und diese und ähnliche Anliegen besonders häufig jetzt auf uns zukommen werden.

Eine katholische Frauengemeinschaft ruft zur Demonstration auf, den § 218 im Strafgesetzbuch beizubehalten und die Konstellation unserer Mitglieder ist an dem Abstimmungstag so, dass mit einfacher Mehrheit der erschienenen Mitglieder dem zugestimmt wird, wir erscheinen wiederum als Mit-Aufrufer zur Demonstration in allen Zeitungen Düsseldorfs und marschieren auf der Straße mit dem Transparent „Frauen-Bücher-Zimmer.“
Wir verstoßen gegen die Satzung und gegen den Zweck des Vereins, wenn wir Parolen, Slogans, Aufrufe, Resolutionen jeglicher Art im Namen des Frauen-Bücher-Zimmers unterstützen. Persönliches Engagement und Beitritt zu entsprechenden Vereinen und Gruppierungen bleibt jeder Frau unbenommen.

Heidede Morgenbrod, Düsseldorf den 28.01.1980

 

Wir stellen zur Diskussion: „Düsseldorfer Tarifpapier“ (1988)

Jede Arbeit, die im Haushalt mit Kindern anfällt, muß bezahlt werden, wenn sie an zuständige Dienstleistungsbetriebe in Auftrag gegeben wird. Übernimmt dieselbe Arbeit die Hausfrau oder der Hausmann, dann wird sie zu einer unbezahlten Arbeit.

Private Gegebenheiten, wie der Gang zum Standesamt mit vollzogener Hochzeitsnacht, sind Leistungen im Sinne des Steuerrechts und führen zum Ehegattensplitting.

Private Gegebenheiten, wie die Anzahl der Kinder, sind Leistungen im Sinne des Steuerrechts und führen unter anderem zu Kinderfreibeträgen, die wiederum über die Höhe des Erwerbseinkommens in ihrer Höhe unterschiedlich ausfallen.

So gibt es eine Reihe von steuerlichen Leistungen des Staates, die lediglich aufgrund privater Gegebenheiten erbracht werden, aber nichts mit der Erwerbsarbeit zu tun haben. Der Nettolohn der Erwerbstätigen wird hiermit erhöht: zum Beispiel:

Mit diesem Tarif-Modell ist auch die eigenständige soziale Sicherung von männlichen und weiblichen Personen gesichert, die sich für Kindererziehung und Kinderbetreuung entscheiden. Gewährleistet sind dann: eigenständige Versicherung für das Altersruhegeld sowie für die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente, eigenständige Krankenversicherung.

Gewährleistet ist dann die gesetzliche Unfallversicherung (möglicherweise der Gemeindeunfallversicherung einzugliedern). Häusliche Pflege- und Erziehungsarbeit begründet dann auch Ansprüche auf vermögenswirksame Leistungen, Urlaubsgeld, Weihnachtsgratifikation sowie Förderung, Fortbildung und Umschulung durch das Arbeitsamt. Tarifpartner ist der Bund.

Heidede Morgenbrod für die Düsseldorfer Arbeitsgruppe „Lohn für häusliche Pflege- und Erziehungsarbeit“ der dhg. In: dhg-Rundschau der Deutsche Hausfrauengewerkschaft e. V., H. 1, 1988, S. 5.