Fotostudium in Weimar
Waldberta „Walde“ Huth, geboren am 29. Januar 1923 in Stuttgart, wuchs in Esslingen auf. Als sie nach der Schulzeit vor der Frage der Berufswahl stand, wollte sie eigenen Angaben zufolge ursprünglich viel lieber Bildhauerin oder Schauspielerin werden, um ihre Kreativität frei ausleben zu können. Die Beschäftigung mit der Fotografie zog sie anfangs überhaupt nicht in Betracht, denn darin sah sie einen rein mechanischen Vorgang – zu Unrecht, wie sich später herausstellte. Doch ihr Vater, ein begeisterter Hobbyfotograf, ermunterte die junge Frau letzten Endes dazu, den Beruf der Fotografin trotz ihrer anfänglichen Bedenken zu ergreifen.
Walde Huth durchlief nicht eine einfache Fotolehre, sondern ging 1940 nach Weimar an die Staatliche Schule für angewandte Kunst und Handwerk, wo sie bis 1943 bei Professor Walter Hege, einem der bedeutendsten Architekturfotografen der Zeit, ein Studium der Fotografie absolvierte. Die schwerpunktmäßige Ausrichtung auf die Architekturfotografie sollte für ihre späteren Modeaufnahmen richtungsweisend sein. Sie entwickelte ein Gespür für die gezielte Positionierung der abzulichtenden Motive und damit für kreative Bildkomposition.
Im Anschluss an ihre Studienzeit in Weimar war Walde Huth auf Professor Heges Empfehlung hin für die Firma AGFA in Wolfen bis 1945 in der Entwicklungsabteilung für Farbfotografie als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig.
Die Esslinger Kennkarten-Aktion von 1945/46
Nach Kriegsende kehrte sie zurück nach Esslingen, wo sie noch im Sommer 1945 damit begann, im Zuge der „Kennkarten-Aktion“ Fotos der Esslinger Bürger im Auftrag der Alliierten zu machen. Gemäß der „Verordnung über eine allgemeine Registrierung von deutschen Staatsangehörigen, Ausländern und staatslosen Personen und die Einführung eines einheitlichen polizeilichen Inlandausweises“ mussten bis Ende September 1946 alle Bürger Inhaber einer solchen Kennkarte sein. Zu dieser war neben dem Lichtbild und Fingerabdrücken auch ein Meldeblatt mit sämtlichen Angaben zur Person einzureichen, das darüber hinaus Aufschluss über den Befund der politischen Überprüfung gab. Als ortsansässige Fotografin hatte Walde Huth folglich alle Hände voll zu tun und lichtete für diese Zwecke unzählige Bürger ab. Obwohl es sich hierbei lediglich um Fotos für administrative Zwecke handelte, strahlten diese eine besondere Ästhetik auf den Betrachter aus. Denn Walde Huth gelang es, selbst nüchtern erscheinenden Aufnahmesituationen eine besondere Atmosphäre zu verleihen und ausdrucksstarke Ergebnisse zu erzielen.
Eine Koryphäe der Modefotografie
1946 eröffnete Walde Huth in Esslingen ihr erstes kleines Atelier, das sie „Künstlerische Lichtbildwerkstätte“ taufte, und begann damit, für einige Modezeitschriften und die FAZ zu fotografieren. Ihre Meisterprüfung absolvierte sie ein Jahr später. Aufgrund ihres schnell wachsenden Erfolgs war es ihr 1953 möglich, in ein geräumigeres Atelier nach Stuttgart umzuziehen, in dem sie sich vollends auf Mode- und Werbefotografie spezialisierte. Sie entwickelte sich zu einer Koryphäe auf diesem Gebiet, konnte wegen der hervorragenden Auftragslage bald mehrere Angestellte beschäftigen und sogar gewinnträchtige Aufträge im Ausland wahrnehmen.
Nicht zuletzt dank ihrer ursprünglichen Ausbildung zur Architekturfotografin integrierte Walde Huth bei ihrer Modefotografie oftmals architektonisch besonders herausragende Gebäude in ihre Aufnahmen, wodurch sich ihre Bilder im direkten Vergleich von denen anderer Modefotografen deutlich abhoben. Anstatt die Mannequins in ihrer Abendrobe ganz klassisch im Theater oder im Salon abzulichten, setzte die Fotografin sie beispielsweise unter freiem Himmel in Paris vor dem Eiffelturm oder auf den Brücken an der Seine gekonnt in Szene. Damit schuf sie eine Synthese zwischen den starren Bauten und der vornehmen Leichtigkeit der dargestellten Frau. Wichtig war ihr, dabei regelrechte Inszenierungen zu schaffen, bei denen es ihr u. a. darum ging, den Modellen einen Glanz des Geheimnisvollen zu verleihen. Speziell die Schlichtheit der Schwarzweißbilder half der Fotografin, die Eleganz ihrer Modelle hervorzuheben, ohne dass intensive Farbakzente den Blick des Betrachters vom Wesentlichen ablenkten. Verhältnismäßig spät widmete sich Walde Huth daher auch der Farbfotografie, weil sie diese zunächst als „kitschig“ empfand und um die Wirkung ihrer Aufnahmen fürchtete.
Werbefotografie und Modefotografie in Köln
1956 lernte Walde Huth den Architekturfotografen Karl Hugo Schmölz kennen, den sie noch im selben Jahr heiratete. Gemeinsam zogen sie nach Köln, wo sie 1958 ihr Fotostudio „schmölz + huth“ eröffneten und sich von nun an insbesondere der Werbefotografie verschrieben.
Das Fotostudio „schmölz + huth“ profitierte von einer Vielzahl an Aufträgen namhafter Großkonzerne und Werbeagenturen und zählte mit 20 Angestellten bald zu den größten, vor allem aber zu den besten Fotostudios der ganzen Bundesrepublik. Walde Huth und ihr Mann machten u. a. Werbeaufnahmen für die Unternehmen Bertelsmann, Henkel, Bayer sowie für verschiedene Automobilhersteller wie Audi oder Ford. Das Ehepaar fotografierte jahrzehntelang hauptsächlich Konsumgüter und Markenartikel für die firmeneigenen Kataloge und hatte darüber hinaus viele Aufträge großer Möbelhäuser.
Aufgrund all dieser Motive aus dem Bereich des täglichen Lebens, die so im Laufe der Zeit entstanden, gelten die Aufnahmen der beiden gegenwärtig nicht nur als gelungene Beispiele für Werbefotografie, sondern sind aus heutiger Perspektive auch wichtige Zeitdokumente der deutschen Alltags- und Wohnkultur, spiegeln sie doch die typischen Gebrauchs- und Einrichtungsgegenstände deutscher Durchschnittshaushalte der 1950er bis 1970er Jahre wider.
Dennoch spezialisierte sich Walde Huth nicht ausschließlich auf Aufnahmen für Werbekataloge, sondern widmete sich nach wie vor auch ihrer Modefotografie. Dank ihres überdurchschnittlich großen Renommees reisten inzwischen selbst Models aus Paris eigens nach Köln, um sich von Walde Huth in ihrem Atelier ablichten zu lassen. Die Modefotografie blieb für die Fotografin trotz der gemeinsamen Arbeit mit ihrem Mann weiterhin ein sehr wichtiger Bestandteil ihrer fotografischen Tätigkeit.
Zyklen zu freien Themen
Neben der Mode- und Werbefotografie widmete sich Walde Huth phasenweise auch anderen, vielmehr künstlerischen Themengebieten. Während eines Aufenthalts im italienischen Ligurien entwickelte sie 1979 die Zyklen „100 unwirkliche Wirklichkeiten“, „100 festgehaltene Schritte“ sowie „100 ungeschriebene Briefe“. Für letztere Bildserie fotografierte sie hundertmal dasselbe Fenster ihres Ferienhauses zu verschiedenen Zeiten bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Auf diese Weise verlieh sie mit ihrer Kamera auch dem zunächst völlig Unbedeutenden, Alltäglichen den Status außergewöhnlicher Erscheinungen.
Experimentelle Fotografie
Mit dem Tod ihres Mannes 1986 gab Walde Huth das gemeinsame Atelier auf, was aber nicht gleichbedeutend damit war, auch die Fotografie als solche aufzugeben. Stattdessen wandte sie sich nun endgültig freieren Themen zu, die sich fernab der Werbe- und Modefotografie befanden. In dieser späteren Phase ihres Wirkens nahmen ihre Aufnahmen experimentelle Züge an: Sie fotografierte die Objekte u. a. nicht mehr zwingend in ihrer vollen Größe, sondern lichtete nur einen Ausschnitt davon ab. Diese Motive, oftmals aufgenommen aus der Makroperspektive, verbargen zunächst ihre wahre Identität vor dem Betrachter, denn erst nach längerem Hinsehen erschloss sich diesem, was sich tatsächlich hinter dem vergrößerten Ausschnitt versteckte.
Zu ihrer freieren Fotografie gehörten ebenso die Bilder, die sie 1993 im Plenarbereich des Deutschen Bundestages in Bonn anfertigte. Diese wirkten wie eigenständige Kunstwerke, auf den ersten Blick nahezu wie Fotografien abstrakter Zeichnungen, da sie teilweise geschickt mit dem auf die Buntglasfragmente des Plenarbereichs einfallenden Licht spielte. Dass sie ursprünglich zu Architekturfotografin ausgebildet worden war, wird besonders an diesen Aufnahmen ersichtlich, da ihre Bilder von dem fachkundigen Blick profitierten, mit dem Walde Huth einzelne Teile des Gebäudekomplexes in Szene setzte. Hier zeigt sich, mit welcher Selbstverständlichkeit die Fotografin die Verbindung aus Architektur und Kreativität künstlerisch umzusetzen wusste.
An Ruhestand nicht zu denken – „Lebensabend“ in Köln
Walde Huth war als Fotografin Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für Photographie“ und des „Bundes Bildender Künstler“. Sie nahm bis weit in die ersten Jahre des neuen Jahrtausends an etlichen Ausstellungen teil, darunter 2004 an der Ausstellung „Im Rausch der Dinge – Vom funktionalen Objekt zum Fetisch in Fotografien des 20. Jahrhunderts“ an der Universität Wuppertal. Noch 2007, im Alter von 84 Jahren, beteiligte sie sich in Köln an einer Ausstellung zu „Christian Dior 1947-1957“ im Museum für Angewandte Kunst. Bis zu ihrem Tod lebte sie in der Kellerwohnung ihres ehemaligen Ateliers in Köln und fotografierte weiterhin aus Leidenschaft. Am 11. November 2011 verstarb Walde Huth 88-jährig bei einem Brand in ihrer Kölner Wohnung.
© Frauen-Kultur-Archiv Düsseldorf
Zu Grunde gelegte Literatur:
Breuer, Gerda: Walde Huth. Modefotografie. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 4.02 – 12.03.2004 in den Galerieräumen der Bergischen Universität Wuppertal. Köln 2004.
Frauenobjektiv. Fotografinnen 1940 bis 1950. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bonn, vom 18.05. – 29.07.2001. Hrsg.: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Redaktion: Petra Rösgen.
Kisters, Jürgen: Walde Huth. Verliebt in den Kontrast. In: Kölner Stadtanzeiger vom 17.07.2012.
Lau, Peter: So kann es gehen. Eine Geschichte über die Fotografin Walde Huth. Mit Happy End. In: Brand Eins 08/2006, S. 124-130. https://www.brandeins.de/uploads/tx_b4/124_walde_huth.pdf
Mißelbeck, Reinhold (Hrsg.): Walde Huth. Augen-Weide. Photographien 1954-1994. Katalog zu einer Ausstellung des Landschaftsverbandes Rheinland im Rahmen der Internationalen Photoszene Köln 1994. Köln 1994.