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Rheinischer Kulturjournalismus

Anna Klapheck: Bauen und die Lust am Schönen

Zum 80. Geburtstag des Architekten Prof. Helmut Hentrich

Fragte man ihn nach seinem Beruf (falls es wirklich jemand nicht wissen sollte), dann würde er ohne Zögern antworten: Architekt. Bauen ist in der Tat der Lebensgrund von Professor Helmut Hentrich, der am 17. Juni 80 Jahre alt wird und vor zwei Jahren auf seine fünfzigjährige Tätigkeit als freischaffender Architekt zurückblicken konnte. Bauen aber meint bei Hentrich, wenn wir sein Leben überblicken, mehr als das Entwerfen von Häusern und den Umgang mit Lineal und Zirkel, Bauen ist für ihn ein Tun, das alle Lebensbereiche umfaßt – die alte Ars Magna, die Mutter aller Künste.

In Bauluft ist Hentrich aufgewachsen. Sein Vater – sein „alter Herr“, wie er liebevoll-altmodisch gern von ihm spricht – war Stadtbaurat in Krefeld, eine Stellung, die das gesamte Bauwesen der Stadt umfaßte, zugleich Selbständigkeit, ein ansehnliches Einkommen und eine geräumige „Villa“ als Wohnung für die Familie einschloß. Ein großbürgerlicher Lebenszuschnitt war dem jungen Helmut, dem mittleren von drei Brüdern, zugefallen. An das Haus schloß sich ein großer Garten an, man hatte Dienstboten, Geselligkeit, Musik, im Sommer wurde an die See gereist, zuweilen auch mit der großelterlichen Kutsche in die Umgebung gefahren. Und gut „Bismarcksch“ war man natürlich auch.

An seinem beruflichen Leben ließ der Vater den wißbegierigen Knaben gern teilnehmen, nahm ihn mit auf die Baustellen, ließ ihn früh in den Fachzeitschriften schnuppern. Dann gab es noch den Patenonkel Professor Deneken, den Leiter des Kaiser-Wilhelm-Museums, der über so herrliche Dinge verfügte und vor dem Kinde, das lieber mit Holzklötzchen spielte als mit dem neumodischen Blechkram, die Ahnung von der Magie eines Museums aufsteigen ließ. Achtjährig hatte der Junge begonnen, die Bauten in und um Krefeld zu zeichnen, vierzehnjährig stand der Gedanke, Architekt zu werden, bereits fest.

Der Erste Weltkrieg setzte allem ein Ende, und als die Inflation die Bauerei weitgehend lahmlegte, meinte der Vater, ein Jurastudium böte doch weit bessere Aussichten. Gehorsam belegte der junge Student juristische Vorlesungen, erst in Freiburg, dann in Wien, doch der alte Wunsch befestigte sich immer mehr. Der Vater war großzügig; 1925 ließ sich Hentrich in die Technische Hochschule von Berlin aufnehmen und wurde Schüler von Hans Poelzig.

Von Poelzig und dessen Gegenspieler Tessenow spricht Hentrich mit Dankbarkeit. Er lernte von Poelzig, ohne doch von ihm abhängig zu werden, daß Zweckform und Phantasie einander nicht ausschließen; an Tessenow fesselte ihn die Harmonie der Ziele, die zu dieser Partnerschaft geführt haben, es ist vielmehr der Gedanke von der Notwendigkeit zur Kooperation, durch die allein ein Höchstmaß an Leistung erbracht wird.

In diesem kleinen Imperium von etwa 150 Mitarbeitern sind jeweils zehn zu einer Gruppe zusammengefaßt, der ein anstehendes Objekt zuerteilt wird. In regelmäßigen „Partnergesprächen“ wird das Erarbeitete überprüft, gewissermaßen eine Jury im eigenen Haus. In der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, in deren Leitung auch zwei jüngere Kräfte aufgenommen wurden, ist für die Mitarbeiter ein hohes Maß an persönlicher Sicherheit gewährleistet. Der Bauhüttengedanke des Mittelalters, wonach jeder Einzelne dem Ganzen diente, ist hier in moderner Form wieder aufgenommen.

Die Reihe der aus dieser Arbeitsgemeinschaft hervorgegangenen Bauten ist nahezu unübersehbar und von weltweiter Ausdehnung; sie reicht vom schlichten Wohnhaus bis zum Wolkenkratzer und zur weitläufigen Städteplanung. Für Hentrich selbst mit seinem ausgeprägten Sinn für Tradition ist die Erhaltung eines Altstadtgiebels manchmal wichtiger als die Errichtung eines mächtigen Konzernsitzes. Als ich ihn einmal nach seinen Lieblingsbauten fragte, meinte er fast verlegen: Neben dem Standard Bank Centrum im afrikanischen Johannesburg, seinem ersten großen Auslandsauftrag, sei es eben doch das Düsseldorfer Thyssenhaus, dem sein Herz gehöre; er weiß sehr gut, daß der schlanke, zu jeder Tageszeit anders wirkende Bau neben dem Reiterstandbild auf dem Marktplatz zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist. Dabei sei die schwierige Neugestaltung und Umwidmung der Rheinhalle zur Tonhalle nicht vergessen. – Das Stadtmuseum zeigt zur Zeit eine Auswahl von Plänen, Fotos und Modellen aus dem Schaffen Hentrichs. Darüber wird gesondert zu berichten sein.

In einigen Vitrinen wird in dieser Ausstellung auch des Sammlers Hentrich gedacht. Muß man ihn wirklich noch vorstellen, den allseits gegenwärtigen Spender und Mäzen, den Sammler, der mit der Leidenschaft des Jägers und dem Wagemut des Spielers einem seltenen Stück auf der Spur ist, der noch heute auf den Flohmärkten und in finsteren Gassen voll altmodischem Trödelkram mit sicherem Blick seltene Schätze ans Licht zieht? Auf seinen vielen Auslandsreisen haben sich ihm ganz neue Gebiete erschlossen: Ostasiatica, Schätze aus Indien oder Gemälde aus Haiti.

Hentrichs Sammeln ist freilich eigener Art: Er zieht sich mit seinen Kostbarkeiten nicht ins Private zurück, im Gegenteil, wenn ihm ein Sammelgebiet einigermaßen abgerundet erscheint, gibt er es fort, nicht als „Leihgabe“, sondern als handfestes Geschenk. So wanderte die berühmte, 2500 Stück zählende Glassammlung ins Düsseldorfer Kunstmuseum, wo sie nun würdig präsentiert wird; das Kayserzinn ging nach Krefeld; japanische und europäische Keramik ins Hetjensmuseum. Es ist ein Sammeln um des Sammelns willen, hervorgegangen aus der nicht endenden Lust am Schönen, die ihn von Jugend an erfüllt und an der er auch andere teilnehmen lassen will. „Die Leute halten mich für unermeßlich reich“, sagte er einmal, „die Sache ist nur die, daß andere ihr Vermögen zur Bank tragen, ich hingegen gebe mein Geld aus.“

Sein Meisterstück war die Wiederherstellung des Schlößchens Groot Buggenum im holländischen Limburg. Vor einigen Jahren erwarb er das verfallene Haus, restaurierte es von Grund auf, wobei keine Türklinke außer acht blieb, füllte es mit kostbaren Dingen und schuf schließlich noch einen Garten mit Pflanzen aller Art, Wasserbecken, Brückchen, Skulpturen, heimlichen Wegen und gepflastertem Hof – ein Stück „Dixhuitième“ von Mozartschem Klang. Doch als das Ganze fertig war – vermachte er es dem holländischen Staat. Königin Beatrix kam persönlich nach Buggenum, kletterte hinauf bis zum Turm und war entzückt über die großzügige Gabe. Das kleine Schloß soll später einmal Gästehaus der Provinz Limburg werden.

Aber dies „später“ ist noch weit. In Buggenum wird der Hausherr mit seinen Freunden wie alljährlich Geburtstag feiern, um das Wohl jedes einzelnen Gastes bemüht sein, selbst eher unauffällig im Hintergrund bleibend.

Glückwunschartikel dieser Art beginnen oder enden meist damit, daß dem Jubilar, sofern er im vorgerückten Alter ist, Jugendfrische bescheinigt wird. Das könnte man auch bei Hentrich. Ich meine, daß gerade bei ihm die Würde und Weisheit, die Disziplin und Gelassenheit des Alters es sind, die ihn zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit machen und ihn, hoffentlich noch lange, seine überreichen Aufgaben bewältigen lassen.

In: Rheinische Post. Feuilleton, 14. Juni 1985.