Nicht nur Baudenkmäler sind erhaltenswert. Auch intakte alte Straßen sind Kunstwerke.
Ganze Städte werden heute von Künstlern zu Kunstwerken erklärt. Die Bewohner dieser Kunstwerke halten meist nicht viel davon. Oft fehlt ihnen sogar das Auge für das, was bemerkens- und erhaltenswert in ihrer Stadt ist. Dieses Schicksal scheint die Citadellstraße jetzt zu erleiden. Ein junger Fotograf, Sigurd Storch, setzt sich mit den Fotos auf dieser Seite für ihre Rettung ein und hofft auf Bügerinitiative.
Die Citadellstraße – die alte Schreibweise mit „C“ statt „Z“ blieb auf den Straßenschildern erhalten – gehört zwar nicht zu den ältesten Straßen der Altstadt, aber sie ist eine typische Altstadtstraße und, was mehr zählt, sie ist in ihrem ursprünglichen Zustand vollkommen erhalten. Kopfsteinpflaster und verschnörkelte Straßenlaternen ergänzen das Bild der Häuserzeilen mit ihren Bauten, die zum Teil in das 17. Jahrhundert zurückreichen.
Die Maxkirche, Klosterkirche des ehemaligen Franziskanerklosters an der Ecke Schul- und Citadellstraße (Heinrich Heine besuchte hier das Lyzeum) entstand um 1735. Doch schon 1620 war das Berger Tor ans Südende der damaligen Citadelle, an die Ecke Citadell- und Bäckerstraße verlegt worden. Um 1755 schuf Baumeister Anton Schnitzler das Haus der Max-Schule.
Im Laufe der Jahrhunderte im Wandel der Stilepochen sind viele würdige Bürger- und Adelshäuser hier entstanden. Sie trugen so freundliche Namen wie „Im Schenkchen“ (Haus Nummer 3, das ehemals zum Palais Nesselrode gehörte), „Im roten Ochsen“ (Haus Nummer 15), „Im Schloß Benrath“ (Haus Nummer 10, erbaut 1718) oder auch „Im Sonnenaufgang“ (Haus Nummer 12, wo 1838 der Brauer Mathias Schumacher eine Brauerei erwarb, Stammhaus der heutigen Brauerei Schumacher an der Oststraße).
Es ist ein Vergnügen, gemischt mit Bitterkeit, durch die stille Straße zu gehen. Mancher Hauseigentümer verwendet auch heute noch Mühe und Geld auf die Pflege der so ausgewogen und maßvoll gestalteten Fassaden. Traurig aber stimmt der Zustand des Verfalls, der an den meisten Häusern zu beobachten ist, aber auch in ihrem Inneren, wo der Detektiv auf den Spuren der Vergangenheit noch Schätze an wertvollen Stuckarbeiten entdecken kann. Zwecklos, dem von Oberbürgermeister Marx 1895 einen nicht vorhandenen Verkehr geopferten Berger Tor nachzutrauern. Und auch der Trost ist schwach, dass diese Straße viel Pariserisches hat, im selbstgenügsamen Charme ihrer Zurückgezogenheit von dem, was man „modernes Leben“ nennt.
Seltsam genug: Der Beschuss der Stadt 1758 verschonte die Straße; das Hochwasser von 1784 umspülte die Erdgeschosse, richtete aber keinen größeren Schaden an. Bomben und Artilleriegrananten im Zweiten Weltkrieg fanden andere Ziele. Jetzt aber scheint der Niedergang einer intakten alten Straße unausweichlich, wenn nicht Heimatvereine, Denkmalpfleger und die Bürger, für die sie tätig sind, ihr Augenmerk statt auf ein einzelnes Bauwerk einmal auf ein komplexes Stück historischer Umwelt richten. Viel haben wir davon nicht aufzuweisen.
Fakten
Die Citadellstraße liegt in der Karlsstadt, dem ab 1787 entstandenen erweiterten Teil des alten Düsseldorf. Die Karlstadt trägt ihren Namen zu Ehren des Kurfürsten Karl Theodor (1724 bis 1799).
Die Citadellstraße reicht von der Schulstraße im Norden zur Bäckerstraße im Süden. Sie umfasst nur 13 Grundstücke auf der westlichen, acht auf der östlichen Seite.
Benannt wurde sie nach der 1552 von Herzog Wilhelm dem Reichen erbauten Citadelle.
Bei der dritten Erweiterung der Stadtbefestigung, 1620, wurde die Straße in den geschützten Teil der Stadt mit einbezogen.
Zwei bedeutende Bauwerke, das ehemalige Franziskanerkloster mit Kreuzgang und das Palais Nesselrode, markieren den Nordrand.
Im Palais Nesselrorde zeigt heute das Hetjensmuseum seine Keramikschätze. Im Süden schließt sich die Berger Allee an. Eng benachbart ist das Spee’sche Palais mit dem Stadtgeschichtlichen Museum.
Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Stadtpost. „Im Blickpunkt“, 4. März 1972