Frauen-Kultur-Archiv

Rheinischer Kulturjournalismus

Das Bild als Gleichnis

Zur Campendonk-Ausstellung in Krefelds Haus Lange

Heinrich Campendonk, geboren 1889 in Krefeld, war 22 Jahre alt, als er, durch Vermittlung seiner Freunde August und Helmuth Macke, in Bayern zu jener legendären Künstlergruppe stieß, die als ‚Blauer Reiter‘ in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Er war der Jüngste im Kreis, Kandinsky und Jawlensky waren mehr als 20 Jahre, Franz Marc und Klee etwa zehn Jahre älter als er. Doch man fühlte, daß in dem jungen Krefelder Kräfte und Ideen schlummerten, die den eigenen entsprachen. Aus Achtung wurde Freundschaft, und 1911 ließ sich Campendonk ganz im bayerischen Sindelsdorf nieder, Franz Marc unmittelbar benachbart. An allen Ausstellungen des ‚Blauen Reiter‘, die von München aus in andere deutsche Städte gingen, war Campendonk beteiligt.

Der ‚Blaue Reiter‘ war keine nach außen abgegrenzte Gemeinschaft, das Band, das die sehr verschiedenen Persönlichkeiten zusammenhielt, war geistiger Art. Man war sich einig in dem Bewußtsein, daß eine neue, mit allen Konventionen brechende Kunst heraufzuführen sei. Beziehungen bestanden zur Dresdner ‚Brücke‘, nach Rußland und Frankreich. Campendonk brachte, gemeinsam mit Macke, den rheinischen Klang in den Kreis, denn, so jung er war, hatte er doch schon die Sicherheit des Handwerks und die Kenntnis der Probleme. Auf der Krefelder Kunstgewerbeschule war Thorn-Prikker, der große Anreger, sein Lehrer gewesen, schon 1905 hatte er in Krefeld Werke von Cézanne sehen können und sich mit ihnen auseinandergesetzt. Nun, im Kreise des ‚Blauen Reiter‘, blüht alles in ihm auf. Er reduziert die Objektwelt auf wenige und wesentliche Züge, das Sichtbare wird Ausdruck tieferer Daseinsschichten. Der ‚Blaue Reiter‘ brach 1914 auseinander, Marc und Macke fielen. Der geistige Elan, der von ihm ausgegangen war, wirkte jedoch weiter. Campendonk hat in den Jahren, die der Blauen-Reiter-Phase folgten, seine schönsten Bilder gemalt.

Gereift und nun schon ein bekannter Maler, kehrt er 1922 nach Krefeld zurück. Er arbeitet für das Theater, aus der wiederaufgenommenen Beziehung zu Thorn-Prikker erwächst ihm die Freude an der Glasmalerei, die zeitweilig seine Kräfte stark beansprucht. 1926 wird er Thorn-Prikkers Nachfolger an der Düsseldorfer Kunstakademie. Freundschaft verbindet ihn mit Nauen, 1932 wird Paul Klee, der alte Gefährte, sein Türnachbar. Bis dann 1933 alles abbricht. Campendonk emigriert nach Belgien und wird später Lehrer an der Rijksakademie in Amsterdam. Nochmals entsteht ein reiches Œuvre, in gewandelter Form, wenn auch aus gleichem Geiste wie bisher. Und doch hat er den Schnitt, den die Emigration für ihn bedeutete, nie verwunden. Immer schon verschlossen, wird er nun vollends weltscheu. In seine neue Produktion gewährt er selten Einblick. Nach Kriegsende bahnen sich die Kontakte mit Deutschland langsam wieder an. Krefeld, Düsseldorf versuchen, ihn für ihre Kunstschulen zu gewinnen. Ausstellungen werden geplant. Alles schlägt fehl. 1957, nach längerem Leiden, stirbt er in Amsterdam.

Campendonk hatte gebeten, keine Gedächtnisausstellung für ihn zu veranstalten. Noch mochte in ihm brennen, daß siebenundachtzig seiner frühen Bilder in deutschen Museen als entartet beschlagnahmt und verschleudert waren, andere sich auf Schutthaufen herumgetrieben hatten. Nun, drei Jahre nach seinem Tode, hat die Stadt Krefeld ihr lange geplantes Vorhaben einer großen Campendonk-Ausstellung verwirklichen können.

Der Werdegang ist leicht erkennbar: in den frühen Bildern Nähe zu Franz Marc und Kandinsky, wobei der helle, heitere Grundton überrascht, der französische Kubismus spielt herein, später dann die Liebe zu Chagall. Unverkennbar der Schnitt zwischen den frühen und späten Bildern, das Spätwerk ist kühler, präziser, gleichwohl auf äußerste konzentriert, souverän in der Meisterung der Mittel, mitunter leicht dekorativ. Doch sind alle diese Trennungen unwichtig. Was uns anrührt, ist die Einheit der Persönlichkeit, die Stetigkeit der Handschrift, das Wissen um das eigne künstlerische Maß.

Campendonk ist nie ein ungegenständlicher Maler gewesen, immer bleibt er im Bereich des dinglich Wahrnehmbaren. Das ländliche Leben, Dorf und Hirtenidylle sind die herrschenden Themen, der Mensch ist Teil der Natur und fest in sie eingebunden. Oft sind die Dinge ganz nah und deutlich, etwa ein springendes Pferd, ein Akt unter Bäumen, ein junges Paar am Tisch; die Melkeimer klappern, die Lampe brennt. Aber wie im Traum Dinge greifbar scheinen und doch sich entfernen, entbehren auch die Campendonkschen Dinge der Realität. Sie glühen auf in Farben, die ihnen in der Natur nicht eigen sind, und durch die Art, wie der Maler seine Objekte einander zuordnet, werden sie zu Zeichen und Symbolen. Alle Campendonkschen Bilder sind Gleichnisse für bestimmte Daseinsformen und menschliche Bewußtseinslagen; in ihrem stillen, zuständlichen Sein führen sie uns, wie Marc einmal gesagt hat, „in Träumen hinter die Bühne der Welt“.

In: Rheinische Post, 30. Mai 1960.