Frantisek Kyncl stellt für das Kunstmuseum eine große plastisch-malerische Rauminstallation im Kunstpalast am Ehrenhof aus
Wie Kunst einen Raum verwandeln kann, wenn sie für ihn gemacht oder auf ihn bezogen ist, kann man jetzt in Halle 5 des Kunstpalasts am Ehrenhof wahrnehmen. Dort zeigt Frantisek Kyncl (geboren 1934 in Pardubice, Tschechoslowakei), der schon nach dem „Prager Frühling“ 1968 nach Düsseldorf kam, seine bisher schönste Ausstellung in dieser Stadt. Sie wird vom Kunstmuseum veranstaltet, betreut von Stephan von Wiese, und geht anschließend – in einer ersten Museumskooperation – ins Haus der Kunst der Stadt Brünn. Auch der von Winfried J. Jokisch gestaltete Katalog ist zweisprachig.
Die ganze Schau ist eine einzige, vielteilige und erstaunlicherweise erste große Rauminstallation Kyncls, der in Düsseldorf nach Ausstellungen auf der IKI (1972), in Galerien, in der Kunsthalle (1977) und im Kunstverein (1982) kein Unbekannter ist. Kyncl, zugleich Plastiker und Maler, behauptet allerdings, daß er keins von beiden sei. Technik, Material sind für ihn nicht ausschlaggebend. Wesentlich ist für ihn eine Struktur von Dreieck und Tetraeder, von der er geradezu besessen ist und die schon seit 1966 die alleinige Substanz seines Schaffens darstellt.
Sie wurde zur Keimzelle, aus der jedes seiner Werke wächst. Wohlgemerkt: nicht als rationale, serielle Konstruktion nach Plan, sondern – und das ist das Besondere an Kyncl – sie entsteht in geduldiger, geradezu liebevoller Handarbeit wie Organismen. Deshalb sind Kyncls Arbeiten, seien sie nun zwei- oder dreidimensional, niemals starr. Sie dehnen sich aus in der Fläche, wenn nötig weiter und weiter, sie wachsen in den Raum und lassen den Raum in sich hinein. „Ich weiß nicht, was herauskommt, ich fange einfach an“, sagt Kyncl. „Das wächst weiter wie in einem Kindertraum, ins Unendliche.“
Sind das wirklich Konzepte oder nicht eher Prozesse, die sich in diesen Arbeiten manifestieren? Geht man um die transparenten Objekte herum, so bewegt und verändert sich auch das Liniendickicht in ihrem Innern. „Das ist wie Gras“, meint Kyncl. Von effektvoller Kinetik hält er nichts.
In der Mitte des großen, nüchternen Raumes sind die aus filigranen Strukturen entwickelten plastischen Objekte teils an vom Boden zur Decke gespannten, sich fast unmerklich bewegenden Gummiseilen aufgehängt, teils stehen und liegen sie auf dem Boden: Kuben, rechteckige Elemente, Stelen, unregelmäßige Gebilde. Alle sind sie eigenhändig aus Bambusstäbchen gebaut. An den Treffpunkten der ineinandergreifenden Module wurden die Stäbchen mit Pattex oder Zwei-Komponentenkleber fixiert und diese Knotenpunkte dann leicht mit Ölfarbe übermalt. Das ergibt ein lyrisches punktuelles Farbspiel in den grazilen linearen Verzweigungen der entweder naturbelassenen oder schwarz, zuweilen weiß gestrichenen Stäbchen.
Manche dieser plastischen Elemente werden öfters wieder verändert, wie ein schwarzer Würfel, den Kyncl 1972 begann und bei dem er nun das Innere herausgerissen hat. Das Ganze wirkt schwebend leicht, verleiht dem kahlen Raum einen Anflug von Charme.
Die gleichen leichten Unregelmäßigkeiten handwerklicher Arbeit wie in den Objekten nehmen auch den malerischen Arbeiten die Trockenheit von Rastern. Es sind Prägedrucke, bei denen Stäbchen in das feuchte, dicke Papier gedrückt wurden. Über einem mit der Rolle eingefärbtem Grund sind die gereihten Linienstege der ineinandergreifenden Tetraeder wieder von anders getönten Pinselzügen begleitet. Das Wechselspiel der Farben mit den Linienstrukturen ist reizvoll, hat vielerlei Nuancen. Und die Kreuzungspunkte der Linien werden auch malerisch betont.
Wie gewachsen schaut das aus, und es macht Freude, mit den Augen darin spazieren zu gehen. Bestimmend sind aber auch Monochromien von Bildergruppen, die wechselweise den Ton angeben und somit Akzente im Raum setzen: ultramarinblaue oder rote, schwarze (mit rosa Grund), purpurne, grüne. Besonders vielseitig ist das Gespräch der Farbtöne untereinander und mit den Strukturen in den reinen Zeichnungen.
Rhythmus und Klang steuert als Hintergrund auch eine von Kyncl selbst zusammengestellte Musik bei. Er hat darin Radiomusik auf Band aufgenommen, die er in Intervallen immer wieder abschaltete und so ebenfalls strukturierte. Die schöne Ausstellung, die mit Fremdmitteln finanziert wurde (darunter vom Institut für Auslandsbeziehungen), ist die erste, die das Kunstmuseum in diesem Jahr im Kunstpalast veranstaltet, da dafür kein Etat zur Verfügung stand. Eine gelungene Sache.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 7. Oktober 1992