Frauen-Kultur-Archiv

Rheinischer Kulturjournalismus

Die unproblematische Frau

Wer den Querschnitt durch unsere Zeit macht, um den regierenden zeitgemäßen Frauentyp herauszukristallisieren, der glaubt ihn am besten zu fassen im Girl und in der Frauenrechtlerin. Und in Wirklichkeit ist die Frauenrechtlerin, sieht man sich nur die organisierten Verbände an, weißhaarig. Sie gehört in ihrem ganzen Gedankengang nicht in unsere Zeit. Das sporttreibende Girl aber ist eine Maske, hinter der sich oft eine tiefempfindende Frauenseele verbirgt. Die Frau von heute, die wesentlich ist, tritt wie zu allen Zeiten mit verschiedenem Äußeren, mit verschiedener Geste auf, aber alle verbindend ist – der vergangenen Frauengeneration konträr – ihre Problemlosigkeit, die erklärbar ist aus der kämpferischen Situation, in die jede Frau hineingesetzt wurde. Denn in Augenblicken, da der Mensch Tiefgehendes erlebt, hört für ihn die gedankliche Auseinandersetzung von Problemen auf, da philosophiert er nicht. – Ein Liebender liest keine Liebesromane, oder höchstens um seinem eigenen Lied zu lauschen, und kein Abenteurer liest Abenteuerromane. Er erlebt sie. Eine Frau, die schafft, die erlebt, wälzt keine Probleme über ihr Geschlecht und seine Möglichkeiten. – Daraus erklärt sich ihre heutige Problemlosigkeit. Denn sie ist wirklich unproblematisch im Gegensatz zur vergangenen Generation, die Vortrupp war für unser Geschlecht. Aus wohlsituierter Bürgerlichkeit heraus kamen alle jene Frauen, deren Namen wir mit verstehender und dankbarer Liebe als unsere Vorkämpferinnen nennen, mit denen uns heute aber weiterhin keine Bande des gemeinsamen Kampfes mehr verknüpfen. Noch einmal: aus wohlsituierter Bürgerlichkeit, die überwunden wurde, kamen jene Frauen, die das Votum der Blaustrümpfigkeit auf sich nahmen, die wie Berserker kämpften für das Kind, für die geistige Freiheit eintraten und sich und ihr Glück für diese Idee opferten. Die heutige wesentliche geistige Frau, von der hier nur die Rede sein kann, kämpft für alle diese Ideen nicht mehr, nicht weil diese Ideen restlos Erfüllung wurden, sondern weil das gedankliche Erbe ihrer Vorkämpferinnen schon eine Blutangelegenheit dieser heutigen Frau wurde. Sie lebt nicht mehr in Gedankenkonstruktionen der Idee, sondern sie erlebt ihre Idee.

Vielleicht ist dieses selbstbewußte, selbstverständliche, problemlose Tun nicht nur erklärbar aus dem sicheren Erbe vergangener Frauengenerationen, sondern noch mehr aus der alles zum Wanken gebrachten Kriegszeit, die alle Länder, ob beteiligt oder unbeteiligt, wach rüttelte. Das Leben des Wohlbehagens – das Leben, das auf Lebensversicherung eingestellt war – wurde vernichtet, und nur der Tapfere, der kräftig sein Gehirn auf diese wechselnden Kurse hier einstellte, oder der Phantast, dessen Blick auf die Sterne sich richtete, behielt einen klaren Kopf. Und diese Bindung: erdhaft und geistig – aus dieser Bindung entstand die wesentliche heutige Frau. Nach Shakespeare geben wir Menschen den Sinn. Nach ihm ist alles sinnlos rätselhaft, nur wir Menschen geben den Dingen den Sinn. Diese aus der Enge des fraulichen Seins herausgerissenen Wesen, die anscheinend ihren Grund verloren, sie gaben mit der Kraft ihrer Wurzeln, die überall Boden faßten, ihrem Dasein einen, nämlich ihren Sinn. Diese selbstverständliche Sinngebung des eigenen Lebens, das bedeutete die geistige Befreiung dieser Frauengeneration.

Diese Frauen, so schien es, kämpften nicht mehr für ihre Schwestern, sie kämpften anscheinend nicht mehr für die Idee, sie taten nichts anderes als ihr eigenes kleines zum Wanken gebrachtes Leben wieder auf sichere Beine zu stellen, um des eigenen Glückes und des Glückes ihrer Geliebten, die doch letzten Endes der tiefste Sinn eines jeden Frauenlebens ist. Und da sie dies taten, ihr kleines Leben aufbauten mit männlicher Tatkraft, da wirkten sie oft wie Männer, und Entsetzen ergriff alle, denen es um unsere Kultur ernst war.

Sie sahen nicht, daß hinter dieser weiblichen Stirn ein zielbewußter Wille am Aufbau einer Welt arbeitete, in der das Frauensein sich erst ganz entfalten konnte.

Um die Gestalt dieser neuen Frau – deren Erkennen Beglückung sein muß für jeden, dem es um die Gestaltung unserer Zeit ernst ist – ganz klar herauszustellen, zeige ich jetzt an wesentlichen Frauentypen aus Frauenromanen, daß diese unproblematische Frau, deren Erscheinen ich als ein Aufbauzeichen unserer Zeit erkennen möchte, da ist. Erkennbar wird all die kommende und gegenwärtige Wesenheit am ersten in der Kunst, die doch der Spiegel einer Zeit ist – das Staubecken, das alle geistigen Niederschläge sammelt!

Eine Frauengestalt, die den aufbauenden Frauentyp darstellt, ist Elsa in dem letzten Roman der Martha Ostenso: "Die tollen Carews". Es ist die Frau, die, ohne es zu wissen, ganz unproblematisch, in ihrer eigenen Welt lebt. Einer Wahrheit, der sie auch um ihrer Liebe willen keinen Zwang antun kann. Es ist nicht mehr die Frau, die still leidet, – auch nicht mehr die Frau, die den Begriff des Opfers kennt, das Resignation zur Folge hat. Nein, es ist die Frau, deren innere Wahrhaftigkeit so stark ist, daß sie von ihr beherrscht wird, daß sie ihr dienen muß. Diese Frau wird von einer inneren Gewalt geleitet und sie ist noch, oder – wenn wir auf die vergangene Generation zurückschauen – vielleicht besser – wieder so instinktsicher, daß sie dieser inneren Gewalt gehorcht. Nichts Sentimentales weht durch das Leben einer derartigen Frau. Nur ein wahrhaftiger Mann hält diese herbe reine Frau aus.

Sonderbar würde unsere vergangene Generation diese Frauengeschichte anmuten, in der eine Frau nicht mehr Spielball von Gefühlen und nicht mehr der passive Teil zu sein scheint, sondern in der sie letzten Endes fast die Verantwortlichkeit für das innere Glück ihrer Familie und der kommenden Generation zu tragen hat. Es ist, als wenn diese Frau wie vor undenklichen Zeiten wieder so etwas wie eine priesterliche Mission zu erfüllen hätte. Die Wahrhaftigkeit einer jeden Geste, die zwischen ihrem Mann und ihr gewechselt wird, die Reinheit des Erlebnisses, das ihr Liebe heißt, ist ihr wichtiger als alles andere auf der Welt. Die äußere Zerrüttung ihrer Lebensverhältnisse, die Elsa erleben muß, alles was in früheren Frauenromanen wichtig zu sein schien, fällt hier im Gedanken- und Gefühlskreis einer derartigen Frau als unwichtig fort oder besser noch, es berührt ihr Wesentliches nicht.

Vielleicht wird dies noch klarer, wenn wir die Frauenreihe betrachten, die uns aus Margarete Kennedys Roman: "Die treue Nymphe", entgegenkommt. Dieser Sangersche Cirkus – wie die englische Aristokratie das Landhaus des Komponisten Sanger taufte – birgt den rührendsten Ausdruck der Frauen, die unsere Zeit hervorbringen konnte. – Da ist die zarte kleine Tessa, die schweigend, unbesiegt und jung starb, die noch im letzten Augenblick, da sie den Tod fühlte, kein Wesens von sich machen konnte – die sich keinen Augenblick ihres Lebens so wichtig vorkam, daß sie andere mit ihrem kleinen Wesen belastete – und der die Ruhe ihres Geliebten wichtiger war als ihre glänzende prachtvolle Schale, die der Onkel ihr bescherte und die der Geliebte in böser Stimmung zerschlug. Als man ihren Geliebten darum schelten wollte, kehrte sie ruhig die Glasscherben auf und wußte so gut, daß ihr Geliebter zu klug und sein Wesen zu tief war, um diese Schale wichtig zu nehmen, und daß es im Leben so wichtig ist, das eigene Herz nicht an äußere Dinge zu hängen, denn eine Schale braucht schon, um zu glänzen, ein Heim, und das durfte sie sich bei ihrem ruhelosen weltabgewandten Geliebten und auch aus der Wahrheit ihrer eigenen Seele, die alles dies als Belastung empfand, gar nicht wünschen. Alles Böse wird in der Atmosphäre dieser kleinen Tessa gut. Und da ist die Frau, die ihr den Geliebten nahm, ohne daß sie oder der Geliebte es wußte; die stolze schöne englische Aristokratin Florence, die aus der Sicherheit ihres bürgerlichen Lebens heraus alles harmonisch zu sehen gewohnt war. Auch sie gehört zu dem neuen Frauentyp. Denn aus ihrer umfassenden Bildung, aus ihrem wohlgeschulten und weitblickenden Gehirn heraus hat sie nicht mehr die Grenzen, die früheren Frauenanschauungen anhafteten. Und ihre Seele flattert voll Sehnsucht heraus aus der Konvention ihrer Gesellschaft nach dem Sangerschen Cirkus hin, in dem eine herbe und frische Luft weht. Sie läßt sich dort fangen, sie liebt und sie liebt in ihrem Mann all die Hemmungslosigkeit, die schöpferische Kraft gegen alle Bindung, wie sie Konvention und Geselligkeit mit sich bringt, instinktiv hat. Aber ihre Liebe möchte dem Manne ihrer Liebe doch auch die Anerkennung und den Lorbeer – den die Gesellschaft auszugeben hat, und der nach ihrem Glauben der künstlerischen Qualität ihres Mannes geziemt – erobern. Wodurch? Durch die einzige Möglichkeit, durch die Geselligkeit, durch die Gesellschaft, in die sie ihren einsamen hemmungslosen Mann hineinziehen will. Sie verpflanzt wilde Blumen in einen künstlichen Garten. Aber die Urkraft ist zu groß. Es gelingt ihr nicht. Sie muß einsehen, daß dieses selbstgewählte Außenseitertum des Sangerschen Cirkus keine Laune, sondern eine Blutangelegenheit ist.

Durch alle heutigen Frauenromane geht diese Erkenntnis, daß jeder Mensch in seinem eigenen Ich befangen ist, daß also jeder Mensch eigentlich gar nicht anders als aus der Erbanlage heraus handeln kann. Darum fehlt diesen Büchern und diesen Frauengestalten alles Moralinsaure und alles Unreine. Wäre uns in Frauenbüchern der vergangenen Generation die wunderhübsche Antonie aus Sangers Cirkus begegnet, die aus ihrem väterlichen Haus entwich, so wäre aus diesem Erlebnis ein dramatischer Konflikt zugunsten der der Frauenpsyche oder ein ungeheuerliches sexuelles Problem entstanden. Hier ist das Problem verschoben und löst sich auf. Es wird problemlos. Und dies ist so wichtig, daß wir dieses Erlebnis näher betrachten müssen. – Antonie liebt ihren häßlichen Mo, was dieser bei der Schönheit Antonies kaum erwarten konnte. Sie liebt ihn und wird ihm, das fühlt man, eines Tages mit aller Reinheit ihres liebenden Herzens gehören. Mo aber begeht die Sünde, diesen Moment der Hingabe zu verpassen und einen durch äußere Umstände (Alkohol) anscheinend für ihn sicheren Augenblick der Selbstauflösung zu nehmen, um sich ihrer Liebe zu erfreuen. Aber er hat nur ihren Körper, nicht ihre liebende Seele besessen, das fühlt dieser Mann, dem viele Frauen begegneten, aber keine so wahrhafte, in ihrer Liebe so grenzenlose wie Antonie. Und diesen Kaufmann Mo befällt nach seiner Tat eine grenzenlose Traurigkeit, denn er kann es nicht glauben, daß es zwischen ihnen wieder gut werden kann, denn sie hat das unheimliche Gesicht der seelenlosen Begierde gesehen, sie, diese gesunde triebhafte Frau, die einen seelenlosen Trieb in sich nicht kannte. Seine Traurigkeit löste aber dieser in sich verkrochenen Frau die Zunge, so dass sie zu ihm gehen konnte. Denn sie erkannte in seiner Traurigkeit seine verschüttete Seele, die ihr gehörte und über die sie in Liebe zu wachen von jetzt ab ihre Berufung sah. So konnte dem ersten fruchtbaren Begegnen Vergessenheit in ihrer Liebe werden. Diese Antonie, die als Geliebte um die Seele ihres Mannes trauert, die sie bei der ersten Umarmung nicht gefühlt hat und die durch ihre keusche Zartheit diesen anscheinend seelisch Verschütteten zu zartesten und reinsten, ersten Liebesgefühlen unbewußt zwingt, ist eine der edelsten Frauengestalten unserer modernen Literatur.

Der Geschlechterhaß, der früher durch alle Bücher wehte, der besonders stark in Frauenbüchern zum Ausdruck kam – der stärksten Ausdruck bei Wedekind fand -, er fehlt in dieser neuen Frauenliteratur. Aufgelöst wird die Verschiedenheit der Gefühle hier stets durch die Liebe der verstehenden Frau.

Wichtig allein ist der heutigen Frau ein Leben, das sie voll und ganz bejahen kann. Nicht passiv, sondern aktiv steht sie ihrem Leben gegenüber, in dem Glauben, daß sie dazu da ist, es fruchtbar zu gestalten. Ein derartig aktives Leben läßt keine Zeit zur Problematik, es hat nur Raum zum tätigen Handeln.

Das sind die Frauen, die ihr Leben gestalteten auf ganz neuer Grundlage, die morgens in aller Frühe singend den Herd scheuern und in Hast das Mittagessen vorbereiten, um dann auf Stunden sich ganz einem Berufe hinzugeben in der stillen Gewißheit ihres häuslichen Glücks, das sie sich gemeinsam mit dem Geliebten schufen. Und dann die Frau, die neben dem ärztlichen oder sonst einem schwierigen Beruf auch noch eigene Kinder in Liebe verwahrt. Die Frauensorgen von früher, der Haushalt, auch er wird besorgt, aber er untersteht ganz der persönlichen Gemütlichkeit der Familie. Er ist kein übergeordneter Selbstzweck mehr. Denn diese im Leben kämpfende Frau kommt mit dergleichen Sehnsucht des stillen Friedens, mit der Sehnsucht nach Gemeinschaft nach Haus wie der Mann und das Kind. Im brausenden Strudel des Lebens wird das Heim die Burg, die Insel, die jeden beschützt, der Aufnahme findet.

Zur Beweiskraft, dass wirklich für die heutige Frau anscheinend eine Problemlosigkeit eingesetzt hat, brauchen wir nicht allein auf unsere Literatur zu schauen, die Frauen schufen. Die verwaisten Frauenverbände selbst geben uns den Beweis. Der Nachwuchs bleibt aus. Nicht zu erklären ist diese Flucht aus der Vergnügungssucht unserer Zeit – diese Sorte Frau war als Kulturträger immer bedeutungslos, sondern sie ist wirklich erklärbar aus der ungeteilten Kraftentfaltung, die heute einer Frau möglich ist und ihr, was wichtig ist – , selbstverständlich wurde. Heute ist, durch die äußeren Verhältnisse bedingt, keine Frau mehr ein Außenseiter, die dem Glück nicht entsagt, wenn die äußeren Verhältnisse des Geliebten ihm keine Ehe ohne wirtschaftliche Unterstützung der Frau gestattet. Nicht mehr wird jener Mann, der eine derartige Frau gefunden hat, als eine Art Verbrecher angesehen, der in eine bürgerliche Familie den Unglückskeil schob. Die Verhältnisse würden heute kaum noch einem Mann ohne Hilfe der Frau gestatten, vor dem Greisenalter zu heiraten. So steht die äußere Lage. – Aber es ist gerade, als wenn diese innere traurige Lage kein sinnloser Zustand wäre. Die Frauen gaben den Sinn! Sie konnten jetzt endlich heraus mit ihrer ganzen Liebesfähigkeit, die sie zu ungeahnten Taten und zu restlosem Verstehen führte. Die unverstandene Nora, die desillusionierte Madame Bovary, die Strindbergsche Frau, die im Geschlechterhaß ihr Heim in Trümmern schlug, sie ist erklärbar nur aus der Triebunsicherheit, welche für die vorhergehende Zeit nicht nur in der Gestaltung des Frauenlebens bezeichnend war. Wie schon vorher gesagt wurde, das ganze Leben einer Frau war vollkommen von traditionellen Überlieferungen, bürgerlichen Vorurteilen und Familienrücksichten eingeengt, so daß für ein eigenes kraftvolles Leben nur selten die innere Freiheit noch blieb. Nicht wie heute ließ sich auch die Frau den Wind um die Nase wehen, fand ihre Weltanschauung und ihre eigene Wahrheit im Lebenskampf, der sie dann eines Tages mit einem Mitkämpfer, einem Kameraden in Liebe verband. Zufälligkeit der Geselligkeit trieb früher die Paare zusammen, die bis zur Ehe, der Konvention gehorchend, nicht die Seele und nicht den Körper des andern in stillen Stunden des Beisammenseins erahnen durften. Auf dieser Ideenlosigkeit einer zweisamen Gemeinschaft baute sich dann eine Ehe auf, die nur noch gerettet werden konnte durch das Kind, das vielleicht eine gemeinsame Idee für beide werden konnte. Aber ein Ganzes, das aufbauend war, ein Kulturfaktor konnte eine derartige Ehe nur selten sein. Meistens konnten die Nerven dieses zwiespältige Leben, das Körper und Geist zu führen hatte, nicht ertragen und die Strindbergsche Tragödie wurde eine Alltäglichkeit. Nicht ohne Grund war das sexuelle Problem und das Eheleben im Vordergrund aller Dichter und Denker. Die ganze Literatur des Naturalismus – von Jäger, Conradt ab bis zu Wedekind – war erfüllt vom sexuellen Problem, das unlöslich schien. Es schien, als wenn die Natur zwischen dem Manne und der Frau wirklich einen unüberwindlichen Zwiespalt geschaffen hätte. Aber der frische und kalte Wind unserer Tage hat diese Probleme verweht. Soll man der russischen Gesandtin Kollontay und ihren Schwestern, die in Dichtung und Prosa ihr Frauenschaffen gestalten – trauen –, so sieht man auch hier, wie das rein frauliche Sein, das immer doch nur durch die Liebe restlos erfüllt wird, auch hier zu letzten eigenen Wahrheiten vorstoßen will.

Es ist so rührend zu lesen, diese neue Frauenliteratur – die wir hier nur so kurz streifen konnten –, die so voll herber keuscher Frische ist, so ganz ohne süßliche Sentimentalität, so ganz ohne Wichtigtuerei und so ganz Sicherheit des Instinkts erahnen läßt. Nicht wie früher eine Auseinandersetzung mit dem Schicksal, keine Anklage an den Mann, der nicht restlos alle Hoffnungen erfüllte – gar kein Geschlechterhaß –, sondern nur ein Lauschen auf das eigene Ich, auf dessen wahrhaftige Lebensgestaltung es den Frauen allein ankommt. Nur die Vergewaltigung der eigenen Lebensidee, nur das Untreuwerden an der eigenen Wahrheit wird von diesen Frauen als Sünde, als Schuld erkannt. Darum die Verantwortung, die diese Frauen in ihrem ganzen Leben im Blute tragen. Sie kennen nicht mehr die Begriffe Opfer und Pflicht, die eine vorhergehende Frauengeneration am reinen Wappenschild verzeichnet hatte. Denn diese Begriffe gingen unter in ihrer blutvollen Wahrheit, der die heutige wesentliche Frau leben muß und leben kann, denn ihre Wahrheit ist im eigenen Lebenskampf gefunden und wird restlos und ohne Überlegungen geliebt. Der Mann, der in dieser Lebensidee, in dieser gefundenen Wahrheit miteinbegriffen ist, der ist beschützt wie Elsas Mann aus Ostenos Roman. Er fühlt im chaotischen Treiben unserer Zeit die innere Harmonie, die Kräfte zum produktiven Schaffen des Mannes frei macht und frei hält. Nicht nur in Frauendichtungen, auch in der Männerliteratur wird die aktive Frau lebendig, die unproblematisch sich einfach im Tun und in der Liebe auslöst. – Man denkt da sofort an des Dichter Gladkow Roman "Zement". Die Frau, die in diesem Roman vor uns lebendig wird, macht uns in ihrer Zielsicherheit fast erschrecken. Sie glaubt an die Gesundung ihres Volkes, die sie als Erbe auch ihrem Kind erkämpfen will. Alles, was sich ihr bei der Realisierung dieser Träume hemmend in den Weg stellt, muß sie niedertreten und zu überwinden suchen, selbst dann, wenn dieser Weg zum Ziel über ihr eigenes zuckendes Herz geht. Es gibt für sie eben nichts anderes als die Mitarbeit an der Realisierung ihres Glaubens, ihrer Wahrheit, die sie erkannt hat. Ein derartiges tatkräftiges und vom Schicksal unüberwindbares weibliches Wesen muß Kraftquellen in sich haben, die grenzenlos sind. Ihr Glaube, für den sie ihr ganzes Leben zeugt, kommt aus religiöser Inbrunst, aus dem Geist und nicht aus dem Gehirn. Das ist das Geheimnis dieser Frauen, die heute manchem Mann so unheimlich wirken, da ihr Kraftmaß so männlich wirkt. Es ist der Geist, der in ihnen mächtig ist, dass sie über ihr von der Natur anscheinend gestecktes Maß hinauswachsen und sich selbst lieber zerstören, als daß sie auch nur einen Schritt von ihrer Wahrheit abrücken. Aber auch diese Selbstzerstörung birgt tiefempfundenes Glück, auch sie bleibt unproblematisch, da sie nicht gewollt, nicht bewußt eintritt, sondern einfach erlebt wird. Das Leben ist schwer und doch ist es in seinem ewigen Kampfe liebenswert. Das ist die große Wahrheit dieser heutigen Menschen, dieser Frauen, die aktiv ins Leben vorstoßen.

In: Der Scheinwerfer. Blätter der städtischen Bühnen Essen. Hg.: Hannes Küpper. 2. Jg., 3. Heft, Essen, Oktober 1928, S. 22-26.