Ausstellung des Westdeutschen Künstlerbunds im Landesmuseum Volk und Wirtschaft
„1945 – da werden Erinnerungen wach an das Ende der apokalyptischen Bombennächte, an die Rückkehr der Überlebenden in Trümmerstädte, demoralisierte Heimkehrer mit nichts in den Händen. Es blieb wenig Zeit, um über Ursache und Schuld nachzudenken, weil die elementarsten Bedürfnisse, ein Dach über dem Kopf zu haben, das Stillen des hungrigen Magens, die letzten Kräfte des gelähmten Lebenswillens forderten . . . Und doch werden diese ersten, wirtschaftlich von Unmoral, Sorgen und Resignation gezeichneten Jahre für den, der sie mitgemacht hat, unvergeßlich bleiben als eine später nie wieder erlebte Zeit beherzter kultureller Aktionen, leidenschaftlicher Diskussionen und nicht lahmzulegender Aktivitäten – allerorten . . . Was war das damals für eine aufregende Sache, einen Quadratmeter Leinwand oder Karton ergattert zu haben . . .“ Dies schreibt Thomas Grochowiak in seinem Katalogtext „Im Blick zurück“ auf die Gründerjahre des Westdeutschen Künstlerbundes.
Vor solchem Hintergrund die 25. Hauptausstellung des 1946 in Hagen gegründeten Westdeutschen Künstlerbundes zu sehen, ist vielleicht gerade im Augenblick naheliegend. Sie wird erstmals außerhalb ihres Stammsitzes, des Hagener Karl Ernst Osthaus Museums, im Düsseldorfer Landesmuseum Volk und Wirtschaft am Ehrenhof gezeigt. Der neue Vorsitzende des Westdeutschen Künstlerbundes, Utz Brocksieper, will auch die nächsten, weiterhin im zweijährigen Turnus veranstalteten Hauptausstellungen in verschiedenen rheinisch-westfälischen Städten präsentieren. Die damit traditionell verbundene Verleihung des Karl Ernst Osthaus-Preises in Höhe von 10 000 Mark wird dann jeweils im Zusammenhang mit einer alternierenden Themenausstellung in Hagen vergeben.
Im Westdeutschen Künstlerbund haben sich im damals neugegründeten Nordrhein-Westfalen Künstler zusammengeschlossen, die in dieser Region geboren sind oder dort leben und arbeiten. Auch Vorstand und Juroren setzen sich aus gewählten Künstlermitgliedern zusammen. Geschäftsführer ist der Direktor des Karl Ernst Osthaus-Museums, Michael Fehr.
Knapp ein Drittel der 100 in dieser Jubiläumsschau vertretenen Künstlerinnen und Künstler, darunter 35 Gäste, wohnen im Rheinland, die anderen überwiegend in Westfalen. Die Schau wurde geschickt, locker gegliedert und in den nicht eben leicht „bespielbaren“ Räumen auf drei Etagen aufgebaut. Man kann sich auf jedes einzelne Werk ungestört einlassen. Ein gutes Niveau integriert Arbeiten von drei Generationen aus den letzten drei Jahren, und besonders die Jugend sorgt für manche Überraschung.
Gleich eingangs im Vestibül begegnet man einer großen Landschaft in Acryl und Pastell von Ludmilla von Arseniew, in der sich systematisierende Strenge und informelle Spontaneität zur prickelnden Farbstruktur verweben. Rolf Noldens „Glasbogen“-Objekt aus gespaltenen Glasscheiben fasziniert durch seine grünschimmernde Lichttransparenz. In Wulf Noltes große abstrakt-expressive Landschaft „Rückblick auf Texel“ taucht der Blick ein in großflächig strömendes und doch in sich ruhendes atmosphärisches Grau, Blau, Schwarz und Weiß nordischer Melancholie.
Gleich daneben suggeriert Margot Kerchners Wandinstallation „Orgelpfeifen“ aus Fließbandgummi, die sich gleichsam wie durch Luftgebläse ausdehnen, öffnen und schließen, visuelle Musik mit vollen und zurückgenommenen Tönen. „Inzucht“ nennt Victor Ronato seinen amüsanten Kreis aus igelartigen Stachelwesen, bestehend aus Roßhaarbürsten und einem Spiegel. Christina Hoppes kassettenartige Bodenplastik mit Deckel im Holz ist wie eine konstruktive Blume mit Holunderblüten gefüllt. In wilder, gestischer Vitalität stürmen die Farben durch Thomas Grochowiaks großartiges Tusche-Bild „Nach Mozart: Dies irae aus dem Requiem“. Oder sie fangen einen „Lichteinbruch“ auf in Sigrid Kopfermanns sprühendem Gemälde.
Wie in Luft aufgelöst, schaukelnd im Wind, ein Medium der Phantasie, ist Günter Zins’ ganz immaterieller „Fliegender Teppich“ der Phantasie aus zarten Edelstahlstangen. Graphisch-linear, raumdurchlässig sind auch Utz Brocksiepers „2 Keile in Aktion“ aus roten Vierkantrohren. Unverkennbar die sich ganz dem Raum anvertrauenden feinen Blätter in Aquarell und Feder von Gabriele Grosse und der „Molekularkörper“ in eloxiertem Aluminium und Acrylglas von Karl-Ludwig Schmaltz.
Mancherlei witzige illusionistische Täuschungen baute Silke Rehbert in ihr Mixed-Media-Objekt „Amphitrite trifft Flipper“ im Untergeschoß ein, wo auch Jens Christian Brand sein verspieltes, durch kleine Ventilatoren bewegtes „Triptychon für Carlos Gardel“ platziert.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 11. September 1992