Erinnerung an Alex Vömel
Still, nach außen fast unbemerkt, ist Alex Vömel, 87jährig, von uns gegangen. Er hatte mittags noch am Treffen der Rotarier teilgenommen, abends in einem Restaurant gegessen, morgens fand man ihn tot im Sessel sitzend. Nach dem jähen Hinscheiden von Hella Nebelung ist es der zweite schwere Verlust, der innerhalb weniger Tage die rheinische Kunstwelt getroffen hat.
Vömel war Träger großer Tradition. 53 Jahre lang hat er die Galerie durch alle Wechselfälle des Geschehens geführt, selbst in den schlimmsten Hitlerjahren betrieb er sie im Verborgenen weiter und hat es klug verstanden, Kunstfreunden wie den von der Heydts in Wuppertal, Hermann Lange in Krefeld, Haubrich in Köln zum Aufbau ihrer Sammlungen zu verhelfen – in jenen Zeiten, als Kunstwerke ersten Ranges für dreistellige Summen zu erwerben waren. „Bei uns ist der Kunsthandel nie abgebrochen“, schrieb er einmal. Er verband Courage mit Gelassenheit; seiner zielsicheren, untadeligen Persönlichkeit gelang es sogar, mit einiger List den damaligen Machthabern die in der Galerie beschlagnahmten Werke wieder zu entreißen.
Auf vielen Tischen liegt noch die kleine, graue Broschüre „Alfred Flechtheim, Kunsthändler und Verleger“ (Neudruck eines Aufsatzes von 1964), die er den Freunden vor wenigen Wochen ins Haus sandte. Darin zeichnet er den Lebensweg des berühmten Kunsthändlers Alfred Flechtheim nach, und damit ein Stück seines eigenen, eng mit Flechtheim verbundenen Lebens. Flechtheim, 1878 als Sohn eines Getreidehändlers geboren, hatte sich früh der Kunst verschrieben, er nannte sie „eine Leidenschaft, stärker als alles andere“. Im ersten Katalog seiner 1913 in der Düsseldorfer Alleestraße 7 eröffneten Galerie finden sich, neben Grußworten von Vollard, W. Uhde, Däubler und Herbert Eulenberg, Namen wie Cézanne, van Gogh, Gauguin, Picasso.
Flechtheim, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, war während der Rheinlandbesetzung durch die Franzosen infolge lächerlicher Vorwürfe auf die Auslieferungsliste geraten und mußte eilends die Stadt verlassen. Er gründete Filialen in Köln, Frankfurt, Wien; die Düsseldorfer Galerie blieb „die Keimzelle“ des Unternehmens. Er übergab sie dem 25jährigen Alex Vömel. Dieser war in seiner Lehrzeit bei Kahnweiler in Paris bereits mit den großen französischen Malern in Berührung gekommen, und so richtete er sein Augenmerk zunächst auch auf die französische Kunst. „Er brachte die französische Luft an den Rhein“ und zu den Sammlern.
Durch die Berufung Kaesbachs an die Düsseldorfer Akademie kam frischer Wind in das ehrwürdige Institut. Mit den durch Kaesbach hierher berufenen Künstlern kam Vömel rasch in Beziehung. Neben Campendonk und Zschocke war es vor allem Paul Klee, mit dem er in enge Verbindung trat. Als Klee noch keinen eigenen Hausstand hatte, aßen er, Campendonk und Klee häufig in der inzwischen verschwundenen „Rose“ in der Rosenstraße zu Mittag. Als Autobesitzer, damals noch nicht ganz selbstverständlich, machte er mit Klee ausgedehnte Fahrten an den Niederrhein, die Klee veranlaßten, die ihm neue, ihn fesselnde Landschaft in sehr naturnahen Skizzen festzuhalten. Weiterhin war er mit dem Bildhauer Mataré in nahem Austausch, als einer der ersten stellte er dessen Aquarelle aus. Die Beziehung festigte sich, als er für sich und seine Familie in Büderich, genau gegenüber Mataré, sein Haus erbaute.
Zu seinem 70. Geburtstag vereinte sich 1964 die Künstlerschaft in eine „Hommage à Alex“, in der alle zu Wort kommen, die zum Vömelschen Lebenskreis gehörten. Viele Künstler, unter ihnen Calder, Heckel, Pudlich, Gerhard Marcks fügten Originalzeichnungen bei. Renée Sintenis (eine Tochter Vömels heißt nach ihr Renée) nennt ihn einen „Schutzengel der Kunst“, Erich Heckel einen „Seelsorger“, von einem „Grandseigneur der Kunst“ spricht Felix Klee und webt, einen Bildtitel seines Vaters aufnehmend, einen „Teppich der Erinnerung“.
Vömel wußte, daß die Zahl derer, die sich an „damals“ erinnern, immer kleiner wird. Er konnte wunderbar erzählen, geistreich und witzig, und konnte treffsichere Verse schmieden. Für den Besucher, der ihn noch in jüngster Zeit jeden Vormittag in der Galerie antraf, war jedes Zusammensein wie ein kleines Fest. Viele junge Leute, Museumsleiter, Kollegen, Doktoranden suchten ihn auf, um noch etwas von seinen Erinnerungen zu erhaschen. Geduldig gab er Auskunft. Er war auch der Feder mächtig: Neben den Erinnerungen an Flechtheim liegt ein nachdenklicher, 1964 im Druck erschienener Vortrag vor, „Freuden und Leiden eines Kunsthändlers“. – Nun ist er selbst Erinnerung geworden.
Anna Klapheck
In:
Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 26. Juni 1985