Frauen-Kultur-Archiv

Rheinischer Kulturjournalismus

Anna Klapheck: Ein Mann der verborgenen Güte

Zur Ausstellung Gerhard Kadow in der Kunsthalle

Es hat dem Maler Gerhard Kadow (1909-1981) gewiß nicht an äußerer Anerkennung gefehlt. Schon daß er als Schüler von Klee und Kandinsky fünf Jahre dem Bauhaus zugehörte und mit dem Ehepaar Kandinsky weiterhin freundschaftlich verbunden blieb, ist als Auszeichnung zu verstehen. Von 1938 bis 1949, durch drei Jahre Kriegsdienst unterbrochen, war er Lehrer an der Textilingenieurschule Krefeld – Fluchtburg für einen jungen Künstler, der zwar am Bauhaus sein Diplom als Handweber erworben, aber auch „entartete“ Bilder gemalt hatte. Die Malerei wurde erst nach dem Kriege wieder aufgenommen. Von 1950 bis 1967 lehrte er an der Werkkunstschule Krefeld (1961 Professorentitel), von 1968 bis 1974 an den Kölner Werkschulen. In späteren Jahren erhielt er Aufträge für Glasfenster und Wandmalerei. 1978 war er Ehrengast der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom.

Also durchaus kein „verkannter“ Künstler. Er selbst war es, dem es fast mit List gelang, sich der Öffentlichkeit zu entziehen und seine private Existenz zu verteidigen, so sehr, daß sein Name in weiteren Kreisen nahezu unbekannt blieb. Er hatte treue Freunde, und seine Schüler verehrten den etwas wunderlichen Mann der verborgenen Güte. Sein kleines Krefelder Reihenhaus, angefüllt mit kostbaren Dingen, die behutsam aufeinander abgestimmt waren, wurde zum eigentlichen Rahmen dieses Lebens, der ihn nach dem Tode seiner Frau (1979), der Textilkünstlerin Elisabeth Kadow, vollends umschlossen hielt.

Universale Bildung

Gerhard Kadow, des Schreibens durchaus kundig, hat sich mehrfach über sich selbst geäußert. Da stößt man erstaunlich oft auf die Worte „Einheit“ und „Ganzheit“, Begriffe, die vom Bauhaus-Denken nicht ganz fern sind. Sie bestimmten bis zuletzt sein Tun. Da gab es die Einheit von Technik und Kunst; der Träumer und Geschichtenerzähler fühlte sich immer zugleich als „Diener der Technik“. Vom „Gesetz“ ist die Rede, das unbedingt eingehalten werden müsse; es trifft im Verlauf der Arbeit zusammen mit dem Gefühl, er erlaubt Freiheit, „ja Freiheit“, woraus dann das „Ganze“ entsteht.

Kadow blieb den in Dessau erlernten textilen Künsten zeitlebens treu; er hat gewebt und gestickt, er hat bis zuletzt eigenhändig geklöppelt. Er besaß eine nahezu universale Bildung, die auch Musik und Dichtung einschloß. Seine kunstgeschichtlichen Vorlesungen an der Krefelder Schule waren eine kleine Sensation, denn sie wichen beträchtlich ab von der gängigen Kunstgeschichte und rückten Gestalten und Epochen ins Blickfeld, die damals, in den fünfziger Jahren, kaum einer auszusprechen wagte: Jugendstil, Max Klinger, Gustave Moreau. Er schwärmte für Wagner. Zum vollen Zusammenklang seiner vielen Neigungen aber kam es in seinen Bildern.

In Zusammenarbeit mit dem Clemens-Sels-Museum Neuss (Dr. Irmgard Feldhaus) hat nun die Düsseldorfer Kunsthalle unter Jürgen Harten die lange fällige Kadow-Ausstellung inszeniert. Die Veranstalter wurden unterstützt von Gabriele Uerscheln, die eine Dissertation über den Maler vorbereitet. Die Ausstellung, von einem vorzüglichen Katalog begleitet (15 Mark), enthält 69 Gemälde und Handzeichnungen, dazu einige Stickereien und Spitzen sowie Entwürfe für Fenster und Wandmalereien.

Altarmäßiger Aufbau

Der erste Eindruck ist der, etwas ungemein Kostbarem zu begegnen. Die Bilder, Hinterglas und Öl auf Holzfaserplatte, sind kleinen Formates; ins Auge fallen die schönen, alten Rahmen, denen Kadow allenthalben nachspürte und die ihm auch von Freunden zugetragen wurden. Manches Bild soll er für einen bestimmten Rahmen gemalt haben. Jedes Bild ist sorgsam, fast miniaturhaft fein ausgeführt, ist eine kleine Welt für sich. Und doch ergeben alle zusammengenommen – da ist wieder die Kadowsche „Einheit“ – einen edlen schimmernden Fries. Freilich verlangen sie vom Betrachter die unzeitgemäße Tugend des genauen, besinnlichen Schauens.

Kadow hat seine Zugehörigkeit zum Bauhaus geradezu hartnäckig behauptet. Sicherlich ist die starke Wirkung Klees auf den Zwanzigjährigen unverkennbar. Sie findet ihren Nachhall auch in den Bildtiteln, die für Kadow, den engagierten Wortfinder, eine wichtige Rolle spielten. Im „Zwiebeltheater“ sind wir noch nahe an Kleeschen Formulierungen; später rückte er ab vom bewunderten Vorbild. Doch sollte man geistige Abhängigkeiten nicht allzu hochspielen und eher als Prägung durch Ältere verstehen. „Wir haben doch alle unsere Väter“, sagte Picasso.

Der Weg des Bauhauses führte von Feiningers „Kathedrale“ zum Funktionalismus, Kadow gelangte von Gebilden der schweifenden Phantasie zu solchen der gebändigten Form. Anfangs schwimmende, fast Arp’sche Figurationen, in Nebel oder hinter schwankenden Gittern, zunehmend dann bildnerische Ordnung und fast altarmäßiger Aufbau. Das alte Gesetz von Kette und Schuß macht sich nochmals bemerkbar.

Einige hundert Besucher waren zur Eröffnung der Ausstellung in die Kunsthalle gekommen. Beweis genug, wie Kadow, der vermeintlich unbekannte, seine heimliche Gemeinde längst besitzt.

In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 19. April 1983.