Rolf-Gunter Dienst stellt in Schloß Morsbroich aus
In der Stille des von Schneegestöber-Vorhängen umwehten Schloß Morsbroich scheinen die Bilder und Zeichnungen von Rolf-Gunter Dienst gut aufgehoben. Der in Baden-Baden lebende Maler, Zeichner, Kunstkritiker, Schriftsteller, Redakteur zeigt dort im Städtischen Museum Leverkusen eine Ausstellung mit über 90 Bildern und Zeichnungen aus den letzten vier Jahren. Die tanzenden Flocken draußen im Park, hinter denen sich Gezweig und Farben alter Bäume und der Rasenflächen verwischten, hatten so manchen Bezug zu Diensts Arbeiten: Ihrer Verführung zur Meditation kann man nicht widerstehen.
Auch in den Bildern werden Gewebe gewirkt, die den vollen Blick auf das Dahinterliegende nicht zulassen – eine zarte Barriere, die Behutsamkeit empfiehlt und alles Deutliche verwischt. Doch durch die leicht verzogenen, „handgestrickten“ Maschen erhascht man einen Blick von Welt, der gefiltert ist und der sich bricht in der Irritation beweglicher Strukturen. Ein Zwiegespräch auf zwei Ebenen setzt ein.
Rolf-Gunter Diensts skripturale Pinselstrukturen gehorchen dem Zufall der Eingebung und neigen doch zugleich dem Gesetz der Serie zu. Sie sind als Elemente individuell verschieden, aber zugleich anonym. Sie ordnen sich zu Zeilen gleich handgeschriebenen Buchstaben, doch man kann sie nicht entziffern oder lesen. Sie ergeben keinen literarischen Sinn. Es sei denn, daß die Titel der Bilder oder Zeichnungen Gedachtes anzeigen, etwa in den Serien „Epitaph für Ad Reinhardt“ mit 72 Acrylbildern, oder „Wenn Claude Monet statt Alice Hoschedé Gertrude Stein geheiratet hätte, oder eine Seerose ist eine Seerose ist eine Seerose“, die zwölf Bilder umfaßt. Diese aufgereihten Phantasiebuchstaben-Elemente lehnen sich offenbar ein wenig an chinesische Schriftzeichen an. Und schon das weist in die Richtung, wie sie wohl „gelesen“ werden sollen.
Der Schreiber Rolf-Gunter Dienst vollzieht in ihnen die Synthese mit dem Maler. Seine geschriebenen Bilder sind nur sehend, tastend, empfindend zu begreifen. Oder sind sie überhaupt nur Medien, die Zonen verfeinerten Sinnenerlebnisses vor uns öffnen, die in der Selbsterkundung zarteste Erlebnisschwingungen ins ästhetisch Wahrnehmbare transponieren, gemischt aus Graphismen und höchst empfindlichen lyrischen Farbvibrationen?
Die „Schrift“ als solche scheint nur wichtig in bezug auf die Farben. In ihnen erhascht der Maler seltene, verwunschene Stimmungen, geheimnisvoll Schönes; er visualisiert Reize sehr subtiler Art. Bezauberndes gelingt ihm auf der Skala der Gelbtöne in der oben genannten Reihe „Wenn Claude Monet …“ Blaßgelbes, grünlich Gelbes bis Orange der skripturalen Maschen läßt Tupfen variablen Violetts, von Lavendelblau, Karminrot oder verlöschendem Pinkrosa durchschimmern – seerosenhaft, oder wie immer man es deuten will.
Die dunklen kleinformatigen „Epitaphe für Ad Reinhardt“ versinken in Schwarz-Blau, Braun, zwischen denen manchmal auch Hellrot durchblitzt oder ein fremd und wunderbar aufscheinendes Yves-Klein-Blau. Das erinnert an gewirkte Teppiche, hat manchmal einen seidigen Glanz, scheint sich zu verändern, wenn man daran vorbeigeht. Gliedernde lineare Elemente zwischen den malend geschriebenen Zeilen erinnern zuweilen an eine Treppe, an ein Kreuz.
Der autobiographische Zug in diesen Bildern – als Auffangen und Reflektieren von Stimmungen gemeint – wird auch in den Bleistift- und Federzeichnungen deutlich. Auch sie entstanden zyklisch unter dem Motto „Aus einem Tagebuch – immer an einem anderen Ort“. Was in den Bildern in Zeilen geordnet ist, bewegt sich hier frei in Verdichtungen und Lockerungen über die ganze Fläche – zellenhaft, oder auch wie verwehte kleine Blätter, die ständig sich Veränderndes suggerieren. Mark Tobey gehört hier wohl sicher zu den Anregern.
Rolf-Gunter Dienst, der gebürtige Kieler (1942), lebte mehrere Jahre in den Vereinigten Staaten, wo er auch verschiedene Gastdozenturen hatte, ebenso wie in Australien und Kanada und an den Kunsthochschulen in Braunschweig und Frankfurt/Main. Der Autor mehrerer Künstlermonographien und Kunstbücher hat in seinen Bildern das niedergeschrieben, was man in Texten nur zwischen den Zeilen lesen kann.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 16. Februar 1978