Frauen-Kultur-Archiv

Rheinischer Kulturjournalismus

Gespräch: Hulda Pankok mit Rudolf Schröder

Ansage: Hier ist die Deutsche Welle. – . Manche von Ihnen, liebe Zuhörer, kennen gewiss schon unsere Zeitgenossin Hulda Pankok: – als Journalistin, Kunstkritikerin, Verlegerin und als Gattin des verstorbenen berühmten Malers Otto Pankok, die aufs Engste mit dem Geistes- und Kulturleben unserer Zeit vermittelnd und schöpferisch tätig verbunden ist. Rudolf Schröder besuchte Hulda Pankok in ihrem Hause Esselt bei Wesel am Niederrhein, um ein Gespräch mit ihr zu führen.

Fenster und Türen des schönen einstigen Herrenhauses standen weit geöffnet, als der Gast das Haus betrat. Im Flur waren Hühner, prächtige Hähne, Puter, ja, Pfauen versammelt. Sie waren gleichsam als Mitbewohner dieses samt den anliegenden Scheunen zu einem Künstler- und Atelierhaus umgewandelten Gebäudes näher getreten, um von der Hausherrin, Hulda Pankok, zur gewohnten Zeit ihre Mahlzeiten gereicht zu bekommen. Man begegnet, wie man sieht, in diesem Haus einer Ordnung, die durch die Anwesenheit einer gewissen Unordnung erst wirklich „in Ordnung“ ist, echter Atmosphäre also und dies überall in der ganzen Behausung. Ja, man spürte sofort: hier war man „zuhause“, „behaust“ und kein Flüchtling und Fremdling. Hulda Pankok, fast 75, mit schneeweißem Haar und doch „frisch wie eine Rose im Tau“, wie Gerhart Hauptmann einmal Käthe Kollwitz gekennzeichnet hatte, Hulda Pankok führte den Gast über eine alte, melodisch krachende, ja, unter den Tritten seufzende Holztreppe in ihr Arbeitszimmer. Es ist bis an die Decken angefüllt mit Büchern, mit Bildern, vor allem Kohlezeichnungen und Holzschnitten ihres 1966 verstorbenen Mannes, Otto Pankok, des einstigen Professors an der Kunstakademie Düsseldorf und zugleich des Malers der Zigeuner, die ihn ihren „Molari“, ihren Maler nennen. Im ganzen Raum summte und brummte es vor Poesie wie in einem blühenden Brombeerbusch. Der riesige Schreibtisch von Hulda Pankok trug wahre Gebirge von Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, Manuskripten, Briefen aus aller Welt. Der liebe Gott mochte wissen, wie in diesem scheinbar chaotischen Durcheinander zurechtzufinden war, aber: er war anwesend. Mit sicherer Hand griff Hulda Pankok, geborene Droste, Westfalenkind, geboren Anno 1895 als Lehrerstochter in Bochum nach der Frage, woran sie unter anderem zur Zeit arbeite, in die doch offenbar wohlgeordnete Unordnung auf ihrem Schreibtisch, zog ein Manuskript hervor und sagte:

Ich arbeite zur Zeit an einem Vortrag über Else Lasker-Schüler. Sie war meine Freundin. Den Altersunterschied haben wir nie empfunden. Sie starb im März 1945 in Jerusalem. Im Februar dieses Jahres gedachten wir ihres hundertsten Geburtstages. Als wir einander zum ersten Mal begegneten, sagte ich ein paar Begrüßungsworte zu ihr. Daraufhin schloss sie mich herzlich in die Arme und rief: „Sie ist aus Westfalen. Ich höre es an ihrer Aussprache. Sie kommt aus Westfalen. Ich liebe die Westfalen. Das sind großzügige Menschen. Sie backen die Reibekuchen mit Butter und nicht mit dem fiesen Öl“.

Aus dieser ersten Begegnung sollte dann eine tiefe und treue Freundschaft werden. Wie freute sie sich jedes Mal, wenn sie mich dabei ertappte, dass ich in den westfälischen Tonfall geraten war und westfälische Ausdrücke gebrauchte. Stolz erzählte sie gern von dem kleinen westfälischen Städtchen Geseke, in dem ihr Großvater wohnte, den sie den Wunderrabbi nannte und den sie sehr verehrte. Des Bischofs Lavater Freund war er. Wie schön erzählte die Dichterin von diesem Wunderrabbi, der jeden Abend mit dem Bischof zusammentraf, im Gastzimmer des „Goldenen Halbmond“, der nicht abnahm und auch nicht zunahm, genau wie das freundschaftliche Bündnis, das die beiden Hohepriester unverändert vereinigte bis zu ihrem Tode.

Frau Pankok, – ich sah in der Scheune drüben, die Sie zu dieser wunderbaren Ausstellung ausgebaut haben, unter anderen unfassbar vielen Werken Ihres Mannes einen Holzschnitt. Er stellt den großen russischen Dichter Graf Leo Tolstoi dar. Wie ist dieses Werk wohl zustande gekommen?

Ja, mein Mann liebte die Dichtung Tolstois und auch seine Haltung zum Leben.

Und aus dieser Liebe…

Und aus dieser Liebe ist dieses Bild entstanden.

Stimmt es, was ich gehört habe, Frau Pankok, dass sie indirekt auch Kontakt mit Mitarbeitern Tolstois bekommen haben?

Ja, wir begegneten dem letzten Sekretär von Tolstoi, Herrn Bulgakow. Es war ein wunderbarer Mensch, und auch er hat einen Holzschnitt Tolstois mit nach Jasnaja Poljana genommen und das Bild hängt nun in dem Museum Tolstois.

Zu den großen und bedeutenden Frauen, denen Sie, Frau Pankok, begegnet sind, zählte auch, soviel ich weiß, Louise Dumont, die große Schauspielerin und Begründerin des Düsseldorfer Schauspielhauses.

Ja, – sie war meine Duzfreundin. Ich hatte sie ganz besonders lieb. Ich musste bei jeder Generalprobe dabei sein. Sie behauptete, sie wäre ja vom Schein und ich vom Sein.

Frau Pankok, Sie haben unter anderen auch ein Buch über Jugoslawien geschrieben. Wie ist das zustande gekommen?

Ja, diese Geschichte ist einfach märchenhaft. Ich bekam eines Tages eine Einladung nach Jugoslawien von den Frauen dieses Landes und ich kannte keine Frau dort und war erstaunt. So ging ich zum Konsulat und fragte nach, wie diese Zusammenhänge denn wären. Da wurde mir gesagt, dass alles, was mir die Gestapo Böses angekreidet hätte, mir von den Frauen Jugoslawiens positiv gewertet würde. Sie hätten alles gesammelt, was ich in der Hitlerzeit geschrieben hätte. Ich war erstaunt und ging etwas träumerisch nach Hause. Dort besprach ich alles mit meinem Mann und entschloss mich, zu fahren. An der Grenze erwartete mich eine Dame, die sah aus, als sei sie aus einem alten Biedermeierbild herausgestiegen mit einem riesengroßen Strauß und sie begrüßte mich mit den Worten: ‚Die Frauen Jugoslawiens begrüßen Sie und hoffen, dass Sie sich hier wohlfühlen.‘ Sie gehörte zur dortigen deutschen Abteilung des Rundfunks. Sie sprach fabelhaft deutsch und als wir nun herauskamen aus dem Bahnhof, stand da ein Auto mit rotem Leder bezogen. Das Land war damals, – es war 1950 – noch sehr arm, doch der Wagen war ganz voller Blumen, wie eine Hochzeitskutsche. Ich sagte zu ihr: ‚Nein, ich steige nicht ein, denn ich bin doch kein Hochstapler, ich kann Ihnen in keiner Weise mal dienlich sein, ich gehöre keiner Partei an, ich nicht gehöre der Regierung an, ich bin eine reine Individualistin und, was soll ich schon tun?‘ Darauf sagte die jugoslawische Dame: ‚Ja, diese Individualistin haben wir ja eingeladen, die immer das tut, was sie für richtig hält‘. Ich sagte: ‚Dann darf ich ja einsteigen.‘ Und so begannen wir die Fahrt. Die Dame fragte mich, was ich nun sehen wolle. Nun, ich kam in ein fremdes Land und ich sagte, mich würde alles interessieren. So besuchten wir zuerst das Haus des Dichters Prešeren, der zur Zeit Hölderlins gelebt und auch ein ähnliches Schicksal mit seiner Diotima wie Hölderlin gehabt hatte. Wir fuhren durch eine blühende Landschaft zu dem Dichterhaus. Nun, auf diese Weise ist mein Jugoslawienbuch entstanden. Ich hatte eigentlich vor, nur vierzehn Tage zu bleiben, aber es sind sechs Wochen geworden. Ich konnte mich gar nicht trennen, so wunderbar war das Land und so prachtvoll waren auch die Menschen, denen ich begegnete.

Frau Pankok, Sie sind auch Verlegerin?

Ja, nach dem Krieg habe ich einen Verlag aufgemacht, in der Hoffnung, dass ich den Menschen Bücher geben könnte, die sie notwendig brauchten. Wir haben Kunstbücher herausgegeben von Künstlern, die durch die Hitlerzeit gar nicht sichtbar geworden waren oder sogar verfolgt. Dann habe ich unter anderem die Novelle von Goethe herausgegeben. Da hatte Louise Dumont mir eines Tages gesagt: ‚Wenn ich ein Millionär wäre, dann würde ich in millionenfacher Auflage diese Novelle herausbringen, damit jeder Mensch in Deutschland dieses kleine Werkchen liest. Ich habe diesen Wunsch zwar nicht in millionenfacher Ausführung, aber eben doch in ein paar tausendfacher Auflage erfüllt. Zu den besonders erfolgreichen Büchern gehört das Buch „Deutsche Holzschneider“ und die „Zigeuner“ von meinem Mann. Wahrscheinlich hatte dieses Buch so großen Erfolg, weil man nach einer so herzlosen Zeit froh war, so ein liebenswertes Buch in die Hände zu bekommen. Das Hauptthema meines Mannes war ja der Mensch.

Frau Pankok, wir sind damit bei Ihrem Mann, den großen Pan, wie man ihn genannt hat. Die Zigeuner nannten ihn ihren „Molari“, ihren Maler, und er wurde vor allem von den Armen verehrt und in einer Weise geschätzt, wie ich das eigentlich bei keinem anderen Maler unserer Zeit erlebt habe.

Ja, das war seine Freude an der Ursprünglichkeit, des Menschen, so wie er auch an der ursprünglichen Landschaft eine ganz besondere Freude hatte, die noch nicht zerstört war, diese Naivität der Zigeuner, vor allem der Zigeunerkinder, die brachten ihn dazu, ein Bild nach dem andern zu schaffen. Er war immer so vergnügt, wenn er mit den Kindern zusammen war. Übrigens kommt für das Jahr 1970 ein Kalender im Piscator-Verlag heraus, der nur Zigeunerkinder zeigt. Ich glaube, dass er vielen Menschen Freude machen wird.

Zigeunerkinder, die Ihr Mann gezeichnet hat?

Ja, Zigeunerkinder von meinem Mann!

Ihr Mann hat ein Werk herausgebracht „Stern und Blume“. Ich besitze es leider nicht mehr und in diesem Buch sollen nach meiner Erinnerung zehn Gebote für Maler enthalten sein. Wie verhält es sich damit?

Ja, das stimmt. Er hat zehn Gebote herausgegeben. Soll ich sie vorlesen?

Ich bitte darum…

„Du sollst den Kitsch riskieren“, heißt das erste Gebot. Das zweite: „Du sollst nicht für Ausstellungen malen“; das dritte: „Du sollst einen Baum für wichtiger halten als eine Erfindung von Picasso; viertens: „Du sollst dich vor dem persönlichen Stil hüten; fünftens: „Du sollst nur deinen Träumen trauen“; sechstens: „Du sollst deine schlechten Bilder schnell vergessen“; siebentens: „Du sollst deine guten Bilder nicht anbeten“; achtens: „Du sollst vor jedem Bild, das du malst, das Gefühl haben, es wäre dein erstes“; das neunte Gebot: „Du sollst krass ablehnen, was dir nicht passt, und wäre es Rembrandt oder Chagall“; das zehnte Gebot: „Du sollst das Publikum nicht für dümmer halten als dich selbst“.

Ich finde diese zehn Gebote für Maler sind unerhört aktuell. Was meinen Sie dazu?

Ja, ich glaube, das sind Gebote, die eigentlich immer gültig sind.

Frau Pankok, Sie haben – schon der Schreibtisch hier beweist es – offenbar ein riesiges Arbeitsprogramm noch zu bewältigen. Was ist Ihrer Meinung nach darunter das Vordringlichste?

Ja, nachdem wir nun diesen Ausstellungsraum im früheren Atelier meines Mannes fertiggestellt haben und viele Leute – manchmal zweihundert Menschen am Sonntag – hier uns besuchen, da habe ich begonnen, die Aufzeichnungen meines Mannes zu ordnen und zu bearbeiten, mit Anmerkungen zu versehen und auch Hinweise zu geben, die notwendig wären. Dann wollen wir ein Archiv aufbauen, dabei hilft mir Herr Archivrat Schmitz vom Landschaftsverband mit allen seinen Erfahrungen und wir wollen sehen, dass wir die Briefe ordnen, die Fotos und Bilder und, dass eine wissenschaftliche Ordnung hineinkommt.

Frau Pankok, ich habe mir sagen lassen, dass diese ständige Ausstellung in der ehemaligen Scheune beziehungsweise dem früheren Atelier Ihres Mannes besonders stark besucht wird von der Jugend?

Ja, auch viele Jugendliche kommen und haben sich hier schon manchmal angesiedelt und gehen den ganzen Tag nicht fort. Sie spazieren mal durch den Wald, kehren zurück und sehen sich wieder ein einzelnes Bild an, – also so, wie wir es gern haben, dass die Kunst wirklich den Menschen noch bis ins Innerste zum Erlebnis wird.

ABSAGE: Rudolf Schröder führte dieses Gespräch mit Hulda Pankok.

Manuskript der Deutschen Welle, Deutsches Programm Kultur, Sendung vom 7. August 1969, Aufnahme vom 5. August 1969. Bd.-Nr.: A-181 328-69.