Frauen-Kultur-Archiv

Rheinischer Kulturjournalismus

Grabrede für Mutter Ey. September 1947

Wie ein Wunder war dieses Leben, das nun ausgelöscht ist. In unserer Zeit war es ein Geschenk aus der Ewigkeit. Darum ging es wie ein Erschrecken durch uns alte Freunde, als wir erfuhren, dass Johanna Ey gestorben sei, denn wir haben heute nicht mehr zu viele Menschen, die auf so einfache und natürliche Weise sich für das Ewige einsetzen wie diese Künstlermutter.In einer Zeit, in der das Menschenbild so ganz und gar zerstört ist, hat sie es ungetrübt bewahrt für eine um neue Wege ringende Jugend, die nach dem Krieg zum Schrecken aller braven Bürger die alten Formen zerbrach und eigenen Gesetzen folgte.

Johanna Ey kam nicht durch die Wissenschaft, ja noch nicht einmal über das Erlebnis der Kunst zu ihrem Beruf als Kunsthändlerin, zu dem sie wahrhaftig ohne ihr Zutun wie durch Gnadenwahl gerufen wurde.

Sie kam, ein ungebrochenes Menschenkind, dazu, weil sie in den jungen Künstlern, die in ihrem kleinen Kaffeestübchen verkehrten, die "besseren Menschen" erkannte, wie sie sich selbst einmal mir gegenüber ausdrückte.

Wenn sie ihre geliebte Kaffeemühle drehte, lauschte sie den Gesprächen der jungen Maler und Bildhauer, und in ihrer weiblichen intuitiven Art erfasste sie die künstlerischen Probleme, die zur Debatte standen. Sie erlebte mit ihren Lieblingen die Schöpferfreuden und Depressionen, sie empörte sich mit ihnen gegen die kleinlichen Behörden und ihre Verbote, und ohne dass sie selbst merkte, wie es dazu kam, war sie der Mittelpunkt des revolutionären Künstlerkreises. Ihr Schaufenster wurde zum Eckstein, an dem sich die Vorübergehenden stießen. Selbst die Polizei rückte des öfteren an, und Mutter Ey wurde zur Kämpferin für die künstlerische Freiheit.

1920 war es, da kam ich als junge Journalistin nach Düsseldorf, und ich erinnere noch genau an meine erste Bekanntschaft mit dem Ey. Ich stand in einer empörten Menschenmenge, die sich vor dem Fenster angesammelt hatte. Dort im Schaufenster stand eine Kreuzigung, die nach Polizeibefehl von dort verschwinden sollte. Eine kleine dicke, aber sehr lebendige Frau wehrte sich mit beredten Worten, bis ein bärtiger Hüne aus der Tür trat und mit einer ritterlichen, aber entschiedenen Bewegung die kleine quicklebendige Frau beiseite schob und die Verteidigung des Bildes begann. Er erklärte, wieso eine Kreuzigung unmöglich in der gewohnten Gebhardtschen Art gemalt werden könne. Er streckte seine linke Handfläche vor mir aus und wies mit seiner rechten Hand darauf und sagte: "solche Nägel hat man ihm durch die Hand getrieben, solche Nägel …" Und von dem Gesicht der Frau, die den erklärenden Hünen begeistert, und von der Vorstellung des grausigen Bildes zugleich entsetzt, anstarrte, ging eine solche Hingabe aus, dass auch in mir Flammen der Empörung aufstiegen und unser aller Rebellentum uns damals sofort vereinte.

Das heißt, vor ungefähr 8 Tagen, als ich Mutter Ey zum letzten Mal besuchte, gestand sie mir, dass sie mich in der ersten Zeit gehaßt habe, weil sie fürchtete, daß ich das Herz der Künstler stähle oder wenigstens eines Künstlers – bis sie erkannt habe, dass die Liebe nicht abnimmt, je mehr man von ihr fordert, und dass ihr nichts verloren ging, als das Herz ihres jungen Malerfreundes aufzublühen begann.

Mit so viel Liebe sah sie mich bei ihrem Bekenntnis an, und ich sehe noch ihren Finger auf Otto Pankok hinweisen, mit dem sie so gerne lachte und sich neckte. Denn auch das verband diese Frau mit dem wahren Künstler, dass sie wie dieser jedem Pathos abhold war und ihre Gefühle gern hinter Lachen und Spaßmachen versteckte.

Gert Wollheim war ihr am nächsten, war er doch am gefährdetsten, was diese mütterliche Frau bald erkannt hatte. Sie wusste, wer Wollheim war, das hinter seinem rauen Wesen ein kindlicher, empfindsamer Mensch verborgen war. Daß hinter seinem Gelächter über die Spießbürger Tränen der Einsamkeit standen. Wie gut sie diese Tragik verstand, sollte ich eines Tages erfahren.

Ich hatte Wollheim im Hofgarten getroffen, seinen Spazierstock geschultert, kam er mir entgegen. Er tritt auf mich zu, wie einer, der ein Regiment führt, dachte ich. Und seltsamerweise begrüßte er mich mit den Worten: "Ich bin ein General, und hinter mir folgen alle meine Soldaten." Hinter ihm war niemand. Trotzdem es ein Witz sein sollte, überlief es mich eiskalt. Irgendeine Verzweiflung spürte ich aus seinem Worte. Ich begleitete ihn zum Ey, und Wollheim erzählte spaßhaft sein kleines Erlebnis mit mir und führte seine gespensterhafte Wachparade vor Frau Ey im Zimmer vor. Ich sah Mutter Ey an, und unsere Augen trafen sich in schwesterlichem Verständnis für den traurigen Possenreiter, und schon nahm sie den Kochlöffel, mit dem sie gerade ihre Suppe gerührt hatte, schulterte ihn und stellte sich hinter Wollheim als der ersten Rekrut.

Und wie so oft stand sie so allein hinter dem einsam Ringenden mit ihrer naiven Hingabe und zugleich so zähen Kraft, wenn es galt, etwas für ihre Lieblinge durchzusetzen, die sich täglich bei ihr versammelten. Wir wollen zum Gedächtnis von Mutter Ey die Gestalten zurückholen, die aus allen Künstlerkreisen zu ihr fanden, denn nicht nur Maler und Bildhauer, auch Presse und Theater suchten hier Anregung in Gesprächen. Vor meinem geistigen Auge ersteht der Schauspieler Hannemann, der stets begeisterte, der freiheitliche Gesänge Walt Whitmans in den Raum brüllte, mit gesträubtem Haar und wild fuchtelnden Händen und in der Ecke sitzt Richard Dornseiff und bringt einen neuen Gast zum Erschrecken. Er schlägt mit einem Schlüssel an sein Glasauge, das ihm der Krieg einbrachte. Der junge Quedenfeld deklamiert seinen ertrunkenen Dichterfreund Heym:

Nachtwandlern gleich. gejagt vom Entsetzen der Träume,
Die seufzend sich stoßen mit blinder Hand,
Also schwankten wir in des Herbstes verschwindende Bäume.

Der Zeichenlehrer Rilke aber setzte diesen auflösenden Versen seine wohlgesetzte Kritik entgegen, die er zur Freude von Mutter Ey auch noch dann fortsetze, als keiner mehr zuhörte, das Interesse sich vielmehr dem neuen Weltgefühl des Vaters Quedenfeld zugewandt hatte. In Gedanken versunken, als stiller, aber von Mutter Ey geliebter Sohn, saß Matthias Barz am Tisch und trank seinen Kaffee, neben ihm, immer voller Streiche und Einfälle, Karl Schwesig, während ein Lied der Carmen verriet, daß Männe Hundt im Anmarsch war.

Gert Schreiner und die Griese, wie sie allgemein genannt wurde, und Wollheims Braut, die Pianistin Lene Stein. Die Schauspieler Karl Kyser, der Getreue, und Ferdinand Classen, der mit Johanna und allen ihren Freunden einen Wildwestfilm drehte, die Drillhaases, Dr. Markan, Konrad Biermann und Anton Brüning, Otto Dix, Max Ernst, Hein Heckroth, Theo Sprüngli und das Ehepaar Pudlich. Dann der Spanier Surreda, der Johanna Ey nach Mallorca entführte.

Sie alle waren immer in Bereitschaft mitzubauen an dieser oft so zufälligen und dennoch durch Johanna Ey zusammengefassten Gemeinschaft, die oft nichts verband als die sprühende Jugend, die sich geliebt und verstanden wußte von dieser Frau. Immer wird sie uns so gegenwärtig bleiben.

Wenn man sie besuchte, erzählte sie aus jener Vergangenheit, der großen Zeit ihres Lebens, das sich damals so restlos erfüllen durfte, daß jene Zeit für sie aus der Ewigkeit ausgeschnitten schien.

Liebevoll von ihren Kindern betreut, besaß sie die Geduld und die Ergebenheit, auch die Beschwernisse des Alters und des letzten Abstiegs auf sich zu nehmen.

Raum und Zeit spielten keine Rolle mehr in ihren letzten Jahren so gegenwärtig stand sie in der Vergangenheit und in der Verbindung mit ihren Malern, und in liebender Verbundenheit in der Ewigkeit.

Quelle: Typoskript, Pankok-Archiv, Haus Esselt.