Wie aus dem Schnittmusterbogen wirken sie, hart und eckig in den Kanten, die Modemädchen des Bildhauers Wolfgang Thiel. Gratig falten sich die Stoffbahnen gestylter Gewänder, die die gelängten Figuren hölzern umspielen. Knochig, faltig, präsentieren sie sich, die Ausgemagerten, Langbeinigen mit den spitzen Knien, spitzen Brüsten, spitzen Fingernägeln – fast Giacometti-Körper, doch verfremdet ins Groteske, zeitkritisch Frisierte, mondän Drapierte, in Holz erstarrte Mannequins zwischen Schlemmer, Picasso und Pop.
Gefroren auch die zur Schau gestellte erotische Stimulanz, die zur Maske geronnenen, ins Scheinwerferlicht getragenen Make-Up-Gesichter, aus denen jede Regung gewichen ist. Scheinbar lässig die einstudierten Haltungen: Marionetten, die sich selbst am Faden führen. Man kann sie jetzt in der Galerie am Stadtmuseum von Marlies Fischer-Zöller (Citadellstraße 25) kennenlernen, sich über sie amüsieren oder Anstoß nehmen an diesen tragikomischen Figuren der Jet-Set- und Schicki-Micki-Welt.
Das Material Holz ist wichtig. Hat es doch dieses Rauhe, Sperrige, das zur Groteske taugt und das die modische Eleganz parodiert. Die scharfen Grate und Einkerbungen, die oft naturbelassene Oberfläche in Verbindung mit den überzogenen Längenproportionen, dem Geltungsdruck der breiten Schultern, der überhohen Stöckelschuhe, des penetrant dargebotenen „Oben-Ohne“ schaffen nicht nur Spannung, sondern mischen dem Humor auch ein bißchen brutalen Horror bei, einen Schuß Aggressivität.
Hinzu kommt ein formaler Kunstgriff. Wolfgang Thiel arbeitet nämlich auf verschiedenen Ebenen. Seine Skulpturen entwickeln sich oft aus der Fläche zum Relief oder sogar bis zum Vollplastischen hin und zurück. Das intensiviert ihre Stoßkraft: eine Methode der versetzten und übermalten Flächen und Volumina, die schon Oskar Schlemmer angewandt hat. Thiel benutzt überdies außer dem skulptierten Holz ganz prosaische Kistenbretter, Paletten, Balken, die als flächig-lapidare Kleidung, als Sitzgelegenheit, Podest, Liege dienen: Kleidungs- und Möbelstücke, die auch ein wenig an Panzer oder Marterinstrumente erinnern. Manche Figuren verschmelzen mit Objekten, vor allem thronartigen Stühlen. Die Verbindung zwischen Körper, Gewand und Objekt stellt die farbfröhliche Bemalung her. Im Wandobjekt „La Piscine“ schwappen sogar munter gemalte Wellen des Swimmingpools über die auf einer Luftmatratze sich aalende Dame.
Ja, es ist eine amüsante Ausstellung von Wolfgang Thiel (geboren 1951 in Zweibrücken), der in Stuttgart studierte. Seit 1986 hat er einen Lehrauftrag an der dortigen Akademie. Daß er ursprünglich Bühnenbildnerei studierte, ist aufschlußreich. Dennoch hat er bis 1982 eher strenge, introvertierte, sogar sakrale Plastiken gemacht. Erst seit 1983 entstanden seine großen, nun bemalten Holzplastiken.
„Silvia“ (in Anlehnung an Otto Dix’ Porträt der Journalistin Silvia von Harden aus den zwanziger Jahren) im roten, himmelblau gepunkteten Kleid mit grünem Haar sitzt streitbar und leicht morbide auf ihrem hohen Holzlattensitz. „Madame Recamier“ ruht unbequem unter ornamentierter Bretterdecke. Das mit einem Möbelstück verwachsene Terzett mit streng einseitig ausgerichteter Kopfhaltung besingt die „Magie des Schönen“.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 18. Januar 1991