Arnulf Rainers „Kruzifikationen“ im Suermondt-Ludwig-Museum Aachen
In der Karnevalszeit schwarze Gegenzeichen: Arnulf Rainers „Kruzifikationen“ im Suermondt-Ludwig-Museum Aachen. Die 55 Arbeiten, entstanden zwischen 1951 und 1980, stehen hier in der Nachbarschaft – wenn auch wohlweislich nicht in unmittelbarer Konfrontation – mit den dort bewahrten mittelalterlichen Kruzifixen und Kreuzigungsdarstellungen, als Ausdruck dafür, daß da auch ein Zeitgenosse von heute über die Jahrzehnte hinweg um die Auseinandersetzung mit dem Kreuz nicht herumkam.
„All diese Bildwerke erheben nicht den Anspruch, eine spezifische Bildnerei für sakrale Räume zu sein. Sie stammen aus sehr persönlichen Wurzeln. Anlaß war eine subjektive Betroffenheit“, schreibt Rainer im Katalogvorwort. „Kreuz und Nacht“ hat er es betitelt. So heißt auch seine 1961 erschienene Publikation, nachdem er sich in den fünfziger Jahren mit der Mystik, der Theologie und Kunstgeschichte des Kreuzes beschäftigt hatte. „Ich war mir über vieles im Unklaren, stehe selbst in Nacht, Finsternis und Nebel“, bekennt Rainer.
Er ist ein Abkömmling jener Tachisten und abstrakten Expressionisten der fünfziger Jahre, die in ihre „automatischen“, vom Verstand unkontrollierten Pinselgesten ihr Unbewußtes projizierten, immer in bohrender Suche nach dem eigenen Ich, die doch keinen Grund im einmal aufgerissenen Bodenlosen findet. Bei Rainer führt dies oft zu wahren Exzessen der Monomanie.
Alle Varianten seiner „Übermalungen“, seiner „Bodyworks“ und „Face Farces“, seiner „Fuß- und Fingermalereien“ oder „Untergrundarchitekturen“ beschreiben solche dialogischen Prozesse zwischen Selbstverlust und Selbstfindung. Sie sind Versuche, den permanenten Zerfall aufzuhalten, sind verwegene Drahtseilakte über dem Abgrund. Neben geradezu mönchischer Verinnerlichung ist dabei aber auch das Moment gestikulierender Zurschaustellung im Spiel.
Zwischen diesen beiden Polen sind auch die „Kruzifikationen“ angesiedelt, diese Identifikationen Rainers mit dem Kreuz wie auch mit dem Gekreuzigten.
Sofort am beeindruckendsten, weil jeder Theatralik fern, sind die in den fünfziger und sechziger Jahren entstandenen schlichten, stillen, auf alles Figürliche verzichtenden Holzkreuze. Rainer hat sie in unterschidlichen Formen und Proportionen aus einfachen Brettern verschiedener Breite und Länge in horizontalen oder vertikalen Rhythmen stufenartig zusammengesetzt, hat sie mit schwarzer oder nachtblauer Farbe befleckt, diese wie einen Strom finsterer Trauer darüber rinnen lassen oder sie ganz wie unter düsteren Schleiern des Unsagbaren versinken lassen.
Nur ein wenig rohes Holz, ein wenig blutrote Lebensfarbe oder lichtes Himmelblau bleiben zuweilen sichtbar, eine Ahnung auch manchmal von körperlicher Schattenhaftigkeit, wie bei einem „Zugedeckten Christus“ von 1968. Manche sind ganz urig primitiv und dörflich-volkstümlich, etwa ein „Kreuz aus Transportkistenholz“ (1967/68), manche von getragenem, ernstem Pathos, wie das „Große Vertikalkreuz“ von 1968.
Mit Stoff- und Ölfarbe auf Baumwolle und Leinwand ist ein großes „Weinkruzifix“ (1957/78) gemalt, in dem eine angedeutete schwarze Figur vor rot vertropfenden Rinnsalen und Gittern mit dem Kreuz verschmilzt. Solche Konzentration auf das Wesentliche, solches Ergriffensein des Malers strahlen auch einige kleinformatige Zeichnungen in schwarzer Tusche oder Mischtechnik und Radierungen aus, etwa die „Kreuzübermalung“ von 1955, ein „Verdecktes Kreuztabernakel“ (Mischtechnik / Radierung) von 1961 oder ein „Verhüllter Christus (1972), bei dem Strichgeflechte gleich einem angedeuteten Dornenkranz ein von Schwarz ganz ausgelöschtes Gesicht umrahmen. Auf mehreren Zeichnungen der siebziger Jahre erscheinen hinter dem Kreuzzeichen – das sich einmal, umgekehrt, in ein Schwert verwandelt oder auch zum zuckenden, schmerzhaften Blitz wird – der photographierte Kopf oder die Figur Reiners selbst.
Am Anfang seiner später sehr dramatisch und wild ausfahrenden, auch großformatigen und farbig expressiven „Kruzifikationen“ stehen einige schwarze Ölkreidezeichnungen über wenig Farbe von 1951, in denen das Kreuzerlebnis seinen abstrakten Ausdruck findet in schmerzhaft von einem zentralen Punkt in den Raum ausstrahlenden Strichgesten. Nur wenige der späteren, oft eher zur Groteske ausartenden und auf Effekt zielenden Übermalungen von photographierten und reproduzierten Christusköpfen oder Kreuzigungen von 1979 (zum Teil auf Aluplatten) erreichen die Glaubwürdigkeit und Betroffenheit der frühen Arbeiten. Sie gleichen oft mehr Dali-Haften Spiegelfechtereien. Im Katalog (20 Mark) sind alle Exponate abgebildet.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 25. Januar 1982.