Francisco Tanzer: Sein Nachlass ist ein Vorlass
Seilschaften sind wichtig, nicht nur in der Politik und nicht nur, wenn es um Karriere geht. Auch für so Abseitiges wie Kunst und Kultur sind Seilschaften wichtig.
Einer, der es geschafft hat, auf Seilschaften verzichten zu können, ist der 79jährige Österreicher Francisco Tanzer, der seit Jahrzehnten in Düsseldorf lebt, als erfolgreicher Industrie-Geschäftsmann finanziell unabhängig wurde, Tennis spielt, den Sulky seines Trabers lenkt, Gedichte und Prosa schreibt. Seine Prosa ist in kleinen Verlagen erschienen, wird aber von Literaturkennern leidenschaftlich gerühmt. Seine Gedichte haben Komponisten in aller Welt angeregt; John Cage, Edison Denissow, Alfred Schnittke und Sofia Gubajdulina sind nur einige Namen. Gestern stand Francisco Tanzer im Mittelpunkt des Salons von Alexander Nitzberg im „Schnabelewopski“.
Es ist der Auftakt zu einem Abschied. Aus Wien kamen Dr. Volker Kaukoreit von der Nationalbibliothek und Dr. Josef Gmeiner von der Musiksammlung Gmeiner, um Tanzers Nachlass nach Wien heimzuholen. Da ein so beeindruckend lebendiger Mensch wie Tanzer aber noch nichts nachlassen kann, sprechen die Beteiligten von einem „Vorlass“. Die Wortprägung kennzeichnet den ironisch gefärbten Humor Tanzers, der 1938 mit den Eltern vor den Nazis aus Wien fliehen musste und als amerikanischer Offizier nach Europa zurückkehrte. Erst spät begann er zu schreiben. Das meiste in Düsseldorf.
Es fällt schwer, beim Blick in dieses herzliche Skeptikergesicht von Beruf oder gar Berufung zu sprechen. Da scheint einer zu schreiben, wie der Vogel singt. Heute wissen wir, dass kein Vogel singt um des Singens willen. Im Falle Tanzer: Wenn ein eigenes Werk seinem heutigen Qualitätsbegriff nicht mehr entspricht, wird es aus dem Verkehr gezogen, wird es neu geschrieben; oder es wird einem Alexander Nitzberg in die Hand gegeben, dass der ein Opernlibretto daraus filtert.
Im nächsten Jahr wird Tanzer 80, dann findet in Ulm die Uraufführung der Oper „Die Befreiung“ mit der Musik des Österreichers Herbert Lauermann statt. Dann wird auch im Grupello Verlag ein Band mit Tanzers Gedichten erscheinen. In Wien ist ein Konzertzyklus mit Tanzer-Liedern geplant.
Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 6. Juni 2000