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Rheinischer Kulturjournalismus

Gerda Kaltwasser: Phänomenaler Fallensteller

Obwohl jung gestorben, ist er quicklebendig geblieben: Herrmann Harry Schmitz, der Düsseldorfer Meister des Grotesken. Wir sind eingeladen zu seinem 111. Geburtstag

Die Elf ist eine närrische Zahl, die einhundertelf selbstverständlich auch. Aber die Tatsache, daß wir in diesem Jahr, genau gesagt am 12. Juli, des einhundertelften Geburtstags von Hermann Harry Schmitz gedenken, sollte uns nicht dazu verleiten, den Autor höheren und allerhöchsten Blödsinns für einen Narren zu halten. Schon gar nicht für einen Jecken oder Karnevalisten. Der Mann mit dem langen Schädel, den langen Händen, den traurigen Augen und der fragilen Gesundheit war alles andere als ein deftiger Büttenredner. Sein Ideal war Oscar Wilde, ihm eiferte er beim Schreiben nach, seinem Dany-Vorbild folgte der Düsseldorfer Hermann Harry Schmitz, wenn er im schwarzen, rot gefütterten Cape mit wehendem weißem Seidenschal durch die Altstadtstraßen schritt, gestützt auf ein Spazierstöckchen, dessen Griff die Nachbildung eines Negerkopfes war.

Hermann Harry Schmitz wurde nur 33 Jahre alt, starb von eigner Hand nach langem schmerzhaftem Leiden, für das er wohl keine Besserung sah. Der Schriftsteller war, ein besseres Wort fällt mir nicht ein, ein Phänomen. Die Düsseldorfer liebten ihn, ihren Landsmann aus gutbürgerlichem Hause, sie verschlangen regelrecht gierig die tollen Geschichten, die er schrieb, Geschichten voller Übertreibungen, grotesker Zwischenfälle und Verwicklungen, dabei auch voller Anspielungen auf Fakten und Moden der Zeit. Nichts war vor seinem durchdringenden, die unwahrscheinlichsten Verflechtungen voraussehenden Schriftstellerblick sicher, nicht der Hut der Dame, der Friseur des Herrn, nicht die scharwenzelnde Untertänigkeit des Spießers und die Dummheit so manchen Akademikers. Er schrieb groteske Theaterstücke von durchschlagender Kürze und Bösartigkeit, etwa „Die Philosophen“, Stelldichein von Zeitgenossen an einer verwesenden Leiche. Oder „Nr. 42. Ein Albdruck“ – groteske Darstellung eines Besuches von Kaiser Wilhelm Zwo in einer Irrenanstalt bei dem Philosophen Friedrich Nietzsche. Das alles ist so übersteigert, daß Zeitgenossen vor lauter ersticktem Lachen möglicherweise die Fallen nicht sahen, die der Autor ihnen stellte. Der Zensor jedenfalls sah sie nicht, H. H. S., wie wir ihn der Kürze halber nennen wollen, wurde nie verboten.

Vielleicht erschien er den seriösen Schrift-Wächtern zu albern. In Wirklichkeit war er ein Vorgänger der großen Absurden wie Dürrenmatt oder Ionesco, vor ihnen Alfred Jarry.

Die Geschichten erschienen im Düsseldorfer Generalanzeiger, wo Schmitz auch Theaterkritiken schrieb. Zu seinem Freundeskreis zählten Hanns Heinz Ewers, Herbert Eulenberg, Rudolf Herzog, Detlev von Liliencron, um nur die Schriftsteller aufzuzählen. Zu ihnen stießen im Weinhaus „Rosenkränzchen“ am Stiftsplatz noch Maler und Musiker. Schmitz, der seit seiner Jugend unter Schmerzanfällen litt, war es wohl nicht zum Lachen zumute.

Und unsereins? Unsereins grinst stillvergnügt bei der nun fast 100 Jahre alten Geschichte vom „überaus vornehmen Friseur“: „In jeder Stadt gibt es sogenannte ‚First-class-Geschäfte’, die ihren Ruf meist ohne eigenen Verdienst, durch die Suggestion der Tradition zu wahren wissen. Da haben wir das Herrenmodengeschäft, sprich ‚Lätest fäschen’, den Schneider, sprich: ‚Täler’, den Schuster, sprich: ‚Buuts’, bei welchem sich der Kavalier, der etwas auf sich hält, zu bedienen hat … Liegt in einer großen Auslage aus poliertem Mahagoni lediglich ein zusammengeknülltes Seidentuch, ein Hosenträger, ein seidener Strumpf und eine Glasflasche mit englischen Drops, so befindest du dich vor dem einzigen Ort, wo du als Mann von Geschmack und Distinktion dir deine Krawatten, Unterwäsche und so zu kaufen hast“ … – als wär’s ein Stück von heut’!

Hermann Harry Schmitz war so beliebt, daß sich seine Fangemeinde bis heute erhalten hat und sogar erneuert. So gibt es seit zwei Jahren, seit der denkwürdigen Welturaufführung von „Nr. 42“ beim Bücherbummel 1989, in Düsseldorf eine Hermann-Harry-Schmitz-Societät, die inzwischen über ein eigenes ansehnliches Archiv verfügt. Ein Jahr vorher bereits hatten die beiden Literaturwissenschaftler Bruno Kehrein und Michael Matzigkeit im Haffmans Verlag eine dreibändige, sehr sorgfältig gearbeitete Ausgabe der gesamten Werke herausgebracht. Da hat man den ganzen Schmitz und kommt nicht wieder von ihm los.

Am 12. Juli zum 111. Geburtstag gibt es eine literarische Nacht unter dem Titel „Verschmitzte lesen Hermann Harry Schmitz“, dabei wird auch der Handpressendruck der „Philosophen“ von Wolfgang E. Herbst vorgestellt, ein Ereignis für alle Freunde schöner Bücher.

Es klingt so grotesk wie die Schriften des Schriftstellers, der genau in seine Zeit, in die des Jugendstils, paßte, daß seine gutbürgerlichen Eltern der Düsseldorfer Öffentlichkeit die Tatsache des Selbstmordes ihres Sohnes vorenthielten. Lediglich vom „Tod“ wurde seinen Freunden Mitteilung gemacht.

Gerda Kaltwasser
In: Überblick, Juli 1991, S. 56-57