Frauen-Kultur-Archiv

Rheinischer Kulturjournalismus

Räume und Farben

Graubner-Schau im Düsseldorfer Kunstpalast

Man erlebt die Verwandlung einer nüchternen Halle in einen beseelten Raum. Gotthard Graubner setzte sich mit diesem Raum, seinen kalkweißen Wänden, seiner erdrückenden und zugleich alles verflüchtigenden Höhe und Weite auseinander, rang mit ihm „wie mit einer starken Persönlichkeit“, denn er sollte sich durch die Bilder „artikulieren“. Graubner hat seinen Widerstand bezwungen, seine Weite herabgestimmt, geradezu zusammengezogen um die Bilder. Sehr tief gehängt, im rhythmischen Wechsel von Gruppierungen, Formatgrößen, Zwischenräumen, Farbkontrasten vermitteln sie den Eindruck von Farbverwandlungen, Nähe zum Menschen, vom Glück der Begegnung. Es gelang, die Bilder in den Raum, den Raum in die Bilder zu integrieren. Umraum verliert sich im Farbraum, wird Wesensraum.

Wird beredte Stille, wortloser Dialog mit dem, der gekommen ist, sich auf Gotthard Graubners Meditationen in Farben einzustimmen, die der großen Halle, dem Kunstpalast im Düsseldorfer Ehrenhof, eine neue Seele einhauchen. Sie atmet in Farben die zugleich Raum, Stoff und Geist sind – oder Spur, die von einem zum anderen den Weg weist. „Nicht der Gongschlag ist das Entscheidende, sondern der Nachhall.“

Immer ist es das Dazwischen, das in diesen Farbflüssen, Farbräumen, imaginären Farbkörpern und –schichtungen, den sich tief ins schrundig Stoffliche eingrabenden, abstrakten Farblandschaften, artikuliert wird: die Spannung, das Vibrato, die Schwingungen, die den Ton, den Klang, die Bewegung und Modulation, die Intensität und Dichte, die Helligkeit und Dunkelheit, das leichte und Schwere, Warme und Kalte des Farbwesens bestimmen. Es ist schon erregend – visuell und imaginär den organischen Verschmelzungsprozeß der lasierenden Farben in den Bildern nachzuvollziehen, die sich an den Fließrändern oft schichtweise einzeln ausweisen, um dann zu einem Farbraumorganismus von wunderbarer Transparenz in immer neuen überraschenden Mischungen zueinander zu fließen, sich zu verdichten und wieder voneinander zu lösen.

Abgehoben von abbildhafter Bedeutung oder literarischen Inhalten, sind Graubners Farborganismen Gleichnisse von Schöpfungsvorgängen: ein Spiel sich harmonisierender Energien. Sie sind so auch Spiegel der Kräfte und ausstrahlenden Impulse der Natur und deren Entsprechung im menschlichen Wesen – nicht als rationale Analyse, sondern wie ein Atmen mit der Natur. Schon in frühen Zeichnungen aus den fünfziger Jahren hat Graubner an dem Motiv von Bäumen vor allem interessiert: Was bringt den Baum zum Wachsen?

Nicht als Stadt-, sondern als Landkind bezeichnet sich der 1930 in Erlbach (Vogtland) geborene Künstler, den Erlebnisse mit der Landschaft, mit Wolkenhimmel und Kornfeld früh geprägt haben. Später, an den Kunstakademien von Dresden und Düsseldorf, suchte und fand er seine „Ahnen“ in Turner, C. D. Friedrich, Rembrandt, Tizian, Velazquez, Goya, Rothko, Newman.

„Bei Tizian ergab sich eine Zusammengehörigkeit aller Farben, von denen jede einzelne nuancenreich belebt wird“, erwähnt Graubner. Durch die geschichteten Lasurfarben dringe „die Anschauung von Welt … bis in den Kern des Wesens der Malerei“. Dabei zeige die Farbe, „was sie – nuancenreich und formbewegt dargestellt – über die Körperlichkeitsbezeichnung hinaus als Energie und geistige Macht“ vermöge. Farbe sei ihm Thema genug, sagt Graubner.

Nach seiner ersten Düsseldorfer Einzelausstellung in der Galerie Schmela 1960, den Ausstellungen im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen (1969) und in der Kunsthalle (1977) bringt jetzt die Schau im Kunstpalast „Arbeiten auf Papier“ von Graubner. Mit 73 Exponaten umfaßt sie den Zeitraum von 1952 bis 1982, doch mit Schwerpunkt der Arbeiten aus dem letzten Jahrzehnt, darunter die seit 1972 entstandenen großformatigen „Fließblätter“. Einige davon sind in Verbindung mit seinen Ausstellungen in Venedig und New Delhi entstanden und erinnern in ihrer Arbatmosphäre an diese Orte: Tintoretto oder die Farbklänge Indiens, gemischt aus leuchtendem Rot, Orange, fahlem Violett und sandig-soinnigem fruchtigem Gelb, Ocker.

In den Fließblättern wird besonders deutlich, daß es in Graubners Werk keine Rangunterschiede zwischen Bildern und „Arbeiten auf Papier“ gibt, in denen der Künstler neben Bleistift, Aquarell, Gouache auch häufig Öl- und in jüngster Zeit auch Acrylfarbe verwendet. Nicht selten sind sie auf Keilrahmen aufgezogen. Auch im Format erreichen sie große Diemensionen. In dem von Coco Ronkholz in Verbindung mit Graubner gestalteten Katalog werden diese Arbeiten auf Papier überdies lückenlos vorgestellt; von den frühen Baum- und Aktzeichnungen, den aquarellierten „Zeichen“, den „Schwammgouachen“ über die Farbkörper, Kissenbilder, „Trampoline“ bis zu den Frottagen und Fließblättern. Auch die differenzierte Materialauswahl, seine Tonigkeit und Struktur scheinen immer von der Farbe inspiriert zu sein. Welche ein Weg von den frühen kleinen, im lichten Farbraum schwebenden Aquarell-Zeichen, einem flaumig-duftigen, rosigen „Nabel“-Bild bis zu den späten Diptychen und Triptychen mit ihren von Bild zu Bild überspringenden Farbmodulationen, -bewegungen, -metamorphosen, -kontrasten. „Fließblätter“ sind dramatische, von tiefen Furchen verletzte Seelenlandschaften, Furchen des Materials, die ins Fleisch gehen bis aufs Mark, schwer von ausblutenden, von Schwarz verletzten, leuchtenden Farbflüssen. Es ist Graubners heftige, sich in Farbenergie verdichtende Reaktion auf die Gegenwart. „ich mußte ein Leben lang auskommen mit diesen Kräften“, sagte Graubner.

In: Rheinische Post. Feuilleton / Wissenschaft und Bildung, 22. März 1983.