Beratungsstelle für Homosexuelle in Düsseldorf
Wie anders darf man sein, ohne aufzufallen? Eine homosexuelle Frau – landläufig „lesbisch“ genannt – hat in unserer Gesellschaft meist nur üble Nachrede riskiert. Es gab und gibt keine Strafverfolgung. Es gab und gibt keine Strafverfolgung. Die Neigung zum gleichen Geschlecht gilt bei der Frau in unserer Gesellschaft als „permissiv“ –man kann’s vergessen. Eine solche Neigung hat ja keine katastrophalen Folgen. Und wen interessiert schon, daß es eine homosexuelle Frau, wie der homosexuelle Mann, sehr viel schwerer hat, einen Partner für das Leben, für das Zusammenleben zu finden?
Die Eltern denken sich meist nichts dabei, wenn ihre Tochter mit Freundlinnen und mit Männern kaum Umgang hat. Ein Mädchen, das keinen Mann zum Freund hat, kann auch kein unerwünschtes Kind bekommen. Das Thema gehört, wie jede Familienberatungsstelle bestätigen kann, seit Erfindung der Pille noch nicht zu den Akten einer überlebten Vergangenheit.
Es ist kein Wunder, daß die Beratungsstelle für Homosexuelle, die es seit dem vergangenen Jahr in Düsseldorf gibt, nur selbten von Frauen angerufen wird. Obwohl die Probleme gleichgeschlechtlicher Neigung bei Frauen nicht geringer sind als bei Männern. Die Beratungsstelle (Telefon 0211 / 353591) beschäftigt sich mit sexual-soziologischen Fragen. Sie wurde von Rolf Gindorf ins Leben gerufen, der 1972 in Düsseldorf die Gesellschaft zur Förderung Sozialwissenschaftlicher Sexualforschung gründete und später das Institut zur Lebens- und Sozialberatung. Die Gesellschaft beschäftigt sich nicht nur mit der Erforschung der Homosexualität. Vor wenigen Tagen hielt sie – wie gemeldet – in Königswinter einen wissenschaftlichen Kongreß über „Sexualität und Gewalt“ ab, bei dem es unter anderem um das Thema der Gewalt gegen Frauen ging: zum Beispiel, aber nicht nur, in der Ehe.
Erfahrungen in Beratungsstellen von „Pro Familia“, Erfahrungen aber auch, die Pfarrer Dr. Hans-Georg Wiedemann und andere Mitarbeiter der Düsseldorfer Telefonseelsorge gemacht haben, ließ die Gesellschaft zur Förderung Sozialwissenschaftlicher Sexualforschung (GFSS)zu dem Schluß kommen, daß Homosexuellen eine eigene Beratungsmöglichkeit geboten werden müsse. Anders als zum Beispiel in den Vereinigten Staaten, wo zumindest in einer breiten bürgerlichen Schicht der Gang zum Psychiater oder Psychotherapeuten nicht ungewöhnlich ist, tut sich der Bundesbürger auch dann schwer, mit seinen Problemen zu einer Beratungsstelle zu gehen, wenn er im Rahmen der gesellschaftlich anerkannten Formen der Sexualität Probleme hat. Wieviel mehr jene anderen, die nicht „normal“ sind.
Wer seine Schwellenangst überwunden hat, erlebt dann oft neue, eher bedrückende als hilfreiche Gespräche. Gerät er nicht durch Zufall an einen Schicksalsgenossen, eine Schicksalsgenossin, wird er auch bei Ärzten, Sozialpsychologen, Pfarrern, Therapeuten oft große Wissenslücken in einem Bereich der menschlichen Entwicklung feststellen, der, wenn nicht dumme Witze, dann peinlich behutsames Darüberhinweggehen provoziert.
Die Mitarbeiter der Beratungsstelle berichten, daß in keinem einzigen Fall der Beratungssuchenden Sexualität im Vordergrund gestanden habe, vielmehr eine Ratlosigkeit, die sich aus dem ergebe, was man „andersartig“ nennt. Nach dem Telefongespräch, das sich lange hinziehen kann, wird ein persönliches Gespräch vereinbart. Meist bleibt es nicht bei einmaligem Gespräch. Es haben sich Gespräche in Wochen- oder Monatsabständen empfohlen. Die Gesprächspartner kommen wieder, oft über 100, 200 Kilometer Entfernung, denn die Düsseldorfer Einrichtung ist bisher die einzige in der Bundesrepublik.
Die Homosexuellen-Beratungsstelle sieht sich einem Problem gegenüber, das auch anderen sozialpsychologischen Beratungsstellen immer wieder zu schaffen macht. Ihre Klientel besteht aus Angehörigen des Mittelstandes. Sie erreicht nicht jene Bevölkerungsschichten, in denen es der Mensch nicht gelernt hat, sich und die ungelösten Fragen, die ihn quälen, die sein Verhalten in der Gemeinschaft beeinflussen, auszudrücken.
In diesen, den sogenannten „unteren Schichten“ der Bevölkerung ist das Unverständnis weit größer als in der Mittel- oder Oberschicht., wo in den vergangenen Jahren, man kann fast genau sagen seit Änderung der Homosexuellen-Paragraphen 175 und 175a im Jahre 1969 im Strafgesetzbuch, sich eine Haltung achselzuckender Duldung durchsetzt. Je geringer der Bildungsstand, desto stärker der psychische und physische Druck auf den Homosexuellen, desto schwieriger auch für ihn, mit seiner Andersartigkeit fertigzuwerden.
Die Gesellschaft insgesamt ist aber auch noch weit davon entfernt, homosexuelle Liebe und Lebensgemeinschaften als gleichberechtet neben anderen Arten des Zusammenlebens anzuerkennen. Noch gibt es Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, die über gelegentliches Frotzeln durch Kollegen hinausgehen. Noch gibt es Vermieter, die zwei Männern, die eine Wohnung mieten wollen, das Wohnrecht verweigern oder ihnen kündigen. Bei Straftaten, in die Homosexuelle verwickelt sind, spricht die Polizei gleich von „einschlägigen Kreisen“. Treffpunkte der Homosexuellen sind häufiger als andere Gaststätten Ziel von Razzien.
Solcher Druck ist trotzdem von geringerer Bedeutung als die ganz persönlichen Probleme. Oft erkennen Eheleute erst im Verlauf etlicher Ehejahren, daß er oder sie gleichgeschlechtliche Neigungen haben. Nicht immer sind die Ehepartner dann ohne fremde Hilfe zu Aussprache und Erkennen des Problems fähig. Gindorf weiß von Fällen, in denen Männer erst im Alter von 50 Jahren in der Lage waren, den Eltern klarzumachen, daß sie homosexuell waren.
Die GFSS drängt daher auf eine Sexualaufklärung für Kinder und Jugendliche, in der das Thema Homosexualität nicht ausgespart wird. Spätestens in den weiterführenden Schulen, ganz besonders auch in den Berufsschulen, müßten Jungen und Mädchen über das Wesen gleichgeschlechtlicher Neigungen aufgeklärt werden, um Missverständnisse und Unverständnis abzubauen, aber auch, um den betroffenen JugendlichenHilfen zu geben, sich über den eigenen Zustand Klarheit zu verschaffen. Pastor Wiedemann spricht über das Thema Homosexualität im Konfirmandenunterricht und mit den Eltern der Konfirmanden. Zu diesem Zweck wurde von der GFSS auch eine Kurzinformation für Eltern veröffentlicht.
Über Bedeutung und Umfang der Aufklärungsarbeit muß nicht diskutiert werden. Es wird auf Grund von Umfragen angenommen, daß 13 Prozent der männlichen Bevölkerung homosexuell veranlagt ist. Über die Zahl homosexueller Frauen gibt es keine halbwegs zutreffenden Zahlen.
Gerda Kaltwasser
In: Rheinische Post, 10. März 1979