Malerin Julie von Egloffstein im Goethe-Museum
Für die außergewöhnliche Schönheit und die große künstlerische Begabung ihrer Tochter Julie, die am 12. September 1792 in Erlangen geboren wurde, hatte die Mutter, Henriette Gräfin von Egloffstein, eine plausible Erklärung. Während sie dieses – ihr drittes – Kind unter dem Herzen getragen habe, sei sie durch Italien gereist und habe dort von der Natur und der Kunst überwältigende Eindrücke empfangen. Das Leben der Julie von Egloffstein (1792-1869), „Goethes Zeichnerin“, ist Thema einer bezaubernden Ausstellung im Goethe-Museum, die aus dem Hildesheimer Roemer-Museum kommt als Ehrung zu ihrem 200. Geburtstag.
Bewegliches Temperament
Die Zeit der Klassik, der Romantik und des Biedermeier gewinnt in dieser Schau mit Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Lithographien, Handschriftlichem und in ihrem schönen Katalog greifbar menschliche, ja persönliche Konturen. Im Milieu, in den wechselnden Schauplätzen, in den Porträts, Landschaften, Genrebildern, in Person und Lebensweg der Künstlerin selbst reflektiert sie immer zugleich Weite, Größe, Zielstrebigkeit, Tatendrang, schwärmerische Entdeckungsfreude und ein bewegliches Temperament, die doch alle den Rahmen des Angepaßten nicht sprengen. Dieser bleibt durch Erziehung und Standesbewußtsein gewahrt und hemmte die künstlerische Entfaltung Julie von Egloffsteins lebenslang.
Und dies, obwohl sie von Jugend an eine professionelle Künstlerlaufbahn anstrebte, immer unvermählt blieb, um sich in damals ungewöhnlicher Hingabe für eine Dame von Rang dieser Aufgabe zu widmen und jede Gelegenheit ergriff, sich malerisch-zeichnerisch und auch in der neu aufkommenden Lithographie weiterzubilden. Weimarer Künstler wie Haller von Hallerstein und Heinrich Meyer, Georg Kersting in Dresden, Heinrich Christoph Kolbe, Karl Stieler oder Overbeck in Rom, Peter Cornelius, Dillis in München, an der Düsseldorfer Akademie (1837) Louis Ammy Blanc, Schadow, Hübner, Lessing gehörten zu ihren Lehrern und Vorbildern. Nicht zuletzt auch die alten Niederländer und Raffael, Guido Reni, Correggio, Rubens.
Goethe, ihr großer Förderer und Verehrer am Weimarer Musenhof, war es, der sie „seine glückliche Zeichnerin“ nannte. War sie es wirklich? Nach den Jahren in Weimar (1816-1828), wo sie unter dem Scherznamen „Julemuse“ zusammen mit Ottilie von Pogwisch („Tillemuse“), Adele Schopenhauer („Adelmuse“) und der Schwester Caroline („Museline“) zum Freundeskreis des „Musenvereins“ gehörte, brach sie fast fluchtartig zu einem zweijährigen Rom- und Italienaufenthalt auf, weil sie ihr Amt als Großherzogliche Hofdame zuletzt als „wahre Höllenpein“ empfand und Behinderung ihres Schaffens.
Die Bilder der Ausstellung spiegeln ihre zahlreichen Reisen, die Schauplätze ihres Wirkens, ihrer Erfolge und Anerkennungen auch in Ausstellungen: Reisen nicht nur in die deutschen und italienischen Kunstmetropolen, sondern auch nach England, in die Schweiz und die Niederlande, ebenso die Zeiten idyllischer Zurückgezogenheit im Forsthaus Misburg bei Hannover, im fränkischen Stammsitz Schloß Egloffstein und zuletzt im Klostergut Marienrode bei Hildesheim.
Besonders anmutig in der subtilen Schwerelosigkeit sind die lichtdurchwobenen, meist lavierten, teils auch aquarellierten Graphit- und Bleistiftzeichnungen ihrer Rheinromantik-Reise von Mainz bis Köln 1816. Voller Charme und Frische, auch souverän in der Zusammenschau und dem Detailreichtum die gezeichneten Ansichten von Schloß Egloffstein (1814) oder aus der Umgebung von Weimar, während die Architekturzeichnungen aus dem antiken Rom zum Teil etwas angestrengt, die eigenhändig lithographierten Genreszenen aus Italien indes grazil und technisch perfekt wirken. Meisterhaft in der zupackenden Erfassung von Wesen und Charakter sind Porträtzeichnungen wie die von August von Goethe (Kreide, Bleistift, aquarelliert, um 1830) oder von der gealterten Charlotte von Stein (um 1825, hier als Kreidelitho).
Unter den großen, repräsentativen Ölporträts gefällt besonders das romantisch-empfindsame Selbstbildnis von 1822 vor dem Hintergrund der fränkischen Landschaft mit Burg Egloffstein oder das prachtvolle, in seiner Ausstrahlung von hoheitsvollem Glanz und Faszination der Farben, kostbarer Stofflichkeit und weiblicher Schönheit unübertreffliche Bildnis der Therese, Königin von Bayern (1836). Gestellt und unlebendig wirkt dagegen die „Sitzende Dame auf der Terrasse“ (um 1833), und auch die Goethe-Porträts können nicht überzeugen. Daß sich aber die kinderlose Königin Adelheid von England so sehr in das reizende kleine Kinderbild der dreijährigen schlafenden Elise Rautert (hier in einem Schabkunstblatt vertreten) verliebte, es für 1000 Pfund Sterling kaufte und immer um sich haben wollte, kann man wohl verstehen.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 21. April 1993