Frauen-Kultur-Archiv

Rheinischer Kulturjournalismus

Vom Wesen der Dinge

Im Hause der Vorsitzenden des Verbandes Deutsche Frauenkultur versammelten sich in dieser Woche die Mitglieder zur gemeinschaftlichen Freude an guter Musik, welche die Hausfrau Eleonore Späing zusammen mit ihrer Schwester vermittelte. Weiterhin waren sie zusammengekommen, um den Gedanken zu lauschen und nachzugehen, die Ursula Schulte- Kersmecke, Hagen, in ihrem Vortrag „Vom Wesen der Dinge“ herausstellte.

Es ist für den Vermittler wirklich schwer, ihre Gedanken, die zart hingehaucht mit feinem Stimmchen durch den Raum schwebten, in eine Form zu gießen, die kurz und für alle faßlich ist, so wie es die Zeitungsreportage mit sich bringt.

Wir wollen es versuchen: Sie ging von den Gedanken aus, daß wir uns klar darüber werden müssen, daß dem Wesenhaften in allem Menschlichen heute Gefahr droht. Und da die Dinge vom Menschen gemacht und gebraucht werden, so droht auch ihnen Gefahr, daß sie ihres Wesens beraubt werden. Da wir Frauen soviel mit den Dingen zu tun haben – als Gestalterin, Erhalterin und Verwalterin – „und weil wir ihnen oft verfallen in Sorg’ und Klage einerseits, in Lust und Verlangen andrerseits“, darum ist es so notwendig, daß gerade die Frau das Wesen der Dinge sich vergegenwärtigt, damit diese nicht das Leben beherrschen und die Einheit stören, sondern im Gegenteil das Leben fördern. Denn die Dinge, die zur Erhaltung des Menschen geschaffen wurden, um ihn zur geistigen Arbeit zu befreien und um ihm Sicherheit und Sorglosigkeit zu geben, ist heute verwirrt. Dieser Sinn ist immer mehr zurückgetreten hinter das Ding an sich. Das Haus, das hüten sollte vor Gefahren, damit der Mensch in Ruhe sich freuen könne mit seinen Freunden, sich weiden an ewigen Weisheiten und hinblicken zu den Sternen – die Speisen, die ihn aufbauen sollten zu einem Gefäß für den Geist –, die Geräte, die lebensnotwendige Verrichtungen erleichtern und vereinfachen sollten, – ach, sie fraßen dies eigentliche Leben ja auf!

Es bildete sich so eine Tradition, die glauben machen wollte, der Mensch wäre zur Erhaltung der Dinge da; die Dinge herrschten und erst zu zweit käme das andere: ein Mensch in Not, eine erschütterte Seele. Diktatur der Dinge: Durchlöcherte Seidenstrümpfe halten die Mutter vom Spiel mit dem Kinde ab; das teure Teekleid veranlaßt eine Kürzung des Blindenbeitrags; die Repräsentationssucht, die sich äußert im Pelzmantel und in der Schuhform letzter Mode, zwingt den geistigen Menschen in die Fron, die seinen lahmgewordenen Geist vollends knebelt. Kurzum: es herrschen die Dinge, die unserem Menschentum dienen sollten; sie verloren ihren Sinn. Geld zum Beispiel ist unumgänglich notwendig zur Lebenserhaltung, doch wird es überschätzt, und es hätte uns der Krieg und die Inflation lehren sollen, daß nur der gesichert ist, der außer diesen Schätzen der Erde noch geistige Werte erkennt, die ihm nie genommen werden können. Um Geld zu machen, werden Dinge hergestellt, die die Bedürfnisse der Verbraucher suggestiv steigern und im Grunde nur Begehrlichkeit und Unzufriedenheit züchten. Es ist jetzt soweit gekommen, daß über die Dinge, die man begehrt, das Leben vergessen wird, zu dessen Erhaltung sie eigentlich geschaffen wurden und dem sie dienen sollten. Nicht anders ist es mit dem Ding, das als Mittel zum Ausdruck, zur Verbindung und Auseinandersetzung gezeugt wurde: Luftschiff und Flugzeug, Fernexpress und Auto, Radio und Telephon, Scheckverkehr und Zeitung, Kino und Buch, Kasse und Partei. Die Folge all dieser Erscheinungen sehen wir in der geistigen Verflachung. Es ist einfach nicht mehr möglich, diese Übermenge an Eindrücken zu verarbeiten, und viele verlernen das Leben aus sich selbst.

Wer das wieder fertig brächte, die Dinge, die der Mensch schuf, an den Dingen der Schöpfung, an ihrer Lebendigkeit, an ihrer Ausdruckskraft und Vollkommenheit zu messen, der würde wieder bescheidener werden in der Beurteilung unserer Menschenwerke und ihrer Notwendigkeit für diesen Stern. Würden wir die Dinge wieder einfach sehen, sähen die Dinge der Lebenserhaltung so aus: wir sähen in ihnen ein Stück Brot, ein Lager zur Nacht, ein hütendes Haus, ein Festkleid, eine Schale. Unter diesem Gesichtspunkt tritt zurück, was wir daraus machten, nämlich ein Souper, ein Seidenlager und Pyjama, eine Villa, eine große Abendtoilette, ein Kristallschiff. Alle diese Dinge dienen einem Selbstzweck, der den Menschen beherrscht, der von Repräsentationssucht befallen, die einfache Stellung zu den Dingen verloren hat.

Im Tao-te-king heißt es: „Das Oel in der Lampe verzehrt sich von selbst; der Zimtbaum ist eßbar, darum wird er gefällt.“ Jedermann weiß, wie nützlich es ist, nutzbar zu sein, und keiner weiß, wie nutzbar es ist, nutzlos zu sein im vertieften Sinne dieser Auslegung. Das Ding, das ohne Zweck der Nützlichkeit nichts zu sein hat als Ausdruck des Geistes, trägt am meisten das Gepräge seiner Herkunft: Die Kunst, das Kind des freien Geistes, wird deshalb von den heutigen Menschen nicht erkannt, weil nichts vom Zweckhaften, das heute das Leben beherrscht, darin ist. Hätte das Volk darum wieder Beziehungen zur Kunst, dann hätte es zwangsläufig das richtige Verhältnis zu den zweckhaften Dingen zurück. Nur aus geistigem Erlebnis offenbart sich der Sinn des Lebens. Es ist der Geist, der die Dinge recht macht, wesentlich und wahr. Und was ist der Mensch?

„Ich sei dir eine Wohnung recht,
Ein Stüblein leer und schlicht.
Ach, füll’ mich ganz mit deinem Schein
Du ew’ges Licht.“

Nach den letzten Worten des Vortrages brauchten die Zuhörerinnen einige Weile, bis daß sie an den blumengeschmückten Teetischen langsam sich wieder zurückfanden zur Aussprache untereinander.

In: Düsseldorfer Stadt-Anzeiger, 15. März 1931, Nr. 74