Strukturen im weißen Papier (1972)
Ausstellung Oskar Holweck
Der Saarländer Oskar Holweck (48) gehörte zu den Künstlern, die seit 1958 in Kontakt mit der Düsseldorfer Zéro-Gruppe standen, mit ihr ausstellten und auch in der Zeitschrift „Zéro“ hervortraten. Zugleich war er damals Mitglied der Neuen Gruppe Saar in Saarbrücken und der Nouvelle Ecole Européenne in Lausanne. 1960 trat er dem Deutschen Werkbund bei. Holweck, der an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken und an der Ecole des Arts Appliqués à l’industrie und der Académie de la Grande Chaumière in Paris studierte, ist seit 1956 Leiter der Klasse Grundlehre an der Werkkunstschule Saarbrücken.
Er war in den letzten 25 Jahren auf vielen internationalen Ausstellungen vertreten, von Amsterdam bis Formosa, Paris, Ljubljana, Venedig, Mailand, Moskau, Washington. Jetzt zeigt die Galerie Wendtorf-Swetec eine Ausstellung seiner Reliefbilder, Zeichnungen und Objekte aus den letzten 15 Jahren.
Holweck gehört nicht zu denen, die sich auf den lauten Märkten in den Vordergrund spielen. Seine mit schlichtesten Medien und einem Minimum an äußerem Aufwand geschaffenen Arbeiten wenden sich an die Sensibilität des Betrachters. Fontana, Manzoni, auch Bernhard Schultze gehören zweifellos zu seinen Anregern. Sein ästhetisches Konzept, das er mit unkonventionellen Methoden und Materialien realisiert, verbindet ihn mit der Gruppe Zéro.
Der Künstler reißt seine sparsamen, fein ausgewogenen Strukturen in weißes Papier – wie zarte, geknitterte und gefältelte Stalaktitenzungen, wellig gebogene Streifen springen sie reliefartig aus der Fläche vor. Diese die Fläche verletzenden und in vibrierende Spannung versetzenden Spuren werden oft mittels Nägeln gezogen, über die Holweck das Blatt spannt und zieht. Sie zeichnen Rhythmen von Licht und Schatten in das reine Weiß wie die in das Papier geknitterten blumigen und strahligen Strukturen oder die positiven und negativen Karo-Faltenreihen.
Daneben gibt es Objekte aus im Zentrum zusammengeklebten weißen Papieren, die sich wie große bauschige Blüten aufblättern. In all dem, auch in den Reihungen sich verwischender und auflösender Linien der Zeichnungen, halten sich formale Freiheit und Disziplin in der Balance. Die zarten optischen Impulse, die hier ausgespielt werden, weisen in den Bereich des Unausgesprochenen, der Stille.
In: Rheinische Post. Feuilleton, 3. Mai 1972.
Riesige Hände tasten (1972)
Plastiken von Michael Schwarze in der Galerie Niepel
Plastiken von vollendeter klassischer Schönheit, die in bruchloser, folgerichtiger Konsequenz in die Phantastik des Surrealen umschlägt, beeindrucken in einer Ausstellung der Galerie Niepel in der Grabenstraße. Der jetzt 33jährige, aus Krefeld stammende Michael Schwarze erweist sich den Plastiken als einer der bedeutenden jungen Bildhauer der Gegenwart, der in den zehn Jahren seines stetigen Aufstiegs unbeirrt einen eigenen Weg verfolgte. Sein Werdegang ist imponierend und zeugt von der Intensität, mit der hier in einer langen Lehr- und Studienzeit auch formal ein hohes Können erworben wurde.
Er begann 1953 mit einer vierjährigen Tischlerlehre, gefolgt von einem zweijährigen Architekturstudium an der Werkkunstschule Krefeld. Anschließend besuchte Michael Schwarze fünf Jahre lang die Berliner Hochschule für Bildende Künste und war Meisterschüler von Professor Karl Hartung. Seit 1964 lebte er als freier Bildhauer in Berlin und wurde 1967 mit dem Villa Romana-Preis, 1969 mit dem Kritikerpreis des Verbandes der deutschen Kritiker Berlin und dem Kunstpreis der Stadt Krefeld ausgezeichnet.
Eine große, ausdrucksvoll bewegte Hand ersetzt oft den Kopf von Schwarzes menschlichen Akten in Bronze oder weißem und bräunlich übermaltem Gips, deren Körper manchmal nur aus einem Bein besteht. Eine Hand, die sich schwermütig zum Boden neigt („Gebückter“) oder wie eine organische Schale die Äpfel des Paradieses umschließt („Eva“), die aus einer aufplatzenden Kugel bricht oder zur Stütze einer Kugel wird.
In flexibler Gestik und phantastischem Bewegungsspiel öffnet sich die Hand dem Raum, ist Trauma, Symbol, Ausdrucksmedium von Emotionen. Auch in einer Reihe von Zeichnungen und Radierungen, in denen riesige Hände und Handfiguren durch Räume tasten, kriechen und Berührung suchen. Zu den schönsten plastischen Darstellungen gehören daneben ein unkonventioneller „Ikarus“ – eine am Boden liegende Figuration aus Kopf, Bein und Flügel – sowie ein sich aus einer aufbrechenden Säule lösendes Mädchen.
Verhaltene Tragik und Melancholie sprechen aus diesen verschlüsselten Bildwerken – menschlichen Situationen im Spannungsraum zwischen Verstricktsein, Beklemmung, Angst und Aufbruch in die Freiheit.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 3. Mai 1972.
Wirklichkeit hinter der Oberfläche (1974)
Die zweite Generation der Wiener Phantastischen Realisten
Die zweite Generation der Wiener Phantastischen Realisten wird in der in Düsseldorf bisher umfangreichsten Ausstellung bei Norbert Blaeser, Königsallee 92a (Stadtsparkassen-Passage), vorgestellt: über 100 Bilder, Gouachen, Aquarelle, Zeichnungen und Radierungen von Helmut Heuberger, Peter Klitsch, Reny Lohner, Peter Proksch, Kurt Regschek und Werner W. Schulz. Die Preise liegen zwischen 1200 und 30 000 Mark – außer bei der Graphik.
Die vielschichtige, altmeisterliche Technik, das präzise bis ins minuziöse malerische Detail erfaßte, ins gegenständlich-figürliche gebannte Phantastische und Wunderbare, das sich als Gedanke, Emotion, Imagination hinter der Oberfläche des „Wirklichen“ verbirgt, haben diese in den zwanziger und dreißiger Jahren geborenen Künstler von ihren Vorgängern übernommen. Dabei hat man den Eindruck, daß manches unverkrampfter und in der Thematik weniger klischeehaft geworden ist, dafür intelligenter und dem Mystischen zuneigend.
Spitzenwerke kommen von Peter Proksch: das geheimnisvolle, das Dualitätsprinzip allen Lebens symbolisierende Gemälde „Die magischen Zwei“, in dem Mann und Frau, Land und Meer, Himmel und Erde, Sonne und Mond spannungsvoll aufeinander bezogen sind. Eine beeindruckende Leistung sind die in dreijähriger Arbeit entstandenen meisterhaften zwölf Radierungen zu dem satirisch-phantastischen Roman „El Criticon“ des spanischen Jesuitenpaters Baltasar Gracian (1584-1659), in denen Lebensweisheit und -einsicht geistvoll reflektiert und anschaulich werden.
Reny Lohners feinfiedrig und faserig in fast tänzerische Rhythmen aufgelösten Märchenlandschaften, über denen große Traumvögel schweben, sind am preziösesten im kleinen Format, wie etwa die in feinsten Farbnuancen irisierende Silberstiftzeichnung einer „Sphinx“ oder das Öl-Tempera-Bild „Vor einem Zelt“.
Kurt Regscheks von einem Tuch überschattete, von durchsichtigen Schleiern und flutendem Ornamentgrund umspielte „Eurydike“ erinnert an Klinger und den Jugendstil. Helmut Heuberger, Doktor der Philosophie und malender Autodidakt, der sich zum „Protest der Stille“ bekennt, baut seine poetischen Traumlandschaften wie Kartenhäuser oder Theaterkulissen auf: Schloßruinen, Muschelhäuser oder blaue Türme auf Klippen.
Mit einem ostasiatischen, von rauschhaften exotischen Farben umlohten Mädchen ist Peter Klitsch vertreten. In märchenfarbige Wellenstrukturen zerlegt Werner Schulz seine verwunschenen Landschaften, die offensichtlich an Hundertwasser orientiert sind.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 23. Mai 1974