Als dänische Künstler in Düsseldorf studierten (1993)
„Malerei auf Bornholm“ im Stadtmuseum
Unter dem Patronat von Prinzessin Benedikte von Dänemark, einer Schwester der dänischen Königin, steht die Ausstellung im Stadtmuseum „Malerei auf Bornholm“. In ihr wird erstmals die vom besonderen Licht, von der reizvollen Landschaft und ihren Menschen angeregte moderne Malerei dieser Insel außerhalb von Dänemark gezeigt. Anlaß ist der 100. Geburtstag des Bornholmer Stadtmuseums, das aus diesem Grund einen Neubau bekommt und deshalb zur Zeit geschlossen ist. So konnten 40 Bilder aus der Zeit zwischen 1840 und 1950 nach Düsseldorf reisen.
Welche Überraschung! Es sind auch Werke von zwei dänischen Malern darunter – A.E. Kieldrup (1827-1869) und Viggo Feuerholdt (1832-1883) -, die im 19. Jahrhundert an der Düsseldorfer Kunstakademie studierten.
Museumsdirektor Wieland König nahm dies zum Anlaß, ein Forschungsprojekt über den Einfluß der Düsseldorfer Malerschule des 19. Jahrhunderts in Dänemark in Gang zu setzen. Ebenso will man versuchen, die Sammlung moderner und „entarteter“ Kunst des vor den Nazis nach Bornholm mit seinen Bildern emigrierten Hannoveraner Kunsthändlers Herbert von Carvens wieder in einer Ausstellung zusammenzubringen.
Es ist zu hoffen, daß im Gegenzug auch Düsseldorf in dem Bornholmer Museumsneubau eine Ausstellung mit in dieser Stadt entstandenen Bildern zeigen kann. Das Inselmuseum hat nicht nur eine beachtliche Sammlung unter anderem von prähistorisch-geologischen, naturhistorischen, keramischen, ethnographischen Objekten aufgebaut, sondern auch eine große Kollektion von Gemälden, Skulpturen, Graphiken, Kunsthandwerk, die alle auf Bornholm entstanden oder mit der Insel eng verbunden sind. Obwohl immer vom europäischen Kontinent, seinen Schulen und Stilen beeinflußt, bewahrten sie, besonders in der Moderne, viel Individuelles.
Die Bornholmer Inspiration
Schon im 19. Jahrhundert suchten immer wieder Künstler die abgeschiedene Insel Bornholm auf. Hat doch ihre Ostküste, ähnlich wie Skagen, das intensivste Licht in ganz Dänemark. Immer wieder bildeten sich Künstler-Kolonien. Die dänische Kunstgeschichte verzeichnet sogar seit 1911 eine „Bornholmer Schule“ oder „Bornholmer Inspiration“. Die frühen in der Ausstellung vertretenen Gemälde stehen freilich noch ganz unter dem Einfluß des europäischen Klassizismus und der deutschen Romantik. Amüsant ist das 1843 entstandene Gemälde „Die Malerschule in Göteborg“ des in Bornholm geborenen Lars Hansen. Ausschließlich junge Mädchen (!) zeichnen hier nach Gipsmodellen, darunter Thorvaldsens „Leier spielendem Amor“, auf den sich die ganze Aufmerksamkeit der jungen Kunststudentinnen konzentriert.
Der Bornholmer Landschaft wendet sich A.E. Kieldrup in seiner 1849 gemalten romantisch-idealistischen Ansicht von „Hammershus“, einer der größten mittelalterlichen Burgruinen Dänemarks auf Bornholm, zu. Vor dem Motiv hat er nur die Skizze gemacht und dann, getreu den Richtlinien der Düsseldorfer Malerschule im Atelier das Bild aus Einzelbeobachtungen in der Phantasie komponiert: Schon in erstaunlich lichten Plein-air-Farben. Auch Viggo Fauerholdt fängt das besondere Licht Bornholms in seiner Klippenlandschaft bei Gudjem an der Bornholmer Ostküste ein (1857).
Bahnbrecher der Moderne
Winzig ist die Rückenfigur des Hirten in Georg Emil Liebens grandiosen, dramatischen „Randkloven“ (Randklippen) einer gewaltigen Felsschlucht auf Bornholm. Der gebürtige Bornholmer Kristian Zahrtmann (1843-1917) wurde dann, zusammen mit anderen Kollegen in Kopenhagen, zum an Paris orientierten Bahnbrecher der Moderne und Überwinder des Akademismus. In seiner Nachfolge hielt auch auf Bornholm, wo 1911 bis weit in die 20er Jahre hinein auf Christansö eine Künstlergruppe bestand, die Moderne Einzug. Cézanne und der Kubismus formten nun auf eigenwillige Weise den Stil ihrer Landschafts- und Figurenbilder, ihrer Porträts. Sie sind die eigentliche Überraschung dieser Ausstellung.
Gestisch und formstreng zugleich ist das Porträt von Bertha Brandstrup (1914) des mit Dänemark eng verbundenen Schweden Karl Isakson, während er in einem Stilleben (1916-1918) oder einer „Ansicht von Gudhjen“ (1921) und dem „Friedhof von Christansö“ (1921) mit der zarten, schwebend leichten Lichttransparenz von Farbflächen mit kubistischem Einschlag spielt. Ein temperamentvoller, oft ekstatischer Pinselstrich zeichnet Edvard Weies „Selbstporträt“ (1910/15), seinen „Waldweg Christansö, Morgen“ aus oder seinen „Entwurf für eine romantische Phantasie“ (um 1921). Zahrtmannschüler wie Weie war auch Olaf Rude, der ständige Sommergast auf Bornholm. Streng in farbige kubistische Flächen geschichtet ist seine „Schwarze und weiße Frau“ von 1918. Farbflächen schaffen Farbräume in seinen späteren abstrahierten, doch stimmungsreichen Landschaften („Frühlingsmorgen, Allinge“. 1941).
Weitere in großen vereinfachenden Farbflächen und Schichten aufgebaute Gemälde sind auch Niels Lergaards herbe Porträts und Landschaften, die schlichten Bilder von Claus Johansen und die fast informellen, das Gegenständliche nur als Vorwand für Farb- und Lichtschimmer nehmenden Malereien von Oluf Möst.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 3. März 1993.
Wie Wölkchen im Wind (1993)
Doppelausstellung Poncar/ Minnich im Kunstverein
Für seine erste Ausstellung als neuer Direktor des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen hat Raimund Stecker das Oberlicht seiner Räume in der Kunsthalle mit weißer Gaze abgeschirmt. In solch gefilterter, wie schwebender Atmosphäre kann die gelungene Doppelschau mit Bildern von Bernd Minnich und Photographien von Jaroslav Poncar ihre Reize ganz entfalten.
Bei beiden Künstlern geht es gleichermaßen um Weite, um Raum, um das Abgehobene, um eine Dimension, in der das Reale, Faßbare zu entgleisen scheint, fast aufgesogen wird eben von diesem Raum, gegen den es sich gerade noch behauptet.
Die Einsamkeit des Menschen zwischen Erde und Himmel empfindet man besonders in den Panorama-Photographien des 1945 in Prag geborenen Jaroslav Poncar aus West- und Ost-Tibet, dem Karakorum, den Himalaya-Gebieten – Ladakh, Nepal – sowie Burma und Südjemen. Bernd Minnichs großformatige Gouachen auf Holz, Papier oder Schaumstoff (1990 – 1992) sind gegenüber solch erhabenem, schweidendem, fast reglos in sich ruhendem Ernst ein heiterer, bewegter Aufschwung, ein Sich-Lösen von irdischen Bindungen und materiellen Zwängen.
Es sind Bilder in lichten, zarten Farben – Rosa-, Gelb-, Orange-, Hellgrün-, Zartblau- und Grautönen, in die sich wie eine Ahnung Gold- und Silberabglanz mischt.
Minnichs wie in Sphärenräumen schwebende lyrische Klangfarben wirken als abstrakte, flüchtige Farb-Erscheinungen und -Bewegungen im weißen Raum, wie Ahnungen oder Erinnerungen. Frühlingshaft wirken sie wie Wölkchen oder Schleier im Wind, wie schöne Träume und Spuren von Glück.
Der gebürtige Hamburger Bernd Minnich (1941) ist nach seinem Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Geologie in Hamburg und dem Kunststudium an den Akademien in Braunschweig und Düsseldorf seit 1990 Professor für Freie Malerei an der Kunsthochschule Braunschweig. Er lebt in Düsseldorf.
Jaroslav Poncar ist seit 20 Jahren Professor für Photoingenieurwesen an der Kölner Fachhochschule. Bekannt wurde er nach zahlreichen Expeditionen durch seine Dokumentationen buddhistischer Wandmalereien im Tempel von Alchi (Ladakh), zusammen mit Professor Goeppner, dem ehemaligen Direktor des Museums für Ostasiatische Kunst in Köln. Auf Anregung von Josef Sudek hat er sich seit 1976 der Panorama-Photographie zugewandt und ist seitdem, allen Tücken seiner russischen Panorama-Kamera zum Trotz, immer tiefer in die Feinheiten dieses schwierigen Metiers eingedrungen. Mit seiner hinten mit einem Schlitz sowie mit einer Wasserwaage versehenen Panorama-Kamera kann man ohne Verzerrungen einen optischen Blickwinkel von 120° erfassen. Trotzdem müssen die von links bis rechts scharfen Aufnahmen noch im Labor den letzten Schliff bekommen.
Für die grandiosen, weiten Landschaften Tibets, des Himalaya oder etwa des Jemen ist die Panorama-Photographie das ideale Medium, Poncars Schwarzweiß- und Farbphotographien mit ihren einerseits subtilsten Binnenstrukturen, andererseits dem großartigen Pathos der Landschaft, ihrer matten, weichen Tonigkeit und gleichzeitig dramatischen Helldunkel-Kontrasten sind ein Erlebnis. So lassen die Aufnahmen des Lake Manasarovar, des dunklen, heiligen Sees in West-Tibet, erschauern, die Klarheit auch, die ungeheure Einsamkeit zwischen Himmel und Erde in der Bergwelt im Quellgebiet des Indus in West-Tibet oder der märchenhaft-illusionistische, zwischen Wasser und Land verspiegelt schwebende „Goldene Tempel von Amritsar“. Dann wieder das zwischen wandernden Wolken in dünner Luft über wogende Berggipfel huschende Licht einer Landschaft wie auf einem fernen Planeten einer Landschaft in Tibet oder die Majestät einer Lehmhochhäuserstadt im Südjemen.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 18. März 1993
Kraft aus heimischen Bräuchen (1993)
Lateinamerikanische Kunst im 20. Jahrhundert / Ausstellung in Köln
„Lateinamerikanische Kunst im 20. Jahrhundert“ – diese chronologisch nach Stileinflüssen, nicht nach Ländern gegliederte, klar die wesentlichen Aspekte herausstellende Schau ist zur Zeit in zwei Etagen der Kölner Kunsthalle zu sehen. Für Europäer ist das Obergeschoß der eigentliche Ort der Begegnung. Dort schreitet man von geradezu atemberaubend packenden Sektionen der Pioniere der Moderne – unter dem Einfluß von Kubismus, Futurismus, Expressionismus, Surrealismus – aus Mexiko, Uruguay, Argentinien und Brasilien zu einer eigenen, gewachsenen, selbst in den 20 lateinamerikanischen Staaten nicht homogenen Kunst. Über die bekannten sozial engagierten „Mexikanischen Muralisten“ Orozco, Rivera und Siqueiros führt der Weg zu konstruktivistischen, neo-konkreten und op-artistisch-kinetischen Tendenzen. Im Untergeschoß sind dann Neu-Figuratives, Pop-art und unmittelbar zeitgenössische Installationen untergebracht.
Gleich zu Anfang wird man konfrontiert mit der Vielfalt individueller künstlerischer Reaktionen junger, aus der akademischen Tradition lateinamerikanischer Länder ausbrechender, seit etwa 1910 nach Europa strömender Künstler. In den von Temperament und Farben sprühenden, naiv-spontanen Bildern des Argentiniers Alejandro Xul Solar, der in München Klee und Kandinsky kennenlernte, vermischen sich konstruktive und mythische altindianische Traditionen mit kubistischen und expressionistischen zu vielschichtigen Aussagen („Heiliger Tanz“, „Welt“, „Nana Watzin“, 1923 – 1925). Zeigt schon Diego Riveras kubistisches „Porträt Martin Luis Gazmán“ von 1915 einige folkloristisch-brasilianische Elemente, so ist sein „Tag der Blumen“ von 1925 geradezu eine Beschwörung heimischer Bräuche.
Allenthalben besinnt man sich in den zwanziger Jahren auf die eigene Herkunft. In Brasilien ruft der Dichter Oswald de Andrade in seinem „Anthropophagischen Manifest“ dazu auf, die europäischen avantgardistischen Strömungen dem eigenen afroindianischen Kulturgut „menschenfresserisch“ einzuverleiben. Einzigartig und im Ausdruck überwältigend gelingt das der Brasilianerin Taarsila do Amaral in ihren monumental deformierenden und vereinfachenden tropisch-vegetativen Bildern; darunter „Abaporu“, „Die Negerin“ und „Anthropophagia“.
Renaissance der Wandmalerei
Auch die engagierte, in der Mexikanischen Revolution von 1910 wurzelnde „Renaissance der Wandmalerei“ seit den zwanziger Jahren ist in diesen alten Kraftquellen begründet, die den Menschen durch die Kunst wieder bewußt werden sollen; besonders bei Diego Rivera in seinen schlichten Darstellungen des bäuerlichen Lebens, während David Alfaro Siqueiros in düsteren Menschenbildern Leiden und Unterdrückung der Armen von einst und jetzt ins Unheimliche steigert und José Clemente Orozco die Grausamkeit und den Terror schildert, denen sie ausgeliefert sind.
Die intimen Kabinette für Maria Izquierdo und Frida Kahlo, die in ihrer traumhaften Melancholie, ihrem zum Bild geronnenen Schmerz zum Bewegendsten der Ausstellung gehören, leiten über zu den eigenartigen Versionen eines lateinamerikanischen Surrealismus, wie er vor allem durch die von André Breton mit initiierte große Internationale Surrealistenausstellung in Mexiko-City 1940 Impulse erhielt. Die erotisierten, durch schweifende Linien in Schwingung versetzten Räume des Chilenen Matta und die von Picasso nicht unberührten, aus geheimnisvollen Vorstellungen und Ritualen afro-kubanischer Glaubensvorstellungen erwachsenen Visionen von Wifredo Lam, dem Sohn chinesischer und afro-kubanischer Eltern, sind in großartigen Bildbeispielen vertreten.
Unter den mancherlei Varianten eines teils spielerischen (Arte Madi), teils streng-konkreten Konstruktivismus bezaubern vor allem die Bilder und reizvollen Holzkonstruktionen des in Uruguay geborenen Pioniers des lateinamerikanischen Konstruktivismus Joaquin Torres-Garcias, in denen sich die geometrische Grundstruktur der präkolumbischen Kunst erzählerisch und nicht ohne Humor mit stilisierten Figuren, Zeichen und Zahlen verbindet.
Die vorgeführte Op-Art und Kinetik, darunter von Soto, Cruz-Diez und Le Parc, durch die sich Lateinamerika seit den sechziger Jahren international profilierte, ist uns geläufig; auch der Kolumbianer Fernando Botero mit seinen prallen, die aufgeblasene Gesellschaft ironisierenden Figurenbildern oder Marisol aus Venezuela mit ihren in bemalte Holzklötze gebannten Figuren. Für die lebhafte Gegenwartskunst, die sich freilich von der europäischen kaum unterscheidet, hätte man sich lieber eine eigene Ausstellung gewünscht.
In: Rheinische Post. Feuilleton, 19. März 1993.
Neben dem Licht wartet das Dunkel, und das Blühen ist auch Tod (1993)
H. Hödickes Ausstellung „Berliner Ring / Gemälde und Skulpturen 1975 – 1992“ des Kunstmuseums im Kunstpalast
Karl Horst Hödicke ist einer der wesentlichen Künstler unserer Zeit. Mit Herzblut getränkt sind Hödickes in der ganz banalen Umweltwirklichkeit aufgelesenen Bilderlebnisse und doch immer zugleich Symptom, Vision. Ein seherischer Blick hat sie gleichsam durchleuchtet, hat in ihnen das Zeichenhafte aufgespürt. Aufgescheuchte, geheime Bewegkräfte der Zeit scheinen in ihnen sichtbar zu werden. Und das grenzt sich keineswegs auf der Ebene des Sozialkritischen oder Politischen ein.
Auch der Titel seiner jetzigen, aus Berlin kommenden Ausstellung „Berliner Ring – Gemälde und Skulpturen 1975-1992“, die das Kunstmuseum im Kunstpalast am Ehrenhof zeigt, stellt dies wieder unter Beweis nach der vor sieben Jahren in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ausgerichteten Hödicke-Retrospektive. Gegenüber Berlin hat sich zwar die Zahl der großformatigen Bilder auf 30, die der Skulpturen auf eine einzige reduziert. Doch die großräumig placierte Schau hebt die geniale, im Impuls ungemein sichere, sparsame, selbst in der Expressivität jedes Zuviel vermeidende Pinselführung um so eindringlicher hervor. K. H. Hödicke (geboren 1938 in Nürnberg), „Vater“ der aus der 1964 gegründeten Galerie Großgörschen 35 hervorgegangenen Berliner Malergruppe der „Neuen Expressiven“ (vertreten unter anderem durch Koberling, Middendorf, Salome bis hin zu Hella Santarossa und Elvira Bach), lebt seit seinem Studium bei Fred Thieler in Berlin, ist dort Professor an der Hochschule der Künste und Mitglied der Akademie der Künste.
Die geteilte Stadt, dieser Brennpunkt des Zeitgeschehens, wo Hödicke immer noch sein Atelier in der Dessauer Straße hat – ganz nahe der ehemaligen Zonengrenze in einer verödeten Niemandslandschaft -, erscheint wirklich wie ein „Ring“, der auch sein eigenes Denken ein- und umschließt. Das Aufregende und Bestürzende an seinen Bildern ist ja diese Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen, das sie vermitteln. Das Schöne, Leben, Lust, Begeisterung und Freiheit sind zugleich Schmerz, Trauer, Melancholie, Sterben. Neben dem Licht wartet das Dunkel, Blühen ist auch Tod. Offenheit und beklemmende Enge schließen einander fast aus.
Man vergißt sie nicht, diese traumatischen Stadtlandschaften von 1973/75 („Der Himmel über Schöneberg“), deren Häuserschluchten den („versilberten“) Himmel wie einen Gefängnishof einmauern. Welche Perversion: Dieses „Feuerwerk über dem Alexanderplatz“ (1982) hinter den gespenstisch vom Dunkel ausgehöhlten Silhouetten des Brandenburger Tors neben tristen Plattenbauten. Menschen sind nicht zu sehen. „Fluchtfuß“ (1985), riesig über dem Grünstreifen fliegend-fliehend in schwarzer Nacht, mit leuchtenden Blutspuren auf der Sohle. Oder die angstvoll-lustvolle „Vertreibung“ von 1981, der Sprung an das rettende andere Ufer.
Das Brandenburger Tor immer im Visier auch des inneren Auges über die „Wüste Gobi“: unpathetisch, fragil, Relikt der Erinnerung, ins Dunkel getaucht. Die verfremdend grellen Farben der „Quadriga“ und die vergänglichen, sich versprühenden Feuerwerksblumen erscheinen über dem „Flammenden Tor“ als Bühne der Leidenschaften, der Schmerzen, Trauer und Hoffnungen.
Das Bild der „Mütter“ dann im Golfkriegsjahr 1991, die den toten Sohn auf ihrem Schoß tragen, die Pietà aller Zeiten in einer unendlichen Reihe: Leiden, das sich in Linien ausdrückt, in fahlem Rosa, entschwindendem Blau. Durchscheinend ist das Bild wie der in den Körpern eingefangene leere weiße Raum. Aufgereiht auch die Frauen im „Polenmarkt“ (1990) wie Puppen, durch deren weiße, gleichförmige Maskengesichter schmerzhaft zurückgestaute menschliche Not bricht. Wie Lampions, vielleicht aber auch wie vertropfendes Blut sind sie aufgehängt vor schwarzem Grund, die rotleuchtenden Fuchsienblüten und –knospen, angeregt durch Fuchsienhecken in Irland. Kaum intensiver als vor diesem vierteiligen Bild könnte man erleben, wie schmerzhaft das Schöne, wie tödlich das Blühen sein kann. „Hecke (wo sind die Heckenschützen?) Rot wird so leicht glutrot so blutrot so feuerrot durch Schwarz“ hat es K. H. Hödicke genannt.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 6. April 1993.
Ringen gegen Hemmnisse – ein Künstlerleben lang (1993)
Malerin Julie von Egloffstein im Goethe-Museum
Für die außergewöhnliche Schönheit und die große künstlerische Begabung ihrer Tochter Julie, die am 12. September 1792 in Erlangen geboren wurde, hatte die Mutter, Henriette Gräfin von Egloffstein, eine plausible Erklärung. Während sie dieses – ihr drittes – Kind unter dem Herzen getragen habe, sei sie durch Italien gereist und habe dort von der Natur und der Kunst überwältigende Eindrücke empfangen. Das Leben der Julie von Egloffstein (1792-1869), „Goethes Zeichnerin“, ist Thema einer bezaubernden Ausstellung im Goethe-Museum, die aus dem Hildesheimer Roemer-Museum kommt als Ehrung zu ihrem 200. Geburtstag.
Bewegliches Temperament
Die Zeit der Klassik, der Romantik und des Biedermeier gewinnt in dieser Schau mit Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Lithographien, Handschriftlichem und in ihrem schönen Katalog greifbar menschliche, ja persönliche Konturen. Im Milieu, in den wechselnden Schauplätzen, in den Porträts, Landschaften, Genrebildern, in Person und Lebensweg der Künstlerin selbst reflektiert sie immer zugleich Weite, Größe, Zielstrebigkeit, Tatendrang, schwärmerische Entdeckungsfreude und ein bewegliches Temperament, die doch alle den Rahmen des Angepaßten nicht sprengen. Dieser bleibt durch Erziehung und Standesbewußtsein gewahrt und hemmte die künstlerische Entfaltung Julie von Egloffsteins lebenslang.
Und dies, obwohl sie von Jugend an eine professionelle Künstlerlaufbahn anstrebte, immer unvermählt blieb, um sich in damals ungewöhnlicher Hingabe für eine Dame von Rang dieser Aufgabe zu widmen und jede Gelegenheit ergriff, sich malerisch-zeichnerisch und auch in der neu aufkommenden Lithographie weiterzubilden. Weimarer Künstler wie Haller von Hallerstein und Heinrich Meyer, Georg Kersting in Dresden, Heinrich Christoph Kolbe, Karl Stieler oder Overbeck in Rom, Peter Cornelius, Dillis in München, an der Düsseldorfer Akademie (1837) Louis Ammy Blanc, Schadow, Hübner, Lessing gehörten zu ihren Lehrern und Vorbildern. Nicht zuletzt auch die alten Niederländer und Raffael, Guido Reni, Correggio, Rubens.
Goethe, ihr großer Förderer und Verehrer am Weimarer Musenhof, war es, der sie „seine glückliche Zeichnerin“ nannte. War sie es wirklich? Nach den Jahren in Weimar (1816-1828), wo sie unter dem Scherznamen „Julemuse“ zusammen mit Ottilie von Pogwisch („Tillemuse“), Adele Schopenhauer („Adelmuse“) und der Schwester Caroline („Museline“) zum Freundeskreis des „Musenvereins“ gehörte, brach sie fast fluchtartig zu einem zweijährigen Rom- und Italienaufenthalt auf, weil sie ihr Amt als Großherzogliche Hofdame zuletzt als „wahre Höllenpein“ empfand und Behinderung ihres Schaffens.
Die Bilder der Ausstellung spiegeln ihre zahlreichen Reisen, die Schauplätze ihres Wirkens, ihrer Erfolge und Anerkennungen auch in Ausstellungen: Reisen nicht nur in die deutschen und italienischen Kunstmetropolen, sondern auch nach England, in die Schweiz und die Niederlande, ebenso die Zeiten idyllischer Zurückgezogenheit im Forsthaus Misburg bei Hannover, im fränkischen Stammsitz Schloß Egloffstein und zuletzt im Klostergut Marienrode bei Hildesheim.
Besonders anmutig in der subtilen Schwerelosigkeit sind die lichtdurchwobenen, meist lavierten, teils auch aquarellierten Graphit- und Bleistiftzeichnungen ihrer Rheinromantik-Reise von Mainz bis Köln 1816. Voller Charme und Frische, auch souverän in der Zusammenschau und dem Detailreichtum die gezeichneten Ansichten von Schloß Egloffstein (1814) oder aus der Umgebung von Weimar, während die Architekturzeichnungen aus dem antiken Rom zum Teil etwas angestrengt, die eigenhändig lithographierten Genreszenen aus Italien indes grazil und technisch perfekt wirken. Meisterhaft in der zupackenden Erfassung von Wesen und Charakter sind Porträtzeichnungen wie die von August von Goethe (Kreide, Bleistift, aquarelliert, um 1830) oder von der gealterten Charlotte von Stein (um 1825, hier als Kreidelitho).
Unter den großen, repräsentativen Ölporträts gefällt besonders das romantisch-empfindsame Selbstbildnis von 1822 vor dem Hintergrund der fränkischen Landschaft mit Burg Egloffstein oder das prachtvolle, in seiner Ausstrahlung von hoheitsvollem Glanz und Faszination der Farben, kostbarer Stofflichkeit und weiblicher Schönheit unübertreffliche Bildnis der Therese, Königin von Bayern (1836). Gestellt und unlebendig wirkt dagegen die „Sitzende Dame auf der Terrasse“ (um 1833), und auch die Goethe-Porträts können nicht überzeugen. Daß sich aber die kinderlose Königin Adelheid von England so sehr in das reizende kleine Kinderbild der dreijährigen schlafenden Elise Rautert (hier in einem Schabkunstblatt vertreten) verliebte, es für 1000 Pfund Sterling kaufte und immer um sich haben wollte, kann man wohl verstehen.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 21. April 1993.
Mythen und Monströses (1993)
Zyklus Frauen in Sagenwelt und Kunst bei Zimmer
Im Rückblick auf den jeweils mit einem Vortragsabend verbundenen Ausstellungszyklus der Galerie Zimmer (Oberbilker Allee 27) „Frauengestalten aus Mythologie und Kunst in der Malerei der Gegenwart“ darf eine positive Bilanz gezogen werden. Der gute Besuch, der Brückenschlag zwischen Historie und Gegenwart, die künstlerische Anregung durch zeitübergreifende Themen und die Vertiefung der Ansicht durch Einsicht in bemerkenswerten Vorträgen eröffneten fruchtbare Perspektiven. Künstler unserer Zeit haben mythische oder biblische Themen neu erlebt.
Nach den beiden ersten Ausstellungen, die der griechischen Leda und der fernöstlichen Göttin Ushas/ Ratri gewidmet waren, muß nun auch der Bogen zur derzeitigen Schau geschlagen werden: Sigrid Redhardts monumentale Malereicollagen von 1992/93 zum Thema „Die Töchter des Pelias“. Den Vortrag zu diesem Medea-Thema hielt der Direktor des Kunstmuseums, Hans Albert Peters. Es ist die Geschichte von der Zauberin Medea, die ihre Töchter gegen deren Willen anstiftet, ihren Vater Pelias zu ermorden und zu zerstückeln, angeblich, um ihm auf diese Weise unaufhörliche Jugend zu schenken, in Wahrheit aber, um ihn aus Rache zu töten. Die Töchter folgen aus Liebe zum Vater vertrauensvoll dem Rat der Mutter. Gerade dieser Aspekt reizte die Düsseldorfer Künstlerin zur Darstellung.
Zerrissenheit wirkt schon im Herstellungsprozeß des monumentalen Schlüsselbildes, das zunächst für die durch acht Fenster geteilte Wand des „Ballhauses“ konzipiert und entsprechend in acht Teile aufgespalten wurde. Gerissen und geschnitten, auch wieder zusammengeklebt die figurativen Teile der Malereicollage. Die Zerstückelung in Fragmente führt im Bild zu einem neuen Ganzen.
Gewaltig, wie in Stein gehauen, wirken Redhardts malerisch-rhythmisierte Figuren. Ohne Schatten sind sie, auf das Wesentliche reduziert und zeitlos. 15 Zeichnungen führen zu dem 260 x 320 cm großen Gemälde und anderen Bildern des Zyklus hin, in denen zärtlichere, traurig-empfindsame Aspekte der mörderischen Tragödie zum Vorschein kommen.
Vorangegangen waren die der Lilith gewidmete Ausstellung von Tina Juretzek mit einem Vortrag von Gisela Götte vom Clemens-Sels-Museum Neuss und Antonius Höckelmanns Trilogie „Judith und Holofernes“, eingeführt von Siegfried Gohr, ehemaligem Chef des Museums Ludwig.
Die böse Schlange Lilith
Die vor Eva erschaffene Dämonin Lilith, böse Schlange und schwarzgeflügeltes Gegenstück des Teufels – diese vielschichtige Gestalt hat Tina Juretzek in einer ganzen Folge expressiver, zum Teil collagierter Zeichnungen in Tusche und Graphit in flackerndem Helldunkel 1986 dargestellt in einer von Zweifeln gequälten Phase ihres Schaffens: spannungsvoll, zerrissen, abgründig. Flügelwesen sind das voll düsterer Unberechenbarkeit, bedrohlich, auch in tierhafter Körperlichkeit. Selbstquälerisches, Selbstzerstörerisches drückt sich darin aus.
Und die alttestamentarische Judith, die den Assyrerfürsten Holofernes erschlug, um ihr jüdisches Volk zu retten? Höckelmann hat in seinen großen Bleistift- und Tuschzeichnungen, farbigen Wachskreiden und bemalten Reliefs das wild lachende und zugleich todbringende Gesicht der Judith, in dem Schönheit und Monströses, Wildes und Grausames verschmelzen, mit flackerndem Helldunkel gleichsam aus einer Maske entwickelt: Abgründe des Menschen, wie sie sich zu allen Zeiten in ihm verbergen oder ausbrechen können.
In: Rheinische Post. Düsseldorfer Feuilleton, 28. April 1993.
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