Frauen-Kultur-Archiv

Lyrische Universen

Annette von Droste-Hülshoff

Kurzporträt

 

Annette von Droste-Hülshoff wurde am 12. Januar 1797 in der Wasserburg Hülshoff geboren. Sie erhielt eine musisch orientierte Ausbildung in Form von Privatunterricht und wuchs in der Welt des katholisch-westfälischen Landadels auf. Äußerlich blieb sie, da stets von der Familie abhängig, ihrem Stand verhaftet. Ihr literarisches Werk, mit ihrer Biographie und Erlebniswelt stets eng verknüpft, verbindet Traditionen mit künstlerischer Originalität und umfasst neben Lyrik auch Dramen und Erzählungen.

 

Ihr lyrisches Werk besticht durch einen hohen Grad an Authentizität. Es zeigt für ihre Zeit neuartige Naturdarstellungen, eine alle Sinne einbeziehende landschaftliche Erfahrung. Die poetischen Naturbilder in filigraner Sprache und komplexer Symbolik begründeten posthum ihren Ruf als „Deutschlands größte Dichterin“. Aufgrund der Komplexität ihres Werks ist es schwierig, die Texte epochenspezifisch einzuordnen. Man kann aber festhalten, dass die Autorin zwischen Revolution und Restauration, zwischen Biedermeier und Vormärz schrieb.

 

Von besonderer Bedeutung waren die Aufenthalte am Bodensee, wo sie befreit von den familiären Bindungen und getragen von der Freundschaft zum 16 Jahre jüngeren Literaten und Journalisten Levin Schücking, Phasen von besonderer gestalterischer Kreativität erlebte.

Gedichte

 

Meine Toten
Wer eine ernste Fahrt beginnt,
Die Mut bedarf und frischen Wind,
Er schaut verlangend in die Weite
Nach eines treuen Auges Brand,
Nach einem warmen Druck der Hand,
Nach einem Wort, das ihn geleite.

Ein ernstes Wagen heb’ ich an,
So tret’ ich denn zu euch hinan,
Ihr meine stillen strengen Toten;
Ich bin erwacht an eurer Gruft,
Aus Wasser, Feuer, Erde, Luft,
Hat eure Stimme mir geboten.

Wenn die Natur in Hader lag,
Und durch die Wolkenwirbel brach
Ein Funke jener tausend Sonnen, –
Spracht aus der Elemente Streit
Ihr nicht von einer Ewigkeit
Und unerschöpften Lichtes Bronnen?

Am Hange schlich ich, krank und matt,
Da habt ihr mir das welke Blatt
Mit Warnungsflüstern zugetragen,
Gelächelt aus der Welle Kreis,
Habt aus des Angers starrem Eis
Die Blumenaugen aufgeschlagen.

Was meine Adern muß durchziehen,
Sah ich’s nicht flammen und verglühn,
An eurem Schreine nicht erkalten?
Vom Auge hauchtet ihr den Schein,
Ihr meine Richter, die allein
In treuer Hand die Waage halten.

Kalt ist der Druck von eurer Hand,
Erloschen eures Blickes Brand,
Und euer Laut der Öde Odem,
Doch keine andre Rechte drückt
So traut, so hat kein Aug’ geblickt,
So spricht kein Wort, wie Grabesbrodem!

Ich fasse eures Kreuzes Stab,
Und beuge meine Stirn hinab
Zu eurem Gräserhauch, dem stillen,
Zumeist geliebt, zuerst gegrüßt,
Laßt, lauter wie der Äther fließt,
Mir Wahrheit in die Seele quillen.

In: Annette von Droste-Hülshoff: Gedichte. 1844.

 

 

Das Wort
Das Wort gleicht dem beschwingten Pfeil,
Und ist es einmal deinem Bogen,
In Tändeln oder Ernst, entflogen,
Erschrecken muß dich seine Eil!

Dem Körnlein gleicht es, deiner Hand
Entschlüpft; wer mag es wiederfinden?
Und dennoch wucherts in den Gründen
Und treibt die Wurzeln durch das Land.

Gleicht dem verlornen Funken, der
Vielleicht erlischt am feuchten Tage,
Vielleicht am milden glimmt im Hage,
Am dürren schwillt zum Flammenmeer.

Und Worte sind es doch die einst
So schwer in deine Schale fallen,
Ist Keins ein nichtiges von Allen,
Um jedes hoffst du oder weinst.

O einen Strahl der Himmelsau,
Mein Gott, dem Zagenden und Blinden!
Wie soll er Ziel und Acker finden?
Wie Lüfte messen und den Tau?

Allmächt’ger, der das Wort geschenkt,
Doch seine Zukunft uns verhalten,
Woll’ selber deiner Gabe walten,
Durch deinen Hauch sei sie gelenkt!

Richte den Pfeil dem Ziele zu,
Nähre das Körnlein schlummertrunken,
Erstick’ ihn oder fach’ den Funken!
Denn was da frommt das weißt nur Du.

Ein Gedicht aus dem Nachlass. In: Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in 2 Bänden. Bd.1, Gedichte. Hrsg. von Bodo Plachta, Winfried Woesler. Frankfurt a.M. 1994.

 

 

Wie sind meine Finger so grün
Wie sind meine Finger so grün
Blumen hab ich zerrissen
Sie wollten für mich blühn
Und haben sterben müssen
Wie neigten sie um mein Angesicht
Wie fromme schüchterne Lieder
Ich war in Gedanken, Ich achtets nicht
Und bog sie zu mir nieder
Zerriß die lieben Glieder
In sorgenlosem Mut
Da floß ihr grünes Blut
Um meine Finger nieder
Sie weinten nicht, sie klagten nicht,
Sie starben sonder Laut
Nur dunkel ward ihr Angesicht
Wie wenn der Himmel graut
Sie konnten mirs nicht ersparen
Sonst hätten sie’s wohl getan,-
Wohin bin ich gefahren!
In trüben Sinnens Wahn!
O töricht Kinderspiel!
O schuldlos Blutvergießen!
Und gleichts dem Leben viel,
Laßt mich die Augen schließen,
Denn was geschehen ist, ist geschehn
Und wer kann für die Zukunft stehn!

Ein Gedicht aus dem Nachlass. In: Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in 2 Bänden. Bd.1, Gedichte. Hrsg. von Bodo Plachta, Winfried Woesler. Frankfurt a.M. 1994.