Frauen-Kultur-Archiv

Lyrische Universen

Christine Lavant

Kurzporträt

 

Die Schriftstellerin und Malerin Christine Lavant wurde am 4. Juli 1915 bei St. Stefan in Österreich als neuntes Kind der armen Bergarbeiterfamilie Thonhauser geboren. Frühe Krankheiten wie Skrofulose und Lungentuberkulose hinterließen bleibende Spuren, nicht nur körperliche Versehrtheit sondern auch seelische Verwundungen. Bereits in ihren ersten schriftstellerischen Versuch im Alter von zwölf Jahren thematisierte sie den Wunsch, dem geschundenen Körper  zu entfliehen.

 

Nach Ablehnung eines von ihr eingesandten Romanmanuskripts durch den Leykam Verlag 1932 vernichtete sie alle ihre bisherigen Manuskripte und schrieb dreizehn Jahre nicht mehr, beschäftigte sich vielmehr mit okkulter, mystischer, religiöser und philosophischer Literatur. Ihren Lebensunterhalt versuchte sie mit Strickarbeit zu bestreiten. Während der 1939 geschlossenen Ehe mit dem deutlich älteren Maler Josef Habernig lebte sie abgeschieden in Kärnten.

 

Nach der Publikation erster Prosatexte ab 1948 unter dem Pseudonym „Lavant“ nach dem Fluss ihrer Kärntener Heimat, erschien die erste Gedichtsammlung „Die unvollendete Liebe“, für die sie 1954 den „Georg-Trakl-Preis für Lyrik“ erhielt. Der 1956 im Otto Müller Verlag editierte Lyrikband „Die Bettlerschale“ gehört zusammen mit „Spindel im Mond“ (1959) und „Der Pfauenschrei“ (1962) zu den herausragenden Beispiele ihrer expressiv-existenzialistischen und bildmächtigen Lyrik. Den „Georg-Trakl-Preis für Lyrik“ erhielt Christine Lavant 1964 nach 10 Jahren ein zweites Mal. Mit einigen wenigen geistesverwandten Künstlern wie Thomas Bernhard oder Hilde Domin pflegte sie künstlerischen Austausch. 1970 wurde ihr die höchste Ehrung ihres Landes zuteil, der Große Österreichische Staatspreis.

 

In ihren letzten Lebensjahren war sie nicht mehr schriftstellerisch tätig und nach wiederholten Krankenhausaufenthalten starb sie am 7. Juni 1973. Das wissenschaftliche Interesse an ihrem Werk setzte erst nach ihrem Tod ein. Heute hat Lavants Lyrik mit ihrem überbordenden sprachlichen und ideellen Reichtum einen exponierten Platz in der Poesie-Geschichte.

Gedichte

 

Daß mir jetzt nichts mehr begegnet!
Randvoll sind meine Augen
von Feuer und Salz.
Tauche kein Bildnis hinein,
Vater, wirf über alle Geschöpfe
dein widerstehendes Wesen
und stelle erzene Engel
rund um mein tobendes Herz.
Feuer und Salz, Feuer und Salz!
Um die schlaflosen Schläfen
Wind, der nicht kühlt.
Wind zwischen deutenden Fingern,
die nichts mehr bedeuten,
die nichts mehr erlangen.
Du sollst sie wie Halme knicken
und jeden einzeln verdorren lassen,
wenn sie noch eines deiner Geschöpfe
anrühren wollen, die Nesseln.

In: Die Bettlerschale. Gedichte. Salzburg 1956.

 

 

Dort zündelt ein Stern im Gestein
und der Schnittlauch im Garten riecht wild,
diese Nacht da führt etwas im Schild –
man sollte jetzt mondsüchtig sein.

 

Die Tulpen gehn wächsern in sich,
nur eine bleibt außen und rot,
im Kleeanger dengelt der Tod
die Sense für sich und für mich.

 

Am End geht der Tod doch vorbei?
Ich habe neuen Quecken verknüpft,
mein Atem ist listig und schlüpft
in den Schnittlauch und fühlt sich dort frei.

 

Vielleicht ist die Nacht gar nicht so?
Ich weiß noch den Namen des Herren
und ertrage die Herzstiche gern,
auch macht mich der Mondaufgang froh.

In: Die Bettlerschale. Gedichte. Salzburg 1956.

 

 

 

O SPINDEL im Monde, lasse dir Zeit!
Zähl die Kleeblätter ab am Wetterkreuzhügel,
setz die Wut-Rosen ein, die der Truthahn verschreit,
und wenn du dich drehen mußt, dann dreh einen Zügel
für den Wildeselwind aus Südosten.
Geh ins Dorf jetzt den Birnenmost kosten!
Der ist heuer so stark wie ein türkischer Wein,
betrinke dich Spindel – nur laß mich allein
das Garn für mein Sterbehemd spinnen.
Du drehst viel zu locker, du haspelst zu schnell
und oft mußt du mitten im Hundegebell
das Knüpfwerk von vorne beginnen.
Ich aber habe die Knoten so satt!
Mein Tod soll so glatt wie ein Wegerichblatt
und weich wie ein Katzenschwanz werden.
Mein Flachsacker blüht noch auf Erden!
Der geht dich nichts an und du findest ihn nie,
du besoffene Spindel! – ich steh bis zum Knie
im gebrechelten Elend vom vorigen Jahr
und mein Herz könnt dich lehren, – wie Erzengelhaar
so glatt und so stark wird sein Faden.
Nein, Mondrad, du kannst mir nicht schaden,
selbst wenn du noch runder den Dorfrand verläßt
und alles verdrehst hinterm Apfelgeäst.

In: Spindel im Mond. Gedichte. Salzburg 1959.

 

 

 

Verschriener Tod, für mich bist du so schön!
Schon morgens denk ich dich als Hütte aus,
in die ich einziehn werde schon am Abend,
und daß ein Stern darüber scheinen wird.
Nicht einmal vor dem Umzug hab ich Angst!
Man wird zwar viel vorher verbrennen müssen,
den Leib gewiß mit allen seinen Süchten
und von der Seele das, was sie sich hier
zusammentrug an Mut und Freudigkeit.
Nur meine Liebe, Tod, die bring ich mit!
Für die mußt du, wenn du mein Obdach bist,
den besten Winkel meiner Hütte richten
und, wenn es sein kann, baue auch ein Fenster,
damit der Stern, der gute, den ich meine,
ihr dort zu Diensten geht mit allem Trost,
den ich ihr hier niemals hab‘ geben können.

In: Gedichte. Hrsg. von Thomas Bernhard. Frankfurt 1987.