Kurzporträt
Sie gilt als die sprachmächtigste Lyrikerin des 20. Jahrhunderts. Anfangs vom Jugendstil beeinflusst, wurde sie zu einer der wichtigsten Stimmen des Expressionismus. Sie transformierte ihre Lebensbezüge in mythisch-archaische Bilder („Der siebente Tag“, 1905, „Meine Wunder“, 1911) und besann sich zugleich auf ihre jüdischen Wurzeln („Hebräische Balladen“, 1913). Sie schuf literarische Orient-Denk-Bilder, mit denen sie den abendländischen Rationalismus zu überschreiten trachtete („Der Prinz von Theben“, 1914). Else Lasker-Schüler war ganz von der heilenden und erlösenden Kraft des Dichtungsworts durchdrungen.
Erst 1932 erhielt sie eine öffentliche Anerkennung ihres dichterisches Schaffens, den renommierten Kleist-Preis. Ein Jahr später floh sie aus Nazi-Deutschland in die Schweiz und emigrierte 1939 nach Palästina. Die letzte Gedichtsammlung „Mein blaues Klavier“, die kurz vor ihrem Tod erschien, widmete Else Lasker-Schüler ihren „unvergeßlichen Freunden und Freundinnen in den Städten Deutschlands – und denen, die wie ich vertrieben und nun zerstreut in der Welt, In Treu!“
Ihr Grab befindet sich auf dem Ölberg in Jerusalem.
Gedichte
Abend
Es riß mein Lachen sich aus mir,
Mein Lachen mir den Kinderaugen,
Mein junges, springendes Lachen
Singt Tag der dunklen Nacht vor deiner Tür.
Es kehrte aus mir ein in dir
Zur Lust dein Trübstes zu entfachen –
Nun lächelt es wie Greisenlachen
Und leidet Jugendnot.
In: Else Lasker-Schüler: Styx. Berlin 1902.
Ankunft
Ich bin am Ziel meines Herzens angelangt.
Weiter führt kein Strahl.
Hinter mir laß ich die Welt,
Fliegen die Sterne auf: Goldene Vögel.
Hißt der Mondturm die Dunkelheit –
. . . O, wie mich leise eine süße Weise betönt . . .
Aber meine Schultern heben sich, hochmütige Kuppeln.
In: Else Lasker-Schüler: Meine Wunder. Karlsruhe, Leipzig, 1911.
Nun schlummert meine Seele
Der Sturm hat ihre Stämme gefällt,
O, meine Seele war ein Wald.
Hast du mich weinen gehört?
Weil deine Augen bang geöffnet stehn.
Sterne streuen Nacht
In mein vergossenes Blut.
Nun schlummert meine Seele
Zagend auf Zehen.
O, meine Seele war ein Wald;
Palmen schatteten,
An den Ästen hing die Liebe.
Tröste meine Seele im Schlummer.
In: Else Lasker-Schüler: Meine Wunder. Karlsruhe, Leipzig, 1911.
Es kommt der Abend
Es kommt der Abend und ich tauche in die Sterne,
Daß ich den Weg zur Heimat im Gemüte nicht verlerne
Umflorte sich auch längst mein armes Land.
Es ruhen unsere Herzen liebverwandt,
Gepaart in einer Schale:
Weiße Mandelkerne –
…..Ich weiß, du hältst wie früher meine Hand
Verwunschen in der Ewigkeit der Ferne…..
Ach meine Seele rauschte, als dein Mund es mir gestand.
In: Else Lasker-Schüler: Mein blaues Klavier. Jerusalem 1943.
Dämmerung
Ich halte meine Augen halb geschlossen,
Graumütig ist mein Herz und wolkenreich.
Ich suche eine Hand, der meinen gleich…
Mich hat das Leben, ich hab es verstoßen
Und lebe angstvoll nun im Übergroßen
Im irdischen Leibe schon im Himmelreich.
Und in der Flühe war ich blütenreich
Und über Nacht froh aufgeschossen,
Vom Zauber eines Traumes übergossen –
Nun färben meine Wangen meine Spiegel bleich.
In: Else Lasker-Schüler: Mein blaues Klavier. Jerusalem 1943.
Mein armes Lied
Mein Angesicht liegt nachts auf deinen Händen,
Es leuchten stille Kerzen von den Wänden
Und werfen um mich einen feierlichen Schein.
Ich will dein heiliger Widder sein,
Führ mich zur Opfergabe in den Hain.
Die Welt bricht auf allen Enden
Und an den Stöcken glüht in zarten Ampeln süßer Wein.
Und Mond und Sterne gehen auf mit meinem Herzen im Verein.
Und meine Lenden sprießen feierlich verzückt: vergessene goldene Legenden.
Und die Welten um mich streiten sich
Und berauschen sich am blutigen Weine.
Weißt du noch im Mondenscheine?
Du und ich –
Eh noch mein Herz verblich
Und ich deinem Herzen glich
Tausendmal und eins verklärt um dich –
Bette meine Liebe fürsorglich
Zwischen leisverpochendem Gebeine –
Müde bin ich wie der rote Rotdorn und der weiße kleine –
An der Hecke drüben und – sich mußten lieben
Und – nie fanden sich –
In: Else Lasker-Schüler: Mein blaues Klavier. Jerusalem 1943.