Frauen-Kultur-Archiv

Lyrische Universen

Ruth Schaumann

Kurzporträt

Ruth Schaumann wurde am 24. August 1899 als zweite Tochter einer begüterten Offiziersfamilie in Hamburg geboren. Mit sechs Jahren erkrankte sie an Scharlach und verlor dadurch ihr Gehör. Trotz der Behinderung konnte die künstlerisch begabte Ruth Schaumann ihre Talente entfalten. 1917 zog sie nach München, um an einer privaten Kunstschule ausgebildet zu werden. Nach einem Jahr wechselte sie zur Münchner Kunstgewerbeschule in die Bildhauerklasse von Professor Wackerle. Neben der bildenden Kunst widmete sie sich der Lyrik. Mit zwanzig Jahren wurde ihr erster Gedichtband veröffentlicht: „Die Kathedrale“, ein christlich-orientierter, expressionistisch-geprägter Gedichtband. Sie gestaltete parallel zahlreiche Holzbildwerke, Bronzen, Terrakotten und Plastiken. Mit ihrer Lindenholz-Plastik „Verkündigung“ wurde Ruth Schaumann 1921 zur Meisterschülerin ernannt.

 

Im Jahr der Hochzeit mit dem Literaturkritiker Peter Fuchs konvertierte die Künstlerin 1924 zum katholischen Glauben. Die nach der Eheschließung entstandenen lyrischen Werke weisen im Vergleich zum ersten Band eine wesentlich größere Formstrenge und Melodik auf. Die Themen Liebe, Reifungsprozesse und Mutterschaft dominieren.

Im Dritten Reich wich Ruth Schaumann auf Kinderbücher und deren Illustration aus, so mit „Das Schattendäumelinchen (1933) und „Lorenz und Elisabeth“ (1936). Der Scherenschnitt wurde zu einer wichtigen Ausdrucksform. 1968 veröffentlichte sie den autobiographischen Roman „Das Arsenal“, der als bedeutendstes Prosawerk ihres späten Schaffens gilt. Sie wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, unter anderem mit dem Dichterpreis der Stadt München (1932), dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse (1959) und der Auszeichnung Pro ecclesia et pontifice (1974) des Papstes als Anerkennung ihres christlich-künstlerischen Schaffens. Am 13. März 1975 starb sie in ihrer Wahlheimatstadt München.

 

Gedichte

 

Welt schwebt ohn’ Unterlaß

 

Ein einz’ger Atemzug trennt zittern sich in zwei,
Die Welle, die uns trug, rauscht fern und leer vorbei.

 

Aus einem Herzensschlag tritt Herz um Herz gereift,
Im Osten graut der Tag, am First die Schwalbe streift.

 

Und aus vereintem Traum geht Weh und Lust hervor,
Im Garten klirrt der Baum, der sich im Tau verlor.

 

Er klirrt und läßt das Naß hintropfen, wie es will.
Welt schwebt ohn’ Unterlaß und hält nicht einmal still.

 

In: Ruth Schaumann: Die Tenne. Gedichte. München 1931.

 

 

Die Geburt

 

Und eine Welle
Nimmt mich der andern ab,
Hebt mich zur Helle,
Wirft mich zur Helle,
Wirft mich ins tiefste Grab.
An seiner Schwelle
Steht Tod mit dürrem Stab
Und ruft die Welle
Und schwingt die Schelle
Und reißt den Hut vom Antlitz ab.
Und Felsenschlünde
Gehn auf zu einem Schacht,
Und alle Sünde
Wird so ans Licht gebracht,
Mein Leib daneben,
Glashaft aus Stein gefügt,
Darin ein Leben,
Zum Flug gegeben,
Verschlossen wie im Bernstein liegt.

 

Des Todes Ragen
Schwebt hoch in Gischt und Brand,
Hat mich zerschlagen
Mit seiner starken Hand.
Durch Weh und Welle
Bricht strömend, was versteint.
Es schweigt die Schelle,
In meiner Zelle
Die Stimme eines Kindes weint.

 

In: Ruth Schaumann: Die Tenne. Gedichte. München 1931.

 

 

Morgengrauen der Welt

 

Zum Gefieder Haupt und Kamm gewendet,
Schläft der Hahn, das Holz liegt aufgeschichtet,
Bis die lautre Flamme es vernichtet.
Tag ist fern und Abend ist vollendet.

 

Und die Nacht beginnt, der Nächte Nacht,
Wo die Kraft in ihrer Qual ermattet,
Wo das Licht vom letzten Schmerz verschattet
Auf des Gartens dunklem Scheitelt wacht.

 

Sterne stehn im Haus der Herrlichkeit
Angekettet und die Engel schaudern
Festgeschmiedet an des Höchsten Thron.

 

Feuer züngeln und gewaltig schreit
Jetzt der Hahn in vieler Richter Zaudern
Und der Himmel seufzt: Mein einz’ger Sohn.

 

In: Ruth Schaumann: Die Tenne. Gedichte. München 1931.

 

 

Zelt der Engel

 

Und ein Engel hielt sein Kleid
Sich im Schoß zu offnen Falten,
Mich darinnen zu erhalten
Aus der Hand der hohen Zeit.

 

Und ein zweiter blies das Rohr
Einer silbergrauen Flöte,
Bis ihr Klang wie Abendröte
Sich zum Horn der Nacht verlor.

 

Und der dritte las im Buch
Jeder armen Menschenreise,
saß vertieft und blickte weise
Zu des Himmels blauem Tuch.

 

Und ich sang mein Herz hinaus,
Vogelhaft auf Engelknien,
Ward ergriffen und verliehen
Deiner Tage Vogelhaus.

 

In: Ruth Schaumann: Die Tenne. Gedichte. München 1931.