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Lyrische Universen

Selma Meerbaum-Eisinger

Kurzporträt

Selma Meerbaum-Eisinger wurde am 5. Februar 1924 in Czernowitz (Nord- Bukowina) geboren. Bereits in jungen Jahren begann sie sich mit bedeutenden Dichtern wie Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Paul Verlaine oder Klabund auseinanderzusetzen. Frühe Gedichte sind ab 1939 erhalten. Selma Meerbaum-Eisinger erlebte nur eine kurze unbeschwerte Jugend, in der sie der zionistischen Jugendbewegend angehörte. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion durch Nazi-Deutschland wurden auch in Czernowitz verstärkt Juden verfolgt. Im Juli 1941 musste sie zusammen mit der Mutter ins Ghetto übersiedeln. Im Juni 1942 wurden Selma und ihre Familie zunächst in ein Übergangslager, dann in das Zwangsarbeitslager Michailowka, in der von Deutschen besetzten Ukraine, deportiert. Wenige Monate später starb sie dort mit nur achtzehn Jahren am 16. Dezember 1942 an Flecktyphus.

 

Insgesamt sind von Selma Meerbaum-Eisinger 58 Gedichte überliefert, in denen die Liebe zu ihrem Freund aus der zionistischen Bewegung, Lejser Fichmann, einen wesentlichen Schwerpunkt bildet. Ihm widmete sie die Gedichte in ihrem Album mit dem Titel „Blütenlese“. Das Album gelangte an ihn kurz nach ihrer Deportation. Da er 1944 mit dem eigenen Tod rechnen musste, übergab er die Gedichtsammlung an Selmas Freundin Else Schächter. Auf verschlungenen Wegen gelangte Selma Meerbaum-Eisingers lyrisches Vermächtnis nach Israel.

 

Nach ersten Veröffentlichungen ihrer Gedichte 1976 und 1979 in Israel rekonstruierte der Exilforscher und Journalist Jürgen Serke den Lebensweg der Autorin und machte ihr Werk „Blütenlese“ in Westdeutschland 1980 unter dem Titel „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“ bekannt. Eine Reihe ihrer Gedichte wurden in der Folgezeit von relevanten Musikschaffenden wie Daniel Hess, Felicitas Kukuck, Norbert Linke oder Xaver Paul Thoma vertont.

 

„Es ist eine Lyrik, die man weinend vor Aufregung liest: so rein, so schön, so hell und so bedroht“, bekannte die Dichterin Hilde Domin, die die Nazi- Zeit im Exil überlebte.

 

Gedichte

 

Du, weißt du …

 

Du, weißt du, wie ein Rabe schreit?
Und wie die Nacht, erschrocken bleich,
nicht weiß, wohin zu fliehn?
Wie sie verängstigt nicht mehr weiß:
Ist es ihr Reich, ist es nicht ihr Reich,
gehört sie dem Wind oder er ihr,
und sind die Wölfe mit ihrer Gier
nicht zum Zerreißen bereit?

 

Du, weißt du, wie der Wind schrill heult
und wie der Wald, erschrocken bleich,
nicht weiß, wohin zu fliehn?
Wie er verängstigt nicht mehr weiß:
Ist es sein Reich, ist es nicht sein Reich,
gehört er dem Regen oder der Nacht
und ist der Tod, der schauerlich lacht,
nicht sein allerhöchster Herr?

 

Du, weißt du, wie der Regen weint?
Und wie ich geh’, erschrocken bleich,
und nicht weiß, wohin zu fliehn?
Wie ich verängstigt nicht mehr weiß:
Ist es mein Reich, ist es nicht mein Reich,
gehört die Nacht mir, oder ich, gehör’ ich ihr,
und ist mein Mund, so blaß und wirr,
nicht der, der wirklich weint?
4. 3. 1941

In: Selma Meerbaum-Eichinger: Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund. Hrsg. von Jürgen Serke, Hamburg 1980.

 

 

Ich bin die Nacht

 

Ich bin die Nacht. Meine Schleier sind
viel weicher als der weiße Tod.
Ich nehme jedes heiße Weh
mit in mein kühles, schwarzes Boot.

 

Mein Geliebter ist der lange Weg.
Wir sind vermählt auf immerdar.
Ich liebe ihn, und ihn bedeckt
mein seidenweiches, schwarzes Haar.

 

Mein Kuß ist süß wie Fliederduft –
der Wanderer weiß es genau…
Wenn er in meine Arme sinkt,
vergißt er jede heiße Frau.

 

Meine Hände sind so schmal und weiß,
daß sie ein jedes Fieber kühlen,
und jede Stirne, die sie berührt,
muß leise lächeln, wider Willen.

 

Ich bin die Nacht. Meine Schleier sind
viel weicher als der weiße Tod.
Ich nehme jedes heiße Weh
mit in mein kühles, schwarzes Boot.
6. 5. 1941

In: Selma Meerbaum-Eichinger: Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund. Hrsg. von Jürgen Serke, Hamburg 1980.

 

 

Sonne im August

 

Gleich einer Symphonie in Grün
durchpulst von Licht und Duft und Glanz
ziehn Wiesen sich und Hügel hin
erfüllt von buntem Blumentanz.

 

Die Wege liegen lang im Wind,
und alle Birken neigen sich.
Und wenn die Gärten verlassen sind,
dann sind sie es nur für mich.

 

Die Bänke stehen wartend da,
die Gräser wiegen her und hin,
und manchmal scheint der Himmel nah,
und lange Vogelschwärme ziehn.

 

Und alles ist tief eingetaucht
in Lächeln und in Einsamkeit.
Mit Gold ist alles angehaucht,
und eine Elster schreit.
23. 8. 1941

In: Selma Meerbaum-Eichinger: Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund. Hrsg. von Jürgen Serke, Hamburg 1980.