Frauen-Kultur-Archiv

Progressive Autorinnen des 19. Jahrhunderts

Hedwig Dohm

20.  September 1833 (Berlin) – 4. Juni 1919 (Berlin)

 

„Die Menschenrechte haben kein Geschlecht!“

 

Als erste Bürgerliche fordert Hedwig Dohm 1873 öffentlich das Stimmrecht für Frauen, denn vor allem sieht sie darin für Frauen die Chance auf Selbstbestimmung: selbst Politik machen, um die Situation von Frauen in der Gesellschaft zu verbessern.

 

Die couragierte Streiterin stammt aus der jüdischen Fabrikantenfamilie Schleh und erhält eine im 19. Jahrhundert übliche kurze Schulausbildung. Ihre Erfahrungen während der Revolution 1948 in Berlin verstärkten ihr politisches Interesse. Sie heirate Ernst Dohm, Redakteur der satirischen Zeitschrift „Kladderadatsch“. Im Umgang mit Menschen zurückhaltend, findet sie im Schreiben zu Polemik, Witz, Ironie und Scharfzüngigkeit. Ihre Texte setzten sich radikal mit den herrschenden Vorstellungen darüber auseinander, wie Frauen zu sein haben und stellen dar, wie sich diese Frauenfeindlichkeit in Wissenschaft und Justiz niederschlägt.

 

Hedwig Dohm forderte eine gleichwertige Schul- und Berufsausbildung für Mädchen, sexuelle Aufklärung, Entlastungen bei der Kinderziehung, politisches Wahlrecht, Vereinsbildung und soziale Organisation für Frauen – Bedingungen für eine selbstständige Existenz in einer Zeit, die Frauen das Recht, Subjekt zu sein (juristisch, wirtschaftlich, politisch), völlig abspricht.

 

Sie argumentiert gegen das Dogma der Mutterschaft, die als naturgegeben mythisiert wird, publiziert aufgrund des ersten Weltkriegs einen Text gegen den Krieg und spricht sich gegen die Versorgungsehe und für die freie Ehe aus.

 

Obwohl Hedwig Dohm der Frauenbewegung nahe steht, beteiligt sie sich nur an zwei Vereinen, dem „Frauenverein Reform“, der sich für die Koedukation (ein Skandal zu dieser Zeit) und für die freie Berufswahl von Frauen einsetzt, und dem „Verein Frauenwohl“. „Wenn ich (…) mit glühender Überzeugung die Gleichberechtigung der Geschlechter fordere, so geschieht es auf Grund langer Erfahrungen, auf Grund des einfachen gesunden Menschenverstandes, der nicht verstehen kann, daß man Menschen, die ihre fünf Sinne beisammen haben, in Zwangsjacken steckt.“

 

Die überzeugte Feministin gibt ihre Auffassung an ihre vier Töchter weiter. Sie alle erhalten eine Berufsausbildung, um nicht auf einen Versorger angewiesen zu sein. Die Texte, Romane, Streitschriften und Novellen dieser außergewöhnlichen Frau bieten über die historische Distanz hinweg eine immer noch aktuelle Analyse frauenfeindlicher Argumentationsmuster und zeigen eine radikale feministische Vordenkerin.

 

© Mechthilde Vahsen in: Wir Frauen. Das feministische Blatt, H. 3, 2003, S.35.